“Als Jurist ist man in der Lage, fokussiert zu arbeiten, aber wenn das Gefühl von Einsamkeit überwiegt, fehlt die Rückkopplung zur Arbeit, und das machte für mich die Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft nicht befriedigend.”
Teilnahme am IMR Jurapodcast
Bereits im Studium fragte mich ein Professor, ob ich als studentische Hilfskraft an seinem Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Steuerrecht mitarbeiten wolle. Dort merkte ich, wie vielseitig Steuerrecht ist: Querschnitt zwischen Zivil-, Wirtschafts- und Verfassungsrecht, ständig im Fluss und praxisnah. Diese Mischung packte mich – seitdem wollte ich tiefer in genau dieses Gebiet eintauchen.
In der Sitzungsvertretung erlebte ich Recht pur: echte Lebenssachverhalte, spontane Zeugenbefragungen, sofortige Subsumtion und ein Plädoyer aus dem Stand. Ich spürte Verantwortung, sah die Angeklagten vor mir und musste live entscheiden. Dieses juristische Arbeiten in Echtzeit faszinierte mich weit mehr als reine Aktenarbeit.
Der Fall der vielfach vorbestraften Angeklagten, die für ein Geschenk an ihre Tochter erneut Betrug beging, zeigte mir, dass eine Handakte nie das ganze Leben abbildet. Obwohl ich Haft ohne Bewährung beantragte, entschied der Richter anders – zu Recht. Seitdem handle ich niemals aus Prinzip, sondern prüfe jeden Einzelfall neu und unvoreingenommen.
Der Aktendruck verschluckte alles, was mich an Strafrecht begeisterte. Ich verbrachte Tage allein am Schreibtisch, verfügte, druckte, griff zur nächsten Akte – ohne Feedback oder Teamarbeit. Trotz 50-Stunden-Wochen fühlte ich mich der Sache nicht gerecht. Mir fehlten Austausch und sichtbare Wirkung, deshalb suchte ich eine sozialere Aufgabe.
Das Einweisungsjahr ist ein geschütztes Trainingsfeld. Ich durfte jede Abteilung eines Finanzamts durchlaufen, durfte alles fragen und wurde parallel in drei Lehrgängen an der Bundesfinanzakademie fachlich sowie didaktisch geschult. Dieses strukturierte Hineinwachsen in Führung und Materie gab mir Sicherheit und machte den Wechsel attraktiv.
Plötzlich leitete ich ein Sachgebiet mit Mitarbeitenden, die seit Jahrzehnten dort waren. Ich musste Beurteilungen schreiben, Urlaubspläne absegnen und fachlich wie menschlich Orientierung geben. Die Verantwortung war enorm, aber die steile Lernkurve formte mein Führungsverständnis nachhaltig.