Dr. Annika Bleier, Associate
Verfassungsrecht - Menschenrechte - ESG - Nachhaltigkeit - Künstliche Intelligenz (KI) - Zugang zum Recht - Legal Empowerment - Rechtsstaat - Wirtschaftskanzleien - Bundesverfassungsgericht - EGMR - Verfassungsbeschwerde - Rechtsprechung - Adressatenorientierte Kommunikation - Legal Tech
Rechtsmarkt-Impuls Teil 8 mit ESG-Expertin Dr. Annika Bleier: Wie kann der Zugang zu Recht durch KI verbessert werden? Welche Rolle spielen Wirtschaftskanzleien bei ESG-Themen? Inwieweit spielt Verfassungsrecht hier mit hinein? Wie könnte die Recherche in Rechtsprechung des EGMR und Bundesverfassungsgerichts verkürzt werden? Wie gelingt adressatenorientierte Kommunikation im modernen Rechtsstaat? Viel Spaß mit diesem kurzen Impuls zum Samstag!
Viel Spaß 🎉 und vielen Dank für Euer Feedback! 🙏🏼
KI kann bei der Zusammenstellung und Auswertung von Rechtsprechung helfen, Arbeitszeit drastisch reduzieren und dadurch die Kosten für Verfassungsbeschwerden senken – das würde den Zugang zum Recht enorm erleichtern.
KI-basiert und kann Fehler enthalten.
Marc hier, hi, nur eine kurze Hausmitteilung, bald gibt es wieder IMR live und zwar am Donnerstag, den 4. April bei YPOG in Berlin. Da sprechen wir mit Dr.
Annika Patz zum Thema Rechtsanwältin in der Krypto- und Fintech-Szene zu sein und das ist super spannend. Das Schöne an so einem Live-Podcast ist, dass ihr dort selber Fragen einreichen könnt. Also während ihr im Publikum sitzt, landen die Fragen sozusagen direkt in der Aufnahme mit Annika.
Also meldet euch an, irgendwasmitrecht.de slash live. Nochmal für alle, 4. April, YPOG in Berlin, irgendwasmitrecht.de slash live. Den Link findet ihr auch nochmal in den Shownotes.
Nach dem Podcast gibt es natürlich auch nochmal Gelegenheit, mit der Kanzlei ein bisschen zu quatschen bei einem Getränk und bei einem kleinen Snack. Ich freue mich, viele von euch persönlich in Berlin zu sehen. Bis dann, ciao.
Herzlich Willkommen zu einer neuen Episode IM Rechtsmarkt im Rechtsmarkt zusammen mit der Bucerius Law School. Wir besprechen hier ja die aktuellen Trends im Rechtsmarkt basierend auf der Bucerius Roadshow 2023. Und eine sehr spannende Person, die damals dabei war und auch heute hier im Podcast ist, ist Dr. Annika Bleier. Hallo Annika.
Hallo Marc, freu mich hier zu sein.
Annika, was machst du in a nutshell?
In a nutshell, ich bin Rechtsanwältin für Verfassungsrecht und Menschenrechte, also vor allem EMRK-Recht bei der Kanzlei GVW Grafenrhein-Westfalen und Head of ESG and Sustainability. Ich kümmere mich also um die externe Nachhaltigkeitsberatung unserer Kanzlei und um unsere eigenen Nachhaltigkeitsthemen.
Oh, den Pitch haben wir vorher nicht geübt, der ist gut.
Schon ein paar Mal gehalten.
Was hat denn das ganze ISG-Thema und Nachhaltigkeit mit Verfassungsrecht zu tun? Was hat das mit Wirtschaftskanzlei, Klammern, Fragezeichen, zu tun? Wie hängt das alles so zusammen, wenn man jetzt, ich sag mal, aus dem Studium oder Referendariat da drauf blicken würde?
Eine große Frage zum Einstieg. Also für mich, ich kann ja da nur meinen eigenen Werdegang oder meinen eigenen Weg beschreiben, hat es deshalb viel miteinander zu tun, weil ich mich schon seit meinem Studium und seit der Schulzeit gefragt habe, was kann Recht eigentlich für Menschen tun? Was ist die Rolle des Rechtsstaats? Wie organisiert sich eine Gesellschaft in einer Demokratie? Und wie können wir möglichst so zusammen leben, dass es allen Menschen gut geht, insbesondere auch Minderheiten? Und wie werden Themen beachtet, die vielleicht einfach nicht so einen wirtschaftlichen Wert haben? Und so bin ich zum Verfassungsrecht gekommen, zu Menschenrechten, habe darüber promoviert und bin so auch bei GVW eingestiegen.
Und das ist wirklich ein Herzensthema, dabei vor allem das Thema Zugang zum Recht und ich sage jetzt mal Legal Empowerment im Bigger Picture. Und ich habe aber schon früh gemerkt, dass eben die Frage des nachhaltigen Wirtschaftens immer mehr eine Rolle spielt.
Und ich habe zu Business and Human Rights promoviert. Und ich glaube, dass Wirtschaftskanzleien, das war ja auch ein Teil deiner Frage, wie ich es rausgehört habe, eine große Rolle spielen können bei dem Thema, weil wir im Gegensatz zu ganz vielen anderen Themen, die die Wirtschaft so umgetrieben hat in den letzten Jahrzehnten, beim Thema Nachhaltigkeit auch Teil des Spiels sind.
Wir sind Teil der Wirtschaft, wir gehören zur Transformation und wir müssen sie sowohl mitgestalten als auch selbst durchleben.
Ja, jetzt hast du schon relativ viel von dem, was wir hier besprechen, heute angestoßen zumindest. Nämlich die Frage, wie kann KI den Zugang zum Recht verbessern? Und zwar jetzt nicht unbedingt in diesem typischen Fall, den wahrscheinlich viele Zuhörende kennen. Verbraucherrecht, Dieselskandal oder irgendwie private Krankenversicherungen, wo Beiträge zurückgefordert werden sollen, sondern etwas in diesen gerade genannten Kontexten, in denen du dich bewegst.
Was bedeutet denn eigentlich Zugang zum Recht genau und welche Probleme gibt es in dem Zusammenhang? Denn ich sage mal, es muss ja erstmal irgendeine Grundkonstellation geben, wo uns KI 2024 und darüber hinaus helfen könnte.
Ja, Zugang zum Recht, wenn man sich fragt, was bedeutet das und das sehr streng juristisch vielleicht auch sieht, wäre es ja auf der einen Seite auf jeden Fall Zugang zum System Rechtsstaat, also zu den Institutionen, zu Gerichten, zu Behörden, Zugang zu einer Rechtsberatung, zu einem Anwalt, anwaltliche Vertretung im Strafprozess, wenn vorgesehen, das kann darunter verstanden werden. Es kann aber auch verstanden werden, und so verstehe ich es persönlich, als Legal Empowerment.
Das heißt, die Befähigung, überhaupt Teil des Systems Rechtsstaat zu werden, soziale Teilhabe am System Rechtsstaat. Was bedeutet, ich brauche Wissen, ich brauche Informationen, um mich überhaupt beteiligen zu können. Ich muss mich mündig Und das ist, finde ich, auch eine Aufgabe des Rechtsstaats, damit Leute überhaupt über ihre und von ihren Rechten wissen und diese in Anspruch nehmen können.
Weil wir aufgrund von hohem Herrschaftswissen traditionell, ich würde sagen leider, sozusagen eine gewisse Gap haben, dass manche überhaupt nicht wissen, was ihnen auch zustehen könnte.
Genau und das sieht man sozusagen in Privatrechtsverhältnissen natürlich, also in privaten Streitigkeiten. Da gibt es jetzt zunehmend auch natürlich in Bezug zu KI und Legal Tech neue Anbieter auf dem Markt, wo es darum geht, Mietansprüche durchzusetzen oder Entschädigungen bei Fluggastrechten. Das ist sozusagen im Privatrechtsverhältnis.
Es geht aber ja auch um Rechte beispielsweise im Verhältnis zur öffentlichen Hand. Also bei einem Bescheid, den man bekommt. Weiß ich da überhaupt, was zu tun ist? Natürlich gibt es sowas wie eine Widerspruchsbelehrung in einem Bescheid, der vielleicht von der Behörde kommt und zugestellt wird.
Aber weiß ich jetzt wirklich, kann ich damit wirklich was anfangen, wenn ich noch nie davor mit diesem Kontext in Berührung gekommen bin? Oder weiß ich zum Beispiel von meinen Grundrechten? Das bemerke ich als Verfassungsrechtlerin ganz oft. Wir kommen ja relativ spät in einem Verfahren hinzu, weil wir eigentlich ja erst, wir sind ja noch nicht mal zur Instanz, sondern die letzte Möglichkeit, wenn es um eine Grund- und Menschenrechtsverletzung geht, ist beim Verfassungsgericht und beim EGMR.
Und bis dahin wurde sich oft noch nie über Grund- und Menschenrecht unterhalten, obwohl das vielleicht in dem Verfahren eine große Rolle gespielt hätte. Und da merken wir einfach, dass sozusagen das Wissen weder bei den Betroffenen da ist in ausreichendem Maße, noch aber, dass sich sozusagen auch selbst Anwälten fehlt, manchmal zum Beispiel verfassungsrechtliche Expertise, wo es aber notwendig wäre.
Und da glaube ich, bei diesem Informations- und Wissensthema kann KI ganz, ganz tolle Unterstützung leisten.
Lass uns da mal ein bisschen brainstormen gemeinsam. Wir haben natürlich einen vorbereiteten kleinen Fragenkatalog immer in diesen Podcast-Folgen. Wir gehen jetzt mal komplett off-script, weil ich das spannend finde und wir gucken mal, was dabei rumkommt.
Also wir nehmen mal die, übrigens nein, das ist hier sonst nie gescriptet, ich meine mit off-script die drei, vier, fünf Fragen, die wir vorbereitet haben, legen wir mal kurz zur Seite, weil ich finde den Case spannend. Also wir haben Grundrechte als Beispiel, was du gerade genannt hast.
Die sind niedergeschrieben im Grundgesetz und es ist ein relativ abstrakter Text, zumal ja gerade die Grundrechte durch viel Rechtsprechung auch erläutert, genauer ausformuliert wurden und als Jurist kennt man so das ein oder andere, aber als normaler Bürger ist man davon natürlich ziemlich weit weg.
Absolut.
Wenn wir jetzt so einen Design Thinking Workshop machen würden zum Thema Grundrechte für Bürger mit Hilfe von KI, was für Produkte oder Zugangsmöglichkeiten, Möglichkeiten das zugänglich zu machen, so rum besser, fallen dir da ein?
Also ich glaube, dass einfach Grundrechte, wie du es gesagt hast, sind ziemlich abstrakt formuliert, müssen sie auch sein, weil sie müssen ja für eine Vielzahl von Fällen gelten. Und in der Historie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat man aber zum Beispiel gesehen, wie sich ein Grundrecht der Versammlungsfreiheit oder des Gleichheitsgrundsatzes, wie sehr dieses Grundrecht belebt, gelebt und weiterentwickelt wird durch Entscheidungen der Verfassungsgericht oder des obersten Bundesverfassungsgerichts.
Und diese Informationen beispielsweise, die sammeln wir auch, wenn wir uns auf eine Verfassungsbeschwerde vorbereiten. Ehrlicherweise recht mühsam zusammen. Mir als Anwältin würde es extrem helfen, würde ich diese gesamte Rechtsprechung zu einem bestimmten Grundrecht und zu einer ganz speziellen Frage innerhalb dieses Grundrechtsanwendungsbereichs zusammengestellt bekommen und ausgewertet bekommen durch KI.
Das dauert bislang, wir haben ja vier Wochen Frist beispielsweise beim Verfassungsgericht, das könnte sozusagen die eine Woche oder eineinhalb Wochen, wo wir erstmal vor allem recherchieren und raussuchen und überlegen, was hat das Bundesverfassungsgericht dazu bislang gesagt, was hat der EGMR zu dem Thema bislang gesagt. Wenn wir das einfach innerhalb von wenigen Minuten zur Verfügung gestellt bekämen, würde dadurch insbesondere meine Arbeit erleichtert werden.
Ich könnte mich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, nämlich den ganz konkreten Fall, den ich jetzt vor mir habe. Auf der anderen Seite könnte es aber auch zum Beispiel dazu beitragen, dass die Arbeitszeit von eineinhalb Wochen. Auf vielleicht zwei, drei Stunden, wo ich das nachvollziehe, reduziert wird und es hätte eine erhebliche Kosteneinsparung zur Folge.
Verfassungsbeschwerden sind sehr, sehr teuer in der Regel, wenn man sie macht, weil man vier Wochen nonstop Zeit rein investiert. Das heißt aber auch, dass sozusagen jemand, der eine Verfassungsbeschwerde erheben möchte, eventuell sehr viel Geld aufbringen muss, um diese zu finanzieren.
Also das wäre zum Beispiel ein ganz toller Faktor. Oder auch, dass man die Menschen, weg von meiner andeutlichen Tätigkeit als Produkt gedacht, über die Grundrechte informiert. Er sagt, was bedeutet das denn eigentlich? Was bedeutet denn Versammlungsfreiheit? Wie kann die gelebt werden? Was bedeutet sie vielleicht dem Guten? Und was müssen wir aber auch akzeptieren, was uns vielleicht manchmal stört, wenn wir durch die Stadt fahren und jetzt momentan überall Traktoren stehen? Es ist toll, dass es das Recht gibt und was bedeutet das? Und ich glaube, wir müssen den Rechtsstaat erlebbarer machen und ich glaube, Informationen zur Verfügung stellen und sammeln ist dafür ganz zentral.
Und zwar in einer, und das wäre die zweite, der dritte Anwendungsbereich ja schon, der dritte Anwendungsbereich in einer Sprache, du hast über Design Thinking gesprochen, die jeder verständlich ist, nicht in der Rechtssprache des Gerichts.
Und da sehe ich einen riesigen Anwendungsfall, vor allem auch, wenn man mal auf wirklich das Generative in generativer KI abstellt. Denn, ich sag mal, das eine, der erste Case, den du gerade beschrieben hast, das ist ja sozusagen eine sehr, sehr gute Suche.
Die kann man vielleicht sogar ohne KI lösen, technisch gesehen jetzt. Wäre aber gut, wenn man sie hätte, weil dann könnte sich schon mal was zusammenfassen und so weiter. Also, ja, Details.
Das heißt, der zweite und dritte Case jetzt gerade, wenn wir die mal zusammenfassen, adressatenorientierte Kommunikation, das wird natürlich durch KI massiv ermöglicht, denn ich stelle mir so etwas Nettes vor wie Step 1 ist fertig, wir haben das jetzt mal alles zum Thema Versammlungsfreiheit zusammengefasst, was man gerade zu dem konkreten Case wissen muss. Macht man es erstmal kanalbezogen, dass man sagt, okay, das brauche ich jetzt als WhatsApp-Newsletter, das brauche ich als E-Mail-Newsletter, das brauche ich als LinkedIn-Post und das brauche ich als längere Mandanten-E-Mail und das brauche ich nochmal für eine Werbebroschüre, die ich zusammen mit irgendeiner Stiftung veröffentlichen möchte zu dem Thema.
Und diese ganzen Drafts fallen dann natürlich super schnell raus und dann kann ich das noch auf Bayerisch machen, auf Jugendsprache und irgendwie auf Hochdeutsch, habe aber immer eine höhere Chance, dass mein Adressat sich auch damit auseinandersetzt. Das wäre doch toll, oder?
Ja, das wäre super. Das wäre super vor allem, weil ich hoffe, dass das auch den Zugang erleichtern würde so vom Verständnis, weil ich habe den Eindruck bei, gerade auch bei jüngeren Menschen oder in Schulen, wo das Thema zumindest in meiner Schulzeit quasi nicht präsent war, also im Verhältnis zu anderen Themen. Ich glaube, da hilft es, wenn eine Sprache gewählt wird, die mich halt anspricht, die ich verstehe.
Nicht in komplexen Sätzen, sondern wo ich sofort eine Verbindung zu mir selber auch ziehen kann. Übrigens ein weiterer Anwendungsbereich, das ist vielleicht dann eher, das muss auch nicht unbedingt eine KI liefern, kann aber auch hilfreich sein, ist natürlich auch die zur Verfügung stellen der Information in anderen Sprachen.
Also ich habe das im Zuge des Ukraine-Krieges und der Hilfsmaßnahmen, die wir dann alle versucht haben, schnell auf die Beine zu stellen, gesehen, dass das Hauptproblem war, dass viele Informationen, gerade die ganzen Behörden schreiben, die Zugänge zu den Institutionen und zu den Informationen, die ich erstmal bräuchte. Wo kann ich denn Gelder beantragen? Wie kann ich denn meine Kinder in die Schule schicken? Wohin muss ich denn da überhaupt, dass man das auf allen Sprachen zur Verfügung stellt? Und das sollte heutzutage einfach gar keine Frage mehr sein.
Und ich glaube, der Hintergedanke, und das ist, finde ich, das Tolle, was dieses Thema uns ermöglicht, meine Wunschvorstellung von Rechtsstaat ist, dass jeder Mensch in Deutschland daran partizipieren kann. Und das bedeutet, auf allen Sprachen muss es zur Verfügung gestellt werden und jeder sollte seine Rechte kennen und die Möglichkeit empfinden, für seine eigenen Rechte auch einstehen zu können.
Und ich glaube, dafür müssen wir viel mehr Informationen über den Rechtsstaat, über eigene Rechte zu den Menschen bringen, die damit einfach sonst nichts zu tun haben.
Das war ein wunderbares Schlusswort. Vielen herzlichen Dank, Annika, für diesen spannenden Impuls.
Sehr, sehr gerne.
Tschüss.
Tschüss.