IMR11824. Jan 22
IMR118: Jurist bei der Europäischen Kommission in Brüssel, Internationales Privatrecht, Zwangsvollstreckungsrecht

IMR - Original

IMR118: Jurist bei der Europäischen Kommission in Brüssel, Internationales Privatrecht, Zwangsvollstreckungsrecht

Dr. Andreas Stein, ÖD | Europäische Kommission

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Über diese Episode

Folge 118 Deines Jurapodcasts zu allen Karriere- und Examensthemen

Europäische Kommission - Brüssel - Ziviljustiz - Arbeitsgerichtsbarkeit - Internationales Privatrecht (IPR) - Insolvenzrecht - Grenzüberschreitende Verfahren - Zuständigkeit - Anwendbares Recht - Vollstreckung - Anerkennung von Urteilen - Gesetzgebung EU - Harmonisierung - EuGH - Wahlstation EU - Verwaltungsstation EU - Brüssel I Verordnung - Brüssel II Verordnung - Unterhaltsverordnung - Erwachsenenschutzrecht - Betreuungsrecht - Hague Private International Law Conference - Vorabentscheidungsverfahren

In der heutigen Folge Irgendwas mit Recht spricht Marc mit Dr. Andreas Stein zu seiner Tätigkeit als Arbeitsrichter und nunmehr als Jurist bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Er leitet dort das Referat für Ziviljustiz in der Generaldirektion. Dort beschäftigt er sich mit Fragen des internationalen Privat- und Insolvenzrechts. Das Gespräch gibt euch spannende Einblicke in die juristische Tätigkeit auf europäischer Ebene: Wie läuft das Bewerbungsverfahren bei der europäischen Kommission in Brüssel ab? Mit welchen konkreten Fragen beschäftigt Dr. Stein sich momentan in seinem Berufsalltag? Wie kommt eigentlich eine Verordnung zustande? Zuletzt gibt Dr. Stein wertvolle Tipps, wie ihr selbst z.B. eine Wahlstation im Rahmen des Referendariats bei der Europäischen Kommission ergattern könnt. Viel Spaß!

Kapitel:

  • 01:00 - Intro
  • 01:11 - Vorstellung Dr. Andreas Stein
  • 02:24 - Persönlicher Werdegang
  • 07:15 - Besonderheiten der Arbeitsgerichtsbarkeit
  • 10:58 - Bewerbungsverfahren in Brüssel
  • 14:20 - Tätigkeit bei der europäischen Kommission
  • 16:02 - Rechtsgebiet IPR
  • 21:57 - Wie kommt eine Verordnung zustande?
  • 24:52 - Aktuelles im Zwangsvollstreckungsrecht
  • 29:53 - Bewerbungstipps

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Andreas Stein

Andreas Stein

Kapitel

  • 00:01:00.351Intro
  • 00:01:11.033Vorstellung Dr. Andreas Stein
  • 00:02:24.723Persönlicher Werdegang
  • 00:07:15.331Besonderheiten der Arbeitsgerichtsbarkeit
  • 00:10:58.308Bewerbungsverfahren in Brüssel
  • 00:14:20.087Tätigkeit bei der europäischen Kommission
  • 00:16:02.887Rechtsgebiet IPR
  • 00:21:57.818Wie kommt eine Verordnung zustande?
  • 00:24:52.485Aktuelles im Zwangsvollstreckungsrecht
  • 00:29:53.676Bewerbungstipps

Über Europäische Kommission

Die Europäische Kommission ist die Exekutive der Europäischen Union und damit eine supranationale Verwaltung, deren Kern in Brüssel sitzt; kleinere Dienststellen finden sich u. a. in Luxemburg und eine Vertretung in Berlin. Rund 32.000 Beschäftigte – darunter viele Juristinnen und Juristen – arbeiten hier.

In über 30 Generaldirektionen entwirft die Kommission Gesetzesinitiativen, überwacht die Einhaltung des Unionsrechts und vertritt die EU vor Gericht. Wer hier einsteigt, prägt europäische Politik unmittelbar, arbeitet in internationalen Teams und nutzt täglich mehrere Sprachen.

Wie der Arbeitsalltag dabei aussieht und welche Wege in diese Institution führen, erfahrt ihr in unserer Podcast-Episode. Hört doch gleich mal rein und lasst euch für eine Karriere auf europäischer Bühne inspirieren!

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„Ich wollte nie Beamter werden, war überrascht, hier gelandet zu sein. Aber dieser Beruf ist herausfordernd und spannend – ein Umweg, den ich jedem Referendar empfehlen würde, der noch offen für Neues ist.“

Sneak Peak – Q&A mit Andreas Stein

Transkript

KI-basiert und kann Fehler enthalten.

0:00 Min
Marc Ohrendorf:

Falls du noch nicht dazu gekommen bist, dann hör dir die Folge von letzter Woche an, in der ich mit Juliane und Thomas spreche. Beide sind im Bereich Corporate als Anwältin bei Kirkland & Ellis in München tätig.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Was sind eigentlich Private Equity Transaktionen? Wahlstationen in Indien, wie bitte? Die beiden erzählen spannende Geschichten aus ihrem Werdegang und geben Einblick in ihren Arbeitsalltag bei Kirkland & Ellis. Kirkland & Ellis ist eine internationale Wirtschaftskanzlei mit mehr als 3000 Anwältinnen weltweit.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Die Kanzlei ist regelmäßig an den größten nationalen und internationalen Transaktionen und Restrukturierungen beteiligt. Was die Arbeit bei Kirkland so besonders macht, wie ein typischer Tag im Corporate Department der Kanzlei aussieht und alles, was du zum Einstieg in der Münchner Einheit der Großkanzlei wissen musst, das alles und noch vieles mehr erfährst du in der vorherigen Episode.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Wenn dich anschließend die Neugierde packt und dir selber ein Bild machen möchtest, dann bewirb dich unter karriere-at-kirkland.com oder schau mal in den entsprechenden Links in den Shownotes vorbei. Vielen Dank an Kirkland und Alice für die Unterstützung dieser Folge und nun viel Spaß.

1:03 Min
Music:

1:25 Min
Andreas Stein:

Hallo.

1:26 Min
Marc Ohrendorf:

Herr Stein, wir sitzen hier gerade mitten in Brüssel, haben es glücklicherweise trotz Covid hinbekommen, uns heute mal persönlich zu treffen und wir sind schon länger im Austausch, weil Sie einen sehr interessanten Beruf bei der Europäischen Kommission haben, worüber wir heute mal sprechen möchten. Vielleicht so als kurzer Teaser vorneweg und dann nähern wir uns mal der Frage, wie Sie da hingekommen sind.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Was machen Sie hier?

1:50 Min
Andreas Stein:

Ja, also ich bin hier in der Generaldirektion für Justiz. Das ist vielleicht das Gegenstück zum Justizministerium in Deutschland, also der Bereich der Kommission, der sich mit Justizpolitik befasst und leite dort das Referat für Ziviljustiz. Das heißt praktisch, wir machen hauptsächlich Dinge im internationalen Privatrecht und haben noch so eine Annexkompetenz für materielles Insolvenzrecht, dass wir versuchen auf europäischer Ebene etwas zu harmonisieren.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also das sind so die beiden Hauptaufgaben, mit denen wir uns hier befassen.

2:19 Min
Marc Ohrendorf:

Okay, da müssen wir nachher ein kleines bisschen näher zu sprechen. Wie sind Sie hier hingekommen? Warum haben Sie ursprünglich mal Jura studiert? Wie fing sozusagen Ihre Karriere an?

2:29 Min
Andreas Stein:

Also Jura studieren ist eine schwere Frage. Ich bin von Hause aus Zauderer und war überhaupt nicht sicher, was ich studieren sollte. Habe dann auch mehrfach hin und her geschwankt. Ich habe mich dann irgendwann für Jura entschieden, wie das ja viele tun, so ein bisschen nach einer Negativ auslese und habe aber am letzten Tag der damaligen Bewerbungsfrist nochmal in Dortmund damals bei der ZVS gestanden und wollte noch eine andere Bewerbung für VWL einwerfen und bin dann extra da hingefahren, weil es der letzte Tag war.

1:00 Min
Andreas Stein:

Habe es dann aber nicht über mich gebracht, die Bewerbung dort tatsächlich einzuwerfen und bin so bei Jura geblieben. Aber trotz meiner Zauderereigenschaften ist das eine Entscheidung, die ich eigentlich nie bereut habe. Also mit meiner Ausbildung und meinem Beruf bin ich rundum zufrieden.

3:12 Min
Marc Ohrendorf:

Wussten Sie das dann vielleicht da in diesem Moment schon, als Sie den Brief nicht eingeworfen haben, dass es dann doch Jura sein soll, so rückwirkend? Oder warum haben Sie ihn nicht eingeworfen?

3:20 Min
Andreas Stein:

Da müsste man tiefenpsychologisch einsteigen. Es war einfach Entscheidungsschwäche, glaube ich. Also ich will dem keine größere Bedeutung beimessen. Und es war dann erstmal, probiere ich Jura aus und dann hat es mich dann doch gepackt und ich fand es ganz interessant und ich bin dabei geblieben.

3:35 Min
Marc Ohrendorf:

Wo haben Sie studiert?

3:36 Min
Andreas Stein:

Ich habe in Bonn angefangen, wo ich auch aufgewachsen bin und bin dann nach Freiburg gewechselt, habe dort erstes Staatsexamen gemacht und dann das Referendariat in Hamburg.

3:45 Min
Marc Ohrendorf:

Bonn, Freiburg, Hamburg. Ja okay, da sind Sie ja ganz gut rumgekommen. Wie kam es zu Freiburg? Einfach weil es eine schöne Stadt und lohnt sich? Ja. Ja, machen ja viele, gerade so im juristischen Umfeld.

3:56 Min
Andreas Stein:

Kann ich auch empfehlen.

3:59 Min
Marc Ohrendorf:

Okay, verstehe. Und wann hat es Sie zum ersten Mal juristisch so gepackt, dass Sie sagen, ja, jetzt wusste ich, Jura ist es tatsächlich?

4:07 Min
Andreas Stein:

Also ich habe noch lange gezögert, auch im Studium und nach dem Studium und habe dann nach dem ersten Staatsexamen auch einen Auslandsaufenthalt drangehängt, der bewusst nicht juristisch geprägt war. Das war dann internationale Beziehungen, so ein Postgraduiertenstudium, weil ich mir auch immer noch ein bisschen das Türchen offen halten lassen wollte, meine juristischen Kenntnisse noch zu nutzen, aber vielleicht nicht in den klassischen juristischen Berufen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und ich glaube, als ich dann aber hinterher dann doch gesagt habe, ich mache jetzt Referendariat, da war es dann doch relativ klar, es geht doch eher in die klassisch-juristische Richtung.

4:40 Min
Marc Ohrendorf:

Und promoviert haben Sie dann auch irgendwann noch zwischendurch oder davor, danach, wann war das?

4:44 Min
Andreas Stein:

Nach dem zweiten Staatsexamen, ist ein bisschen untypisch. Ich hatte dann das Glück ein Stipendium zu haben und habe dann in Hamburg nach dem zweiten Staatsexamen und vor dem Berufsbeginn promoviert.

4:54 Min
Marc Ohrendorf:

Zu welchem Thema?

4:55 Min
Andreas Stein:

Völkerrecht war damals ein großes Thema. Humanitäre Intervention, also Intervention zum Schutz von Menschenrechten. Ich war auch nicht der Einzige, der das damals gemacht hat. Das hat mir ein paar... Momente der Panik eingebracht, wenn man dann irgendwelche anderen Publikationen gesehen hat und gedacht hat, oh, na, jetzt ist alles vorbei.

5:12 Min
Marc Ohrendorf:

Naja, meistens geht es ja gut und man hat noch irgendwie eine bestimmte Perspektive oder einen anderen Ansatz, dann passt es doch wieder. Und dann sind Sie von Bonn über Umwege nach Brüssel gekommen oder wie lief das?

5:23 Min
Andreas Stein:

Also ich bin nach dem Examen oder nach dem… Von Hamburg

5:25 Min
Marc Ohrendorf:

Natürlich in dem Fall, dann waren Sie ja in Hamburg, nicht mehr in Bonn.

5:28 Min
Andreas Stein:

Genau, ich habe dann promoviert und habe dann irgendwann ein Kind erwartet mit meiner Frau zusammen und wusste, es muss jetzt eine andere Geldquelle her und habe mich dann beworben und nicht nach Brüssel, das hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm, sondern so die klassischen Geschichten. Ich habe mich dann bei Anwaltskanzleien beworben und als Richter, weil ich auch da nicht wusste, wo es genau hingehen soll.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und habe dann einen Job als Amtsrichter in der Metropole Meldorf in Schleswig-Holstein bekommen, wo ich sechs Monate geblieben bin und dann ans Arbeitsgericht Bremen gewechselt.

6:03 Min
Marc Ohrendorf:

Und dann haben Sie Hamburg, Bremen gependelt.

6:06 Min
Andreas Stein:

Genau.

6:07 Min
Marc Ohrendorf:

Und da sind Sie aber nicht geblieben.

6:09 Min
Andreas Stein:

Nee, das war ein super Job. Also ich war wahnsinnig gerne Arbeitsrichter und empfehle das auch jedem, der mich fragt. Also ich bin das nicht deswegen nicht mehr, weil ich es nicht mochte. Ich mochte es wahnsinnig gerne.

1:00 Min
Andreas Stein:

Es war nur so, dass die damals einen Richter mehr hatten als Planstellen und die mussten immer jemanden wegorganisieren für zwei Jahre. Und das passierte normalerweise als Bundesarbeitsgericht, wo ja Richter als wissenschaftliche Assistenten abgeordnet werden, was auch karrieremäßig gar keine schlechte Sache ist, wenn man da gut ankommt.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und ich hatte in demselben Zeitraum dann aufgrund eines Hinweises einer Freundin, die sagte, in Brüssel läuft gerade so ein Konkur, so ein Auswahlverfahren für Beamte der Kommission. Ich habe gesagt, das kann ich ja mal machen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Ich sitze ja viel im Zug zwischen Hamburg und Bremen, dann bereite ich mich darauf vor. Das hat dann geklappt und ich fand das dann damals spannender, als zwei Jahre nach Erfurt zu gehen, zwei Jahre nach Brüssel zu gehen und mal was ganz anderes zu machen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und bin dann hier, und das ist ja auch so eine klassische Geschichte, hängen geblieben. Also das wurde dann erst verlängert und irgendwann habe ich dann sehr schweren Herzens gesagt, ich verzichte auf mein Rückkehrrecht ins Richteramt und bleibe hier.

7:14 Min
Marc Ohrendorf:

Interessant. Dann sollten wir diese Perspektive aber noch kurz mitnehmen. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist ja schon auch eine eigene Gerichtsbarkeit mit ihren eigenen Regeln. Was zeichnet die denn aus Ihrer Sicht aus und warum finden Sie den Beruf spannend? Warum empfehlen Sie das?

7:28 Min
Andreas Stein:

Also ich habe ja die beschränkte Erfahrung auch als normaler Zivilrichter, als ich in Schleswig-Holstein war. Und die Arbeitsgerichtsbarkeit ist schon besonders, weil es herrscht eine andere Gesprächskultur. Also man hat ja schon mal diese Güteverhandlungen, wo die Leute immer erst mal hinkommen, bevor man anfängt streitig zu verhandeln, um zu schauen, ob man sich irgendwie vergleichen kann.

1:00 Min
Andreas Stein:

Es herrscht eine sehr hohe Vergleichskultur. Das heißt, man bekommt viele Einigungen in diesen Güterterminen schon hin. Wenn es dann weitergeht und streitig wird, dann hat man auch mehr Zeit. Also ich weiß noch, am Zivilgericht, da waren die Termine teilweise sehr eng getaktet.

1:00 Min
Andreas Stein:

Man lässt so die Anwälte ihre Anträge formulieren, dann macht man ganz kurz irgendwas und dann wird die Verhandlung geschlossen und man hat da oft nicht mehr als eine Viertelstunde. Beim Arbeitsgericht wird wirklich verhandelt und es gab also keine Termine, die kürzer als eine Stunde waren, wenn dann streitig verhandelt wurde.

1:00 Min
Andreas Stein:

Das heißt, so ein richtiges Rechtsgespräch hat da stattgefunden, was ich sehr angenehm fand. Eine andere Besonderheit ist, dass man diese ehrenamtlichen Richter dort hat, also was auch ganz schön ist, weil man anders als im Zivilgericht zwar immer der Chef im Ring ist und nicht wie beim Landgericht dann in einer Kammer sitzt, wo man vielleicht auch mal schwierige Partner hat, sondern man ist immer der einzige Berufsrichter.

1:00 Min
Andreas Stein:

Man hat aber diese Ehrenamtlichen von der Gewerkschaftsseite und der Arbeitgeberseite und im Arbeitsrecht haben die wirklich was beizutragen, weil es zwar keine Juristen sind, aber die kennen die Realitäten vor Ort und können das sehr gut einschätzen und das ist auch eine Geschichte, die ich immer als sehr interessant empfunden habe.

8:59 Min
Marc Ohrendorf:

Mhm, verstehe. Das heißt, man könnte vielleicht so ein kleines bisschen sagen, dass beim normalen Zivilgericht die Verhandlung noch mehr so vom Prozess geprägt ist, so der Richter muss da so durchleiten und dann kommt die nächste Verfügung und irgendwann ist dann hoffentlich der Fall auch beendet, während es vielleicht am Arbeitsgericht auch materiell noch mehr Verhandlungen gibt. Also dass man wirklich auch, ich sag mal, man kann jetzt nicht sagen Kuhhandel, aber Sie wissen, was ich meine, dass es wirklich auch in der Sache mehr hin und her geht, Austausch von Argumenten, Positionierungen der Anwälte und am Ende ja meistens, ich weiß nicht genau, wie hoch die Vergleichsquote ist, wir hängen mal noch eine Statistik hier in die Shownotes, was aktuell ist, aber dass ja wahrscheinlich auch am Ende es meistens um Geld geht und da dann einfach so ein bisschen geguckt wird, wo kann man sich einigen, oder?

9:46 Min
Andreas Stein:

Ja, ich glaube schon, dass diese Gesprächskultur auch darauf herkommt, dass die Parteien und die Anwälte eben oft darauf hinsteuern, dass man sich am Ende vielleicht doch einigen muss. Weil in einer klassischen Situation, Kündigungsschutzklage, das macht ja einen sehr hohen Prozentsatz der Fälle aus, weiß, wenn der Arbeitgeber diese Person nicht mehr haben will, selbst wenn man den Prozess gewinnt, sieht die Zukunft zweifelhaft aus, weil man dann ja dort wieder hin muss.

10:12 Min
Marc Ohrendorf:

Dann werden beide nicht glücklich.

10:14 Min
Andreas Stein:

Dass man nicht gewollt wird und so weiter und so fort. Und manchmal kriegt man sogar das hin in größeren Betrieben, wo man dann vielleicht auch in einen anderen Bereich versetzt werden kann. Aber oft weiß man eben, das wird in der Zukunft so nicht unbedingt funktionieren und man muss irgendeine andere Lösung finden.

1:00 Min
Andreas Stein:

Man muss aber auch die Sache rechtlich sehr detailliert aufbereiten, weil die Leute auch darauf angewiesen sind, das zu wissen, damit sie dann wissen, auf welcher Grundlage sie verhandeln. Also dieser Klassiker, einer will gar nichts, der andere...

1:00 Min
Andreas Stein:

will 100.000, dann eignet man sich bei 50.000, weil es einfach in der Mitte liegt. So einfach laufen die Dinge halt nicht, sondern die Leute wollen vom Richter schon relativ genau wissen, ob er das für aussichtsreich oder für weniger aussichtsreich erhält und deswegen muss man da eben auch top vorbereitet sein.

10:56 Min
Marc Ohrendorf:

– Verstehe. Top vorbereitet sind Sie wahrscheinlich auch dann nach Brüssel gefahren, um dann eine ganz galante Überleitung zu machen.

11:04 Min
Andreas Stein:

Ja, aber sie ist falsch leider. Ich war überhaupt nicht vorbereitet. Mist, schade.

11:09 Min
Marc Ohrendorf:

Aber Sie sind gefahren. Und was haben Sie dann hier, nee, fangen wir anders an. Bevor Sie hier angefangen haben, sind Sie das erste Mal ja vermutlich irgendwo hier nach Brüssel gefahren für das Bewerbungsverfahren. Können Sie darüber ein paar Takte sagen, wie das so lief und vielleicht auch, ich weiß nicht, wie viel Einblick Sie da heute haben, wie das heute so läuft? Weil das interessiert natürlich viele von unseren Zuhörenden auch.

11:29 Min
Andreas Stein:

Ja, also das Verfahren hat sich über die Jahre ziemlich geändert. Ich kann jetzt auch leider keine detaillierte Auskunft darüber erteilen, wie es heute abläuft. Das ist aber ein sehr ausführliches und sehr formalisiertes Verfahren, wo man sich von der Bürokratie nicht unbedingt abschrecken lassen sollte.

1:00 Min
Andreas Stein:

Es gibt garantiert, und das ist auch heute noch so, so einen standardisierten Eingangstest. Multiple Choice. Damals war es so, es gab so vier Teile, einen generellen, was weiß ich über Europa und die EU Teil, einen spezifischen Teil, dann für Juristen eben einen Jurateil und dann so einen IQ-Test Teil mit numerischem verbalen Verständnis.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und ich glaube, das hat sich jetzt nicht so grob verändert. Damals gab es noch zwei weitere Stufen, da musste man einmal dann Essays schreiben, also eine schriftliche Prüfung, wo man tatsächlich Aufsätze schreiben musste und eine mündliche Prüfung, die jetzt also kein Bewerbungsgespräch im eigentlichen Sinne war, sondern mehr so wie eine mündliche Prüfung im ersten und zweiten Status haben.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und das haben sie, glaube ich, inzwischen zusammengefasst und man muss dann ins Assessment Center, also man hat so ein zweitägiges Assessment Center, wo man dann auf Herz und Nieren geprüft wird.

12:34 Min
Marc Ohrendorf:

Macht Sinn, weil man hat ja als Jurist auf dem Weg noch fast keine Prüfung gemacht. Die Leute muss man sich natürlich nochmal genauer anschauen.

12:41 Min
Andreas Stein:

Ja gut. Was soll ich sagen? Ich glaube, wie alle Prüfungsverfahren testet auch dieses Prüfungsverfahren ja nicht unbedingt, wie gut die Leute hinterher im Job tatsächlich sind, sondern eher wie gut sie in der Prüfungssituation performen sozusagen. Und das ist natürlich bei diesen Prüfungen auch der Fall.

12:58 Min
Marc Ohrendorf:

Ja, guter Punkt. Das ist ein wichtiger Unterschied. Und dann sind sie eingestiegen als was und womit haben sie sich dann beschäftigt?

13:05 Min
Andreas Stein:

Ja, also wenn man durch dieses ganze Verfahren durch ist und das betrifft ja meistens zehntausende von Leuten, die sich bewerben. Ich glaube, ich war sogar im größten Auswahlverfahren, das jemals stattgefunden hat mit über hunderttausend Bewerbern, was dann hinterher auf, ich glaube, 350 erfolgreiche Kandidaten hinausgelaufen ist.

1:00 Min
Andreas Stein:

Unglaublich. Und man kommt dann auf eine Liste, die sogenannte Reserveliste, die einen in die Lage versetzt, sich auf Stellen zu bewerben. Manche Leute kennen dann vielleicht schon jemanden hier. Ich kannte niemanden hier und hatte überhaupt keine Ahnung, wie das läuft.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und man muss dann hier so ein bisschen Klinken putzen auch, sich auf Stellen bewerben. Man hat aber gar nicht Zugang zu allen Datenbanken, wo diese Stellen ausgeschrieben sind. Also es ist ein bisschen Kafka-esk manchmal.

1:00 Min
Andreas Stein:

Ich hatte damals das Glück, dass tatsächlich ein Manager von hier, also ein Referatsleiter in diesem IPR-Bereich, sich diese Reservelisten durchgesehen hat und geschaut hat, ob er jemanden findet, den er brauchen kann, weil das gerade im Aufbau war und dann gesehen hat, da ist jemand, der ist Richter. Ich könnte vielleicht ganz gut jemanden brauchen für diesen Bereich, der auch weiß, wie es läuft und der gerichtliche Verfahren schon betrieben hat und der dann mich kontaktiert hat und eingeladen hat.

1:00 Min
Andreas Stein:

Das ist aber eher eine sehr untypische Ausgangslage.

14:16 Min
Marc Ohrendorf:

Das ist ja schon ganz speziell, muss man sagen. Und dann haben Sie sich seitdem im Prinzip mit dem IPR beschäftigt? Nein, nein, nein.

14:25 Min
Andreas Stein:

Also das ist einer der ganz großen Vorteile am EU-Beamten-Sein, ist, dass man relativ flexibel ist, auch Stellen zu wechseln. Also wenn Sie in Deutschland im Justizministerium arbeiten, dann sind Sie im Justizministerium. Und dann ist erstmal die Ansage, das wird auch den Rest Ihres Beamtenlebens so bleiben.

1:00 Min
Andreas Stein:

Es gibt auch viele Leute, die nicht mal den Bereich wechseln, Sondern die sind dann in der IPR-Abteilung und bleiben da auch ihre gesamte Karriere. Haben dann natürlich den Vorteil, da totale Spezialisten zu sein, aber eben auch wenig Abwechslung.

1:00 Min
Andreas Stein:

In der Kommission ist es relativ leicht hin und her zu wechseln und es wird auch ein Stück weit erwartet. Also es gibt eine offizielle Ansage, dass man ermutigt wird, alle drei bis fünf Jahre die Stelle zu wechseln. Und ich habe dann damals in dieser IPR-Unit angefangen und bin dann nach drei Jahren zur Generaldirektion Arbeit und Soziales gewechselt, auch wegen meines Hintergrunds als Arbeitsrichter.

1:00 Min
Andreas Stein:

Dann war ich ein paar Jahre bei Wettbewerb, weil ich dachte, ich war zwar kein Wettbewerbsrechtler, hatte das nie besonders betrieben, aber dachte mir, das ist so ein wichtiger Bereich in der Kommission, Den sollte man auch mal gesehen haben. Dann war ich kurz in einem Kabinett, also im politischen Stab eines Kommissars, was auch eine Möglichkeit ist.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und von dort bin ich dann wieder zur Justiz zurückgekommen und habe erst mal eine Weile Vertragsrecht gemacht. Das ist jetzt unser Nachbarreferat. Dann bin ich Referatsleiter geworden Und habe das im Antidiskriminierungsrecht gemacht, was wir auch hier im Hause haben und bin dann nach einigen Jahren quasi wieder zurückgekommen zum IPR, nur jetzt dann in neuer Funktion.

15:57 Min
Marc Ohrendorf:

Verstehe, okay. Back to the roots sozusagen, jedenfalls was Brüssel angeht. IPR ist für viele Zuhörende jetzt wahrscheinlich so ein relativ diffuser Begriff, den man mal am Rande mit so Brüssel VO fürs Examen gelernt hat. Was heißt das denn ganz praktisch? Womit beschäftigen Sie sich jeden Tag?

16:16 Min
Andreas Stein:

Ja, also erstmal als Anfang, ich hatte auch keine Ahnung, was das ist, als ich hergekommen bin. Ich bin hier ins kalte Wasser geworfen worden und das war damals auch, das ist ja noch gar nicht so lange eine EU-Kompetenz. Also die Vertragsregelungen, die die sogenannte zivil-justizielle Kooperation umfassen, die sind erst Ende der 90er mit aufgenommen worden.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also als ich dann 2001 hierher gekommen bin, war das noch brandneu. Was wir machen im Wesentlichen sind drei Dinge. Bei grenzüberschreitenden Verfahren, also die nicht nur rein deutsch sind, sondern wo eine Partei dann im Ausland ist oder manchmal auch nur Zeugen im Ausland sind, gibt es drei Stufen im Prinzip.

1:00 Min
Andreas Stein:

Das eine ist, welche Gerichte sind zuständig. Also wenn ich als Deutscher gegen einen Holländer klage, muss ich das in Holland tun oder kann ich das aus Deutschland austun? Das zweite ist, was ist das anwendbare Recht? Also muss der deutsche Richter dann womöglich ausländisches Recht anwenden, weil eben das die entsprechenden EU-Verordnungen so vorgeben.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und das dritte ist, wenn ich dann in einem Mitgliedsland ein Urteil erstritten habe und muss das aber wiederum woanders vollstrecken. Also beispielsweise ich habe den holländischen Beklagten, ich durfte aber in Deutschland prozessieren, habe dann ein deutsches Urteil, der hat aber nichts in Deutschland, sondern alle Vermögenswerte befinden sich in Holland.

1:00 Min
Andreas Stein:

Wie kann ich das eigentlich in Holland dann anerkennen und vollstrecken lassen? Also das sind die drei großen Probleme, die sich in unterschiedlichen Bereichen, also nicht nur im klassischen Zivilrecht, sondern auch im Familienrecht, also auch was elterliche Verantwortung angeht, was Unterhaltsforderungen angeht, betrifft. Und da hat sich jetzt über die Jahre ein sehr großer sogenannte Akki aufgebaut.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also wir haben mehr als 20 EU-Verordnungen und es ist nach wie vor ein Wachstumsbereich, sodass wir hier im großen Teil eine Gesetzgebungsmaschine sind in der Kommission.

18:06 Min
Marc Ohrendorf:

Weil sich da auch so viel ändern muss oder weil das die Konsequenz der übertragenen Kompetenzen ist und des immer verwobenen Zusammenlebens in der EU? Woran liegt es, dass Sie sagen, wir sind eine Gesetzgebungsmaschine? Das klingt ja schon, als müsste da eine ganze Menge gemacht werden.

18:26 Min
Andreas Stein:

Ja, also ich glaube, am Anfang, als das neu war, musste das Terrain sozusagen besetzt werden. Da hatten alle Länder ihre eigenen Gesetze, die natürlich auch weit voneinander abwichen. Und wenn man eines in Brüssel lernt, egal in welchem Bereich man arbeitet, ist, dass man sich vorher gar nicht vorstellen konnte, wie unterschiedlich Dinge sind.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also auch als deutscher Jurist wächst man natürlich heran mit einer gewissen Grundüberzeugung, dass gewisse Dinge so und so gemacht werden in Deutschland, weil es halt auch kaum anders vorstellbar ist. Es ist im Prinzip alles.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und wenn man hier nach Brüssel kommt und wird konfrontiert, ist jetzt ein gegriffenes Beispiel, was aber wahrscheinlich vielen Hörern was sagen wird, mit dem deutschen Abstraktionsprinzip, das versteht schon überhaupt keiner in Europa. Also das ist komplett unbekannt im Prinzip.

1:00 Min
Andreas Stein:

Die Österreicher verstehen das, aber sonst keiner. Und so ist das in vielen Bereichen. Das heißt, als das europäische Kompetenz wurde, mussten erstmal das Terrain besetzt werden, dass man aus einer Vielzahl unterschiedlichster Regelungen eben harmonisierte Regelungen macht. Und wir machen ja hauptsächlich Verordnungen, also da gibt es auch nichts umzusetzen, sondern die sind wirklich einheitlich überall.

1:00 Min
Andreas Stein:

Überall. Und das ist natürlich ein Prozess, der auch eine Weile gedauert hat. Brüssel I für die normalen zivil- und handelsrechtlichen Fragen, Brüssel II betrifft familienrechtliche Geschichten, also Scheidung und elterliche Verantwortung. Und dann sind wir eben in den Unterhaltsbereich noch mit reingegangen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und so wächst das nach und nach heran. Im Moment überlegen wir gerade, ob wir etwas im Erwachsenenschutzbereich machen sollen, also im Betreuungsrecht sozusagen, wo ja auch immer mehr Menschen, sagen wir mal im Grenzgebiet zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik, dann teilweise aus Kostengründen dann in einer Pflegeeinrichtung in der Tschechischen Republik sind oder Vermögenswerte im Ausland haben und man sich dann fragt, ob der Betreuer dessen Position überhaupt anerkannt wird, wenn man dort dann irgendwas machen muss, ein Haus verkaufen oder was auch immer.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also wir werden schon kleinteiliger sozusagen. Das ist jetzt schon ein relativ spezieller Bereich. Aber so stellen sich eben immer neue Fragen noch. Und je länger wir im Geschäft sind...

1:00 Min
Andreas Stein:

Desto öfter müssen auch unsere Instrumente überprüft werden. Also unsere Verordnungen haben alle eine sogenannte Review Clause, wo man dann nach fünf, sechs, sieben Jahren mal einen Bericht schreibt, ob das überhaupt funktioniert, ob es irgendwo Veränderungsbedarf gibt, weil das, was man machen wollte, nicht so funktioniert, wie es gedacht war oder weil sich neue Phänomene ergeben haben, die man jetzt beackern muss.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und deswegen haben wir jetzt auch aus der Brüssel 1 Verordnung ist dann schon die Brüssel 1a Verordnung geworden. Im Brüssel 2 Bereich sind wir schon bei B angekommen. Das heißt, da gibt es auch so eine Dynamik, dass man da auch immer wieder mal nachjustieren muss.

21:08 Min
Marc Ohrendorf:

Diese Review Clause ist ja auch ein ganz spannendes Thema, das immer mal wieder in der nationalen Gesetzgebung in Deutschland gefordert wird. Da sind wir leider noch nicht ganz so weit. Das würden Sie aber als sinnvoll erachten, das zu machen?

21:21 Min
Andreas Stein:

Also ich glaube, es kommt nicht unbedingt auf diese Review Clause an. Ich glaube, das würden wir sowieso machen. Die werden in der Form, wie sie in diese Verordnungen reinkommen, auch nicht immer so streng genommen, wie es drinsteht.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also wir haben auch Verordnungen, wo wir schon vor zehn Jahren was hätten machen müssen, wo es aber klar ist, aus politischen Gründen wird das schwer, da an den entscheidenden Stellschrauben zu drehen. Und dann machen wir es auch manchmal nicht und dann schreit auch keiner.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also auch die Mitgliedstaaten pushen uns dann nicht, jetzt doch mal endlich diesen Bericht zu machen. Insgesamt ist das natürlich eine gute Sache, dass man in regelmäßigen Abständen mal überprüft, ob das eigentlich so läuft, wie man sich das gedacht hat.

21:57 Min
Marc Ohrendorf:

Wie kommt denn so eine Verordnung ganz konkret dann zustande? Jetzt mal so hands-on in Ihrem Arbeitsalltag. Nehmen wir vielleicht mal dieses von Ihnen eingeführte Beispiel, deutsch-tschechischer Grenzraum, eben Betreuungsverhältnis älterer Menschen, alles was damit zusammenhängt. Und sie sind ja ganz, würde ich jetzt mal vermuten, zwangsweise darauf angewiesen, dann jeweils auch mit Kolleginnen und Kollegen aus diesen Staaten eng zusammenzuarbeiten, weil man ja auch diese Rechtsordnung erstmal überhaupt erfassen muss, um sich danach die Frage zu stellen.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Wie bringen wir das denn jetzt alles zusammen? Oder wie läuft es ab?

22:34 Min
Andreas Stein:

Ja, also das ist natürlich ein großes Problem, ist die Beschaffung von Wissen. Weil wir natürlich hier so einen gewissen Überblick brauchen, um, wir werden jetzt keine Spezialisten für das tschechische Betreuungsrecht werden, aber wir müssen es gut genug verstehen, um zu wissen, wo die Knackpunkte sind, worauf die sich womöglich einlassen können, was mit ihrem System verknüpft werden könnte, welche Lösungen man in Betracht ziehen könnte.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und das läuft in der Praxis meistens so ab, dass wir, wenn wir mit neuen Bereichen zu tun haben, erstmal eine Studie in Auftrag geben. Da gibt es auch schon einen Markt dafür, dass dann Beratungsinstitute Konsortien zusammenstellen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Manchmal ist es auch das Max-Planck-Institut. Es gibt ein Max-Planck-Institut für internationales Verfahrensrecht. Und wir dann erstmal heranschaffen den Überblick mit Länderberichten und so weiter und so fort darüber, wie die Lage in den Mitgliedstaaten so ist. Und was wir dann weiter tun, das ist jetzt nicht kommissionsweit gängige Praxis, aber jedenfalls bei uns, ist, dass wir eine eigene Expertengruppe einrichten, die uns dabei berät, was vielleicht vernünftige Lösungen auf europäischer Ebene sein könnten.

1:00 Min
Andreas Stein:

Da haben wir dann nicht aus jedem Mitgliedstaat jemanden drin, aber wir versuchen das so breit zu streuen, dass die unterschiedlichen Rechtstraditionen alle vertreten sind. Und so versuchen wir eben uns eine breite Basis zu schaffen, auf deren Grundlage wir dann eben einen Vorschlag unterbreiten können.

24:02 Min
Marc Ohrendorf:

Die Experten sind dann meistens irgendwie Professoren, Praktiker, aus der Spezialrichtung kommende Menschen oder wer ist das?

24:12 Min
Andreas Stein:

Das ist unterschiedlich. Es sind sehr viele Akademiker, aber nicht nur. Das kommt ein bisschen aufs Themengebiet an. Wir haben gerade auch zum Thema Insolvenzrecht eine Expertengruppe, wo wir bewusst auch viele Praktiker haben wollten. Insolvenzverwalter, die sich damit auskennen, teilweise auch Bankenvertreter, als Gläubigervertreter, sowas. Jetzt in diesem Erwachsenenschutzbereich wird es hauptsächlich auf Akademiker hinauslaufen.

24:34 Min
Marc Ohrendorf:

Ja, okay.

24:35 Min
Andreas Stein:

Die dann aber auch von Europarechten Ahnung haben, also die den Hintergrund haben, dann eben nicht nur ihre nationalen Situationen zu reflektieren, sondern schon sich mit dem europäischen IPR-Recht so gut auszukennen, dass sie da uns weiterhelfen können.

24:46 Min
Marc Ohrendorf:

Ja, dass die auch wissen, was realistisch überhaupt geht und was nicht. Ja, verstehe. Sehr interessant. Dann jetzt noch ganz kurz zur ganzen Zwangsverstreckungsthematik, die Sie gerade eben ja auch schon so zwei, dreimal angesprochen haben. Wo stehen Sie da gerade? Was sind da die aktuellen Themen?

25:02 Min
Andreas Stein:

Also da sind wir insofern relativ weit, als dass die letzte Brüssel 1a Verordnung das alte Verfahren im Prinzip abgeschafft hat. Also früher war es ja so, dass sie mit einem deutschen Urteil, was sie in Holland vollstrecken wollten, sich an die holländischen Gerichte wenden mussten und die mussten das dort für vollstreckbar erklären.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und das waren Verfahren, die überall unterschiedlich ausgestaltet waren, bevor wir das europäisch harmonisiert waren und die unterschiedlich kostenträchtig, langwierig, komplex gewesen sind. Es gibt auch einige EU-Mitgliedsstaaten, vor allem im skandinavischen Bereich, die sowas im Prinzip überhaupt nicht machen, sondern sie sagen, sie müssen nochmal neu prozessieren bei uns, um nochmal einen Titel hier zu bekommen und das dann so ein bisschen vereinfachen, aber die im Prinzip wahnsinnig restriktiv sind.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und das haben wir sukzessive vereinfacht. Heute ist es so, dass sie mit dem deutschen Urteil sich von dem deutschen Gericht ein Zertifikat ausstellen lassen, mit dem sie sich direkt an die holländischen Vollstreckungsbehörden wenden können. Und auf deren Grundlage die dort tätig werden und der dortige Urteilsschuldner, wenn er glaubt, dass damit irgendwas nicht in Ordnung ist, dass er in Deutschland kein ausreichendes rechtliches Gehör gehabt hat, das ist so ein Klassiker, dass er nie die Dokumente bekommen hat, dass die Zustellungen alle nicht angekommen sind, der kann dann immer noch versuchen, Sich dort von sich aus ans Gericht zu wenden, aber der muss dann halt die Initiative ergreifen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und wenn er das nicht tut, dann läuft das einfach so auf der Grundlage dieses Verfahrens so durch und das haben wir jetzt sukzessive auch in einem anderen, also auch im familienrechtlichen Bereich läuft das ähnlich ab. Was dort im Moment eher ansteht und das wirft aber auch ein Licht auf einen Teil unserer Aktivitäten, ist das auf der internationalen Ebene voranzutreiben, weil, um es vereinfacht auszudrücken, wenn wir einen Bereich EU intern geregelt haben, es oft auch so ist, dass die EU dann im Außenverhältnis zum Rest der Welt kompetent ist.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und wir haben vor zwei Jahren gerade ein Abkommen ausgehandelt in der Hager Privatrechtskonferenz. Das ist keine Konferenz, sondern eine internationale Organisation im IPR und die hat ein weltweites Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen ausgehandelt, wo die EU dann von uns vertreten worden ist, wo die Mitgliedstaaten also zwar da sind, aber eigentlich im Prinzip kein Rederecht haben.

1:00 Min
Andreas Stein:

Sondern das gesamte Gewicht, die EU-Interessen zu vertreten, liegt dann bei uns, bei der EU-Kommission. Und da bereiten wir gerade den Beitritt der EU vor. Also das ist vielleicht die wichtigste Entwicklung im Moment in diesem Vollstreckungsbereich.

27:37 Min
Marc Ohrendorf:

Sehr interessant. Wir haben letztes Jahr, also zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Folge, letztes Jahr ein Spezial gemacht zum Thema Schiedsrecht hier im Podcast. Wenn ihr da noch nicht reingehört habt, dann solltet ihr das vielleicht mal nachholen.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Da musste ich nämlich gerade dran denken, wo sie sagen, naja, wenn jetzt dann die Vollstreckung, jedenfalls EU-weit ja auch einfacher wird, fällt vielleicht auch ein kleiner Vorteil des Schiedsverfahrens so ein kleines bisschen weg, dass Unternehmen doch wieder vor staatliche Gerichte gehen, weil sie sagen, naja gut, ich habe zumindest mit der ganzen Verpflichtung, nicht mehr so dieses klassische Problem.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Weiterer Punkt, den Sie gerade genannt haben, auch ganz interessant, ist diese Frage, naja, wenn wir schon EU-internes geschafft haben, etwas zu harmonisieren, können wir das vielleicht auch in die Welt tragen? Ist da die ganze DSGVO, das ganze Thema Datenschutz, ist das so ein bisschen so eine Blaupause dafür? Könnte man das so sagen? Weil das wird ja weltweit schon ziemlich wahrgenommen, dass die EU da tatsächlich neue Standards aufgestellt hat.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Manche sagen bessere, andere sagen schlechtere. Also die Debatte müssen wir jetzt nicht unbedingt führen. Aber könnte man das sagen? Ist das dieselbe, dasselbe Schema?

28:43 Min
Andreas Stein:

Ja, ich glaube, wir sind irgendwie drei Level tiefer, was das politisch spektakuläre Element angeht. Aber im Prinzip ist es nicht ganz falsch, weil wir in diesen internationalen Diskussionen und wir haben viel internationale Arbeit. Also was ich gerade gesagt habe, ist nur ein Beispiel unter vielen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Dass die EU schon ein Referenzpunkt ist, weil wir halt viel Gesetzgebung haben, die sich mit IPR beschäftigt. Wir haben auch wahnsinnig viel Case-Law. Also wenn sich dann irgendeine Frage im internationalen Bereich stellt, wird eben oft auch von Nicht-EU-Vertretern dann gesagt, aber das ist ja in der EU schon so und so geregelt und der EuGH hat sich auch schon so und so dazu geäußert.

1:00 Min
Andreas Stein:

Das heißt, man gewinnt da so einen Tick Meinungsführerschaft dadurch, dass einfach viel Material da ist und dass viele Dinge, mit denen sich, sagen wir mal, die USA nicht jeden Tag beschäftigen, weil die natürlich dieselben Probleme haben, aber natürlich nicht innerhalb des Landes oder dieser Einheit schon selber IPR-Konflikte haben, dass wir die in der EU natürlich regeln müssen und zum großen Teil schon geregelt haben.

1:00 Min
Andreas Stein:

Das verschafft einem schon einen gewissen Vorteil.

29:53 Min
Marc Ohrendorf:

Also ich sage das relativ selten im Podcast, aber wenn ich jetzt noch Referendar wäre oder kurz vorm Referendariat, hätte ich mich glaube ich bei Ihnen beworben. Ich finde das wirklich sehr, sehr interessant.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Was müsste man denn mitbringen, wenn man in dieser komfortablen Situation ist, noch nicht festgefahren im Job zu sein und vielleicht noch das Referendariat vor sich hat, um bei Ihnen, weil Sie haben im Vorgespräch gesagt, ja, Sie nehmen auch gerne mal hier Referendare, genommen zu werden oder zumindest eine interessante Bewerbung abzugeben. Wonach suchen Sie da?

30:19 Min
Andreas Stein:

Ja, also wir haben sehr regelmäßig Referendare bei uns, eigentlich fast durchgehend, manchmal auch zwei oder drei gleichzeitig. Das hängt eher von der Raumkapazität ab als von anderen Dingen. Das läuft informell.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also ich habe vorhin von förmlichen Auswahlverfahren gesprochen, die die EU gut kann. Bei Referendaren ist es anders, da ist es ganz einfach. Die können sich einfach an uns melden.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also die können an andreas.stein.ec.eu.eu. Das kann man vielleicht auch irgendwo nochmal posten oder so. Und wir haben keine besonderen Voraussetzungen, schon gar nicht, dass jemand sich schon mit IPR auskennt. Also wenn das der Fall ist und wir müssen uns mal zwischen zwei entscheiden, weil zu viel Andrang da ist, dann ist es natürlich eine Zusatzqualifikation, wenn man in dem Bereich schon eine Seminararbeit geschrieben hat oder was weiß ich, seine Doktorarbeit oder was auch immer.

1:00 Min
Andreas Stein:

Aber das ist keinesfalls Einstiegsvoraussetzung. Und ansonsten sind wir da, wir werden im Moment nicht überrannt. Wir haben gute Nachfrage, aber die Chancen würden ganz gut stehen. Bei uns eine entweder Wahlstation oder in manchen Bundesländern kann man auch die Verwaltungsstation schon bei uns machen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Das hängt aber vom Bundesland an, bei uns abzuleisten.

31:34 Min
Marc Ohrendorf:

Und das geht gerade auch mit Corona irgendwie? Das ist ja immer so ein bisschen problematisch.

31:38 Min
Andreas Stein:

Ja, mit Corona ist alles natürlich ein bisschen schwieriger. Wir haben es auch eine Weile während der Lockdown-Phase dann nicht gemacht oder die Referendarer durften es nicht, weil die Ausbildungsbehörden ihnen das nicht erlaubt haben. Aber ansonsten machen wir das eigentlich weiter und versuchen auch mit den existierenden Beschränkungen den Referendarinnen und den Referendaren die bestmögliche Erfahrung hier zu verschaffen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also wir räumen denen auch eine privilegierte Rolle ein, so oft ins Büro zu kommen, wie sie wollen, um auch hier mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, weil viel ja in dem praktischen Austausch liegt. Die Station hier ist ja auch ein bisschen anders als andere Stationen, hören wir immer wieder, soll ja auch anders sein, weil man auch andere Dinge tut.

1:00 Min
Andreas Stein:

Man schreibt halt keine Urteilsvoten oder solche Dinge, sondern man schreibt bei uns oft Entwürfe für Stellungnahmen der Kommission bei EuGH-Verfahren, also bei Vorabentscheidungsverfahren. Das ist so das Nächste an der normalen Referendararbeit, ist aber schon anders und auch sehr interessant, finde ich und finden die Referendare eigentlich auch.

1:00 Min
Andreas Stein:

Und sonst ist es hier aber, wie gesagt, man geht dann mit zum Rat, zu den Verhandlungen, wenn Sitzungen stattfinden, man geht mal mit ins Parlament zu Debatten und das ist, darüber haben wir noch gar nicht gesprochen, aber das ist eigentlich fast der spannendste Teil unserer Tätigkeit, denn wenn wir so einen Vorschlag mal rausgehauen haben, dann fängt es ja erst an.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also dann müssen wir in den Rat und da ist dann eine Arbeitsgruppe, wo 27 Mitgliedstaatenvertreter um den Tisch sitzen und uns erstmal grillen und sagen, was habt ihr denn damit gemeint und wo man sich dann auf eine konsensuale Lösung irgendwie einigen muss oder zumindest auf eine, die die erforderliche Mehrheit hat. Und diese Debatten aus juristischer Sicht, wo man ja auch seinen Standpunkt verteidigen muss, aber natürlich auch Offenheit zeigen muss, wenn man Dinge nicht gesehen hat oder wenn Mitgliedstaaten berechtigte Einwendungen machen und daraus irgendwas formt sozusagen oder auch hinterher in den Trilogen.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also wenn das Parlament gesprochen hat, dann setzen sich ja Kommission, Parlament und Rat zusammen, also die zwei Gesetzgebungsorgane und die Kommission, um dann sozusagen den finalen Kompromiss auszuhandeln. Das ist schon wahnsinnig herausfordernd, ist aber auch wahnsinnig spannend.

1:00 Min
Andreas Stein:

Also wenn ich hier mal eine Lanze brechen darf für den Beruf. Ich wollte nie Beamter werden, das war immer ausgeschlossen. Von daher war ich selber überrascht, als ich hier gelandet bin.

1:00 Min
Andreas Stein:

Aber diesen Umweg wollte ich jetzt nochmal machen über die Referendarsgeschichte, weil wir den Referendaren eben auch diese Dimension hier so gut wie möglich irgendwie zeigen und nahe bringen wollen.

34:04 Min
Marc Ohrendorf:

Ursprünglich haben wir diesen Podcast mal gestartet, weil wir gerne Menschen zu Wort kommen lassen wollen, die sich in ihrem juristischen Beruf wohlfühlen und die das wirklich gerne machen, was sie tun. Und den Eindruck hatte ich heute bei Ihnen und ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie hier Rede und Antwort gestanden haben.

34:18 Min
Andreas Stein:

Ja, vielen Dank Ihnen. Hat Spaß gemacht.

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