Unser SWR-Studio liegt 800 Meter vom Bundesgerichtshof, genauso nah am Bundesverfassungsgericht und dem Generalbundesanwalt. Ich springe aufs Rad und bin in fünf Minuten bei den roten Roben. Diese räumliche Nähe erlaubt mir, Verfahren von der Klage bis zur Entscheidung lückenlos zu begleiten – ein Luxus, den kaum ein anderer Gerichtsreporter hat.

In Grenoble lernte ich Disziplin und Perspektivwechsel. Die Vorlesungen waren reines Mitschreib-Diktat, völlig anders als unsere Fallarbeit. So verstand ich, wie unterschiedlich Rechtskulturen ticken. Gleichzeitig lag die Uni mitten in den Alpen – werktags ackern, am Wochenende Ski fahren. Dieses Jahr zeigte mir, dass harte Arbeit und Lebensqualität wunderbar zusammenpassen.

Ich wuchs in einem Zeitungshaus auf und wollte immer berichten. Mir war aber klar: In den Medien brauchst du ein Fach, das nicht jeder beherrscht. Jura ist gesellschaftsrelevant und unter Nachwuchsreportern selten. Also studierte ich Recht, um später komplexe Paragraphen verständlich übersetzen zu können – die perfekte Grundlage für journalistisches Erklären.

Schon im ersten Zeitungspraktikum schickte man mich in Prozesse, weil ich „der Jurastudent“ war. Die Mischung aus Gerichtssaal, menschlichem Drama und juristischer Logik packte mich sofort. Nach dem Urteil hetzte ich zur Redaktion, schrieb unter Deadline – und vergaß völlig die Zeit. Seitdem verbringe ich jede freie Minute im Gericht oder am Schreibtisch.

Bei uns lernst du, einen komplexen Sachverhalt in Minuten zu erfassen, zu strukturieren und verständlich zu präsentieren. Unsere Referendarinnen sagen später, dass die zwei Minuten Tagesschau-Text die perfekte Generalprobe für den zehnminütigen Aktenvortrag waren – gleiche Denktechnik, nur ohne Bandwurmsätze und unter echtem Zeitdruck.

Für 1 Minute 30 über das Sterbehilfe-Urteil beginnen wir Wochen vorher: Kläger gewinnen, Drehtermine klären, Archivbilder sichten, Grafiken planen, O-Töne sichern. Parallel lese ich sämtliche Vorinstanzen. Am Entscheidungstag müssen Bilder, Text und juristische Einordnung innerhalb weniger Stunden zusammenschnappen – sonst zeigen wir um 20 Uhr nur rote Roben ohne Inhalt.

Mich reizen die Alltags-Großfälle: Diesel, Mietrecht, AGB-Klauseln. Wenn der VIII. oder VI. Zivilsenat entscheidet, betrifft das Millionen Bürger – viel greifbarer als abstrakte Verfassungsfragen. Am 5. Mai verhandelt der BGH erstmals echten Diesel-Schadensersatz (§ 826 BGB). Solche Termine elektrisieren mich, weil sie sowohl Prüfungsstoff als auch gesellschaftlichen Nerv treffen.

Heute erwartet Twitter um 10:05 die Analyse eines Urteils, das um 10:00 fällt. Dieses Tempo erhöht den Druck enorm. Ich balanciere deshalb zwischen Schnelligkeit und Sorgfalt: Erst Sachverhalt verstehen, dann posten. Das Feedback – manchmal rau – zwingt mich, juristische Sprache noch klarer und verständlicher zu machen.

Die Tagesschau um acht bleibt, aber viele Studierende besitzen keinen Fernseher mehr. Wir müssen dorthin, wo sie sind: Instagram-Stories, Podcasts, Live-Streams von Urteilsverkündungen. Entscheidend ist nicht der Ausspielweg, sondern die Verlässlichkeit der Info. Ob Play-Taste oder Fernsehgong – Hauptsache, Recht behält seinen Platz im Nachrichtenmix.

Meine eigene Wahlstation im Fernsehen hat mich geprägt. Jetzt gebe ich das zurück: Zwei Plätze sind immer reserviert. Referendare schreiben Artikel, produzieren Radio und – wenn sie Gas geben – sogar TV-Stücke. Wir bekommen frische Ideen, sie nehmen Medienroutine und Präsentations­training fürs zweite Examen mit. Eine klassische Win-Win-Situation.