Hendrik Lonnemann, Student | Universität Gießen
Blindheit - Sehbehinderung - Blindenschrift - Studienassistenz - Arbeitsassistenz - Nachteilsausgleich - Juristische Ausbildung - Hausarbeit - Klausur - Mündliche Prüfung - Aktenbearbeitung - Jobsuche - Öffentlicher Dienst - Arbeitgeberperspektive - Inklusion
In der bislang längstem IMR-Folge ist Hendrik Lonnemann zu Gast. Doch diese Stunde zeitliches Investment ist es wert: Er ist einer der wenigen Menschen, die als Blinder Jura studiert haben. Neben seiner Entscheidung für das Jurastudium erläutert er, wie Blindenschrift funktioniert, wie man mit einer Studienassistenz studieren kann und welche Herausforderungen das Referendariat mitbringt. Was hat ihn motiviert, dieses schwierige Studium aufzunehmen? Wie konsumiert er Texte, die nicht in Blindenschrift vorliegen (wie die meisten juristischen Fachtexte)? Warum ist dies ganz besonders aufwändig und bedarf großer Konzentration? Wie sind die Prüfungsämter auf den Umgang mit Behinderungen eingestellt? Wie gestaltet sich die juristische Jobsuche als Blinder? Antworten hierauf und vieles mehr findet Ihr in dieser sehr bereichernden Folge 168 von Irgendwas mit Recht. Viel Spaß!
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Die Justus-Liebig-Universität Gießen ist eine traditionsreiche, staatliche Volluniversität in Mittelhessen, an der rund 5.700 Menschen arbeiten und mehr als 28.000 Studierende lernen – darunter selbstverständlich auch künftige Juristinnen und Juristen. Mit ihrer traditionsreichen Rechtswissenschaftlichen Fakultät, vielfältigen Schwerpunktbereichen und ausgeprägter Forschungsstärke bietet sie ein breites juristisches Ausbildungs- und Wissenschaftsspektrum, das eng mit anderen Disziplinen vernetzt ist.
Besonders hervorzuheben sind die offenen Strukturen und das ausgebaute Unterstützungsangebot – vom Inklusionsbüro bis zur Studienassistenz –, die individuelle Lernwege ermöglichen und auch Studierende mit Behinderung erfolgreich durchs Studium begleiten. Warum das Campusleben in Gießen so lebendig ist und welche Einblicke ein blinder Jurist in Ausbildung bietet, erfahrt ihr in unserer IMR-Folge – also Kopfhörer auf und reinhören!
Viele Arbeitgeber sollten sich ermutigt fühlen, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Sie gewinnen dadurch nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch eine bereichernde zwischenmenschliche Perspektive für ihr Team.
KI-basiert und kann Fehler enthalten.
Herzlich Willkommen, hier ist Marc von Irgendwas mit Recht. Diese Folge ist etwas länger mit Hendrik Lonnemann, ist glaube ich die längste Irgendwas mit Recht-Folge. Aber hört da unbedingt nicht nur rein, sondern hört sie euch ganz an.
Es ist eine sehr, sehr beeindruckende Folge, denn Herr Lonnemann ist blind und hat Jura studiert. Und das ist eine Perspektive, die auch viele Details unseres juristischen Ausbildungssystems nochmal beleuchtet. Und nehmt euch wirklich eine Stunde, ich glaube, die ist gut investiert.
Mir hat es sehr, sehr viel Freude bereitet, die Folge mit Herrn Lonnemann aufzunehmen. Bis bald. Tschüss. Herzlich willkommen zu einer neuen Episode Irgendwas mit Recht.
Mein Name ist Marc Ohrendorf und heute habe ich einen ganz besonderen Gast. Denn Ziel dieses Podcasts ist es ja nicht nur vielseitige Berufe und vielseitige Fälle vorzustellen, sondern auch vielseitige Menschen und Henrik Lonnemann füllt dies auf jeden Fall aus. Hallo Herr Lonnemann.
Guten Tag Herr Ohrendorf, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr, heute in Ihrem Podcast zu sein.
Sehr gerne. Sie haben mir, soviel kann man glaube ich verraten, geschrieben und haben gesagt, hallo, ich bin blind und habe Jura studiert und ich würde gerne mal berichten, wie das so ist. Und da sage ich ja natürlich sehr, sehr gerne, denn das ist bestimmt ein ganz spannender Lebensweg.
Fangen wir ganz vorne an. Die erste Frage, die Sie wahrscheinlich schon tausendmal gehört haben, aber zum Verständnis. Sie sind von Geburt an blind? Fragezeichen?
Ja, Ausrufezeichen. Ich bin von Geburt an blind. Das war auch nie anders. Ich hatte tatsächlich nie ein Restsehvermögen. Bin auch zu 100 Prozent blind. Also das heißt, ich habe zwei Glasaugen. Meine Augen haben sich sozusagen nie richtig entwickelt. Und das ist also von Geburt an so, sodass ich auch quasi keine anderen Lebensumstände kennengelernt habe.
Okay. Wie war das denn dann für Sie als Kind? Wo haben Sie gemerkt, dass manche Dinge vielleicht nicht möglich sind, die andere Kinder machen können? Wie war das dann in der Schule? Wie muss man sich das so vorstellen, den Alltag eines blinden Kindes?
Also mit Sicherheit an einigen Stellen anders. Das blinde Kind ist erstmal genauso, da kann ich auch für mich selbst sprechen, genauso neugierig auf die Welt wie alle anderen Kinder auch. Muss aber natürlich im Zweifel gebremst werden.
Ich meine, man kennt das ja bei den sehenden Kindern, die laufen los und fallen dann im Zweifel einfach auch mal die Treppe runter. Das kann dem blinden Kind natürlich auch passieren, aber das sehende Kind, ich sag mal, hat zumindest irgendwann dann die Chance auf einen Lerneffekt.
Lerneffekt.
Ja. Ja.
Und bei den blinden Kindern ist das eben so eine Sache. Und was man, glaube ich, sagen kann, was sich extrem unterscheidet, ist, dass vieles, was das Lernen angeht, tatsächlich ja auch durch Abgucken funktioniert, sodass Eltern und auch Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten da dann tatsächlich gehalten sind, ein bisschen andere Möglichkeiten zu finden.
Man tatsächlich auch frühzeitig auf Frühförderung setzen sollte, in der sich dann spezifisch mit den blinden Kindern beschäftigt wird, weil es einfach ganz wichtig ist, um sich so normal wie möglich zu entwickeln. Und es funktioniert einfach tatsächlich ansonsten auch frühzeitig sehr viel über Kommunikation und über das Miteinander sprechen.
Das heißt, Sie waren dann auf einem normalen Kindergarten und einer normalen Schule?
Nein, ich war in einem normalen Kindergarten und bin dann tatsächlich auf eine Sehbehinderten- und Blindenschule gegangen. Zunächst auf eine Grundschule und Orientierungsstufe in Bremen. Mein Jahrgang war damals der letzte Jahrgang im Bundesland Bremen, wo es die Empfehlung für die weiterführende Schule erst nach der sechsten Klasse gab.
Und da habe ich dann tatsächlich die Empfehlung fürs Gymnasium bekommen und bin dann von Bremen ins hessische Marburg gewechselt, weil es in Marburg, das wissen nicht so viele, in Deutschland das einzige grundständige, also ab der fünften Klasse, Gymnasium für blinde und sehbehinderte Kinder gibt. Und ich bin dann dort zur siebten Klasse eingestiegen.
Und daher sozusagen meine Sozialisation in der Jugend am Standort Marburg, der sich dann auch durch den weiteren Weg innerhalb der Schule und dann auch in dem juristischen Weg sozusagen durchgesetzt hat.
Wie lernt man denn als blinder Mensch lesen und schreiben? Lernen Sie das dann wahrscheinlich mit Blindenschrift? Genau, exakt.
Ich habe die Blindenschrift von Kindesbeinen an gelernt. Die Blindenschrift muss man sich so vorstellen, es sind quasi sechs Punkte, aus denen sich alles zusammensetzt, also das gesamte Alphabet. Punkt, die sind durchnummeriert von 1 bis 6.
Das A ist dann zum Beispiel der Punkt 1, das B ist Punkt 1, 2 und so weiter. So baut das quasi logisch aufeinander auf. Und auf der Basis funktioniert das Schriftsystem.
Man lernt das zunächst mit einer blinden Schreibmaschine. Also das muss man sich vorstellen wie früher die Schreibmaschinen, die man so vielleicht vielfach noch kennt, in denen man dann ein Blatt einspannt. Und das ist dann eben sozusagen etwas dickeres Papier.
Und dort werden quasi die Punkte durchgedrückt und erscheinen dann quasi erhaben auf dem Blatt Papier. Und so lernt man dann als Kind tatsächlich lesen und schreiben auf diesem Weg. Und später wechselt man dann Stück für Stück an den Computer, wo dann eine Sprachausgabesoftware, ein Screenreader quasi die Bildschirminhalte vorliest und man gleichzeitig eine sogenannte Braillezeile anschließen kann.
Das ist dann praktisch das Gerät, was sozusagen die Bildschirminhalte in Blindenschrift überträgt. Man kann dann also quasi parallel mit den Fingern mitlesen und und kriegt die Bildschirminhalte gleichzeitig aufs Ohr.
Ah ja, verstehe.
Ja, genau. System dahinter.
Und sozusagen die Breilschrift lässt sich dann übersetzen in die Buchstaben, die wir im Normalfall normal auf der Bildhabe haben?
Genau, die Buchstaben tauchen ganz normal auf dem Computerbildschirm auf, so wie Sie sie sehen und tauchen bei mir eben gleichzeitig nach diesem Sechs-Punkte-System so auf der Breilzeile auf, wie ich sie gelernt habe, sodass quasi die Darstellung unterschiedlich ist, die Wahrnehmung aber dieselbe.
Ich habe gerade das mal parallel gegoogelt und sehe, dass es auch Umlaute und Lautzeichen gibt.
Genau, es gibt Umlaute und Lautzeichen und da die Blindenschrift tatsächlich relativ umfassend ist, lernt man auch ab einem bestimmten Schuljahr, meist ab Mitte der Grundschulzeit, eine sogenannte Kurzschrift. Das müssen Sie sich vorstellen wie Stenografie, also Abkürzungen für einzelne Worte.
Und da gibt es sozusagen im Deutschen und im Englischen unterschiedliche Kurzschriftsysteme. Also das heißt, das blinde Kind muss schon mal verschiedenste Schriftsysteme lernen. Also nehmen Sie mal zum Beispiel den Buchstaben B, das sind die Punkte 1 und 2, der bedeutet für sich genommen das B, steht ein Zahlenzeichen davor, ist es eine 2, weil es auch der zweite Buchstabe im Alphabet ist, steht es alleine für sich, ist es das abgekürzte Wort by, steht es im Englischen alleine für sich, ist es das but wie aber.
Und so lernt sozusagen schon das blinde Kind auf ganz andere Weise und ehrlich gesagt auch mit einem erheblich höheren Lernaufwand unterschiedliche Schriftsysteme, ein schwieriges Wort, mit denen es sich dann sozusagen frühzeitig schon auseinandersetzen muss. Genau, so funktioniert das.
Okay, also nochmal ganz zusammengefasst. Wenn wir jetzt zum Beispiel eine Ziffer haben, ich finde das ja schon hochspannend und auch um mal zu verdeutlichen, wie aufwendig es auch einfach dann ist, ja, wenn man nachher dann dahin kommt zu sagen, gut, da gab es andere Wege, wir greifen ein bisschen vorweg, wir mussten nicht alles sozusagen in Blindenschrift lesen, ging ja auch gar nicht, weil viel Literatur gar nicht in der entsprechenden Form vorliegt.
Aber nochmal, also eine Ziffer, ist dann zum Beispiel, sind vier Punkte und ich sag mal für diejenigen, die jetzt, beschreiben sie das doch mal, sie können das viel besser beschreiben als ich, wie muss man diese vier Punkte sich vorstellen?
Die sind sozusagen angeordnet. Die Punkte von 1 bis 6 quasi von oben nach unten. Ja. Es gibt sozusagen links drei Punkte und rechts drei Punkte und die setzen sich dann sozusagen zusammen.
Zusammen. Also die Zahl 5 zum Beispiel ist gleichzusetzen wie das E, also der fünfte Buchstabe im Alphabet, und sind die Punkte 1 und 5. Also der oberste Punkt auf der linken Seite und der mittlere Punkt auf der rechten Seite.
Okay, das heißt, wenn wir dann 2, 4, 5 und 6 haben, das ist das Zeichen für eine Ziffer und danach Punkte 1 und 4 wäre das die Zahl 5. Genau.
Es sind aber nicht 2456, sondern 3456. Das ist das Zahlenzeichen.
Achso, man zählt von oben nach unten. Ja, okay. Alles klar. Ah, ja, ja. Drei, vier, fünf, sechses zahlen. Okay. Also das mal so als kurzen Exkurs, um glaube ich schon mal so ein bisschen zu verdeutlichen, wie aufwendig und wie fordernd das auch einfach ist, da möglichst früh dann auch reinzukommen. Exakt.
Ja.
Und wie wirkt sich das in der Schule dann aus später? Bleiben wir noch kurz in der Schulzeit. Also Lesen und Schreiben ist jetzt natürlich die eine Sache, aber man hat ja auch so Sachen wie, keine Ahnung, Biologie, Chemie und so weiter.
Natürlich.
Ist ja klar. Wie war das dort? Wie haben Sie da den Stoff entsprechend aufgenommen und bearbeitet?
Tatsächlich in den naturwissenschaftlichen Fächern sehr viel mit erhabenen Karten und Modellen, also tatsächlich einfach wirklich das, was sozusagen ansonsten in den Unterrichtsfächern vermutlich als Abbildung gezeigt würde, dann eben als tastbare Abbildung, also zum Ertasten vielleicht am bekanntesten oder am prägnantesten des Beispiel auf der auf der Europa-Karte das Land Italien, der Stiefel. Wo sich jeder was darunter vorstellen kann, das dann sozusagen als er auf erhabenem Papier ein tastbarer Stiefel ist.
Das kann man sich so schlecht vorstellen, das müsste man jetzt begleitend sehen. Darauf war ich jetzt natürlich nicht vorbereitet. Ansonsten hätte ich sogar so Materialien mal organisiert, um es irgendwie, sozusagen zumindest für Sie, Herr Ohrendorf, visuell erfassbar zu machen.
Aber da gibt es ganz, ganz tolle Möglichkeiten, tatsächlich Dinge umzusetzen. Ich habe mit sowas nie gerne gearbeitet, muss ich dazu sagen, weil es mir persönlich immer eher schwergefallen ist, mir sozusagen Dinge räumlich vorzustellen, auch räumliche Beziehungen zueinander, weil wenn man das nicht sieht, also mir persönlich ist es immer eher schwergefallen, aber das ist nicht grundsätzlich so.
Ich kenne sehr viele, auch Geburtsblinde, für die das gar kein Problem ist, die können Ihnen tatsächlich die Weltkarte aus dem Kopf nachzeichnen.
Ja, das gibt es.
Aber da bin ich leider nicht dazu in der Lage, Lage. Dafür habe ich zwei juristische Staatsexamen. Alles geht nicht.
Ja, das wäre die Folgefrage gewesen. Also wenn sie das so beschreiben und sagen, naja, das war vielleicht nicht gerade ihr Steckenpferd. Also sie waren eher der Sprache zugetan und den ganzen Wissenschaften.
Ja, bei der Sprache zugetan, genau. Ich hatte Deutsch und Englisch im Leistungskurs. Muss vielleicht eine Sache dazu noch sagen. Ich habe ja schon gesagt, ich bin dann in Marburg gewesen auf der Sehbehinderten- und Blindenschule.
Also die Schülerinnen und Schüler dort sind nicht ausschließlich blind, das ist vielleicht noch mal wichtig zu wissen, sondern auch sehbehindert. Und mittlerweile hat sich die Schule im Zuge der Inklusion auch für normalsehende Schüler geöffnet, sodass es quasi jetzt eine inklusive Lerngemeinschaft mittlerweile ist.
Zu meiner Zeit waren es aber ausschließlich Sehbehinderte und Blinde. Und da muss man sich das einfach so vorstellen. Ich glaube, das kann auch jeder nachvollziehen. In dem Moment, wo sie quasi unter ihresgleichen, in Anführungsstrichen, sind, spielt die Sehbehinderung tatsächlich auch keine größere Rolle, sondern da ist es einfach eine ganz normale Persönlichkeitsentwicklung, was auch allen sehr gut getan hat.
Zumindest die, die mich damals begleitet haben. Also im Zuge dieser Inklusionsdiskussion sagen ja viele, was ich gut nachvollziehen kann, es ist wichtig, dass man da frühzeitig, dass auch die sehenden Kinder lernen, dass nicht jeder Mensch gesund und ohne Handicap aufwächst, dass die Kinder mit Behinderung frühzeitig integriert werden. Das ist natürlich vollkommen richtig.
Gleichzeitig muss man sagen, sind natürlich die Kinder mit Behinderung in Kindergärten, in Kindertagesstätten, in Schulklassen immer irgendwie besonders. Und bei uns war einfach niemand besonders allein deshalb, weil er nicht gucken konnte, sondern weil es ein individuelles Talent, irgendein anderes prägnantes Persönlichkeitsmerkmal gegeben hat, aber nicht allein aufgrund Und das hat zumindest bei mir dazu geführt, dass ich mich einfach auch so entwickelt habe, dass ich die Sehbehinderung nicht als Makel, als große persönliche Einschränkung verstanden habe, sondern immer nicht trotz der Sehbehinderung die Dinge gemacht habe, sondern mit der Sehbehinderung.
Verstehe, ja, okay. Und wann haben Sie sich überlegt, ja gut, also eigentlich würde ich kein Juror studieren?
Tatsächlich relativ früh. Man muss eine Sache verstehen, in meiner Grundschulzeit bin ich in Bremen zur Schule gegangen, bin aber groß geworden in Lingen an der Ems in Niedersachsen. Und die Schule in Bremen war keine Internatsschule.
Das heißt, ich habe in den ersten zwei Schuljahren in einer anderen Familie in Bremen vor Ort gelebt, um nicht jeden Tag diese Strecke zu pendeln. Das sind pro Weg rund 120 Kilometer. Und ab dem dritten Schuljahr bin ich aber bis zum Ende der sechsten Schulklasse tatsächlich diese Strecke nach Bremen jeden Tag hin und zurück gefahren.
Also das heißt, ich hatte sozusagen, wenn Sie so wollen, einen mehr oder weniger zwölf-Stunden-Tag. Also mit Vormittagsschule von 8 bis 1, morgens dann gegen 5.30 Uhr ab in den Schulbus. Und nachmittags war ich dann zwischen 15 und 16 Uhr wieder zu Hause und dann folgten natürlich noch Hausaufgaben.
Das war das war meine zeit sozusagen in der grundschule und dann auch in der orientierungsstufe.
Wir sind jetzt da hingekommen weil sie gesagt haben das muss man auch wissen.
Das muss man auch wissen weil ich dann.
Und dann haben sie sich gedacht Schreibtisch ist schön ich mach Jura.
Nein das habe ich nicht gedacht sondern ich habe gedacht Fernseh gucken ist ja jetzt spannend und abwechslungsreich weil man ja mal irgendwie zur Ruhe kommen muss nach so langen Tagen da wollte ich eigentlich hin. Und dies dann so auf diese, ja, von den Juristen immer so ein bisschen, auch zum Teil zu Recht, belächelten Formaten, Gerichtssendungen, Barbara Sales und so weiter.
Und mir imponierte das aber enorm, wie die Leute da auftraben, vor allem die Juristen. Also mit welcher Sicherheit die ihr Pensum zu vermitteln wussten und einfach Lebenssachverhalte am Ende des Tages dann doch auch aus einer fachlichen Perspektive eingeordnet haben. Und dann habe ich gedacht, das ist ja schon wirklich spannend, dass da jetzt jemand sitzt.
Also es wird eine Konstellation vorgegeben, so und so soll es gewesen sein. Und dann entwickelt man eben einen Prozess, wie eine Gerichtsverhandlung eben ist, und kommt dann am Ende an einer ganz anderen Stelle möglicherweise raus. Und das fand ich enorm spannend und wahnsinnig interessant.
Es war natürlich auch als Unterhaltungsformat gemacht, keine Frage. Mancher Zivilprozess ist mit Sicherheit nicht so spannend. Nichtsdestotrotz war das was, wo ich dachte, das kann es natürlich für mich sein. Naja, und seien wir auch da ehrlich und realistisch, einige Berufe kommen natürlich auch schlichtweg nicht infrage.
Also als Herzchirurg oder Fahrlehrer würden Sie mich nicht engagieren wollen, glaube ich. Und naja, Lehramt war jetzt nicht der Weg, den ich gehen wollte. Psychologie, was viele meiner Mitschülerinnen und Mitschüler den Weg gegangen sind in die Richtung dieses Studienfachs, war jetzt nicht unbedingt so meins.
Und dann habe ich gedacht, naja, also es interessiert mich erst mal von der Sache und man kann es grundsätzlich offensichtlich auch machen, also probiere ich es mit dem Fach Jura.
Sie haben also wegen Alexander Holt und Barbara Sales unter anderem Jura studiert.
Jedenfalls auch, genau. Jedenfalls auch. So muss man, wegen denen habe ich angefangen, sagen wir so. Und dann habe ich natürlich ein Interesse, das ich ohnehin schon hatte, beibehalten und weiterentwickelt. Ich glaube, so muss man es differenziert formulieren.
Naja, sie sind der erste, der das jetzt zumindest hier im Podcast öffentlich sagt, aber ich bin mir sehr sicher, unseren Zuhörenden wird es noch den ein oder anderen geben.
Ja, es gibt sehr viele, das glaube ich auch. Gerade übrigens in dieser Generation, in der Generation meiner Generation, die so Anfang Mitte 30 sind und zu einer Zeit jugendlich waren, Mitte der Nuller Jahre, wo diese Formate Hochkonjunktur hatten im deutschen Fernsehen und wo Internet und Smartphones im Vergleich noch nicht ganz so frequentiert waren.
Ich glaube, von denen haben das tatsächlich viele zumindest als einen Anhaltspunkt für ihre Entwicklung genommen, auch wenn sie das vielleicht nicht so zugeben würden. Aber ich finde, das kann man schon sagen.
Ja, also ich erinnere mich tatsächlich auch noch, wir sind dann ungefähr das gleiche Alter, dass ich nach der Schule nach Hause kam und irgendwann lief mal Barbara Seilasch und zumindest, klar wusste man ja auch, das ist jetzt irgendwie Fernsehen und man wusste auch irgendwie, Dinge, die im Privatfernsehen laufen, sind jetzt nicht unbedingt 100 Prozent die Wirklichkeit, Aber
so einen gewissen Kern hat es ja doch und unterhaltsam fand ich es auch, das muss ich schon zugeben.
Richtig, richtig und daher dann der Ansatz. Und dann konnte ich glücklicherweise im Jahr 2011 das Abitur machen. Nachdem ich dann in Marburg sozusagen nach Marburg gewechselt bin, da bin ich übrigens auch nicht mehr gependelt, sondern war dann natürlich dort im Internat untergebracht, hab da auch eine tolle Zeit gehabt und wirklich auch tolle engagierte Menschen in allen Bereichen, die da die jungen Menschen mit Sehbehinderung wirklich so fit machen, auch jenseits der Schule, so alltagsfit machen, dass sie danach mehr oder weniger eigenständig dann auch ihren Weg ins Berufsleben gehen können, beziehungsweise in die Ausbildung.
Okay, jetzt stelle ich mir gerade mein erstes Semester im Jurastudium vor. Ich kam dort irgendwo hin, habe mich orientiert, habe irgendwann den Hörsaal gefunden, was ja logischer Weise wahrscheinlich für Sie schon ein bisschen schwerer ist, würde ich vermuten, als für mich. Und dann sagt der Professor irgendwie bei 400 anonymen Menschen so, in ein paar Monaten ist hier wahrscheinlich nur noch jeder Dritte da, überlegen Sie es gut, ob Sie das möchten.
Und dann spielt er seinen Stiefel runter und fängt mit irgendeiner Vorlesung im zivilrecht allgemeinen Teil an. So haben das wahrscheinlich viele Studierende erlebt. Ich auch.
Sie auch? Okay, das wäre nämlich mal eine Folgefrage gewesen. gewesen?
Also vielleicht mal vorweg, man muss sich das so vorstellen, also im Vorfeld dieser Zeit gibt es immer die Möglichkeit, in dem Moment, wo ein neuer Lebensabschnitt beginnt, sich Unterstützung durch sogenannte Orientierungs- und Mobilitätstrainer zu holen. Das heißt, also ich bin nicht darauf angewiesen, mir alles eigenständig erarbeiten zu müssen, sondern das sind ausgebildete Fachkräfte.
Das ist ein Ausbildungsberuf und die Personen können einem dann sozusagen vorab schon bestimmte Wege eröffnen. Zeigen und bestimmte Dinge schon mal vorab mit einem machen. Diese Möglichkeit habe ich auch in Anspruch genommen, sodass ich zumindest an meinem ersten Tag an der Uni tatsächlich wusste, wo ich hin muss.
Ja, okay.
Wovon die meisten schon mal ganz beeindruckt waren, denn die wussten es nicht. Ja, das muss man mal dazu sagen. Also das muss man auch mal wirklich dazu sagen.
Und auch in Marburg vor Ort schon zumindest einigermaßen ortskundig zu sein. Auch das hat mir natürlich geholfen, tatsächlich in der ersten Zeit zurechtzukommen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich anspruchsvoll, weil sich gerade in den ersten Semestern – da sind die Jahrgänge ja doch noch etwas größer als dann später – sich das Ganze dann tatsächlich auch auf drei verschiedene Gebäude erstreckt hat.
Also das war dann schon wirklich auch nicht ohne sich da zurechtzufinden. Ich muss aber sagen, bei uns war es sogar – es wurde damals mehrfach öffentlich gesagt, deswegen kann ich es auch jetzt hier nochmal sagen – 555 Anfangende im ersten Semester. Und dann fiel genau dieser Satz, ja und links und rechts, und Sie werden sehen, es wird dann weniger.
Und dann habe ich gesagt, naja, also das Einzige, was ich hier effektiv tun kann, in jedem Fall, ist hingehen und immer zeigen, ich bin ja da. Und als relativ großer, junger Mann, der überhaupt über viele Köpfe hinweg guckt, allein ob der Körpergröße, und dann mit blinden Stock fallen sie auch auf.
Also so ist es nicht. Zumal ich natürlich dann auch mal in die falsche Richtung gelaufen bin, natürlich auch mal im falschen Hörsaal gelandet bin und mich dann auch vor einer weltfremden Gruppe mir unbekannter Studierender und eines mir unbekannten Dozenten mal erklären musste, was ich denn da suche und wo ich denn eigentlich hin will.
Also diese Dinge kommen natürlich auch vor, das muss man ganz klar sagen. Davon darf man sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Und wie haben sie dann Zugang zu dem Material erhalten? Also ich würde mal vermuten, Lehrstühle sind nicht unbedingt darauf vorbereitet, Bücher gibt es auch in vielerlei Hinsicht nicht, da muss es ja irgendeine andere Lösung gegeben haben, dass sie dann entsprechend das auch studieren können.
Also, man muss dazu sagen, dass Marburg in gewisser Hinsicht ein kleiner Standortvorteil mit Blick auf die juristische Arbeit insofern gewesen ist, als dass durch die Schule dort vor Ort schon einige Studierende auch in höheren Semestern seinerzeit schon am Fachbereich waren. Sodass ich so ein bisschen mich vorab vernetzen konnte und an den Dingen partizipieren konnte, die man sich schon eingescannt hatte, mir ein paar Tipps und Tricks holen konnte, wie ich denn das Vorlesungsverzeichnis barrierefrei bedienen kann und Lehrleitdinge, aber sie Sie haben vollkommen recht, die Professorinnen und Professoren sind dort nur eingeschränkt vorbereitet gewesen und einfach zum Teil auch unsicher und hatten auch nicht an jeder Stelle so die Bereitschaft, die Sie jetzt gerade an den Tag gelegt haben, einfach mal zu fragen, ja, wie machen Sie das denn eigentlich? Sondern mehr so die Haltung, ja, es muss halt irgendwie gehen.
Sagen Sie halt wie und wenn Sie jetzt nicht sagen können, was die Lösung des Problems ist, die Sie aufzeigen können, dann kann ich Sie jetzt auch nicht ohne weiteres aufmachen. Also, das habe ich tatsächlich insbesondere in den ersten Semestern tatsächlich schon auch für mich erlebt, muss ich ganz ehrlich sagen, hat sich dann aber mit der Zeit doch sehr geregelt, weil ich dann tatsächlich auch die Möglichkeit in Anspruch genommen habe, die auch jeder Mensch mit Behinderung für sich genommen hat, nämlich eine Studienassistenz zu beantragen.
Seinerzeit lief das noch über das Sozialamt, die Zuständigkeiten haben sich da aber mittlerweile verändert. Ich bin mir tatsächlich gerade auch gar nicht sicher, ob das eine Sache der jeweiligen Bundesländer ist, weil es ja vor dem Hintergrund der Bildungsabschlüsse passiert. Aber in jedem Fall kann man sich da entsprechend im Netz informieren.
Und da gibt es die Möglichkeit sozusagen dafür Gelder zu beantragen, was aber nicht natürlich darum herum führt, dass man sich selbst diese Person suchen muss. Glücklicherweise hat das damals ein guter Freund von mir tatsächlich übernommen und über das gesamte Studium hinweg auch wahnsinnig nett und kompetent begleitet, der aber nicht juristisch sozusagen vorgebildet war.
Und Sie können sich vorstellen, wie das ist, wenn quasi einer die erste Anfängerhausarbeit schreibt, der das mit Jura noch nie gemacht hat und einer, der noch nie eine Jura-Vorlesung besucht hat. Und auf der Basis dessen versucht man sich dann so die Fundstellen zusammenzusuchen.
Es lief zu der Zeit tatsächlich auch noch viel über reines Vorlesen und Dinge mitschreiben, weil es wir reden über das Jahr 2011. Auch im Vergleich zu heute doch noch weniger Online-Materialien insgesamt gegeben hat und die Online-Datenbanken doch noch weniger ausgebaut waren, als sie es heute sind.
Und das führte dann eben schon mal dazu, dass wir auch einfach fünf Stunden gelesen haben, ohne dass es irgendetwas gebracht hat für die inhaltliche Weiterentwicklung der Hausarbeit. Und das ist natürlich dann schon etwas, was den sehenden Kolleginnen und Kollegen nach einiger Zeit auch innerhalb der ersten Semester schon anders geht.
Also ich glaube, das kann man dann doch sagen. Okay, also gelesen heißt, er hat vorgelesen und ich habe mitgeschrieben und für mich verarbeitet, was ich für wichtig hielt, so und inklusive Fundstellen.
Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber ach du Scheiße, das stelle ich mir unfassbar mühselig vor.
Das ist mühselig, das ist irre, irre anstrengend und dazu müssen Sie ja bedenken, dass, das wissen Sie ja auch, Dazu kommt, dass sie in den ersten Semestern ja noch insofern eine Fallhöhe haben, als dass sie ja noch die Situation haben, wenn sie zweimal durch die Scheine durchgefallen sind und die Zwischenprüfung nicht mehr wiederholen können, dass sie ja dann auch raus sind aus dem deutschlandweiten Jura-System.
Also das kam ja sozusagen damals noch dazu und hat sozusagen also noch so eine psychologische Komponente, die die oben draufkommt und die mit Sicherheit nicht unbedingt ein Vorteil war.
Okay, also das sind jetzt die Hausarbeiten. Da haben sie sozusagen vorgelesen bekommen, mussten sich unfassbar viel merken, wahrscheinlich sehr, sehr stark konzentrieren.
Tatsächlich ist das intensive Konzentrationsarbeit, ja.
Ja, ja, das muss ich mir denken. Ja, das kann man ja mal versuchen, wenn man einfach schon mal nur 20 Minuten mal ein Hörspiel hört und sich dann irgendwann nachher mal fragt, was war eigentlich jetzt bei Minute 5 noch ungefähr das Thema.
Und es gleichzeitig durchhält, nichts anderes zu machen. Vielleicht auch viele in diesem Podcast-Publikum hören uns gerade zu und machen derweil irgendwas. Setzen Sie sich jetzt mal hin und hören Sie einfach nur 20 Minuten zu, machen dann auf Stopp und versuchen mal, das zu rekapitulieren.
Mal gucken, wo Sie landen. Also das ist wirklich etwas, das will gelernt sein. Das muss man ganz klar sagen. Nichtsdestotrotz ist mir das gelungen, hat mir aber aufgrund dieser für mich auch mühseligen Herangehensweise immer weniger Spaß gemacht als das Klausuren schreiben.
Und ich hinterfrage das auch so ein bisschen in der Vielfalt dieser Hausarbeiten, ob es in dieser Menge notwendig ist, wenn doch im Examen tatsächlich die reine Klausurleistung gefordert wird und doch eigentlich das ist, was am Ende Gegenstand der ersten juristischen Staatsprüfung ist. Dann müssen wir uns schon fragen, ob wir wirklich an vielen Standorten, ist das ja noch so, tatsächlich sechs Hausarbeiten brauchen auf dem Weg dorthin.
Oder ob es nicht die drei großen Scheine, ob das nicht genügt.
Also Sie mussten sechs Hausarbeiten schreiben?
Genau, also drei Anfängerübungen, drei fortgeschrittenen Übungen und natürlich dann noch später die Seminararbeit für den Schwerpunktbereich. Und ich bin auch mal, auch das kann ich offen erzählen, ich bin mal durch eine Hausarbeit durchgefallen und habe dann remonstriert und habe in die Begleitmail zur Remonstration geschrieben, jenseits der inhaltlichen Aspekte würde ich auch gerne darauf verweisen Und das stand zu der Zeit tatsächlich auch genauso zur Debatte, dass ich einfach nicht sicher weiß, ob mir meine Studienassistenz im Zuge der nächsten Hausarbeit, die ja dann zwangsläufig hätte geschrieben werden müssen, als Wiederholung, noch zur Verfügung steht und ob ich bis dahin generieren kann, jemand anderen zu finden.
Und da kam dann zurück, ja, wir werden die inhaltlichen Aspekte leuchten, natürlich, der Remonstration sinngemäß. Der Rest ist ihr Problem. Und da muss man einfach sagen, es ist schön, wenn wir uns in juristischen Kontexten mit verschiedensten Gesetzen auseinandersetzen, mit Begründungstiefen, mit Urteils- und Gutachtenstilen, das ist alles enorm wichtig.
Aber wir, und das gilt für Professorale, Mitglieder der Hochschulen und auch für die Studierenden und auch für das wissenschaftliche Personal, Wir müssen schon im Auge behalten, dass wir unter Umständen auch in sehr unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten tatsächlich tagtäglich unterwegs sind, die sich auf unser inhaltliches Arbeiten auswirken. Und das einfach beiseite zu wischen im Sinne von, ja, war halt eine schlechte inhaltliche Leistung, Pech, ja, war aber auch eine ganz andere inhaltliche Leistung von den Rahmenbedingungen her, das muss man schon sehen.
Natürlich. Ja, klar.
Wenn das in so einer Bewertung gar nicht berücksichtigt werden kann, das kann es nicht. Das ist für sich genommen ja auch auf der rein inhaltlichen Ebene vollkommen richtig. Ich möchte ja daraus gar keinen Vorteil erwachsen bekommen.
Aber ich weiß tatsächlich nicht, ob wir immer daran so festhalten können, weil es einfach Menschen mit Behinderungen, mit chronischen Erkrankungen gibt, die unter ganz anderen Voraussetzungen sich solche Dinge erarbeiten müssen und ja, vielleicht auch manchmal deshalb im Vergleich schlechtere Noten erzielen zu ihren, in anführungsstrichen gesunden kommilitoninnen und kommilitonen ich stimme ihnen zu 100 prozent zu das ist auf jeden fall ein sehr schwieriges spannungsfeld und da wird auch zu wenig drüber diskutiert aus meiner sicht in der ausbildung ist es ist die gruppe ist insgesamt einfach zu klein, um das so in den vordergrund zu setzen und es gibt tatsächlich dafür auch zu wenig öffentliche stimmen das ist schade aber das ist ja einer der gründe weshalb ich mich hier selbst ins gespräch gebracht habe bei diesem podcast.
Sagen Sie, das erinnert mich auch ein bisschen an das, was Frau Dauner lieb. Im Moment ist sie ja hier auf diesem Kanal recht allgegenwärtig mit ihren Examenfolgen.
Ich höre es mit Begeisterung, ja.
Ja, vielen Dank. Was sie sagt, und zwar in einer der Folgen zur mündlichen Prüfung sagt sie, hört mal das Vorgespräch, da geht es nicht darum, jemanden zu piesacken, da geht es darum, dass ich verstehe, wo die Person herkommt, was für eine Umgebung die hatte, dass ich das auch ein bisschen vielleicht in meine Betrachtung dieser Person einfließen lassen kann, wenn wir uns jetzt hier in diesem Rechtsgespräch miteinander unterhalten.
Exakt. Und auch da, Frau Dauner-Lieb, ich habe diese Folge gehört und Frau Dauner-Lieb liegt völlig richtig. Ich glaube, es gibt zu viele Menschen, die den Lebenslauf und die Unterlagen, die sie für so etwas einreichen, allein auf ihren juristischen Weg fokussieren und viel weniger in den Blick nehmen, was sie nicht alles auch privat und persönlich erlebt haben.
Ich meine, jeder Mensch ist nach einer Zeit einfach auch in seinem Leben einen Weg gegangen. Und da muss man ehrlich sagen, sind einem vielleicht einfach auch Dinge passiert, die Interessen zum Beispiel auch in einem juristischen Konflikt erklären. Also die erklären, warum, also wenn ich, ganz blöd jetzt, aber wenn ich unter der Trennung meiner Eltern sehr gelitten habe und das Gefühl hatte, die streiten sich nur noch vor Gericht wegen der Anwälte, vielleicht habe ich dadurch ein besonders gesteigertes Interesse am Familienrecht oder vielleicht gerade deswegen nicht, ja, sowas, das erklärt sich ja, ist jetzt vielleicht ein etwas merkwürdiges Beispiel, aber ich glaube, Sie verstehen, was ich meine.
Es ist so ein bisschen, man kann, man kann da viele Dinge nachvollziehen und das ist einfach enorm wichtig. Und ich habe das auch selbst im Zuge meiner mündlichen Prüfung erlebt, da hieß es dann in dem Vorgespräch im ersten Examen von einem der Prüfer, ja, im Zuge dieser Prüfungsgruppe sei es ja ganz besonders, wenn man eine für alle besonders herausfordernde Situation habe.
Und da habe ich mich dann gewundert, was denn gemeint sein könnte. Und er meinte aber sozusagen mich als Teilnehmer in dieser Prüfungsgruppe. Und da habe ich gedacht, ja, aber warum denn? Ich sitze doch da.
Ich spreche doch mit Ihnen wie alle anderen auch. Nicht zu verhehlen, dass das das professorale Mitglied der Prüfungskommission war. So viel kann ich an der Stelle verraten, ohne Namen zu nennen.
Aber das muss man einfach sagen, wo ich da dachte, okay, ich bin also eine besonders herausfordernde Situation. Das ist ja auch ganz spannend, wie man dann so manchmal eingestuft wird von Menschen, was in dem Moment mit Sicherheit nicht so gemeint war.
Also das war nicht negativ gegen mich gemeint. Ganz im Gegenteil, glaube ich sogar. Aber trotzdem. Und wenn man dann hört... Auch das eine Erfahrung am Ende meines ersten Exams, als es dann darum geht, an welchen Stellen sind denn Notenhebungen möglich? Und es dann an meine Reihe kam und es hieß ja, Herr Lonnemann, also besondere Leistungen sehen wir bei Ihnen ja nicht.
Und ich dann dachte, das stimmt natürlich, weil ich jetzt nicht noch im Ausland gewesen bin für ein Jahr, weil ich jetzt vielleicht nicht den sehr guten Schein in irgendeiner Übung gemacht habe. Das mag alles für sich genommen stimmen, aber ich glaube auch nicht, dass irgendeiner der anderen unter den Rahmenbedingungen die Dinge leisten musste, die ich geleistet habe.
Und ich finde, wenn wir zumindest in dem Moment, wo wir über Notenhebungen reden, muss auch das ein Ansatzpunkt sein.
Das ist ein schwieriges Spannungsfeld. Ich sprach neulich mit einem Kollegen, der in den Niederlanden studiert. Wir haben ja auch hier ein paar Folgen jetzt bald zum Thema Studium in den Niederlanden und niederländisches Ausbildungssystem. Und dort ist es so, dass man sich früher im Lebensweg entscheiden muss, ob man beispielsweise Richter oder Rechtsanwalt werden möchte oder in die Verwaltung geht, die Details kann man nachhören.
Mein Punkt, den ich machen möchte, ist der folgende, ich glaube, das wäre ein Vorteil in unserem System, dass man diese, wenn jemand schon eine genaue Vorstellung hat, was er oder sie machen möchte, dass man dann auch in der Benotung etwas anders agieren könnte, Weil man nicht immer dieses Bild haben muss von alle sind gleich und alle sind jetzt irgendwie im Amtsgericht und haben die Befähigung zum Richteramt und müssen da irgendwie wie 1972 ohne eine digitale Datenbank Fälle bearbeiten können.
Wenn jemand sagt, du pass auf, meine Stärke liegt jetzt vielleicht in Punkt X und dafür liegt meine Schwäche aber auch in Y, aber X ist total gut geeignet, dass ich im Familienrecht jetzt eben hier Anwalt bin in meiner Stadt und das möchte ich werden, dann kann man da ja auch auf die Stärken mehr eingehen. Also vielleicht wäre das ein vermittelnder Weg, weil es geht ja nicht darum, Also alle sind sich ja einig darin, dass es gerecht sein soll, aber was gerecht ist, darüber wird extrem viel gestritten.
Das stimmt, aber ich sage Ihnen trotzdem, dass quasi ob ein Mensch mit Behinderung diesen Weg geht oder zum Beispiel eine junge Mutter. Den Weg gehen muss durch das erste Examen. Das passiert unter anderem Voraussetzungen als junge Leute oder vielleicht auch, nehmen wir ein drittes Beispiel mit rein, ein junger Mensch, der aufgrund tragischer persönlicher Umstände einen Elternteil schon pflegen muss frühzeitig.
Auch das kann ja sein. Und diese Sachverhalte, die sozusagen im Kontext der Professuren, auf die wir vielleicht später noch zu sprechen kommen, sprechen wir von außerwissenschaftlichem Lebenssachverhalten, also diese ganz tatsächlichen Lebensumstände, die die Studienbedingungen maßgeblich verändern, müssen aus meiner Sicht berücksichtigt werden. Alles andere ist heutzutage, gerade in einer Zeit, in der wir uns breit und offen, familienfreundlich und divers, offen für alle Nationalitäten, für alle Formen der Behinderung und so weiter aufstellen wollen, dann müssen wir sowas aber auch frühzeitig würdigen und mit reinnehmen.
Ansonsten finde ich ist es schwierig. Aber das ist auch meine persönliche Haltung dazu. Also das kann man mit Sicherheit auch anders sehen.
Wir haben da gar keinen Dissens. Ich werfe nur noch mal das Stichwort Sozialpunkte in den Raum, die es ja in manchen Bundesländern gibt, auch für solche Fälle und in anderen aber auch nicht. Aber gut, das hier kann auch leider gar keine Podcast-Folge sein, weil wir da glaube ich auch Menschen mit an den Tisch holen müssten, die da entsprechend entscheiden, die sich jetzt mit der Juristenreform beschäftigt.
Aber wir haben das ja jetzt an dieser Stelle zunächst mal, finde ich, sehr schön offengelegt, dass es da weiteren Diskussionsbedarf gibt. Ich würde gerne noch mal auf einen Punkt zurückkommen. Und zwar, Sie haben gesagt, Hausarbeiten waren da natürlich sehr schwierig, sehr anstrengend, sehr herausfordernd, nachvollziehbarerweise, sehr nachvollziehbarerweise.
Wie liefen denn Klausuren ab?
Bei den Klausuren lief es so, dass ich die tatsächlich, wir reden jetzt immer noch über das Studium, wo für die Klausuren und genauso wie im ersten Examen ja auch lediglich Gesetze als Hilfsmittel zugelassen waren und sind, habe ich mir entsprechend sämtliche Gesetze online besorgt. Das war tatsächlich kein großes Problem, da ranzukommen, da ist ja auch sehr viel tatsächlich frei verfügbar und das Landesrecht dann oft über entsprechende Datenbanken und vieles andere ja auch so übers Internet mittlerweile.
Und für die Bearbeitung von Klausuren gibt es dann einen sogenannten Nachteilsausgleich. Das heißt, der erstreckt sich dann zunächst mal darauf, dass man nicht mit allen im selben Hörsaal schreibt, weil man eben eine verlängerte Zeit bekommt. In meinem Fall 50 Prozent zusätzlich zur regulären Bearbeitungszeit für die jeweiligen Klausuren.
Das ist einfach deswegen auch ein Nachteilsausgleich und kein Vorteil, um das direkt zu sagen, der Screenreader des Computers jedes Dokument und alles, was zu lesen ist, auch jede gesetzliche Regelung Zeile für Zeile liest. Das heißt, dass durch Blättern, dass Dinge schnell markieren mit einem Stift in den eigenen Gesetzen.
Ich weiß auch, dass es nur begrenzt erlaubt. Das ist mir klar. Aber diese Möglichkeiten stehen ja so tatsächlich alle nicht zur Verfügung, jedenfalls nicht in der Form. Und deswegen sozusagen diese Form des Nachteilsausgleichs.
Und Sie können sich vorstellen, wenn Sie dann mit 500 Leuten Klausur in einem Raum schreiben und Sie haben jetzt noch 50 Prozent Ihrer Zeit oder der Bearbeitungszeit zur Verfügung Und die stehen dann alle auf und räumen erst mal und verlassen dann auch vielleicht schon lauter den Raum. Das funktioniert natürlich nicht.
Und natürlich die Nutzung der entsprechenden Hilfsmittel. Also das umfasst die Zeitverlängerung. Also die Nutzung des Computers mit Sprachausgabe, der natürlich vorher geprüft wird auf mögliche eigene Dokumente und so weiter. Also man muss das dann schon bereinigt vorlegen in dem Sinne, dass man nicht schummeln kann.
Man hat natürlich auch eine separate Aufsicht. Also das ist ja vollkommen klar. Diese Bedingungen sind genauso sichergestellt wie an anderer Stelle auch, aber eben der separate Prüfungsraum, die eigenen Hilfsmittel und die Zeitverlängerung, das sind dann die Aspekte, die da eine Rolle spielen, hieß dann aber auch für das erste Examen statt fünf Stunden pro Klausur siebeneinhalb.
Und das ist natürlich auch eine Hausnummer. Das muss man ganz ehrlich sagen, vor allem dann mit Blick auf das zweite Examen, wo es dann in Hessen und ja in den meisten anderen Bundesländern ja auch acht Klausuren sind und waren.
Gut, das haben Sie dann aber erfolgreich offensichtlich hinter sich gebracht und dann haben Sie Referendariat gemacht.
Ja, ich würde gerne mit zwei Sätzen noch einen kurzen Schritt zurückgehen, weil ich das unbedingt noch erwähnen möchte. Während des Studiums hatte ich dann die große Chance als studentische Hilfskraft an einer Professur zu arbeiten. Und das kann ich dem Studierendenpublikum nur wärmstens empfehlen.
Anders als bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen, wo es dann tatsächlich auch darum geht, wie war das erste Examen, gibt es die Rahmenbedingungen, das sind ja dann meistens Promotionsstellen, also Stellen zur Weiterqualifizierung. Anders als in diesem Kontext geht es bei den studentischen Hilfskraftstellen tatsächlich um ein Engagement in der Sache und um die Bereitschaft, eine Professorin, einen Professor und das Team der jeweiligen Professorin inhaltlich zu unterstützen.
Und bei einer damals neu angefangenen Professorin, Christine Bucikewitsch in Marburg, hatte ich damals die große Chance, das für mich zu nutzen. Das war eine Tätigkeit, die mir total weitergeholfen hat. Wir haben im Kontext dessen dann zum Beispiel so etwas gemacht wie neu berufene Professorinnen und Professoren des Fachbereichs ein bisschen für das Thema Umgang mit Sehbehinderten und Blinden, weil es in Marburg im Vergleich eben besonders viele betrifft, ein bisschen zu sensibilisieren.
Ja, und ansonsten habe ich natürlich auch alles begleitet, was so die tatsächlichen Prozesse an der Professur betraf, also Foliensichtung für Vorlesungen, Erarbeiten von Musterlösungen, was man sich nur vorstellen kann. Aber das kann ich tatsächlich nur wärmstens empfehlen, weil man dann auch noch mal mit anderen Leuten in Kontakt kommt, auch im persönlichen Kontakt, denen man vielleicht im rein studentischen Alltag nicht unbedingt begegnet wäre.
Sehr interessanter und wichtiger Punkt, ja. Kann ich unterschreiben und sehr gut nachvollziehen, ja.
Jetzt aber! Referendariat.
Ja, also Sie haben sich entschlossen, das zu machen. Das wäre die erste Frage. Mit welcher Zielsetzung? Was haben Sie sich damals gedacht? Was wollen Sie denn danach mal machen?
Ich habe mir danach ehrlich gesagt gar nichts gedacht. Aber ich bin so ein Mensch, also ich komme aus einem nicht-akademischen Haushalt. Das muss man noch dazu sagen. Also wo sozusagen juristische Ausbildung so verstanden wurde, das sind dann schon beide Examen.
Weil nur beide Examen bringen einen ja in Richtung Richter, Anwalts, Tätigkeit, wie auch immer, in die, wie habe ich neulich gelernt, reglementierten, juristischen Berufe von Frau Dauner-Lieb. Das ist, glaube ich, tatsächlich die Terminologie, die man hier verwenden sollte.
Und da muss ich sagen, es ging mir einfach so, das zu machen, und ich wollte einfach wissen, was gibt denn die Praxis jetzt so her? Also ich war einfach, ehrlich gesagt, erst mal sehr neugierig auf diese zwei Jahre. Was was bieten mir die einzelnen Stationen? Was kann ich da tatsächlich auch inhaltlich leisten? Das ist ja dann auch so ein bisschen in Anführungsstrichen ein Härtetest in der Praxis.
So gut ich persönlich juristisch ausgebildet bin in bestimmten Strukturen von nicht digitalisierten Welten. Wie arbeitsfähig bin ich denn da mit dem, was ich mitbringe? Genügt das reine Wissen dort tatsächlich oder stoße ich an Grenzen auch der sozialen Akzeptanz? Denn in dem Moment, wo sie Referendar sind, geht es ja nicht nur darum, sie sitzen in der Vorlesung, sollen zuhören und wenn sie dann am Ende die Klausur bestehen oder nicht bestehen, passiert es halt oder es passiert nicht.
Aber hier geht es ja darum, tatsächlich eigene Beiträge zu leisten, Urteile zu schreiben, Schriftsätze zu formulieren, in mündlichen Verhandlungen Zeugen zu befragen, diese Dinge voranzubringen. Zu bringen. Traut man mir das zu? Ist man bereit, dort mit mir diese Wege zu gehen? Das fand ich schon eine spannende Herausforderung, aber ich muss auch zugeben, in der gesamten juristischen Ausbildung war das auch die herausforderndste Zeit.
Spannend. Wie lief das denn dann? Also Sie mussten natürlich die ganz normalen Stationen machen, sprich Gericht, Staatsanwaltschaft, Verwaltung, Richter. Schildern Sie mal, wie war das beispielsweise bei der Staatsanwaltschaft?
Also ich fange vielleicht mal vorne an. Also im Referendariat brauchte ich dann auch eine Assistenz. In dem Moment ist es natürlich keine Studienassistenz mehr, sondern eine Arbeitsassistenz, weil es ja sozusagen ein Teil der Ausbildung in der praktischen Arbeit ist.
Es war am Anfang etwas chaotisch, weil, das muss man vielleicht dazu wissen, die Beantragung dieser Assistenz im Arbeitsleben ist nur dann möglich und wird nur dann vorangebracht, in dem Moment, wo quasi ein Arbeitspapier vorliegt. Das sind in dem Fall dann sozusagen die Ernennungsunterlagen für den Vorbereitungsdienst.
Die bekommen Sie aber erst am ersten Tag. Das heißt, die Möglichkeit, Gelder zu generieren für die Arbeitsassistenz war quasi erst ab dem Zeitpunkt möglich, sodass ich auch erst ab diesem Moment jemanden aktiv suchen konnte. Also auch das ist zum Beispiel so etwas in diesen vorlaufenden organisatorischen Strukturen, was man einfach noch mal vergegenwärtigen muss, weil ich natürlich in den ersten Wochen noch nicht so richtig arbeitsfähig war, weil sie die Akten, es wurde mir auch klar kommuniziert, die durfte ich nicht einscannen unter keinen Umständen.
Und da war ich in den ersten Wochen natürlich noch gar nicht arbeitsfähig so direkt. Ich habe meine Karriere dann tatsächlich in der Zivilstation begonnen mit einem wahnsinnig netten, guten Ausbilder und tollen AG-Leitern, wo ich sagen muss, ich habe mich da sehr wohlgefühlt und konnte da auch viel lernen, war aber natürlich auch vorher an einer zivilrechtlichen Professur und hatte mir auch für die Wahlstation eher das Zivilrecht sozusagen schon ausgeguckt als Materie, sodass ich mich da insgesamt von vornherein tatsächlich wohlgefühlt habe.
Die Staatsanwalts- oder Strafstation habe ich tatsächlich nicht bei der Staatsanwaltschaft verbracht. Das hat damit zu tun, dass dort einfach noch sehr viel durch Verfügungen, schriftlich-handschriftlich ausfüllen und so weiter abläuft und man mich da tatsächlich zu einer ganz tollen, jungen, engagierten Amtsrichterin geschickt hat, die mich wahnsinnig nett begleitet hat.
Wir haben beide sehr schnell festgestellt, dass ich im Strafrecht allein aufgrund meines inhaltlichen Interesses einfach und auch aufgrund meines Know-hows nicht ganz so den Fokus haben werde. Aber sie hat mich total nett durch diese Zeit gebracht und das war auch nicht selbstverständlich, weil ich nämlich der erste Referendar gewesen bin, den sie ausgebildet hat und das auch in ihrer Richterinnenprobezeit und dann gleich quasi jemand, der auch noch besondere Anforderungen an einen stellt.
Da habe ich es ihr, glaube ich, nicht immer so leicht gemacht, aber das war eine ganz tolle Zeit, ehrlich gesagt. Und mit ganz vielen natürlich sehr Ja. Lebensnahen, praktischen Fällen aus der Strafjustiz.
Also es ist natürlich auch, also auch wenn Sie diese Atmosphäre nicht visuell wahrnehmen können, ist es natürlich trotzdem ein extrem aufregender Moment, da oben neben der Vorsitzenden zu sitzen und auf die Leute runterzugucken und zu sagen So, jetzt sagen Sie doch mal. Also das durfte ich ja nicht, weil Referendare das im Strafverfahren nicht dürfen.
Aber so Prozesse von dieser Stelle aus mitzubekommen, war wahnsinnig interessant. Und hatten mir sehr weitergeholfen.
Sie haben im Vorgespräch, haben Sie mir erzählt, das darf man, glaube ich, offenlegen, dass Sie auch Akten bekommen haben, wo Sie dann Augenschein nehmen mussten. Ja, definitiv.
Also das fand ich, im ersten Moment habe ich mich sehr geärgert. Im zweiten Moment fand ich es richtig gut, weil es natürlich zeigt und dieses Beispiel zeigt es einmal mehr. Es hat hier für mich keine Sonderbehandlung gegeben und das war mir von Anfang an ganz wichtig.
Ich wollte eine Ausbildung genießen, wie alle anderen auch. Und vor dem Hintergrund war es wirklich ganz wichtig, dass es keinen Sonderstatus gibt. Und da gehörte dann tatsächlich auch ein Verfahren dazu, in dem es darum ging, ein bestehendes Erbe zu untersuchen.
Und ja, da waren eben sämtliche Haushaltsgegenstände, wo man dann sozusagen einschätzen musste, wie viel die ungefähr wert sein könnten. Abgedruckt von der Eieruhr bis zum Wandschrank, so ungefähr, seitenweise. Und dann habe ich mir mit meiner Arbeitsassistenz, die ich ja mittlerweile mir gesucht hatte und die das herausragend gut gemacht hat, ebenso wie mein Studienassistent.
Ich hatte einfach wahnsinnig Glück mit den Leuten, die mich da begleitet haben. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen. Und die hat dann wirklich, ist mit mir das mit einer Engelsgeduld durchgegangen, hat mir dann die Gegenstände beschrieben.
Aber auch hier müssen Sie sich immer vorstellen. Also rein von der Organisation. Sie haben in der Woche zwei Sitzungstage, in der Regel mit dem Vorsitzenden. Sie haben einen Tag, der für die AG einzuplanen ist, Vor- und Nachbereitung Und die Durchführung natürlich auch.
Und dann müssen Sie sich immer überlegen, müssen Sie jetzt noch ein Zeitfenster finden, in der die Arbeitsassistenz kann, in der man auch viel Zeit einplanen muss, weil wir können diese Akte ja nur einmal lesen. Also ich darf ja niemanden anderen bitten, für mich mal in die Akte zu gucken, wenn mir jetzt danach beim Schreiben des Urteils irgendwie auffällt, oh, da war ich mit einer Information aber ungenau, was ich mir dann rausgeschrieben habe.
Ich muss mir ja alles selbst rausschreiben und muss auf der Basis dessen dann sozusagen eine Grundlage entwickeln. Also auch da, es mag natürlich sein, dass es andere Menschen auch mit Sehbehinderung gibt, die dann eine andere Arbeitstechnik für sich entwickelt haben. Ich habe seinerzeit für mich tatsächlich keine andere gesehen.
Und deswegen war das natürlich einigermaßen auch sehr konzentrationsintensiv. Denn wenn Sie da Akten haben, und auch da wurde ich auch was Mengen angeht nicht verschont mit 250 Seiten, dann lesen Sie halt mal wirklich von morgens 8 bis abends um 17. Da haben sie nur die Akte gelesen.
Da ist noch kein Wort Urteil geschrieben.
Sagen Sie, das ist ja auch wieder ähnlich der Hausarbeit. Sehr, sehr starke Konzentrationsarbeit. Allein schon normale Aktenbearbeitung als Sehender ist ja sehr komplex. Man braucht einen Zeitstrahl, das ist nicht chronologisch.
Es bildet sich so eine Vorstellung dessen, was damals dann als Lebenssachverhalt dort passiert ist und da haben Sie ja auch noch keine juristische Lösung, keine Überlegungen angestellt und so weiter und so weiter. Ich würde noch mal kurz auf den Punkt eingehen wollen, den Sie gerade genannt haben mit dieser Wertschätzung von Gegenständen.
Ich stelle mir, versuche mir das gerade vorzustellen, weil als Sehender, ich meine man schaut auf ein Bild und dann überlegt man ja auch, dann überlegt man was man dort sieht. Was ist das für eine Uhr, ja? Und wie ist das jetzt? Wie gehen Sie da ran? Also nehmen wir mal vielleicht eine Uhr.
Was sind so die ersten Fragen? Oder machen Sie das aus dem Bauch raus oder haben Sie eine Systematik, wenn Sie so etwas sich erschließen möchten? Wie muss man sich das vorstellen?
Pragmatisch, ganz pragmatisch. Zunächst mal hab ich versucht, mir jeden Gegenstand noch selbst ganz intensiv vorzustellen. Ab dem 25. Gegenstand hab ich dann gesagt, die junge Dame an meiner Seite, die mir das alles so aufopferungsvoll beschreibt, die hat offensichtlich sowieso ein ganz gutes Gefühl und auch einen guten Sinn für die Dinge.
Nach einer Zeit hab ich mir diese Einschätzung von ihr zu eigen gemacht.
Ja.
Denn das kann ja im Nachhinein niemand überprüfen. Also das kann einfach niemand überprüfen und nein, in gewissen Momenten, also was soll ich denn machen, wenn bestimmte Dinge werde ich, wenn ich eine Verkehrsunfallsache prüfen muss und das rote Auto ist in das blaue Auto hineingefahren und dann sind die Autos abgebildet und dann sagt mir meine Assistenz, das stimmt aber nicht, weil die stehen in einer ganz anderen Position zueinander.
Ja, da muss ich es glauben. Das kann ich gar nicht objektiv überprüfen. Ich muss es in dem Moment einfach glauben. Mir bleibt ja gar nichts anderes übrig.
Ja, und dann bin ich bei diesen Sachen auch. Das hätte ich jetzt im Detail hinterfragen können. Aber man darf sich an solchen Sachen auch nicht verzetteln. Denn neben der praktischen, also ich soll ja die praktische Erfahrung machen, indem ich verstehe, wie ein Urteil aufgebaut ist und wie ich es schreibe.
Aber nicht darin, ob ich jetzt besonders talentiert bin, den Wert einzelner Gegenstände einzuschätzen. Das mag hilfreich sein, ist aber mit Sicherheit nicht Kernziel der juristischen Ausbildung an der Stelle.
Mit Sicherheit nicht. Ja. Okay. Verwaltungsstation haben Sie dann wo gemacht?
Im Rechtsdezernat der Uni Marburg. Ganz spannend. Beim Leiter der Rechtsabteilung. Das war wahnsinnig nett, weil ich erkannt habe, dass es so ein rechtliches Arbeiten auch mit sehr. Ohne Anforderungen, also Prüfung von Satzungen und so weiter, gibt auf der einen Seite aber gleichzeitig ein sehr kommunikativer Job mit ganz unterschiedlichen Fachbereichen, ganz unterschiedlichen Anliegen, von der arbeitsrechtlichen Streitigkeit bis hin zu Schadensersatzfällen wegen Unfällen auf Universitätsparkplätzen war da alles dabei.
Prüfungsrechtliche Streitigkeiten, der Fachbereich dann Widersprüche zurückgewiesen hat, die dann jetzt in nächster Instanz bei der Rechtsabteilung lagen. All diese Dinge, also sehr vielschichtig, das fand ich damals schon sehr, sehr reizvoll, ohne zu wissen, dass ich später selbst im Universitätskontext arbeiten würde.
Das hatte sich dann noch lange nicht abgezeichnet. Dann habe ich meine Anwaltstation gemacht bei einem Fachanwalt für Familienrecht, der aber auch in Teilen Zivilrechtssachen gemacht hat, weshalb ich in der Anwaltstation mich mehr auf den Bereich Familienrecht fokussiert habe. In der Wahlstation, das war aber auch der Beginn der Pandemie, da fiel sowieso viel hinten runter.
Tatsächlich dann auf den Fokus Zivilrecht und dann sozusagen ins zweite Examen gegangen bin.
Und das war dann wie im ersten Examen mit einer entsprechenden zeitlichen Verlängerung?
Für die schriftlichen Klausuren und für die Vorbereitung des Aktenvortrags. Nicht aber für die Durchführung der mündlichen Prüfung. Die hat genauso in der Gruppe stattgefunden wie bei allen anderen und auch genau mit denselben zeitlichen Rahmenbedingungen. Das sei nochmal dazu gesagt.
Aber bin ich da bin ich da unfair, wenn ich ja okay, also ich überlege gerade meine erste meine erste Intuition war gerade okay, wie ist das denn in der mündlichen Prüfung, man führt so ein Rechtsgespräch, man hat vielleicht einen kleinen Fall, aber wenn man dann vielleicht doch mal ins Gesetz blicken muss und entsprechend in Paragraphen sich zu
eigen machen muss, lesen muss, dann brauchen sie ja eigentlich doch wieder einen Tacken länger, oder?
Das stimmt, dann hat man es aber sozusagen so gemacht, dass man gesagt hat, wir machen vielleicht nicht den Prüfungsblock mit fünf Kandidaten 60 Minuten, sondern mal 65 Minuten und lassen mich mal zwei Minuten lesen zwischendrin oder so. So ein bisschen mit so einem Toleranzrahmen, der für alle okay war.
Ich habe aber auch bei beiden mündlichen Prüfungen jeweils in den Vorgesprächen gesagt, man möge mich vielleicht nicht im Gesetz nach irgendeiner unbekannten Norm suchen, das ist ja auch oft Teil, finden Sie schnell eine unbekannte Regelung. Da habe ich gesagt, das ist einfach ein bisschen unfair im Sinne der Aufgabenstellung, weil es natürlich viel herausfordernder ist.
Sondern fragen Sie mich doch einfach, was sind die Tatbestandsvoraussetzungen führt. Oder wie ist denn dieser oder jener Tatbestand? Oder welche Anspruchsgrundlagen fallen Ihnen denn dazu ein? Oder so. Das sind ja Fragen, die man aus dem Kopf beantworten kann.
Da sind ja wieder alle gleichgestellt. Und das, also es hat nichts am Ende an die inhaltlichen Anforderungen genommen. Wichtig sind mir vielleicht in dem Kontext noch zwei Aspekte, die mir in dem Ganzen sehr aufgefallen sind, rund um die Vorbereitung und rund um das Ganze, weil es hier in dem Podcast auch an anderer Stelle schon angesprochen wurde.
Das eine, was tatsächlich so war, ist, dass es mit Blick auf die Referendar-Arbeitsgemeinschaften tatsächlich aus meiner Sicht sehr sinnvoll wäre, hauptamtliche AG-Leiter dauerhaft einzusetzen. Weil ich sagen muss, man hatte quasi immer so einen Stapel Kopien, die hatte dann so die Vorzimmerdame vorbereitet, die wurden dann so ausgeteilt an eine digitale Version eines Sachverhaltes, der zu besprechen war, hatte man leider nicht gedacht.
Und dann saß ich da in dieser AG und ich musste ja dann da auch bleiben, weil AG ist Pflichtzeit und habe dann den anderen dabei zugehört, wie sie den Fall gelöst haben. Das war sehr nett und ich habe die Lösung dann gehört und ich habe ungefähr gehört, worum es in den Sachverhalt geht, weil meine Referendargruppe auch wahnsinnig engagiert war und mir im Zweifel im Schnellverfahren diesen ja dann im Referendariat auch oft sehr umfassenden Sachverhalt dann zusammengefasst hat.
Aber natürlich sind sie in dem Moment, wo ich das nicht digital habe, bin ich raus. Das muss man einfach ganz deutlich sagen. Und Und da mache ich den AG-Leitern auch keinen Vorwurf, wenn sie eine Oberstaatsanwältin haben, die irgendwie parallel noch einen großen Kapitalverbrechensprozess koordinieren muss.
Die macht die AG wirklich nur nebenher. Und das ist gar nicht böse gemeint, sondern sie hat einfach keine anderen zeitlichen Ressourcen. Aber wenn wir hauptamtliche Personen für diese Ämter hätten, dann muss man einfach sagen, haben die auch zeitliche Ressourcen, Dinge digital aufzubereiten? Ich glaube, mittlerweile vor dem Hintergrund der Pandemie ist das auch gar nicht mehr so ein großes Thema, aber seinerzeit, vor Corona, war das natürlich doch noch anders und es standen dann doch, insbesondere in den AG-Kontexten, weniger Materialien zur Verfügung, als erforderlich gewesen wären.
Manchmal. In Kontexten einzelner AGs, das möchte ich auch deutlich sagen, ist es kein Phänomen, was mir durchweg so begegnet ist.
Ja, sie rennen offene Türen ein. Also ich bin immer etwas verwundert, wenn man mit Juristinnen und Juristen spricht, die auch in der Juristenausbildung aktiv sind, dass es da solche großen Divergenzen gibt. Es gibt viele Menschen, die sind wirklich mit viel Engagement dabei, haben vielleicht auch einfach die Zeit dafür, das machen zu können.
Und eben auch andere, die haben entweder nicht die Zeit oder und oder die Lust, das zu tun. Und ich würde mir auch wünschen, dass wir da vielleicht etwas mehr Kontinuität in die reinbekämen, zumal wenn man mit Nichtjuristen spricht, mit anderen Berufen, es ist fast egal mit wem und man sagt ja wir haben zwar hier sehr viele, Normen und das ist unser Tagesgeschäft, ja, irgendwie rechtliche Sachverhalte aufzubereiten und so weiter.
Aber das ist so ein bisschen ungeregelt. Das ist eher so ein bisschen hemmsärmlich fast schon, wie da die Juristenausbildung stattfindet an der Stelle. Da sieht man doch sehr viel Stirnrunze.
Ja, und es ist ehrlich gesagt auch ohne, dass wir zum Beispiel eine didaktische Qualifikation in irgendeiner Weise voraussetzen. Also zum Beispiel weiß ich, dass es AG-Leiter gegeben hat, in Kontext jetzt auf mich speziell bezogen, die nicht verstanden haben, dass ich nicht arbeiten kann, in dem Moment, wo mir kein digitaler Fall vorliegt, und mich dann zu einem Fall inhaltlich drangenommen haben, den ich ja gar nicht lesen konnte.
Und ich konnte dann sagen, ja, ich kann jetzt das wiederholen, was meine Vorredner gesagt haben zu der Sache, aber ich kann ja gar keine eigene Einschätzung abgeben. Und dann in einem Fall habe ich sogar erlebt, das kann ich ruhig erzählen, ehrlich gesagt, wo dann in meinem AG-Zeugnis die Passage stand, Herr Lonnermann ist leider nur mit erheblicher fremder Hilfe in der Lage, Sachverhalte zu erfassen.
Und da muss ich sagen, diese Einschätzung ist vollkommen richtig. Denn wenn ich den Sachverhalten nur in Papierform bekomme, ja, dann bin ich tatsächlich nur mit fremder Hilfe in der Lage. Das ist vollkommen zutreffend.
Aber er folgt halt auch ohne jegliche Form der Selbstreflexion. Und das muss man ganz deutlich dazusagen. Und ja.
Ja, okay. Das sind so. Ja, ja, was soll man? Das muss man, glaube ich, einfach so stehen lassen. Das muss man so stehen lassen.
Ja, das ist auch gar nicht böse gemeint. Ich weiß ja, dass die betreffende Person hat das nicht im Ansatz so gemeint. Und die war mir auch insgesamt wohlgesonnen. Das ist gar nicht der Punkt.
Aber die hat einfach und damit, das meine ich, die Juristin, der Jurist muss nicht nur Lebens Sachverhalte beurteilen, sondern muss auch die Lebenswirklichkeiten dahinter verstehen. Und das ist ein super Beispiel für eine tolle praktisch tätige Juristin, die aber nicht verstanden hat, dass das, was sie jetzt da gerade nicht macht, auch Auswirkungen auf das Lernen beziehungsweise Nichtlernen ihrer teilnehmenden Gruppe hat.
Und das ist einfach tatsächlich sehr schwierig dann zu vermitteln, weil dieser Moment des Verständnisses ja gar nicht da ist. Und sowas passiert einem tatsächlich immer mal, muss man ehrlich sagen. Jetzt nicht ständig, nicht andauernd, aber es passiert immer mal.
Und im Zuge der Ausbildung muss man einfach auch sagen, das ist ja was anderes als jetzt. Jetzt bin ich die blinde Person mit zwei Staatsexamen und kann halt so auftreten. Ja, ich habe ja auch zwei Staatsexamen, aber damals hatte ich ein Staatsexamen und wollte ja in dem Kontext etwas.
Das heißt, in einer Ausbildung haben Sie ja auch noch mal eine andere Position, als wenn sie in einer bestimmten Funktion, in die sie ja jemand gebracht hat, auftreten. Das ist ja auch was anderes.
Ja, absolut. Und wie sind Sie dann in Ihre jetzige Position gelangt? Wie muss man sich denn dann Ihre Jobsuche vorstellen? Was kam überhaupt in Frage für Sie?
Ja, genau. Das war nämlich auch das, was ich mich gefragt habe. Also zunächst mal, das muss ich, einen Satz muss ich abschließend sagen. Das soll hier nicht zu kurz kommen.
Meine Arbeitsassistenz und die Referendar-Kolleginnen und Kollegen, Hut ab! Haben mich alle unglaublich unterstützt und auch die allermeisten meiner Ausbilder, nein, alle meine Ausbilder und die allermeisten meiner AG-Leiterinnen und AG-Leiter haben mich sehr gut unterstützt, das muss ich wirklich sagen. Und das möchte ich hier einfach auch erwähnen, weil es immer sein kann, dass diese Personen natürlich auch hier diesen Podcast hören und die sollen wissen, dass ich mich da auch wirklich toll unterstützt gefühlt habe und mir das auch weitergeholfen hat.
Ja.
Dann liebe Grüße an der Stelle, falls sie zuhören.
Herzliche Grüße an alle Beteiligten. Sie wissen, dass sie gemeint sind. Nach meinem Referendariat saß ich dann da. Es war... Hochphase der Pandemie, alles war geschlossen.
Ich hatte jetzt Zeit für alle, aber durfte mich mit niemandem treffen, auch schade. Und saß dann da und habe überlegt, was mache ich jetzt? Also für die Justiz waren meine Examen tatsächlich zu schlecht im Vergleich. Ich hatte gute, wirklich auch gute Leistungen, mit denen ich sehr zufrieden war, erbracht, aber eben nicht gut genug für die Justiz und da wollte ich auch nicht hin.
Der Anwaltsberuf, ich habe darüber nachgedacht und mir ist aber schon während der Anwaltsstation einfach klar geworden, also so sieben oder acht Termine wahrzunehmen pro Tag, dazwischen fünf Schriftsätze querlesen und mal eben unterschreiben. Uiuiuiui.
Also das könnte ich nur auf Zeit machen, das war mir auch bewusst. Dann habe ich gedacht, ich wähle mal den Weg in die öffentliche Verwaltung. Das ist ja so ein Bereich, wo sich viele so vorstellen, da sitzt halt der Beamte und dann hat der da so seine Vorgänge in Anführungsstrichen und keine Ahnung, wo man da ansetzen kann.
Ich gucke einfach mal. Vorteil für mich am öffentlichen Dienst als Person mit Schwerbehinderung, müssen sie eingeladen werden, es sei denn, sie sind fachlich offensichtlich nicht geeignet. Das ist dann maximal der blinde Kraftfahrer, obwohl ich mir auch das zutrauen würde, aber lassen wir das.
Ja, und da habe ich mich beworben auf ganz unterschiedliche Stellen, bin bei vielen Stellen vorstellig geworden, hatte aber oft tatsächlich den Eindruck, dass man sich nicht unbedingt so vorstellen kann, wie ich denn praktisch Dinge umsetze. Und weil eben auch Vorstellungsgespräche, und da sind wir wieder bei so einem Punkt, einfach das Format haben, dass man ja nach fachlicher Eignung prüft, und nachdem ich dann alle Fachfragen beantwortet hatte, mal mit mehr, mal mit weniger zufriedenstellendem Ergebnis, habe ich aber trotzdem häufig den Eindruck gehabt, richtig verstanden, wie ich denn arbeite, oder sich eine Vorstellung davon gemacht hat, man eigentlich nicht.
Und die Leute trauen sich dann nicht, einfach mal zu fragen, Entschuldigung, es ist jetzt hier ein Vorstellungsgespräch und natürlich wollen wir alle Bewerber gleich behandeln, aber wir hatten hier noch nie einen blinden Menschen sitzen, wir haben keine Ahnung, wie Sie das machen. Erzählen Sie doch mal.
Also sowas, wie Sie eben gefragt haben mit der blinden Schrift, könnte man ja auch in einem solchen Kontext einfach mal erklären, um Menschen, die damit noch nie Berührungspunkte hatten, diese Rahmenbedingungen mal verständlich aufzuzeigen. Und das ist auch, glaube ich, einfach wichtig, weil, wenn wir diese Lebenswirklichkeit nämlich nicht erfassen, und das tun auch viele Arbeitgeber nicht, dann finden viele hochqualifizierte Menschen mit Behinderung und da rede ich ausdrücklich nicht nur von Sehbehinderung, nicht ins Arbeitsleben.
Das muss man mal ganz deutlich sagen. Und wir reden über Menschen mit Fachhochschulreife, mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, Bachelor, Master oder mit zwei Staatsexamen. Ich kenne auch viele, denen es vergleichbar so ergeht und der Anhaltspunkt ist einzig und allein, dass sich nicht auseinandersetzen mit der Lebenswirklichkeit der Bewerberinnen und Bewerber in dem Moment, wo sie dann tatsächlich auftauchen.
Im öffentlichen Dienst passiert das noch weit mehr als sonst, weil da häufig noch Schwerbehindertenvertretungen mit am Tisch sitzen und so weiter. Aber in der freien Wirtschaft, ja, da können sie sich mit relativ geringen Beträgen davon in Anführungsstrichen, freikaufen, die Schwerbehindertenquote ab einer bestimmten Unternehmensgröße überhaupt erfüllen zu müssen.
Und das ist einfach ein Problem. Das ist wirklich ein Problem, dann tatsächlich etwas zu finden und auch ich hatte wirklich diverse Absagen. Und da war zum Beispiel so etwas wie, ja, im Kontext dieses Verfahrens, wo Sie sich beworben haben, müssen Sie ja alle drei Monate mal einen Außentermin wahrnehmen.
Sie sind ja blind. Wie machen Sie das denn? Da kam mal die Frage. Immerhin. Und dann beantworte ich die Frage mit. Es gibt die Möglichkeiten der Beantragung einer Arbeitsassistenz.
Ich werde diese Arbeitsassistenz so organisieren, dass diese Arbeitsassistenz die Möglichkeit hat, auch über einen Führerschein zu verfügen und wir würden dann diesen Termin gemeinsam wahrnehmen. Und dann geht man da raus und weiß aber genau das Gegenüber glaubt nicht, dass das gelingen kann.
Man merkt genau, man hat diesen Gedanken nicht vermittelt, dass das funktionieren kann. Und dann wird halt die Person genommen, die vielleicht vergleichbare Examen hat wie ich, aber eben einen Führerschein. Weil ist ja dann nicht gleich geeignet, kann man dann ja machen.
So, das passiert. Da müssen wir auch mal ganz ehrlich sein, das passiert einfach zuhauf. Und das ist einfach ein erheblicher Nachteil für die Menschen mit Behinderung. Übrigens ausdrücklich nicht nur für Menschen mit Sehbehinderung.
Ich klinge jetzt so anklagend, aber ich hatte im Referendariat einen Kollegen im Rollstuhl und wusste natürlich über dessen Lebenswirklichkeiten selbst ebenso wenig wie andere Leute über meine mit Sehbehinderung. Also, wir sitzen da auch alle irgendwo im selben Boot, darum geht es ja nicht, also das ist ja auch vollkommen klar.
Und aus der Perspektive eines Menschen im Rollstuhl zu denken und sich zu fragen, mit welchen Problemen und Barrieren sich diese Menschen auseinandersetzen müssen, das habe ich auch erst innerhalb des Referendariats und im Zuge dieser persönlichen Begegnung gelernt und habe mir da vorher auch die Großgedanken drum gemacht. Also ich selbst bin da ja genauso und auch nicht frei davon.
Aber ich glaube, wenn wir als Gesellschaft vielfältig und offen sein wollen und das ist ja im Moment zum Glück einmal mehr so so der, der Geist, und das ist ja auch richtig so, dann geht es vor allem auch darum, gerade Menschen mit Behinderung da nicht aus dem Blick zu verlieren. Jetzt bin ich ganz lange Ihrer Frage ausgewichen, will sie trotzdem noch beantworten.
Irgendwann kam ich dann auf die Ausschreibung der Uni Gießen, Referent für Berufungs- und Evaluationsverfahren von Professuren. Das fand ich insofern spannend, als dass ich während meiner Zeit als Student tatsächlich einige Professurbesetzungen mitbekommen habe, so in Ansätzen, wie das abläuft, ohne selbst irgendwie näher beteiligt zu sein.
Aber meine damalige Chefin war in einem Berufungsverfahren auch Vorsitzende und hat mir dann so ein bisschen erläutert, wie das so war und wie das für sie auch war, seinerzeit als Bewerberin in Berufungsverfahren aktiv zu sein. Und mich hatte das dann so ein bisschen interessiert.
man dann so mal Namen gegoogelt hat von Personen, die sich an der eigenen Hochschule vorgestellt haben und dort nicht ausgewählt wurden, die tauchten dann in anderen Kontexten wieder auf und es ergaben sich dann plötzlich so Kreisläufe innerhalb dieser juristischen Welt, wenn man sich mit der Materie einfach so aus Spaß an der Freude in der Freizeit ein bisschen beschäftigt hat.
Und dann habe ich gedacht, Referent für Berufungsverfahren von Professuren, das könnte ja mal wirklich was sein. Das war so eine Stelle, wo ich dachte, also das könnte ich halt auch wirklich. Und mit diesem Impuls und mit diesen Ambitionen bin ich dann auch sehr motiviert in dieses Bewerbungsgespräch gegangen und hatte dann drei Tage später einen Anruf vom Leiter der Personalabteilung und dachte, mein Gott, sind die nett, die rufen an, um abzusagen.
Das ist ja wirklich sehr angenehm. Das muss man auch dazu sagen. Also wir reden über einen Zeitpunkt rund ein Jahr nach meiner Bewerbung und die meisten übrigen Referendarinnen und Referendare meiner AG hatten längst schon ihre Probezeiten bei den jeweiligen Arbeitgebern hinter sich, Ehrlicherweise.
Also, wo man auch sagen muss, und auch Leute, von denen ich weiß, dass ihre rein inhaltlichen Ergebnisse auch tatsächlich nicht ganz so gut waren wie meine. Also auch das, wo man dann sagen muss, also dann spielt Schwerbehinderung dann eben doch eine Rolle bei den Leuten.
Kann man nicht wegdiskutieren. Und ich dachte dann so nach einem Jahr, was kann denn da jetzt kommen? Und dann rief der mich an und ich dachte, wir würden Ihnen die Stelle gerne geben. Sie können gerne in sechs bis acht Wochen anfangen.
Und dann habe ich das getan und bin seit dem 1. August 2021, also jetzt seit knapp zwei Jahren Referent für Berufungs- und Evaluationsverfahren von Professuren an der Uni Gießen. Ganz tolles Aufgabengebiet tatsächlich.
Sagen Sie abschließend noch eine Frage. Und zwar, Sie haben gesagt, viel mehr Arbeitgeber müssten sich eigentlich auch ermutigt fühlen, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Da verpasst man auch was. Können Sie das noch mal ein bisschen ausführen?
Ja, Sie haben ja eben mitbekommen, dass ich diesen Weg, wie ich ihn gegangen bin, tatsächlich mit viel, mehr Hürden mit anderen Herausforderungen, aber natürlich auch mit anderen positiven Erfahrungen gegangen bin. Und viele, das habe ich schon im Referendariat erlebt, im Studium erlebt, viele sitzen dann irgendwann da und sagen, also dass jeder mal so einen Tag hat, ist ja klar, aber auch dauerhaft, ach und jetzt schon wieder so viel lernen und dann jetzt und die Akten und alles und überhaupt.
Und ich bin immer mit der Motivation rangegangen, wie toll, dass ich das alles machen darf. Ich meine, ich bin als das blinde Kind in einem nicht-akademischen Haushalt im Emsland auf einem Dorf groß geworden und kann jetzt als studierter Jurist mit zwei Examen an einer Hochschule sozusagen Einstellungsprozesse für Professuren mitbegleiten.
Das ist ja eine Wahnsinnsentwicklung und ich bin einfach ganz froh und ganz glücklich darüber, dass ich das machen kann. Und das ist auch die Energie, die ich mit in diesen Job nehme und die man mir in meinem Arbeitsalltag auch anmerkt.
Und viele ehemalige Mitschülerinnen und Mitschüler, für die ich jetzt wirklich stellvertretend hier sprechen kann, die leben das in ihrer Berufspraxis, eben als Lehrerin, als Psychologin, als studierte Wirtschaftswissenschaftler und so weiter und so fort, auch im juristischen Kontexten, leben diese Freude daran, das machen zu dürfen, überhaupt in diese Position gekommen zu sein, so sehr aus, dass das ein echter Gewinn ist, Menschen allein mit dieser Arbeitshaltung in seinem Team zu haben.
Und ja, natürlich, sag mal so, wenn jetzt 20 Zettel gleichzeitig aus dem Drucker rauskommen und die sollen jetzt irgendwo abgelegt werden, ja, da bin ich nun mal nicht der erste Ansprechpartner. Das ist dann so.
Das müssen dann vielleicht Kolleginnen und Kollegen machen und vielleicht ist auch da dann dauerhaft eine Arbeitsassistenz erforderlich im Einzelfall. Aber insgesamt gesehen, muss man doch klar und deutlich sagen, ist das einfach etwas, was unfassbar von Vorteil ist für ein Team, was auch die Kolleginnen und Kollegen sehr bereichern kann, wenn die sich einfach so auch mal mit dieser Lebenswirklichkeit auseinandersetzen müssen.
Und mit Sicherheit, das kann ich Ihnen auch sagen, bin ich genauso in der Lage, allen inhaltlichen Herausforderungen und Ansprüchen so gerecht zu werden wie meine sehenden Kolleginnen und Kollegen. Und das ist auch immer meine Anspruchshaltung.
Und das muss auch meine Anspruchshaltung an mich sein und darf auch die Erwartungshaltung an mich sein. Und so ist es bei den allermeisten anderen auch. Also mein Appell wirklich an alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber da draußen, die uns jetzt gerade zuhören, wenn sich Menschen mit Schwerbehinderung, mit chronischer Erkrankung bei Ihnen bewerben, laden Sie sich die Menschen ein, hören Sie sich diese Geschichte an, fragen Sie mal nach, ob der persönlichen Hintergründe, interessieren Sie sich für die Lebenswirklichkeit? Sie werden einen Menschen kennenlernen, da bin ich mir sicher, in 99 Prozent der Fälle, der nicht nur fachlich sehr viel Know-how mitbringt, was ihrer jeweiligen Einrichtung gut tut, sondern auch zwischenmenschlich eine Perspektive mitbringt, die Ihnen und Ihrem Team nur gut tun können.
Herr Lannemann, vielen herzlichen Dank, dass Sie sich jetzt in dieser guten Stunde, ich glaube, wir haben vielleicht sogar einen neuen zeitlichen Rekord für eine Podcast-Folge hier bei irgendwas mit Recht aufgestellt, die Zeit genommen haben, Rede und Antwort zu stehen. Ich fand das sehr, sehr bereichernd, sehr spannend und wieder einmal eine Nische, über die ich nichts hätte lernen dürfen, wenn Sie sich nicht bereit erklärt hätten und die vielen Zuhörenden hier auch nicht.
Insofern vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und für diese spannenden Hintergründe.
Ja, sehr gerne. Und also jetzt haben wir fast gar nicht über meine inhaltliche Arbeit gesprochen, die ich jetzt leiste. Also gerne können wir auch nochmal irgendwie, wenn es um eine Tätigkeit im Verwaltungsbereich geht, auch nochmal eine Sonderfolge machen, wo wir uns nur auf diesen Aspekt konzentrieren.
Denn das ist tatsächlich auch eine sehr spannende, insbesondere mit Blick auf Hochschulentwicklungen und auch Interessen verschiedenster Gruppen, die total spannend ist und sehr viel vielfältiger, als man im ersten Augenblick denkt.
Das machen wir. Vielen Dank. Sehr gerne. Tschüss.
Tschüss.
Und wenn euch diese Folge von Irgendwas mit Recht gefallen hat, dann schaut mal auf www.irgendwasmitrecht.de, vorbei. Da gibt's noch viele weitere über 150 Episoden oder schaut mal in der Folgenbeschreibung dieses Podcasts. Da findet ihr auch Link auf unsere Social Media Auftritte bei LinkedIn, Instagram und Co. Folgt uns da einfach, dann verpasst ihr ebenfalls nichts. Danke.