“Viele Arbeitgeber sollten sich ermutigt fühlen, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Sie gewinnen dadurch nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch eine bereichernde zwischenmenschliche Perspektive für ihr Team.”
Teilnahme am IMR Jurapodcast
Ich war von Kindesbeinen an fasziniert von Sprache und logischer Ordnung. Als ich die TV-Gerichtsshows hörte, merkte ich: Dort werden chaotische Lebensgeschichten fachlich sortiert. Jura erlaubt mir, exakt das zu tun – komplexe Sachverhalte strukturieren, Entscheidungen begründen. Dieses geistige Abenteuer trieb mich an, Augenlicht hin oder her.
Formate wie „Richter Alexander Hold“ und „Barbara Salesch“ zeigten mir selbstbewusste Juristen, die souverän argumentieren. Für mich, der nach langen Pendelschultagen nur hören konnte, waren sie spannender als jede Serie. Dort entstand der Wunsch, irgendwann selbst so sicher aufzutreten und Verantwortung in Verfahren zu übernehmen.
Zuerst prägte ich mir an der Braille-Schreibmaschine jedes Sechs-Punkte-Muster ein. Stundenlang tasten, tippen, kontrollieren. Später kam der Computer: Screenreader liest, die Braillezeile liefert simultan haptische Zeichen. Ohr und Finger arbeiten synchron – ein Tempo, das nur jahrelanges Training ermöglicht und mich heute durch Gesetze rasen lässt.
In Marburg war Blind- oder Sehbehindert-sein nichts Besonderes. Dadurch entwickelte ich Selbstvertrauen statt Defizitgefühl, übernahm Aufgaben im Internat und baute früh Netzwerke auf. Diese Normalität half mir später, in Hörsälen, Gerichten und Bewerbungsgesprächen selbstverständlich aufzutreten.
Ich organisierte eine Studienassistenz: Er las, ich schrieb digital mit. Vor jeder Arbeit erstellte ich eine strikte Gliederung, suchte gezielt Paragrafen, um die Vorlese-Stunden zu minimieren. Fünf Stunden akustische Lektüre für eine Fundstelle klingen mühsam, aber Planung und Disziplin machten die Hausarbeiten machbar.
Ich schrieb auf einem vorab geprüften Laptop mit Screenreader und erhielt 50 % Zusatzzeit. In meinen digitalen Gesetzestexten setze ich Sprungmarken und Hotkeys, um Anspruchsgrundlagen sofort anzusteuern. So kompensiere ich das fehlende Blättern und kann sieben-einhalb-Stunden-Klausuren ohne inhaltlichen Nachteil bewältigen.