IMR21429. Feb 24
IMR214: Strafrecht im Bahnhofsviertel, Arbeitsabläufe als Richterin, Vis Moot Court

IMR - Original

IMR214: Strafrecht im Bahnhofsviertel, Arbeitsabläufe als Richterin, Vis Moot Court

Ann-Kristin Becker, Richter | Amtsgericht Hamburg

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Über diese Episode

Folge 214 deines Jura-Podcasts zu Job, Karriere und Examensthemen.

Heute bei IMR zu Gast: Gerichts-Influencerin und Richterin in Hamburg, Ann-Kristin Becker. Inwieweit hat ihr familiärer Background ihre Entscheidung, Richterin zu werden, geprägt? Wie ist es, an einem der Hamburger Brennpunkte als Strafrichterin aktiv zu sein? Welche – teils kuriosen – Verfahren erlebt sie hierbei? Wie organisiert sie ihren Arbeitsalltag? Welche Routinen helfen ihr dabei und wo ist die richterliche Freiheit von großem Vorteil? Antworten auf diese und viele weitere Fragen sowie ein Wiedersehen nach vielen Jahren hört Ihr in dieser Folge Eures Jurapodcasts. Viel Spaß!

Inhalt:

  • 01:03 Ann-Kristins Weg zu Jura
  • 04:10 Vis Moot Court!
  • 14:11 Richterin in St. Georg
  • 18:51 Fallbeispiel: Angefahren vom Werkstattkonkurrenten
  • 24:44 Ann-Kristins Arbeitsalltag
  • 28:58 Sitzungsdienst bei der Staatsanwaltschaft

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Zu Gast

Ann-Kristin Becker

Ann-Kristin Becker

Kapitel

  • 00:01:03.905Ann-Kristins Weg zu Jura
  • 00:04:10.889Vis Moot Court!
  • 00:14:11.178Richterin in St. Georg
  • 00:18:51.172Fallbeispiel: Angefahren vom Werkstattkonkurrenten
  • 00:24:44.951Ann-Kristins Arbeitsalltag
  • 00:28:58.080Sitzungsdienst bei der Staatsanwaltschaft

Über Amtsgericht Hamburg

Amtsgericht Hamburg zählt mit acht Standorten in der Hansestadt und rund 250 Richterinnen und Richtern sowie etwa 1.000 weiteren Mitarbeitenden zu den größten Amtsgerichten Deutschlands. Als Teil der Justiz des Stadtstaates entscheidet es in erster Instanz über Zivil- und Strafsachen, führt Handels- und Vereinsregister und ist zentrale Anlaufstelle für Nachlass-, Familien- sowie Zwangsvollstreckungssachen.

Die Lage mitten in einer pulsierenden Metropole sorgt für ein besonders breites, oft gesellschaftlich relevantes Akten-Spektrum, während moderne Digitalprojekte und eine offene Kultur – man denke an Social-Media-aktive Richterinnen – das Arbeiten hier spannend machen.

Lust, hinter die Kulissen dieses Großstadtgerichts zu schauen? Dann hör jetzt in unsere aktuelle IMR-Folge und begleite Richterin Ann-Kristin Becker durch ihren Alltag auf Hamburgs Gerichtsfluren!

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Als Richterin schätze ich die Unabhängigkeit und die freie Zeiteinteilung, trotz der vielen Herausforderungen am Hamburger Hauptbahnhof – das ist ein spannender, vielseitiger Beruf, der mich morgens mit Freude zur Arbeit gehen lässt.

Sneak Peak – Q&A mit Ann-Kristin Becker

Transkript

KI-basiert und kann Fehler enthalten.

0:00 Min
Sponsor_ Heuking:

Die heutige Episode von Irgendwas mit Recht wird euch präsentiert von Heuking. Heuking ist in Deutschland an acht Standorten tätig, nämlich in Berlin, Chemnitz, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart. Die Bandbreite der juristischen Beratung bei Heuking reicht von mittelständischen Unternehmen mit Sitz im In- und Ausland bis hin zu internationalen Großunternehmen und ist in 20 Praxisgruppen gebündelt.

1:00 Min
Sponsor_ Heuking:

Die Kanzlei sucht aktuell nach tatkräftiger Verstärkung auf allen Ebenen und in diversen Rechtsgebieten. Um euch dort zu bewerben, schaut also mal in die Shownotes. Dort findet ihr entsprechende Links auf das Arbeitgeberprofil und auch direkt zu Heuking.

1:00 Min
Sponsor_ Heuking:

Vielen Dank an Heuking für die Unterstützung dieser Episode von Irgendwas mit Recht. Und nun viel Spaß. Bis bald.

0:52 Min
Marc:

Herzlich willkommen heute mit einem, ich hätte schon fast gesagt, Gruß aus dem Norden. hoffentlich ein kleines bisschen mehr als das und einem netten kleinen Plausch. Ich habe nämlich Ann-Christin Becker zu Gast. Hallo Ann-Christin.

1:03 Min
Kristin Becker:

Vielen Dank für die Einladung, Marc. Hi.

1:06 Min
Marc:

Hi. Du bist Richterin in Hamburg, stimmts?

1:09 Min
Kristin Becker:

Das stimmt.

1:10 Min
Marc:

Das heißt, wir blicken heute mal ein kleines bisschen auf Kriminalität rund um den Hamburger Hauptbahnhof, unter anderem.

1:18 Min
Kristin Becker:

Das könnte man so sagen, ja.

1:20 Min
Marc:

Um mal so richtig zu teasen. Aber wer dieses Format hier kennt, weiß, wir fangen ganz Ganz vorne an, wie bist du zu Jura gekommen und vor allem dann auch, wie bist du dazu gekommen, Richterin zu werden?

1:31 Min
Kristin Becker:

Ja, ich wollte nicht Jura studieren, weil ich komme aus einer Juristenfamilie und es wurde jetzt zwar nicht so besonders viel über Jura gesprochen, aber ich hatte als junges Mädchen schon das Bedürfnis, mich so ein bisschen abzugrenzen und wollte deswegen Theaterschauspielerin werden. Ob ich dafür talentiert genug gewesen wäre, würde ich jetzt mal dahingestellt lassen, aber vor allem wäre mir das, glaube ich, zu hart geworden.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ich habe mir das einfach nicht zugetraut. Es war dann so Richtung Abitur. Dann ging es um die Frage, was ist jetzt? Möchte ich jetzt auf eine Schauspielschule gehen? Das wäre dann so der naheliegende Schritt, den man dann machen müsste.

1:00 Min
Kristin Becker:

Da hätte man dann vorsprechen müssen mit tausenden weiteren Bewerbern, um dann ein oder zwei Plätze zu bekommen. Also da werden dann ein, zwei Plätze vergeben. Ob ich mir das zugetraut hätte, schon fraglich.

1:00 Min
Kristin Becker:

Naja, und dann hatte ich meine Juristeneltern, die nie Druck ausgeübt haben, die aber durchaus natürlich immer mal wieder die Vorzüge des Beamtentums oder auch des Richterberufs, denn da muss ich dazu sagen, mein Vater ist auch Richter in Hamburg gewesen, der ist mittlerweile pensioniert, aber dadurch hatte ich zu Hause schon so das Berufsbild im Kopf. Und dann, als ich mich entschied, ich sag mal in Anführungsstrichen, was Solides zu studieren und mal zu gucken, da war dann Jura doch die naheliegendere Wahl.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und dann habe ich aber von vornherein gesagt, ich mache das jetzt, aber wenn ich das nach einem Semester total blöd finde, dann höre ich wieder auf. Und dann passierte, was passieren musste. Ich saß in meinem ersten Semester in der Vorlesung.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ich fand es erstens gar nicht mal so blöd, sondern ich fand es dann doch unerwartet interessant. Und dann passierte noch was ganz Spannendes. Dann kam nämlich eine Gruppe junger Studentinnen und Studenten in meine Vorlesung und stellte einen Jura-Wettbewerb vor, nämlich den Wismut-Court.

1:00 Min
Kristin Becker:

Den kennen wahrscheinlich einige. Und die machten Werbung und sagten, hier habt ihr Lust auf Englisch, international, überall auf der Welt, gegen andere Unis anzutreten, in die Rolle eines Parteivertreters oder einer Parteivertreterin zu schlüpfen und ich sag mal zu Schauspielern. Und da ging natürlich mein Schauspielherz, was ich ja nun eigentlich gerade so ein bisschen wieder verschlossen hatte, das ging natürlich auf.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und ich dachte so, boah, das könnte ja jetzt was für mich sein. Der Kompromiss aus Jura war solidem und einem Wettbewerb, in dem ich mich so ein bisschen kreativ ausleben kann vielleicht. Also habe ich direkt im ersten Semester tatsächlich, was damals beim Wismut an der Uni Hamburg, glaube ich, die jüngste Bewerbung jemals war.

1:00 Min
Kristin Becker:

Die dachten so, mein Gott, sie ist doch gerade erst hier und was möchte sie jetzt schon bei uns? Habe ich mich beworben und war dann direkt im zweiten Semester, zweites oder drittes war dann der eigentliche Wettbewerb, war ich dann im Team dabei. Und ab da, das war, ja, oh Gott, jetzt fühle ich mich alt, Marc.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ich glaube, 2010, 2011 war der Durchgang. Genau, 2009 habe ich angefangen zu studieren.

4:13 Min
Marc:

Scheiße. Ich sage deswegen Scheiße, weil ich gerade eben, das lassen wir auch drin, weil ich gerade eben dachte, ich habe dich schon mal gesehen. Wir nehmen das hier gerade remote auf.

4:22 Min
Kristin Becker:

Ach Quatsch.

4:22 Min
Marc:

Ich war 2010 in Wismut.

4:24 Min
Kristin Becker:

Wir kennen uns schon vor lange und entdecken es jetzt.

4:26 Min
Marc:

Ja, siehste, wir kennen uns schon 14 Jahre. Wie witzig, für welches Team.

4:32 Min
Kristin Becker:

Ja, witzig. Da waren wir wahrscheinlich zusammen in Wien.

4:34 Min
Marc:

Unibonn damals.

4:34 Min
Kristin Becker:

Da haben wir schon mal einen zusammen.

4:35 Min
Marc:

Ja.

4:36 Min
Kristin Becker:

Genau, genau.

4:37 Min
Marc:

Also 18er, wie smooth es ging, um Tintenfisch.

4:39 Min
Kristin Becker:

Weißt du noch, was es wird? Squid. Wie witzig, was für ein Zufall. Guck, da waren wir ja schon zusammen in Wien. Ja, guck mal an.

4:47 Min
Marc:

Ja, da waren wir schon zusammen in Wien. Schaut, so. Also das ist jetzt wirklich toll, weil wenn ihr mal, ja, viele Zuhörende hier im Podcast, die sind ja irgendwann zwischendurch eingestiegen. Folge 70, Folge 150, wann auch immer.

1:00 Min
Marc:

Geht mal ganz, ganz, ganz zurück. Ganz an den Anfang. folge ich glaube zwei also die erste richtige folge von diesem podcast da gehts oder folge drei da geht es um den wiesn und in folge 45 oder sechs geht auch um den wiesn mit harald sippel ist ja die erste ist mit christian steger auch zusammen ein wissens anwalt in hamburg den kennst du auch natürlich sie sind natürlich so klein ist die welt sozusagen das ist jetzt die validierung sechs jahre später dass dieses event wirklich so ein interessantes netzwerk kann man nicht sagen, weil wir haben es gerade zufällig herausgefunden, aber man trifft da viele Leute und viele von den Leuten landen auch Jahre später in spannenden Positionen und gehen irgendwie weiter.

1:00 Min
Marc:

Also, wenn ihr noch in der Ausbildung seid, gerade macht den Wiesg-Mut. Das ist es.

5:46 Min
Kristin Becker:

Auf jeden Fall. Oder irgendeinen anderen Mutkort. Ich wollte mich nie. Da entstehen ja auch so Konkurrenzkämpfe zwischen den verschiedenen Mutkorts. Ich finde das alles super.

1:00 Min
Kristin Becker:

Alles, was über den Tellerrand ist im Studium, ist eine super Sache. Und ja, am Wiesg hänge ich dann ganz persönlich auch einfach Für mich war es ein unfassbarer Türöffner, muss ich wirklich sagen, über Jahre und alle meine Praktika und Erfahrung und Netzwerk, das ich mir aufgebaut habe und so im Prinzip maßgeblich mit der Entscheidung entstanden.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ich habe damals meine beste Freundin da kennengelernt, mit der zusammengewohnt. Sie ist heute noch meine beste Freundin. Grüße gehen raus an Mona an dieser Stelle. Und das ist alles, das sind alles so Wissmutbegegnungen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Das ist einfach wirklich eine unfassbar coole Sache. Also das kann ich nur empfehlen. Und so war das bei mir auch. Und dann war ich auf einmal in dieser Welt.

1:00 Min
Kristin Becker:

Das ist ja, Marc, du kennst es, das ist ja eine Welt. Also man ist dann da in einem Team aus Gleichgesinnten, die irgendwie Lust haben, Sachen auf Englisch zu machen, die Lust haben, sich da reinzuarbeiten und so. Dann fängt man an, gemeinsam zu reisen und gegen diese anderen Unis anzutreten, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, irgendwelche US-Unis.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und auf einmal sitzt man denen da gegenüber und ist da in so einer Wettbewerbssituation. Und das ist einfach eine richtig, richtig coole Sache. Und so öffneten sich dann eine Tür nach der nächsten und ehrlicherweise, weil es geht ja eigentlich um den Richterberuf, es war dann tatsächlich so, dass mich das auch eher so, ich will jetzt nicht sagen auf Irrwege führte, aber es war so ein bisschen so, dass ich dann da auch so ein bisschen Blut leckte, was den Anwaltsberuf anging.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ich habe dann auch viel international gemacht. Ich war bei Laliv in der Schweiz. Das ist eine Schiedsrechtsboutique. Die hatten mich tatsächlich auch.

1:00 Min
Kristin Becker:

Das war einer meiner Schiedsrichter in Wien. Ein Partner bei Laliv, der sprach mich nach dem Pleading an und fragte, ob ich Lust hätte, in der Schweiz, also in Genf, ein Praktikum zu machen. Mein Französisch war ehrlich gesagt irgendwas zwischen nicht vorhanden und stark eingerostet.

1:00 Min
Kristin Becker:

Aber ich hatte direkt so Lust auf eine neue Sprache, also neu, in Anführungsstrichen neu, aber eine Sprache auffrischen, mich irgendwie außerhalb meiner Komfortzone zu begeben, mal wieder Ausland zu machen. Und dann war ich da in der Schweiz, dann resultierte daraus ein Master in Paris an der Queen Mary University of London und so, das meine ich mit Türen öffnen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Die Türen gehen so auf und irgendwann habe ich dann gedacht, Mensch, diese ganze Kanzleiwelt, das ist schon einfach auch richtig toll und hat sehr viele Vorteile und man erlebt super spannende Fälle. Man kriegt Einblick bei Lalive, muss ich sagen, bin da super gefördert worden von einem anderen deutschen Rechtsanwalt, der da einer der wenigen Deutschen war und der mich total gefördert hat und ich konnte da super tolle Sachen miterleben und hatte dann auch so ein bisschen Blut geleckt irgendwann.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und dann steht man natürlich da und fragt sich, was mache ich jetzt? Und dann kristallisierte sich das bei mir aber im Referendariat in Hamburg wieder so ein bisschen zurück, dass ich merkte so, ja, also Schweiz war eine tolle Sache, aber es ist eben auch nicht in Hamburg. Hamburg, der Kanzleimarkt ist eben schlichtweg ein ganz anderer und diese, das weißt du ja auch, diese Schiedsverfahrenswelt ist eben eine sehr spezielle, die ist auch sehr klein und je nach Standort, also Hamburg ist ja jetzt auch nicht, also etabliert sich immer mehr, aber ich würde jetzt sagen, ist ja auch nicht der allergrößte Schiedsrechtsstandort, da gibt es ganz andere Städte, in denen das Sinn macht.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und deswegen war das dann im Referendariat so, dass ich da die Bezüge zur Justiz wieder interessanter fand. Und die Vorzüge, die eben der Richterberuf ja definitiv hat, die kamen immer mehr so wieder zurück in den Vordergrund. Und dann habe ich mich irgendwann am Ende meines Referendariats gefragt.

1:00 Min
Kristin Becker:

So, wenn ich jetzt sagen müsste, worauf ich morgen früh am meisten Lust habe, wo möchte ich morgen früh zur Arbeit hingehen, dann ist das zu Gericht. Und dann wäre ich gerne Morgenfrührichterin und würde alle diese Dinge, die man da so machen muss, gerne machen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und das war der Moment, wo ich dachte, okay, dann mache ich das jetzt. Und da war die Entscheidung gefallen.

9:21 Min
Marc:

Wie kam das? Also war das eine reine Gefühlssache oder hattest du auch ein paar so, ich sage mal, objektive Argumente? Nicht, dass das andere jetzt total nur subjektiv war, aber gab es da auch so andere Überlegungen, die du hier vielleicht teilen könntest? Oder war das wirklich mehr, wenn ich jetzt morgen woanders hin müsste, wäre das nicht genauso

1:00 Min
Marc:

gut, wie zu Gericht zu laufen?

9:40 Min
Kristin Becker:

Nee, es gab ganz objektive Argumente, wobei ich auch sagen muss, dass dann die Endentscheidung auch, glaube ich, ein Stück weit Bauchgefühl ist. Und das ist aber meiner Erfahrung nach, zumindest in meinem Leben, ist es so, dass das Bauchgefühl dann meistens auch einem den richtigen Weg zeigt.

1:00 Min
Kristin Becker:

Also ich kann da auch immer nur appellieren, dass man ein Stück weit sich einfach auch selbst vertraut, wenn das Bauchgefühl sagt, du gehst jetzt Weg A, dann gehst du Weg A und dann wird das richtig sein. Und wenn der Weg A irgendwann nicht mehr weitergeht, dann war das trotzdem richtig, dann gehst du dann irgendwann woanders lang, aber das gehört halt auch zum Leben dazu.

1:00 Min
Kristin Becker:

Du bei mir, ich gebe auch immer den Tipp, wenn ich hier Referendarinnen und Referendare ausbilde, meine Kanzleierfahrung im Referendariat war nicht so, dass ich mich da so super identifizieren konnte. Also ich war in einer Großkanzlei, auch im Bereich Litigation, also es sollte so ein bisschen in die Richtung gehen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Es war aber dann so, das war die Zeit der Dieselklagen. Das heißt, da war sehr viel Masseverfahren. Und ehrlicherweise ist es ja ein Stück weit auch das große Massegeschäft, was Kanzleien halt auch abdecken.

1:00 Min
Kristin Becker:

Das ist ja auch bekannt. Aber das ist eben so, ich hätte das jetzt im Nachhinein, glaube ich, anders gemacht. Also wenn ich ernsthaft den Anwaltsberuf in Erwägung ziehe und im Referendariat mir das genau angucken möchte, dann hätte ich heutzutage mir was ausgesucht, wo ich mich auch wirklich sehe im Anschluss.

1:00 Min
Kristin Becker:

Also ich hatte Kolleginnen und Kollegen, die waren in kleineren Kanzleien, in vielleicht Spin-Offs, in so kleineren heranwachsenden Einheiten und ich hatte das Gefühl, die werden anders eingebunden. Die werden schon eingebunden auf eine Art und Weise, dass man mit denen plant, sag ich mal.

1:00 Min
Kristin Becker:

Aber ich war eher in so einem Kosmos, da war so ganz viel einfach an Masse, Geschäft eben auch ausgelagert an die Associates, dann darunter die Referendare und die Wismits, dann darunter irgendwelche Project Lawyers und was sie nicht alles hatten. Und so sind die Prozesse halt.

1:00 Min
Kristin Becker:

Das ist einfach ein Fakt. Aber das ist dann nicht so, ich sag mal, nicht so attraktiv. Also ich zumindest. Bei mir hat es jetzt nicht dazu geführt, dass ich so da jeden Tag hin bin und dachte, Mensch, das ist ja hier so inspirierende Arbeit, die ich hier mache.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und demgegenüber hatte ich eine sehr tolle Zivilstation bei einer Zivilrichterin, konnte man sich damals noch selber aussuchen, das geht mittlerweile in Hamburg nicht mehr. Das ist tatsächlich eine Kollegin, ein Stockwerk über mir, die ist also jetzt meine Kollegin, damals war sie meine Ausbilderin und die hatte ich mir ganz bewusst ausgesucht, weil ich wusste, das ist eine taffe Persönlichkeit.

1:00 Min
Kristin Becker:

Die hat so einen anpackenden Arbeitsstil, auch so eine anpackende Persönlichkeit, ist direkt in der Ansprache, ist ehrlich, authentisch. Ich konnte mich mit der irgendwie identifizieren. Ich kannte die nicht gut, aber ich wusste, wenn eine sozusagen in die Richtung geht, wie ich mir das vorstelle, dann ist sie das.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und dann war ich bei der in der Ausbildung und das sind dann eben so Momente, wo man einfach sich, also wie so Vorbilder auf einmal entdeckt und sagt, Mensch, guck mal, das ist so ihr Arbeitsalltag, das entspricht mir vielleicht charakterlich. Und dann natürlich die klassischen Vorzüge, Unabhängigkeit in der Großkanzlei, die Abhängigkeit vom Partner, dann als Referendarin natürlich auch von den Zuarbeitenden, also den man zuarbeitet, den Associates etc.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und dann einfach diese zeitliche Gebundenheit an Arbeitszeiten, einfach Dienstleistung auch an das, was der Mandant gerne möchte und so. Das ist eben so in der freien Wirtschaft, da werden auch andere Gelder verdient, das muss man ja auch mal ganz objektiv so sagen, kein Geheimnis.

1:00 Min
Kristin Becker:

Aber für mich ist die Unabhängigkeit, die ich hier habe, sowohl fachlich als auch was die Arbeitszeiten angeht, einfach unbezahlbar. Also ich finde, es ist ein Riesenvorteil dieses Jobs zu sagen und ich arbeite nicht wenig, das sage ich auch. Also am Hauptbahnhof mag es viel zu tun, das weißt du auch.

1:00 Min
Kristin Becker:

Also der Stadtteil St. Georg, wir sind, glaube ich, mit das belastetste Gericht hier in Hamburg, was gerade im Strafbereich angeht, von den Amtsgerichten, weil wir haben ja nicht nur den Hauptbahnhof Steindamm, Hansaplatz, das ist so der für alle Nicht-Hamburgerinnen und Hamburger der Hauptbahnhof-Bereich. Wir haben auch noch Brennpunkte, wie Mümmelmannsberg, Billstedt.

1:00 Min
Kristin Becker:

Der Bezirk geht oben hoch bis Winterhude. Da ist jetzt nicht mehr so viel an ganz schlimmer Kriminalität, aber man wundert sich manchmal. Und entsprechend, hier ist viel zu tun, ich arbeite viel.

1:00 Min
Kristin Becker:

Aber es ist eben vom Gefühl her was völlig anderes, wenn ich mich hier entscheide, mal länger hier zu sitzen, weil ich es so möchte und weil ich jetzt entscheide, das mache ich heute noch fertig und nicht, weil jemand mir eine E-Mail schickt, ich brauche das bitte noch bis morgen früh um acht. Und das war einfach für mich super wichtig und ich glaube, das ist sehr unterschiedlich.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und ich sage ganz ehrlich, wenn es die Kanzleierfahrung in der Schweiz, die war wirklich toll und ich glaube, wenn das sozusagen eine Option gewesen wäre, für mich in die Schweiz zu gehen oder es die Kanzlei so in dieser Konstellation in Hamburg gegeben hätte, dann würde ich vielleicht jetzt hier heute unter einer anderen Überschrift sozusagen mit dir sitzen. Aber so war es halt und für mich in die Schweiz zu gehen war keine Option und entsprechend war es dann die Justiz, die mich einfach mehr reizte.

14:11 Min
Marc:

Das ist ja ganz spannend, vielen Dank. Der Weg ist sozusagen jetzt geebnet und haben wir schon beschrieben, St. Georg, Hauptbahnhofsgegend, man kann sich so ein bisschen was denken, also wenn ihr mal in Hamburg ausgestiegen seid im Hauptbahnhof, dann gibt es da so eine Station unter anderem für Drogenabhängige in der Gegend und man kriegt so ein gewisses Bild.

1:00 Min
Marc:

Gleichzeitig, wenn man die letzten Jahre sich Hamburg anguckt, ist es aber auch eine Gegend, die sich ziemlich wandelt, glaube ich. Die sich ein bisschen gentrifiziert, ist mein Eindruck. Aber es ist schon immer noch jetzt nicht das einfachste Pflaster in ganz Hamburg, sagen wir mal so.

1:00 Min
Marc:

Jetzt interessiert unsere Zuhörenden hier natürlich, was du da so Schlimmes, aber vielleicht auch Kurioses, den ganzen Tag erlebst.

14:50 Min
Kristin Becker:

Also es ist, wie du sagst, es ist super spannend, vielfältig. Es ist auch wie in, glaube ich, vielen Großstädten der Hauptbahnhof ist so Dreh- und Angelpunkt einer Stadt. Erkennt man sicherlich auch am Hauptbahnhof und der Kriminalitätsrate, wie es einer Stadt vielleicht so geht.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und die Drogeneinrichtung ist ein interessantes Thema. Gut, dass du das ansprichst. In der Tat, wir haben das Drop-In, eine Drogenhilfeeinrichtung, in der man eben auch Spritzen tauschen kann, in der es die Möglichkeit gibt, auch Konsumräume wahrzunehmen. Also eine bewusste Entscheidung zu sagen, betäubungsmittelabhängige Personen sollen sich da aufhalten.

1:00 Min
Kristin Becker:

Es ist natürlich auch die bewusste Entscheidung, das in der Nähe des Hauptbahnhofes anzusiedeln, damit eben der Hauptbahnhof als möglicher Drogenplatz sozusagen freigehalten wird, dass es die Drogenabhängigen unmittelbar zu diesem direkt nebenan liegenden Platz zieht. Man muss aber auch sagen, das ist ein spezieller Ort, diese Drogenhilfeeinrichtungen, denn es tummeln sich zu Hochzeiten bis zu, ich sag mal, ich war letztens wieder beim PK11 hier, unserem zuständigen Polizeikommissariat, mit den Drogenfahndern hospitieren, was eine super spannende Erfahrung ist.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und wenn einem das mal angeboten wird, man das auf jeden Fall meines Erachtens als Strafrichterin mitnehmen sollte. Da tummeln sich teilweise im Sommer bis zu 200 Drogenabhängige auf diesem Vorplatz. Und das ist natürlich ein bisschen speziell.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und dann kann ich dazu sagen, diese Drogenhilfeeinrichtung fällt ab. Komplett in die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg. Und entsprechend kann man sich vorstellen, das ist natürlich ein Ort, wo Straftaten passieren.

1:00 Min
Kristin Becker:

Es ist auch irgendwie logisch, denn es ist ein Drogenvorplatz einer Drogenhilfeeinrichtung. Also dass da Betäubungsmittel im Umlauf sind, ist jetzt kein Geheimnis. Es ist aber natürlich trotzdem so, dass die Strafverfolgungsbehörden auch verpflichtet sind, einzuschreiten, wenn sie was beobachten sollten.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und das heißt, hier herrscht so ein, ich würde mal sagen, das unausgesprochene Gesetz, dass die Kleinstkonsumenten, die da einfach wirklich sind, weil sie massiv drogenabhängig sind und da konsumieren. Die sind sicherlich nicht Ziel dessen, was hier die Polizei verhindern will, sondern was verhindert werden soll, sind größere Betäubungsmittelgeschäfte.

1:00 Min
Kristin Becker:

Leute, die da vor allem auch, und das gibt es da eben auch, die selbst nicht kein Drogenproblem haben, sondern die diesen Ort eben aufsuchen, um Geschäfte zu machen mit den Drogenabhängigen, die da sich aufhalten und eben auch konsumieren wollen und müssen. Und das ist spannend.

1:00 Min
Kristin Becker:

Also die Einrichtung und dieses Klientel an sich ist speziell, aber es ist auch irgendwie ja was, wo man dann hier so einen Bezug zu entwickelt. Es gehört eben auch zu so einer Großstadt dazu.

1:00 Min
Kristin Becker:

So ein bisschen kennt man dann irgendwann seine Pappenheimer, sag ich mal, auch schon. Wir haben in St. Georg keine sogenannte Vorbefassung mehr. Es gibt Gerichte, da organisiert man das so, dass Verfahren gegen eine Person, gegen denselben Angeklagten oder dieselbe Angeklagte immer wieder beim selben Richter oder bei derselben Richterin landen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Das haben wir hier in St. Georg irgendwann abgeschafft. Lag vielleicht auch daran, dass man dann sonst wirklich eine Vielzahl an Verfahren immer wieder gegen dieselbe Person hat und man sagt, ein bisschen Abwechslung ist auch mal ganz nett. Trotzdem sieht man immer wieder ähnliche Kandidaten, das muss man einfach sagen, tauchen in den Akten auf und das gehört dazu.

1:00 Min
Kristin Becker:

Beschaffungskriminalität ist dann sozusagen die Nebenfolge dessen, also oftmals sind da ja die finanziellen Verhältnisse extrem begrenzt, Betäubungsmittel sind teuer und da werden dann eben alle möglichen Arten von Straftaten auch begangen, um sich diese Betäubungsmittel beschaffen zu können. Die passieren dann meistens auch im Dunstkreis, sage ich mal.

1:00 Min
Kristin Becker:

Da sind wir dann in so Gegenden St. Georg, Steindamm, Hansaplatz, die Ecke. Das ist hier so für die Hamburger auch alles ein Begriff. Aber du hast auch was Interessantes angesprochen.

1:00 Min
Kristin Becker:

In der Tat, die lange Reihe, auch ein Teil von St. Georg und dem unmittelbaren Hauptbahnhofumkreis würde ich eher als angesagt bezeichnen. Also auch mittlerweile eine nicht mehr günstige Wohngegend.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und wenige hundert Meter weiter ist man auch schon an der Außenalster und kann im Sommer auf irgendwelchen netten Stegen mit Segelbooten sitzen und sein Aperol Spritz trinken. Also insofern ist es eigentlich ein sehr vielfältiger Stadtteil und sehr bunt und das macht es eben auch ein bisschen besonders.

1:00 Min
Kristin Becker:

Also ich finde es einen spannenden Zuständigkeitsbereich, muss ich sagen. Wenn wir da nochmal so ein oder zwei Fälle jetzt vielleicht auch unabhängig thematisch von dem, was wir gerade besprochen haben, rausgreifen, wo du unseren Zuhörenden nochmal so aus Gerichtssicht schilderst, wie das so abläuft, wo du vielleicht auch irgendwas vorbereitet hast und vielleicht schon so einen ersten Eindruck hast, bevor die Verhandlung beginnt, aufgrund der Aktenlage und dann mal total überrascht wurdest oder ähnliches.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ja, das hat man relativ selten, muss man sagen. Meistens, also in den allermeisten Fällen geht die Beweisaufnahme ungefähr in die Richtung, die die Akte einem schon so vorzeichnet. Aber es kommen immer mal wieder solche Fälle vor.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ich hatte mal vor einigen Jahren einen Fall, bei dem das wirklich so war, dass ich dann am Ende dann doch mit halboffenem Mund da saß und dachte, okay, ist jetzt hier versteckte Kamera oder was ist hier heute los? Das war tatsächlich ein Fall, da war jemand angefahren worden von einem, ich sag mal im weitesten Sinne Kontrahenten, die waren so im Bereich Autohandel, Autowerkstatt, so in dem Bereich tätig und die waren unmittelbare Werkstattkonkurrenten und hatten sich irgendwie in die Haare bekommen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Auch schon über Wochen und dann eskalierte das Ganze, indem der Angeklagte den Geschädigten mit seinem Fahrzeug umgefahren haben soll und der Außenspiegel dabei gegen die Hüfte des Geschädigten knallte und abfiel. Und der Angeklagte kam morgens in meinen Saal und ließ sich dann nach Belehrung über seinen Verteidiger ein und sagte, das war so nicht.

1:00 Min
Kristin Becker:

Mir ist dieser Spiegel von meinem Auto, dieser Außenspiegel, eine Woche vor dieser Tat entwendet worden. Ich war zum Auto gekommen und der Spiegel war weg. Und seitdem ist der Spiegel ab und ich habe das nicht gemacht.

1:00 Min
Kristin Becker:

Es hat diese Situation nicht gegeben. Was denkt man da aus Gerichtssicht? Da denkt man erstmal, naja, das klingt wie eine Schutzbehauptung, genau. Man versucht natürlich weiterhin, ist auch verpflichtet, ist auch richtig so, unvoreingenommen zu sein, aber man muss dazu sagen, dass ich hier angelogen werde, ist jetzt auch nicht so selten.

1:00 Min
Kristin Becker:

Das heißt, wenn man immer alles glauben würde, dann kann man den Job auch nicht machen. Also das muss so ein gesundes Maß geben an, was ist jetzt völlig lebensfern und was kann noch sein. So, und die Behauptung, eine Woche vorher sei er zu seinem Fahrzeug gekommen und der Außenschwieger sei abgewiesen, die fand ich jetzt erstmal relativ abwegig.

1:00 Min
Kristin Becker:

Nichtsdestotrotz haben wir dann angefangen zu verhandeln, haben den Geschädigten vernommen. Der war auch Nebenkläger übrigens in dem Verfahren. Das heißt, er hatte auch wirklich gesagt, ich möchte hier eine tragende Rolle in diesem Verfahren einnehmen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Ich möchte hier zu meinem Recht, ich sehe das nicht ein. Wie kann der mich hier umfahren, meine Hüfte und so weiter. Wir haben also verhandelt und verhandelt und dann hat der Verteidiger irgendwann angeregt, wir mögen ein Sachverständigengutachten einholen.

1:00 Min
Kristin Becker:

Achso, ich muss noch dazu sagen, es war tatsächlich so, die Situation vor Ort war, da lag dieser Seitenspiegel auf der Fahrbahn. Also die waren angetroffen worden, Polizei gerufen, Polizei kommt da hin, da steht ein Verletzter, Geschädigter, der hat einen blauen Fleck an der Hüfte, da ist unser Angeklagter und da liegt ein Seitenspiegel auf der Fahrbahn.

1:00 Min
Kristin Becker:

Und dann regte der Verteidiger an, wir mögen noch ein Sachverständigengutachten einholen, zu der Frage, ob der Geschehensablauf so sein kann, ob dieser Seitenspiegel da gelandet sein kann, wo er dann tatsächlich lag. Dann war ich erst der Auffassung, ah, weil man muss ja so ein bisschen sagen, also Beweisanträge, das ist völlig legitim, Beweisantrag zu stellen und kann auch sehr, sehr oft sehr, sehr sinnvoll sein.

1:00 Min
Kristin Becker:

Es gibt aber auch Beweisanträge, die sind darauf gerichtet, so ein Verfahren in die Länge zu ziehen oder Voraussetzungen zu schaffen, die irgendwie die Verurteilung erschweren. Ich habe dann aber selber gemerkt, dass meine technischen und physikalischen Fähigkeiten, ich habe ja immer in Jura und nicht Physik studiert, die hielten sich in Grenzen, sodass ich dann dachte, naja, hier geht es ja auch nicht um so ganz wenig mit Seitenspiegel gegen Körper.

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Kristin Becker:

Das ist jetzt hier, wir sind ja nicht so ganz im unerheblichen Bereich. Also habe ich gesagt, wir holen jetzt einen Sachverständigengutachten ein. Ich habe dann den Sachverständigen, den ich in einem Tötungsverfahren mal bemüht hatte, der sehr, sehr gut war, den habe ich dann spontan angerufen, habe ihm den Sachverhalt geschildert, habe gesagt, hier, ich würde Ihnen jetzt die Akte mal schicken, wir machen einen Fortsetzungstermin, das macht man dann in so einem Fall, damit man nicht alles umsonst gemacht hat, neu anfangen muss, dann versucht man das eben in diesem Überbrückungszeitraum, den man hat von drei Wochen, zu organisieren und alles irgendwie einzutüten.

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Kristin Becker:

Er hat dann meine Akte bekommen, der kam dann zu dem Fortsetzungstermin und dann setzte er sich hin und sagt, Frau Becker, soll ich das Ergebnis vorwegnehmen? Ich so, gerne, ich bin immer gern pragmatisch, Ergebnis zuerst und dann stelle ich meine Fragen. Ergebnis vorweg, das kann so nicht gewesen sein.

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Kristin Becker:

Ich so, bitte? Und dann war tatsächlich so, dass er sogar sagte, dass nicht nur die Position des Spiegels, wo er vor Ort dann vorgefunden wurde, sondern sogar die Frage, der Spiegel, der hatte ja so Abbruchspuren, also so raushängende Kabel und war so ein bisschen gebrochen. Und er sagte dann zu mir wortwörtlich, ja, also schon die Abbruchspuren des Spiegels sprechen gegen diese Theorie.

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Kristin Becker:

Das sieht eher so aus, als wäre mit einem Baseballschläger der Spiegel von oben nach unten vom Fahrzeug abgeschlagen worden. Und dann saß ich da und dachte, okay, es ist einer dieser Fälle, wo man zu Beginn denkt, das ist eine Schutzbehauptung, dass der Angeklagte sagt, vor einer Woche war der Spiegel einfach weg und eine Woche später passiert diese Situation.

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Kristin Becker:

Und das erdet einen auch, sage ich ganz ehrlich, als Strafrichterin mit dann doch ein paar Jahren Erfahrung, Diese Momente sind immer mal wieder wichtig, weil man natürlich auch viele Verfahren hat, die so laufen, wie man sie antizipiert und man darf eben nicht den Fehler machen, nicht mehr genau hinzugucken, sondern man muss immer offen bleiben und sich immer fragen, kann das nicht doch auch anders gewesen sein? Nein, im Zweifel für den Angeklagten, wenn ich es nicht sicher ausschließen kann, muss ich eben freisprechen.

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Kristin Becker:

Und das ist auch wichtig. Und das war nochmal so ein Moment, wo ich dann mich bestätigt sah zu sagen, ja, und wenn du dir Sachverständigenseits das nicht zutraust, das richtig einzuschätzen, dann lieber einmal mehr nochmal genauer hingucken als einmal zu wenig. Aber das war mal so ein Beispiel, wo man wirklich sagt, okay, hatte ich jetzt nicht mitgerechnet.

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Kristin Becker:

Ich habe da einen Freispruch. Ja, logisch. Na klar. So praktisch. Kannst du abschließend, wir machen immer so eine gute halbe Stunde sozusagen, nochmal so ein bisschen deinen Arbeitsalltag schildern? Also Fälle sind ja das eine, aber sozusagen, wie das auch außerhalb des Gerichtssaals für dich aussieht.

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Kristin Becker:

Das interessiert, glaube ich, auch viele Zuhörenden hier. Ja, ich habe ja schon gesagt, richterliche Unabhängigkeit. Das ist also, das Nette ist, dass man sich die Woche im Prinzip frei einteilen kann. Allerdings ist es immer umrandet sozusagen von den Sitzungstagen.

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Kristin Becker:

Bei mir sind das der Montag und der Mittwoch und die geben so ein bisschen den Rest der Woche vor. Wenn ich Montags- und Mittwochsitzung habe, dann bereite ich Freitag die Verfahren für Montag vor und Dienstag die Verfahren für Mittwoch.

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Kristin Becker:

Das heißt, das sind die Sachen, die auf meiner unbedingten To-Do-Liste stehen. Das heißt, ich habe heute, heute ist Freitag, ich habe heute zum Beispiel schon die Sachen für Montag vorbereitet. Und das klappt aber auch, muss man ja sozusagen dazu sagen, so rein vom Timing her.

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Kristin Becker:

Also du musst jetzt nicht für einen Sitzungstag eine Woche lang vorbereiten, sondern mit Erfahrung und so weiter, das haut dann hin. Genau, das ist eine Erfahrungssache und wenn ich mal ein Verfahren habe, was wirklich umfangreicher ist, das kommt ja immer mal vor, dass man was hat, wo man sagt, okay, da muss ich wirklich mir das ganz genau angucken oder vielleicht die Akte ist sehr, sehr, wir haben auch Kartonverfahren, nennen wir die, wenn die Akten in Umzugskartons kommen, das ist zum Glück recht selten, aber solche Akten gibt es und da reicht kein Tag.

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Kristin Becker:

Da muss ich vorher, das blocke ich mir im Kalender und sage, okay, dann und dann so. Aber der Normalfall eines amtsgerichtlichen Sitzungstages ist wunderbar vorbereitbar am Tag vorher, genau. Oftmals muss man dann auch noch Kleinigkeiten organisieren.

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Kristin Becker:

Ich hatte gerade heute wieder, dann fehlt mir hier noch eine Postzustellungsurkunde, dann habe ich da noch, fällt mir noch was auf, oh Mensch, der braucht doch einen Dolmetscher. Dann rufe ich meine Geschäftsstelle an oder gehe kurz rüber und sage, könntest du mir noch schnell einen polnischen Dolmetscher laden oder irgendwie so, war jetzt gerade vorhin der Fall.

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Kristin Becker:

Das kann immer mal passieren, dass ich was übersehe oder dass der Verteidiger oder die Verteidigerin sagt, hier, das übrigens, hab grad festgestellt, mein Mandant braucht doch einen Dolmetscher, ist so ein Standardfall, ne. Und das also einerseits, dann laufen parallel natürlich meine Urteilsfristen, weil, ne, du hast es richtig gesagt, Sitzung ist das eine, aber das Resultat der Sitzung ist in den allermeisten Fällen eine Verurteilung im Strafverfahren, das ist einfach so.

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Kristin Becker:

Ein Freispruch ist ja auch eine Verurteilung. Einstellungen sind eher seltener, kommen vor, aber sind jetzt nicht so oft. Und immer dann, wenn ich ein Urteil gesprochen habe, muss ich Urteilsgründe verfassen. Ich habe fünf Wochen Zeit pro Urteil.

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Kristin Becker:

Das heißt, bei zwei vollen Sitzungstagen die Woche, wo ich vielleicht mal zu Hochzeiten bis zu acht, zehn, zwölf Urteile spreche, das ist schon viel für so einen Sitzungstag, aber das kommt vor, habe ich eben zwölf Urteile, die ich absetzen muss. Und so ein Strafrechtsurteil, das kann man teilweise ein bisschen abkürzen, das ist aber schon auch immer noch ein Urteil.

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Kristin Becker:

Ich diktiere meine Urteile, aber das muss ich natürlich parallel auch noch machen. Und dann, also das heißt, die Fristen habe ich im Blick und dann gibt es dazu noch die tägliche Dekretur. Die Dekretur ist alles das, was eingeht, was dem Richter oder der Richterin vorgelegt wird und bearbeitet werden muss.

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Kristin Becker:

Da hole ich mir jeden Tag meinen Stapel auf der Geschäftsstelle ab und bringe abends meinen Stapel sozusagen wieder zurück. Leider sind wir ja im Moment noch nicht digital, aber wir arbeiten dran. Und dann wird da eben noch so das laufende Geschäft, sag ich mal, bearbeitet.

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Kristin Becker:

Und das ist im Prinzip so das, was so die Woche ausmacht und dann nicht zu vergessen, die Sitzungen, die terminieren sich ja auch nicht von alleine, das heißt die Sitzungstermine, dass der Kalender sich immer weiter füllt, darum muss man sich eben auch noch kümmern, dass man dann auch Sitzungsterminierungsreife Akten sozusagen vorbereitet für die anstehenden Sitzungen, Ladungsverfügung fertig macht und sagt hier Termin dann und dann, ich spreche alle meine Termine mit den Verteidigerinnen und Verteidigern ab, dann und dann ist Termin und dann wird geladen und dann füllt sich der Kalender immer weiter.

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Kristin Becker:

Und das sind so die To-Dos, die man eigentlich über so eine Woche hat und in der Zeiteinteilung ist man eben völlig frei. Es macht Sinn, im Büro zu sein, wenn die Geschäftsstellen da sind, weil die warten auch manchmal und wollen mal eine Frage stellen und sagen, man kommt eigentlich heute ins Büro, ich habe da noch eine dringende Frage.

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Kristin Becker:

Wenn man dann hier erst um 16 Uhr auftaucht, ist blöd. So kann man aber auch mal machen und dann hier bis Mitternacht sitzen. Von der Arbeitszeiten gibt es nicht.

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Kristin Becker:

Also spricht jetzt erstmal nichts dagegen. Es ist so ein bisschen die Frage der Praktikabilität. Aber mir gibt das auch Struktur, dass mein Tag immer ungefähr ähnlich zeitlich aussieht. Aber das ist eine Typfrage.

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Kristin Becker:

Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die sind eher sehr, sehr früh oder eher sehr, sehr spät. Und wenn man eine Geschäftsstelle hat, die das eben auch mitmacht oder die haben auch alle unsere Handynummern zum Beispiel, dann kann man auch unproblematisch mal sagen, ich bin morgen irgendwo anders.

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Kristin Becker:

Wenn was ist, rufst du mich einfach an und dann ist gut. Führt zur Folgefrage, weil wir das hier öfter schon hatten, Referendariat und Sitzungsdienst. Vielleicht können wir da unseren Zuhörenden gerade nochmal so einen kleinen Einblick von der anderen Seite geben.

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Kristin Becker:

Du hast dann ja als Strafrichterin regelmäßig auch Referendarinnen und Referendare bei dir sitzen, die ganz aufgeregt ihren Sitzungsdienst machen. Die, die es öfter machen, hoffentlich ein bisschen weniger aufgeregt. Und wir sagen hier immer, also Leute, kriegt man schon hin.

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Kristin Becker:

Das ist am Anfang ganz spannend und es ist eigentlich immer auch ein bisschen kurios und das wahre Leben und das ist aber auch gleichzeitig so mit die schönste Station eigentlich im Referendariat, für viele jedenfalls. Kannst du nochmal sagen, wie du das so wahrnimmst? Worauf kommt es da an und warum das vielleicht, ich greife mal so ein bisschen vorneweg, auch doch nicht so schlimm ist, wie es sich beim ersten Mal anfühlt? Also aus meiner Sicht kann ich immer sagen, da kommt erstens hinzu, dass ich selber Sitzungsdienst bei der Staatsanwaltschaft im Referendariat gemacht habe.

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Kristin Becker:

Das heißt, so lange ist mein Referendariat ja jetzt auch noch nicht her. Das heißt, ich habe da erstmal eine absolute Grundsympathie zu sagen. Mensch, ich war selber mal in der Position.

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Kristin Becker:

Ich weiß genau, wie aufgeregt man da ist und ich weiß genau, dass man das nicht kann. Woher soll man es auch können? Also, dass man sich da jetzt rantastet mit dem, was man eben zur Verfügung gestellt bekommt, mit dem, was man mit der Ausbilderin oder dem Ausbilder vorbesprochen hat.

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Kristin Becker:

Aber das ist eben völlig normal und aus meiner Sicht als Richterin ist es eben auch so, dass mir das ja klar ist. Ich kriege ja mitgeteilt, dass es ein Referendar ist oder eine Referendarin. In den weit überwiegenden Fällen werde ich vom Ausbilder oder der Ausbilderin vorher sogar angerufen, nochmal gefragt, ob alles stattfindet, ob es irgendwelche Besonderheiten gibt.

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Kristin Becker:

Manchmal kommt auch so ein Nebensatz, meine Referendarin kommt, die macht das aber ganz bestimmt super und ich sage dann immer, ja, ja, absolut und bei mir ist auch alles nett und freundlich, also da muss sie sich keine Sorgen machen. Und so ist es dann in der Sitzung auch, ich sage immer, lassen Sie sich Zeit, plädieren Sie, wenn Sie soweit sind, manche möchten dann auch nochmal eine Unterbrechung, vielleicht nochmal telefonieren.

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Kristin Becker:

Das ist alles völlig legitim und aus Richtersicht ist das total nachvollziehbar. Es gibt so ein paar Verfahren, das muss man sagen, das hat die Staatsanwaltschaft aber auch im Blick, wo die Einteilung von Referendarinnen und Referendaren nicht gewollt ist. Manchmal rutscht dann auch so ein Fall durch, wo man so ein bisschen sagt, der eignet sich eigentlich jetzt nicht so ganz so gut, das ist vielleicht ein bisschen konfliktträchtiger oder von der Beweiswürdigung schon ziemlich komplex.

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Kristin Becker:

Und wenn das dann ausgerechnet so der erste Einsatz ist, dafür haben wir eine zu große Masse an Verfahren in Hamburg, als dass man das alles perfekt im Blick behalten kann. Aber auch da kann ich immer nur wieder mitgeben, auch das weiß die Richterin oder der Richter ja einzuschätzen.

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Kristin Becker:

Und auch da sind wir total milde mit dem Umgang und wenn da vielleicht im Plädoyer die Beweiswürdigung nicht absolut einwandfrei ist, das würde mich auch sehr wundern, wenn sie das wäre, weil woher soll das jetzt kommen? Das wäre schon sehr beeindruckend. Das ist überhaupt nicht erwartet und ein Stück weit muss man dann, das hat meine Ausbilderin damals immer gesagt, ist ja auch das Schöne, verurteilen muss man ja zum Glück kein als Referendar, sondern da geht es eben darum, dass man plädiert und dass man das auch vernünftig und gut macht.

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Kristin Becker:

Aber wenn man da jetzt mal eine Kleinigkeit übersehen hat im Plädoyer, dann wird das von der Richterin oder dem Richter eben am Ende auch notfalls korrigiert und das ist ja auch überhaupt nicht wild. Da kann ich auch immer sagen, auch den Verteidigerinnen oder den Verteidigern rutscht im Plädoyer mal was durch oder sie vergessen was oder sie, wie auch immer, das nimmt sich nicht so viel, das ist völlig menschlich.

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Kristin Becker:

Passiert mir auch, mir im Idealfall nicht so oft, weil ich dann ja tatsächlich ein Urteil spreche, aber das ist total normal und da muss sich keiner Sorgen machen. Und ich kann auch nur dazu ermutigen, das ist wirklich eine tolle Erfahrung, um mal auch Gerichte von innen zu sehen und auch die anderen Berufsbilder zu sehen.

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Kristin Becker:

Es ist dann ja so, dass man eben da auch, das ist ja das Besondere daran, anders als wenn man bei einem Strafgericht zugeteilt ist und da bei einem Ausbilder oder einer Ausbilderin hat man hier ja die Möglichkeit, verschiedene Gerichte und verschiedene Richterpersönlichkeiten zu sehen. Und das ist natürlich Gold wert, um sich auch so ein Bild zu machen, wie kann ich den Richterberuf eigentlich ausfüllen von der Persönlichkeit her.

1:00 Min
Kristin Becker:

Also tolle Sache. Ich finde das immer wieder gut.

32:44 Min
Marc:

Dann vielen herzlichen Dank, dass du hier dazu beigetragen hast, eine dieser Richterpersönlichkeiten ein kleines bisschen ins Rampenlicht, ins kleine Rampenlicht zu stellen und vor allem aber auch diesen vielseitigen Beruf aus deiner Perspektive hier dem juristischen Nachwuchs zu schildern. Danke.

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