“Eine gute Klausur stellt unbekannte Rechtsfragen, bei denen man argumentieren muss, und ermöglicht es, mit Systematik und gesundem Menschenverstand eine praktikable Lösung zu finden – Mut zum eigenen Denken ist entscheidend.”
Teilnahme am IMR Jurapodcast
Ich war neugierig, die nationale Perspektive zu verlassen und europäische Rechtspolitik unmittelbar mitzuerleben. Als Brüsseler Ländervertreter sammle ich frühzeitig Informationen zu EU-Vorhaben und kann hessische Erfahrungen in den Gesetzgebungsprozess einspeisen. Diese Mischung aus Recht, Politik und Diplomatie reizte mich mehr als eine weitere Station im klassischen richterlichen Dienst.
Mein Tag beginnt mit dem Durchforsten der Kommissions-, Rats- und Parlamentsdokumente. Ich filtre alles, was Justiz, Digitalisierung oder Strafverfolgung betrifft, bewerte Umsetzungshürden für die Länder und berichte nach Wiesbaden. Parallel netzwerke ich mit anderen Vertretungen, schreibe Stellungnahmen und begleite Verhandlungen, um hessische Anliegen früh einzubringen.
Jura lag in der Familie, doch ausschlaggebend war die Faszination, reale Konflikte zu lösen. Nach dem Blick in Großkanzleien merkte ich: Mir fehlt der unmittelbare Bezug zu Menschen. Die Richterbank gab mir genau das – Verantwortung, Unabhängigkeit und täglich neue Geschichten, statt nur Transaktionen am Bildschirm.
Als Vizepräsident sorge ich dafür, dass das Gericht überhaupt funktioniert: Heizungen laufen, Akten zirkulieren, Geschäftsverteilungspläne gerecht sind, Medienanfragen beantwortet werden. Ich sehe mich als Dienstleister, damit Richterinnen, Rechtspflegerinnen und Servicekräfte sich auf die Rechtsprechung konzentrieren können.
Wir entwickeln Klausuren in Teams aus abgeordneten Richterinnen, Staatsanwälten, Anwältinnen und Professoren. Grundlage sind echte, noch unveröffentlichte Akten. Zwei Schwerpunkte fordern Argumentationsfähigkeit, mehrere Nebenfragen sichern Basiswissen. Bevor die Aufgabe bundesweit im Ringtausch geschrieben wird, prüfen Kolleginnen aus anderen Ländern sie auf Fehler und Ausgewogenheit.
Begegnet dir im Examen ein völlig unbekanntes Problem, freut mich das: Jetzt kannst du zeigen, wie du methodisch arbeitest. Ohne vorgefertigte Meinung zählen Systematik, Lebensnähe und überzeugende Argumente – genau das, was wir von einem künftigen Volljuristen erwarten.