Ich stamme aus einer Gastarbeiterfamilie. Jura erschien mir als solide Eintrittskarte in die bürgerliche Mitte: gesellschaftlich anerkannt, finanziell sicher und breit einsetzbar. Geschichte oder Politik hätten mich mehr gereizt, aber mit achtzehn wollte ich vor allem beweisen, dass jemand wie ich hier wirklich dazugehört. Das Examen sollte sichtbar machen, dass ein türkischer Arbeitersohn es „geschafft“ hat.

Neben großen Namen wie Isensee oder Tomuschat haben mich gerade die damals jungen Lehrstühle beeindruckt: Borg, Kindhäuser, Kindhäuser besonders. Trotz überfüllter Hörsäle nahm er sich Zeit für jede Frage. Seine Begeisterung zeigte mir, dass Strafrecht mehr ist als Normen – es geht um Menschen. Diese Haltung begleitet mich noch heute.

Nach Jahren Politik- und Wirtschaftserfahrung suchte ich echte Sinnhaftigkeit. Als 2011 eine NSU-Hinterbliebene mich ansprach, nahm ich ihr Mandat an – obwohl ich praktisch kein Strafrecht mehr präsent hatte. Das Thema Menschenwürde packte mich sofort; seitdem habe ich alles andere zurückgefahren und mich ganz dem Strafrecht verschrieben.

In meinem Familienbuch schildere ich Migrationserfahrungen. Eine Tochter eines Mordopfers las es und sagte: „Bei Ihnen muss ich nichts erklären.“ Genau dieses Vertrauen verschaffte mir das Mandat. Literatur wurde so zur Brücke zwischen biografischem Verständnis und juristischem Engagement – eine Chance, Versäumnisse der Vergangenheit wiedergutzumachen.

Strafrecht ist angewandte Grund- und Menschenrechtspolitik. Nirgendwo greift der Staat härter in Leben und Freiheit ein. Gleichzeitig können Opfer nur dort ihr Leid artikulieren. Diese doppelte Front – Angeklagte und Geschädigte schützen – fordert Kopf und Herz gleichzeitig. Das reizt mich jeden Tag.

Als Halit Yozgats Vater auf dem Gerichtsboden lag, die Position seines erschossenen Sohnes nachstellte und flüsterte „So fand ich mein Lämmchen“, brach mir innerlich etwas. Über ihm saßen Richter und Zschäpe. In diesem Bild verdichteten sich Schmerz, Schuld und staatliche Verantwortung – ich musste danach lange schweigen.

Ohne konsequenten Grundrechtsfokus verkommt Recht zu bloßer Verwaltung. Strafprozesse entscheiden über Freiheit oder Haft, über gesellschaftliche Anerkennung der Opfer. Menschenrechte sind deshalb keine hübsche Dekoration, sondern das Korrektiv, das Gerechtigkeit überhaupt erst ermöglicht – der eigentliche Unterschied zwischen Jurist und bloßem Regelanwender.

Ein kurzer Prozess ist fast immer ein schlechter Prozess. Zehn Morde, fünfzehn Raubüberfälle, zwei Bomben – das klärt man nicht im Schnelldurchlauf. Effizienz ist kein Wert an sich; erst wenn alle Fragen gestellt wurden, entsteht gesellschaftliche Befriedung. Länge schützt Rechte von Angeklagten und Opfern gleichermaßen.

Ich wusste mit zwanzig, dreißig und sogar fünfzig nicht, „was ich einmal werde“. Wichtig ist, offen zu bleiben, Neugier zu kultivieren und Entscheidungen nicht aus Angst zu treffen. Wege ergeben sich, wenn man Begeisterung zulässt und Fehler als Umweg, nicht als Scheitern sieht.

Früher trieb mich Anerkennung an – der Wunsch, es allen zu beweisen. Heute reizt mich Sinn: Fälle, bei denen mein Tun spürbar etwas verändert. Erfolg messe ich daran, ob ich abends sagen kann: Das war wichtig, und es fühlte sich richtig an.