IMR12114. Mär 22
IMR121: Strafrecht, Strafvollzug und Leitung einer JVA | Jura-Podcast

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IMR121: Strafrecht, Strafvollzug und Leitung einer JVA | Jura-Podcast

Jennifer Rybarczyk, Justiz | JVA Euskirchen

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Über diese Episode

Folge 121 Deines Jurapodcasts zu allen Karriere- und Examensthemen

Anforderungen Beruf JVA - Armut und Sucht - Alltag Häftlinge - Bedienstete JVA - Einstieg JVA - Flutkatastrophe 2021 - Geschlossener Vollzug - Handynutzung JVA - Inhaftierte - JGG - Juristen JVA - JVA Euskirchen - Kriminologie - Offener Vollzug - Resozialisierung - Strafvollzugsgesetz - Strafvollzug - Verwaltungsrecht JVA - Vollzugsrecht

In der heutigen Folge eures Jura-Karrierepodcasts berichtet Jennifer Rybarczyk von ihrer spannenden Arbeit als Leiterin einer JVA. Woher kommt ihre Begeisterung für ihre Tätigkeit? Inwieweit war für sie früh in ihrer Ausbildung klar, dass ihr Herz für das Strafrecht schlägt? Wie sieht der Berufsstart in der JVA aus und welche juristischen Themen fallen dort an? Welche Arten des Vollzugs gibt es überhaupt? Wie verändert sich der Blick auf das Strafrecht und den Strafvollzug in der Realität während des Berufs? Zudem gibt Frau Rybarczyk Einblick in den Alltag der Häftlinge, vom offenen Verzug und "Gefängnisurlaub" mit Smartphones bis hin zur Flutkatastrophe im Sommer 2021 - sowie der damit verbundenen Überschwemmung des Gefängnisses mitten im Betrieb! Viel Spaß mit dieser spannenden Folge!

Kapitel:

  • 00:59 - Intro
  • 01:09 - Einleitung
  • 01:18 - Vorstellung Jennifer Rybarczyk
  • 01:30 - Beweggründe und Werdegang
  • 05:27 - Berufsstart in der JVA
  • 06:41 - Juristische Themen in der JVA
  • 08:14 - Arten des Strafvollzugs
  • 17:34 - Flutkatastrophe in der JVA
  • 19:24 - Informationszugang für Häftlinge
  • 21:22 - Blick aufs Strafrecht
  • 26:44 - Rezeption von Gefängnissen in TV & Medien
  • 29:17 - Praktika und Referendariat

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Zu Gast

Jennifer Rybarczyk

Jennifer Rybarczyk

Kapitel

  • 00:00:59.585Intro
  • 00:01:09.503Einleitung
  • 00:01:18.346Vorstellung Jennifer Rybarczyk
  • 00:01:30.447Beweggründe und Werdegang
  • 00:05:27.581Berufsstart in der JVA
  • 00:06:41.549Juristische Themen in der JVA
  • 00:08:14.149Arten des Strafvollzugs
  • 00:17:34.809Flutkatastrophe in der JVA
  • 00:19:24.594Informationszugang für Häftlinge
  • 00:21:22.546Blick aufs Strafrecht
  • 00:26:44.804Rezeption von Gefängnissen in TV & Medien
  • 00:29:17.170Praktika und Referendariat

Über JVA Euskirchen

Die Justizvollzugsanstalt Euskirchen gehört zum nordrhein-westfälischen Justizvollzug und ist eine mittelgroße Einrichtung für männliche Gefangene, zentral gelegen zwischen Köln und Bonn. In ihr sind rund 500 Insassen untergebracht, betreut von etwa 300 Bediensteten – darunter Vollzugsbeamte, Psychologinnen, Sozialarbeiter und natürlich Juristinnen und Juristen, die Leitung, Rechtspflege und Verwaltung verantworten.

Neben dem geschlossenen und offenen Vollzug unterhält die JVA eigene Ausbildungsbetriebe, Werkstätten und Resozialisierungsprogramme, was ihr einen Ruf als besonders praxisorientierte Anstalt mit breitem Therapie- und Qualifizierungsangebot einbringt.

Ihr wollt wissen, wie sich der juristische Alltag hinter den Mauern wirklich anfühlt und welche Lektionen die Flutkatastrophe 2021 lieferte? Dann klickt jetzt in unsere IMR-Episode – Kopfhörer auf und ab in den Knastalltag!

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Resozialisierung ist möglich, wenn man daran glaubt, dass Menschen sich ändern können. Ein Grundzynismus passt hier nicht, denn unser Ziel ist es, Menschen einen neuen Weg zu ermöglichen und das klappt erstaunlich oft.

Sneak Peak – Q&A mit Jennifer Rybarczyk

Transkript

KI-basiert und kann Fehler enthalten.

0:00 Min
Marc Ohrendorf:

Die heutige Episode wird gesponsert von KPMG. KPMG gehört zu den führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen und ist an 26 Standorten in Deutschland vertreten, bestimmt auch in deiner Nähe. Darüber hinaus arbeiten bei KPMG aktuell rund 227.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit und gestalten gemeinsam in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Consulting die Wirtschaftswelt von morgen.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Das klingt für dich langweilig und spießig? KPMG räumt mit den gängigen Klischees auf und legt Wert auf Vielfalt, Teamgeist und gegenseitige Wertschätzung. KPMG stellt Absolventinnen, Young Professionals, Praktikantinnen und Werkstudierende aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften, also Jura und den MINT-Fächern ein.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Schaut mal auf kpmg.de slash Karriere vorbei oder am Arbeitgeberprofil auf LTO Karriere. Die entsprechenden Links findet ihr auch in den Shownotes. Vielen Dank an KPMG für die Präsentation der heutigen Folge.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Und nun viel Spaß mit dem Podcast. Das war's für heute,

1:01 Min
Jennifer Rybarczyk:

Wir sehen uns beim nächsten Podcast.

1:02 Min
Music:

1:09 Min
Marc Ohrendorf:

Herzlich willkommen zu einer neuen Episode Irgendwas mit Recht, eurem Jura-Karriere-Podcast von LTO und LTO Karriere. Mein Name ist noch immer Marc Ohrendorf und ich spreche heute mit Jennifer Rybaczik. Hallo. Frau Ribatschek, Sie leiten eine JVA, stimmt's?

1:27 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das ist richtig.

1:29 Min
Marc Ohrendorf:

Wie sind Sie denn dahin gekommen eigentlich? Warum JVA und warum überhaupt Jura?

1:38 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, ich denke, wie so viele, weil die meisten, wenn sie nicht gerade aus Juristenfamilien kommen, können sich unter so einem Jurastudium nicht wirklich was vorstellen. Also man hat die klassischen Berufsbilder im Blick, Rechtsanwalt, Richter, Staatsanwalt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und dann hört es ja auch in der Regel schon fast auf. Bei mir war es so, dass ich ein bisschen Jura so als Mittel zum Zweck genommen habe, weil die anderen Dinge, die ich hätte studieren wollen, wie Theaterwissenschaften oder so etwas, mir etwas brotlos erschien. Und ich dachte, mit Jura hat man eben die Möglichkeit, nachher sehr viele Sachen zu machen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ob man jetzt in Journalismus möchte oder in die Politik oder was auch immer. Also das eröffnet einem viele Möglichkeiten. Das hat sich ja auch als richtig erwiesen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das heißt, ich hatte natürlich am Anfang keine Idee davon, wo ich dann am Ende landen würde.

2:24 Min
Marc Ohrendorf:

Und wo haben Sie angefangen zu studieren?

2:26 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ich habe in Bonn mein ganzes Studium gemacht. Also unterbrochen durch ein Urlaubssemester in den USA, nicht im Gefängnis, sondern in einer wirtschaftsrechtlich orientierten Kanzlei. Aber genau, ich habe mein ganzes Studium in Bonn absolviert.

2:42 Min
Marc Ohrendorf:

Wie ging es weiter?

2:44 Min
Jennifer Rybarczyk:

Danach habe ich auch angefangen, an der Bonner Uni zu promovieren. Habe das allerdings nicht zu Ende geführt, aber habe dort als wissenschaftliche Hilfskraft und wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet im Bereich Strafrecht und Kriminologie. Und habe dann mein Referendariat gemacht in Rheinland-Pfalz, weil ich in Bonn wohne und damals auch gewohnt habe.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und das war eben einfach zu erreichen. Und dort habe ich dann meine verschiedenen Stationen absolviert, unter anderem auch dort nochmal eine Auslandsstation eingeschoben und allerdings auch eine Station in einer JVA.

3:19 Min
Marc Ohrendorf:

Woher kam denn diese Faszination fürs Strafrecht, für die Kriminologie, wenn Sie da auch schon als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig waren?

3:28 Min
Jennifer Rybarczyk:

Tatsächlich durchs Studium. Also von Anfang an fand ich Strafrecht mit Abstand den interessantesten Bereich und habe dann auch relativ schnell kriminologische Veranstaltungen besucht und eben auch tatsächlich eine Veranstaltung dann zum Strafvollzug. Und dort bin ich auf die Möglichkeit aufmerksam geworden, ehrenamtlich im Gefängnis zu arbeiten.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und damals gab es tatsächlich noch eine JVA Bonn. Die gibt es schon seit Mitte der 90er nicht mehr. Ja, und dort habe ich einmal die Woche eben in so einer Gruppe Gefangene besucht und mit dem Mensch ärgerlich nicht gespielt und Zigaretten geteilt und solche Dinge getan, und habe dann mein Verwaltungspraktikum auch im Strafvollzug gemacht während des Studiums.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und da war es eigentlich schon um mich geschehen. Also seitdem wollte ich eigentlich nichts anderes mehr machen, weil ich habe da gesehen, was Juristen im Strafvollzug machen. Ich fand das überaus interessant und das hat sich über die ganze Zeit gehalten, Egal, welche Erfahrungen ich noch in Kanzleien oder an der Uni oder im Referendariat gemacht habe, der Strafvollzug hat mich da nicht losgelassen.

4:28 Min
Marc Ohrendorf:

Bevor wir da gleich ein bisschen näher und detaillierter darauf eingehen, lassen Sie uns noch kurz Ihren Werdegang in die JVA fertigstellen. Wir waren gerade eben stehen geblieben beim zweiten Examen und dann direkt JVA oder gab es nochmal eine Zwischenstation?

4:42 Min
Jennifer Rybarczyk:

Nee, also ich habe mich sofort nach dem zweiten Staatsexamen beworben, aber es gibt eben nur eine überschaubare Zahl von Stellen und zu dem Zeitpunkt war keine frei. Und ich hatte mich insbesondere auch natürlich in Nordrhein-Westfalen beworben und dort hatte man meine Unterlagen eben auch behalten und gesagt, sie würden sich melden, wenn etwas dort frei würde.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Dann habe ich eben noch weiter an der Uni gearbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und auch im Dekanat, in der Studienberatung und solchen Dingen. Und nach ziemlich genau einem Jahr habe ich mich auch in Niedersachsen beworben, weil dort in der NJW damals Stellen ausgeschrieben wurden und hatte auf einmal die wirklich bequeme Möglichkeit, sowohl in Niedersachsen als auch in NRW anfangen zu können und habe mich dann verinnerviert.

5:25 Min
Marc Ohrendorf:

Ah ja, okay. Und wie fängt man dann an als Jurist dort?

5:30 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, dieser Berufszweig ist sehr eindeutig ein Learning on the Job. Also nichts, was Sie vorher gelernt haben, qualifiziert Sie dafür. Sie müssen tatsächlich verschiedene Vollzugsformen kennenlernen und erstmal sehr lange überhaupt in dieses System einsteigen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Unter auch anderen Leuten werden sie zugeteilt und sind quasi so ihre Mentoren und Ausbilder und dort lernen sie erstmal, was ihre Tätigkeit eigentlich ist. Das heißt, zunächst mal werden Sie, wenn es so läuft, wie es laufen sollte, eingeführt in dieses System.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Sie laufen mit den verschiedenen Fachbereichen mit, was das Ganze eben auch so spannend macht. Sie laufen mit den uniformierten Kräften, die heißen übrigens Vollzugsbeamte und nicht Schließer oder Wärter. Das wird sehr diskriminierend empfunden.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und sie laufen mit den Kollegen und Kolleginnen mit, sie schauen sich den Sozialdienst an, den psychologischen Dienst, den Werkdienst, den medizinischen Dienst, also diese ganzen Bereiche, aus denen eine Justizvollzugsanstalt besteht und werden dann eben auch an die eigentlich juristischen Tätigkeiten herangeführt, die zunächst mal in der sogenannten Abteilungsleitung bestehen.

6:41 Min
Marc Ohrendorf:

Und da macht man juristisch was? Was sind da so die Themen, die auf den Tisch kommen?

6:46 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, nach dem Strafvollzugsgesetz. Inzwischen ist es ein Landesgesetz, früher war es ein Bundesgesetz. Das ist jetzt inzwischen durch die Föderalismusreform damals in die Ländergesetzgebung gegangen. Das heißt, jedes Bundesland hat jetzt sein eigenes Gesetz.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Aber das ist in jedem Gesetz tatsächlich gleich und war auch vorher im Bundesgesetz so, dass der Anstaltsleiter die Gesamtverantwortung für die vollzugliche Gestaltung hat. Ja, also alles, was im Vollzug auch an Arbeit an und mit den Gefangenen passiert, ist in der Verantwortung des Anstaltsleiters.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das kann er aber delegieren an Abteilungsleiter. Das heißt, der Abteilungsleiter, die Abteilungsleiterin hat die Verantwortung für die Gefangenen, die in ihrer, seiner Abteilung sind. Ganz konkret heißt das, dass sie verantwortlich sind für die Vollzugsplanung.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Sie sind verantwortlich für vollzugsöffnende Maßnahmen, also sowas wie Ausgang, Freigang, sowas. Sie sind verantwortlich für das interne Disziplinarverfahren, weil Inhaftierte manchmal auch innerhalb des Vollzuges nochmal Dinge tun, die sie nicht tun sollten. Dann gibt es sowas wie eben ein internes Disziplinarverfahren.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Sie müssen Sprechstunden abhalten etc. Das ist ihre Aufgabe als Abteilungsleiter.

7:59 Min
Marc Ohrendorf:

Okay, da steckt eine ganze Menge drin. Ich glaube, wir müssen mal so ein kleines bisschen kurz unsere Zuhörenden abholen. Und mich selber muss ich, glaube ich, auch gerade mal so ein bisschen einnorden.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Und dann nähern wir uns mal so ein bisschen den verschiedenen Themengebieten. Strafrecht ist ja häufig in Klausuren so eine Fülle von Stoff, die man da ablädt. Manchen Leuten macht das mehr Spaß, anderen macht das weniger Spaß.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Irgendwann kommen dann die ganzen STPO-Zusatzfragen und dann hört es aber auch auf. Und mit Strafvollzug hat man so gar nichts zu tun in seiner gesamten Ausbildung, außer vielleicht im Referendariat, wo man mal mitgenommen wird und mal so eine JVA einen Tag von innen sehen darf. Aber bei ihnen sozusagen spielt ja irgendwo das wahre Leben, in Anführungszeichen.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Auf der anderen Seite, wenn wir so hören, naja, es gibt verschiedene Strafvollzugsmöglichkeiten auch, dann kann man ja gar nicht Strafrecht und ein staatliches Gerichtsverfahren und die Arbeit der Staatsanwaltschaft ohne den Strafvollzug auch denken, denn das eine greift ja dem anderen immer komplett ein. Also fangen wir mal dort am Anfang an.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Welche Arten des Strafvollzugs gibt es jetzt eigentlich?

9:12 Min
Jennifer Rybarczyk:

Gut, das, was vielleicht noch über die SDPO den meisten bekannt sein dürfte, ist eben die Untersuchungshaft. Das ist eben mit den entsprechenden Haftgründen versehen. Das ist dann ein Ort, wo Leute vorübergehend sind, weil sie entweder danach entlassen werden oder in Strafhaft überführt werden.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Bei der Strafhaft kann man zunächst mal unterscheiden zwischen der Jugendhaft und der Erwachsenenhaft, eben spiegelnd zum Jugendstrafrecht und zum Erwachsenenstrafrecht. Dann Männer, Frauen natürlich und dann haben sie die großen Bereiche des geschlossenen Vollzuges und des offenen Vollzuges. Der geschlossene Strafvollzug ist das, was man sich so klassischerweise unter einem Gefängnis vorstellt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Mauern, Gitter, Schlösser und hohe Hürden für eine Verhinderung einer Flucht zum Beispiel. Der offene Vollzug hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass er weniger oder jedenfalls geringere Anforderungen an die Sicherheit stellt. Also es gibt kaum Hinderungsvorrichtungen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also wenn ein Gefangener das möchte, dann kann er diesen Ort verlassen. Voraussetzung, in den offenen Vollzug zu kommen, ist eben auch eine fehlende Flucht- oder Missbrauchsgefahr. Also im Sinne des Missbrauchs dieser Freiheit, um wieder Straftaten zu begehen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dazu kommt noch ein gewisses Verantwortungsbewusstsein, Mitarbeitsbereitschaft etc., wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann kann ein verurteilter Mensch auch im offenen Vollzug seine Strafe absetzen. Zum Beispiel die Anstalt, die ich jetzt leite, ist eine Anstalt des offenen Vollzuges.

10:49 Min
Marc Ohrendorf:

Grundsätzlich, bei allen dort anwesenden Personen?

10:51 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, also das ist länderspezifisch ein bisschen, wie man in den offenen Vollzug kommt. In Nordrhein-Westfalen ist es tatsächlich so, dass jeder, der sich auf freiem Fuß befindet und nicht Sexualstraftäter ist, zunächst mal in den offenen Vollzug geladen wird. Und wenn er sich dann selbst dort stellt, dann überprüfen wir nochmal die Voraussetzungen, sind die auch wirklich da und dann bleibt er entweder im offenen Vollzug oder wird in den geschlossenen Vollzug verlegt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Die andere Möglichkeit ist, wenn er in Untersuchungshaft war und dann in den Strafhaft überstellt wird, beginnt er in der Regel seine Strafe im geschlossenen Vollzug und kann dann im Wege von Progression, wie wir das nennen, in den offenen Vollzug kommen.

11:33 Min
Marc Ohrendorf:

Okay, nur dass ich das richtig verstehe. A, es ist also sozusagen nicht gemischt im Gefängnis selbst, offener und geschlossener Verzug, sondern das ist ein Gefängnis rein für den Offenen.

11:43 Min
Jennifer Rybarczyk:

Genau.

11:43 Min
Marc Ohrendorf:

Und B, jetzt bin ich verurteilt, ich zum Glück nicht, aber jemand, sagen wir mal fünf Jahre, logischerweise ohne Bewährung, weil weit über der Bewährungsgrenze. Dann heißt das in NRW jedenfalls erstmal grundsätzlich fünf Jahre offener Verzug mit der Einschränkung keine Sexualdelikte.

12:01 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, soweit sie, wie gesagt, nicht in Untersuchungshaft sind zu dem Zeitpunkt, also aus der Untersuchungshaft entlassen wurden oder gar nicht erst drin waren. Und, wie gesagt, wir überprüfen nochmal, also wir haben tatsächlich, insofern ist es ein bisschen eine Einschränkung zu nehmen, was wir gerade gesagt haben, wir haben innerhalb des offenen Vollzugs noch einen kleinen geschlossenen Bereich, wo solche Menschen zu Anfangs untergebracht werden und wir überprüfen dann nochmal, ist die Eignung wirklich gegeben.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also es gibt nochmal einen Filter.

12:27 Min
Marc Ohrendorf:

Das heißt, wenn ich mir das richtig vorstelle, dann schwebt da ja auch so ein bisschen das Damoklesschwert des geschlossenen Vollzugs immer noch über den Inhaftierten, dass sie sagen, wenn man sich nicht benimmt sozusagen, dann kann es noch schlimmer werden.

12:40 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, genau.

12:42 Min
Marc Ohrendorf:

Okay, was sind so typische Sachen, die da passieren müssen, damit jemand vom offenen in den geschlossenen Vollzug überführt wird? Ich sag mal jetzt ganz einfach wieder eine Straftat oder reicht da auch schon was anderes aus?

12:56 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also wieder eine Straftat dann auf jeden Fall. Also das ist eindeutig. Drogenkonsum, aber auch da differenzieren wir. Wie sind die Umstände? Ist derjenige bereit und in der Lage, an seinem Suchtproblem zu arbeiten? War das jetzt ein einmaliger Rückfall? Weil reden wir über Haschisch oder reden wir über Heroin oder Kokain, das sind alles Dinge, das sind Einzelfallentscheidungen, aber das ist ein Grund, wiederholte Regelverstöße oder wenn jemand tatsächlich einfach aus einer vollzugsoffenen Maßnahme, also aus dem Ausgang oder so etwas nicht pünktlich zurückkommt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Oder Gewalt natürlich, also das muss ein absolut gewaltfreier Bereich sein, also wenn es dort Schlägereien gibt oder so, das sind auch Gründe, genau, Regelverstöße vor allem.

13:41 Min
Marc Ohrendorf:

Wie sieht denn der Alltag dann aus im offenen Vollzug? Ich weiß, das ist wahrscheinlich schwer zu sagen, weil es relativ individuell ist. Ist es das? Das ist ja auch schon eine Prämisse.

13:51 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, also das Ziel soll eigentlich sein, dass die Menschen eben ja möglichst ihr Leben an draußen schrittweise angleichen können. Das ist allerdings auch im geschlossenen Vollzug so. Es gibt den gesetzlich verankerten Angleichungsgrundsatz, dass nämlich das Leben im Vollzug weitestmöglich an die Gegebenheiten draußen abläuft.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Angeglichen werden soll, weil es natürlich eben immer um Resozialisierung geht. Und man muss ja lernen, mit Freiheit umzugehen. Und je mehr Freiheit man mit jemandem nimmt, desto weniger Gelegenheit hat er natürlich dazu.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das heißt, die Inhaftierten sollen irgendwann mal draußen ganz normale Arbeitsverhältnisse eingeben. Und dann ist es eben auch so, dass sie morgens eben zur Arbeit die Anstalt verlassen, dann wiederkommen und dann mit der Zeit ein gewisses Kontingent an Ausgängen noch bekommen. Also, dass sie dann nachmittags auch nochmal einkaufen gehen können oder zum Sport können draußen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und es gibt 24 Tage Langzeitausgangskontingent, wo eben die Inhaftierten auch dann übers Wochenende zu ihren Familien können. Also tatsächlich am Wochenende zu Hause verbringen können. 24 Tage pro Jahr? Pro Jahr, genau.

15:01 Min
Marc Ohrendorf:

Ja, okay.

15:02 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das klingt so ein bisschen… Also, da gibt es Erweiterungsmöglichkeiten kurz vor der Entlassung. Also, da gibt es noch Spezifika, aber grundsätzlich sind es 24 Tage.

15:10 Min
Marc Ohrendorf:

Das klingt so ein bisschen wie Urlaub vom Gefängnis.

15:12 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, das hieß früher auch Urlaub. Ach, tatsächlich. Okay, ja, interessant. Ja, genau. Ja, das dient, das hat allerdings auch einen Zweck. Also das dient jetzt nicht nur der Entlastung, sondern das dient auch eben dem Einproben von Verhaltensmaßnahmen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also vielleicht einfach auch, um den Vollzug so richtig zu verstehen, den muss man vielleicht auch ein bisschen nochmal auf dieses gesetzliche Bild kommen, der Resozialisierung. Also was wir machen, und da ist es ganz egal, ob jemand im offenen oder geschlossenen Vollzug ist, am Anfang seiner Haft machen wir sowas wie eine Anamnese.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also das kann man sich so vorstellen, wenn man bei einem guten Arzt ist. Dass man seine ganze Biografie aufmacht. Und wir versuchen tatsächlich, die Ursache für die Tat, weswegen er verurteilt worden ist, zu finden.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, also wir schauen uns die ganze Biografie an. Häufig ist es relativ auf der Hand liegend, nämlich ein Suchtproblem. Das ist tatsächlich in den allermeisten Fällen so. Und schauen dann, was für Möglichkeiten wir haben, innerhalb unserer Institutionen ihm zu helfen, daran zu arbeiten.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und darauf wird der Vollzug dann ausgerichtet. Also es geht um Arbeit, es geht um Therapie, es geht um sonstige Dinge, Freizeitverhalten, es geht um Erhalt oder Wiederaufbau der sozialen Kontakte. Es geht um Entlassungsvorbereitung relativ schnell.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also in welches Umfeld kann ich jemanden entlassen, guten Gewissens. Das sind eben die Dinge, an denen wir die ganze Zeit arbeiten und zwar bei jedem Gefangenen. Und das ist dann eben auch im geschlossenen Vollzug so, aber im offenen kann man natürlich behandlerisch auch mehr machen.

16:53 Min
Marc Ohrendorf:

Klingt aufwendig. Wie viele Gefangene sind denn in Ihrer JVA?

16:58 Min
Jennifer Rybarczyk:

Derzeit sind wir tatsächlich nur mit ungefähr 200 Gefangenen belegt. Das liegt aber daran, dass wir Opfer der Flugkatastrophe waren. Also bei uns floss Wasser durch die gesamte Anstalt und wir sind noch dabei, Schäden zu beheben. Aber grundsätzlich hat die Anstalt eine Belegungsfähigkeit von 450 Gefangenen.

17:15 Min
Marc Ohrendorf:

Naja gut, wenn man da auf jeden Einzelnen entsprechend eingehen möchte, dann ist das natürlich trotzdem sehr, sehr viel Arbeit. Das kann ich mir vorstellen.

17:24 Min
Jennifer Rybarczyk:

So sind wir eben auch personell ausgestattet. Das ist eben ein relativ großes Team und das kann eben auch diese Aufgaben dann erfüllen.

17:34 Min
Marc Ohrendorf:

Jetzt muss ich aber mal fragen, also irgendwann sind Sie wach geworden oder wann war denn die Flut? War die morgens? Ich weiß es gerade gar nicht mehr genau. An einem bestimmten Tag war auf jeden Fall Wasser im Gefängnis, wie Sie es gerade schon angedeutet haben.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Wie war dieser Tag? Wie lief das ab? Das muss doch absolutes Chaos gewesen sein.

17:52 Min
Jennifer Rybarczyk:

Wobei ich sagen muss, an diesem Tag war ich noch gar nicht da. An diesem Tag war ich noch stellvertretende Leiterin in Siegburg und habe das Ganze von außen gesehen. Ich bin tatsächlich erst später dazugekommen, als die Anstalt schon geräumt war und habe dann quasi mich an den Aufräumarbeiten, organisatorisch jedenfalls, beteiligt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Von daher kann ich das aus eigener Anschauung nicht sagen, aber das war schon eine wirklich gewaltige Leistung der Menschen, die zu dem Zeitpunkt dort waren, soweit sie überhaupt selber zum Gefängnis vorgedrungen sind, weil die meisten Menschen ja in der Nähe gewohnt haben, in der Eifel oder Vor-Eifel und überhaupt nicht in der Lage waren vorzubringen. Also da war kein Strom, da war kein Wasser.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Die Gefangenen, das ist eben offener Vollzug, die haben zum Teil selber Wasser rausgeschippt aus den Kellern und dann hat man mit großen Paella-Pfannen gegrillt und der THW kam dann auch irgendwann. Aber man hat letztendlich viele Leute, die eben urlaubsgeeignet waren, also tatsächlich am Wochenende raus konnten, Da gibt es nur eine Möglichkeit, Sonderurlaub in Anführungszeichen zu gewähren.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Die hat man dann eben länger beurlaubt und hat dann die Inhaftierten auf andere Anstalten des offenen Vollzuges verlegt. Beziehungsweise in einigen Fällen konnte man auch eine Haftunterbrechung gewähren. Aber das ist jetzt alles vorbei.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also wir haben die, die wir verlegt haben, zurück und auch die Haftunterbrechung sind wieder da und es haben sich fast alle pünktlich gestellt wieder. Und die anderen sind aber auch früher oder später wieder da.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Wieder in Haft gekommen.

19:19 Min
Marc Ohrendorf:

Okay, das ist ja schon mal ganz gut für alle Beteiligten zu wissen. Lassen Sie uns noch mal kurz auf einen Punkt eingehen, der mir gerade kam von wegen Informationsfluss. Weil Sie gerade sagten, naja, da waren ja Menschen auch draußen unterwegs, haben vielleicht dann irgendwo geholfen und so weiter.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Wie ist das eigentlich im offenen Vollzug mit Zugang zu Informationen durch die Gefangenen? Also klar, passiv sowieso kein Problem. Darf man dann Handy haben und sowas?

19:46 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also innerhalb des Geländes nicht.

19:47 Min
Marc Ohrendorf:

Okay.

19:48 Min
Jennifer Rybarczyk:

Genau. Also wir haben tatsächlich eine Telefonzelle. Das ist, viele junge Menschen kennen das, glaube ich, gar nicht mehr. Also das ist eben so ein Teil, in dem man telefonieren kann. Dann gibt es ansonsten die klassischen Möglichkeiten, in der Tat sich passiv zu informieren mit Fernseher, Radio etc.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und dann haben wir aber im Eingangsbereich eine Möglichkeit, wo die Inhaftierten ihre privaten Handys, wenn sie die draußen dann benutzen, einzuschließen. Aber die dürfen sie nicht mit aufs Gelände bringen. Genau.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das ist aber eine politische Diskussion, die auch schon seit Längerem läuft. Ob das so sein muss, ist natürlich ein bisschen schwierig geworden durch Smartphones, weil man damit eben so viel anderes auch noch tun kann als telefonieren. Und wir haben eben natürlich Leute, die Straftaten auch mit solchen Geräten begangen haben, mit Computern, Computerbetrug oder andere Dinge.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und das ist eben nochmal ein Risiko, das man eigentlich so nicht haben möchte auf dem Gelände.

20:44 Min
Marc Ohrendorf:

Ja, interessant. Klar, da steckt natürlich eine ganze Menge dann dahinter. Also während das vielleicht früher mit dem normalen Telefon noch eine Anstiffung oder eine Beihilfe, eine psychologische zu irgendwas denkbar wäre, kann man mit so einem Smartphone natürlich alles Mögliche machen. Ja, gerade in dem Bereich dieser Computerdelikte.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Gut, zoomen wir ein bisschen raus. Jetzt haben wir, glaube ich, die wir hier zuhören und ihren Worten lauschen, einen ganz guten Eindruck, wie das so abläuft, worum es da auch geht. Es ist auch schon so ein bisschen durchgeklungen, dass Resozialisierung und die Wiederheranführung an der Gesellschaft natürlich ihre Hauptziele sind.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Mich würde interessieren, wie blicken Sie denn so aufs Strafrecht? Das ist zwar eine sehr breite Frage, aber vielleicht können wir uns der Antwort ein kleines bisschen darüber nähern, dass wir mal darauf eingehen, wie sich dieser Blick verändert hat bei Ihnen in den letzten 20 Jahren Ihrer Tätigkeit oder auch im Vergleich der Studienzeit mit heute. Lässt sich da eine Veränderung feststellen?

21:47 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also, es ist ein bisschen desillusionierend vielleicht, weil man doch feststellt, dass Kriminalität in weiten Teilen, wenn sie ihr Ende im Gefängnis findet, also noch mehr im geschlossenen als im offenen Vollzug, aber eigentlich gilt das für beide Bereiche, doch ein Armuts- und ein Suchtthema ist.

22:08 Min
Marc Ohrendorf:

Okay.

22:08 Min
Jennifer Rybarczyk:

Wir haben zum Beispiel so gut wie niemanden, der Abitur hat oder studiert hat. Im geschlossenen Vollzug finden sie das sowieso so gut wie gar nicht. Also die meisten Menschen, da ist man schon froh, wenn die überhaupt einen Schulabschluss haben.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Interessant. Da geht es um so Fragen wie Alphabetisierung und so. Und das ist keinerlei Sozialromantik, sondern tatsächlich Realität, dass die allerwenigsten Menschen, die bei uns landen, eine auch nur im entferntesten, ich sag mal, mit unserer bürgerlichen Erziehung vergleichbare Vita haben. Also das beginnt in der Regel frühkindlich, dass man selber Kind von drogenabhängigen oder inhaft befindlichen Eltern war, mit mehreren Beziehungsabbrüchen, zum Teil mit selber eigener Opferwerdung etc.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also das ist tatsächlich, ich sag mal, 98 von 100 Akten, die man aufschlägt, wenn man da die Urteilsbegründung liest, wenn man die Gutachten liest, sind das solche Lebenswege. Und die führen dann häufig auch eben eine Suchtbiografie, die meistens mehr oder weniger zwangsläufig dann eben auch in eine kriminelle Biografie führt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und das ist schon etwas, was einen so ein bisschen ernüchtert, weil man eben denkt, das hat eben auch was mit Stabbedingungen zu tun, die Menschen haben.

23:30 Min
Marc Ohrendorf:

Machen wir da zu wenig? Was könnten wir noch als Staat besser machen in dem Bereich?

23:37 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also sicherlich ist das, was jetzt auch immer mal wieder aufs Tablett kommt, mit Blick auf diese Fragen, wie es sein kann, dass Pflegekinder zu alleinstehenden Männern auf Campingplätze vermittelt werden. Das sind so Dinge, wo das mal offensichtlich wird.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Wie unterfinanziert und wie vernachlässigt gerade der Bereich ist, der staatlichen Fürsorge für Kinder, die man aus Familien holen muss. Da könnte ich jetzt keine Verantwortung irgendjemandem persönlich zurechnen, aber das ist in der Tat einfach zu wenig im Fokus und aus meiner Sicht auch zu wenig finanziert.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also meines Erachtens muss man sehr, sehr, sehr früh Familien stützen und fördern und in solche Projekte einbinden, weil ja, oft ist es in der Schule schon zu spät. Und wenn wir die Menschen bekommen, dann sind da sehr verfestigte Strukturen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und ich finde immer noch, und das muss ich eben auch sagen, das führt auch zu meiner beruflichen Zufriedenheit tatsächlich, dass wenn ich sehe, mit was für Problemen und Biografien die Leute kommen und was wir dann ab und an doch auch leisten können, um da das Ruder nochmal umzudrehen, dann ist das schon erstaunlich. Und das freut einen auch sehr.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und das ist vielleicht eben auch eine Überleitung zu dem, was man vielleicht mitbringen sollte für den Beruf. Also wenn man der Auffassung ist, dass Menschen sich nicht ändern, also wenn man schon einen Grundzynismus verbringt, dann ist man hier im falschen Beruf.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Weil Resozialisierung beinhaltet ja, dass Leute in der Lage sind, tatsächlich nochmal sich umzuorientieren und nochmal einen anderen Weg zu versuchen. Und das klappt erstaunlich häufig. Aber es ist natürlich total bedauerlich, dass es erst dann bei uns klappt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und dass es doch verschiedene Raster sind, durch die diese Menschen einfach gefallen sind.

25:22 Min
Marc Ohrendorf:

Klappt es erfahrungsgemäß bei jungen Menschen besser als bei älteren?

25:27 Min
Jennifer Rybarczyk:

Teils, teils. Also es gibt ja unendlich viele Statistiken. Und eine Statistik ist, dass die Jugendstrafe oder Menschen, die eine Jugendstrafe in einer Strafanstalt verbüßt haben, eine wahnsinnig hohe Rückfallquote haben. Das liegt aber natürlich daran, vielleicht kann der eine oder andere sich noch an die Stunde im JGG erinnern, dass die Hürde, um überhaupt tatsächlich in Haft zu kommen für Jugendlichen wahnsinnig hoch ist.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also ich sage immer, man muss entweder 20 Mal das Gleiche gemacht haben oder seine Mutter gehäutet. Also das sind so die Bereiche. Das heißt, die Jugendlichen oder die jungen Männer, die in Haft kommen, die sind in der Regel schon sehr kriminell verfestigt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Aber auch dort kann man wirklich gut nochmal zum Teil auch mit therapeutischen Maßnahmen oder auch mit Ausbildung nochmal etwas bewirken. Erwachsene sind meistens schon ruhiger. Häufig ist ja auch Kriminalität tatsächlich so ein Durchgangsphänomen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Die meisten, die in Jugendhaft sind, da ist es schon ein bisschen was anderes. Aber bei Erwachsenen manchmal beruhigt sich das auch. Das beruhigt sich manchmal einfach wirklich durch das Alter oder durch Lebenssituationen, die sich dann auch so ergeben, sodass man das nicht generalisieren kann, würde ich sagen.

26:44 Min
Marc Ohrendorf:

Wenn man sich in einem Thema so richtig gut auskennt und man liest darüber den ein oder anderen Medienbericht, dann kann man ja manchmal nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. So geht es mir jedenfalls hier und da schon mal.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Wie ist es bei Ihnen, wenn Sie so typische Straftäter in den Medien sehen oder wenn Sie auch mal sehen, wie Gefängnisse dargestellt werden? Ist es nicht dann doch auch ein bisschen gehypt und ist die Realität nicht auch ein bisschen nüchterner manchmal oder ist da schon manches ganz gut dargestellt?

27:15 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also da gibt es ja ganz unterschiedliche Formen. Es gibt inzwischen ja schon einiges auch an Dokumentation, häufig eben eingeleitet mit der härtesten Knast.

27:25 Min
Marc Ohrendorf:

Da warte ich jetzt auch dran.

27:28 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das, was man da sieht, ist schon jetzt nicht gefakt, würde ich sagen. Aber das wird ja gemacht, um einen gewissen Gruselfaktor zu erreichen. Also häufig mit entsprechender Musik unterlegt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und man zeigt da eben dann auch wirklich nur die hart tätowierten und so. Aber das ist schon, also diese Dokumentation, da kann ich mit leben, sage ich mal. Was ich schwierig finde, wirklich schwierig ist, wenn es ins Fiktionale geht.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Jetzt wissen wir, Fiktion ist Fiktion und wenn Sie einen Kriminalhauptkommissar zum Tatort fragen, dann wird der auch nur müde lächeln. Der Unterschied ist nur, was mich ärgert, ist gerade zum Beispiel in diesem Format von deutschen Fernsehkrimis werden die bediensteten Vollzugsanstalten immer entweder als Sadisten, Vollidioten oder in der Regel eine Kombination aus beidem dargestellt.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also und der Beruf, gerade auch im uniformierten Dienst, das ist wirklich ein ganz fordernder und auch elaborierter Job. Die Leute, das wissen die meisten nicht. Das Bewerbungsverfahren ist relativ anspruchsvoll und die Leute machen alle nochmal eine Ausbildung.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Zu der Ausbildung, die sie in der Regel schon mitbringen. Also wir gehen nochmal zur Berufsschule richtig, also wir haben eine Vollzugsschule, da lernen sie rechtliche Dinge, also das ging zum Beispiel früher sogar bis zum Erlaubnis Tatbestandsirrtung im Strafrecht, das fand ich etwas übertrieben, aber es gibt durchaus Strafrecht, Vollzugsrecht, Verwaltungsrecht, Kommunikation, ja alles mögliche.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Von daher ist das wirklich ein Job, der die Leute fordert. Und das finde ich immer, das ärgert mich mehr, als jetzt vielleicht ein Anstaltsleiter oder so durchgestellt wird. Ärgert mich, dass diese Menschen immer so als die letzten Vollidioten dargestellt werden.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Das ist nämlich, also das Gegenteil ist der Fall.

29:15 Min
Marc Ohrendorf:

Mhm. Wenn man sich da ein kleines bisschen einen persönlichen Eindruck machen möchte, es ist eben schon mal durchgeklungen, dass die auch mal Praktikantin in einer JVA waren. Kann man bei Ihnen Praktikum oder Referendariat eigentlich machen?

29:27 Min
Jennifer Rybarczyk:

Ja, das kann man beides machen. Also man kann sein Verwaltungspraktikum im Strafvollzug machen und man kann auch eine Station im Waffen der Jaht machen. Auch da ist es natürlich so, dass wir deutlich weniger Plätze haben als jetzt zum Beispiel die Staatsanwaltschaft Köln oder sowas.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also da muss man sich frühzeitig drum kümmern und da wir in der Regel auch nur ein bis maximal drei Juristen, das kommt immer ein bisschen auf die Größe der Anstalt an, haben, ist man dann eben als Ausbilder auch gesetzt und da kann man eben jetzt auch nicht die ganze Zeit zwei Menschen neben sich laufen haben. Zumal so viel juristische Arbeit gibt es da nicht.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also das ist tatsächlich nicht unbedingt der Schwerpunkt in der Arbeit. Man findet immer genug für Referendare, das ist keine Frage, aber man findet jetzt auch nicht genug, um zehn Leute gleichzeitig arbeiten zu lassen. Also von daher, ja, kann man, aber man muss sich drum kümmern.

30:15 Min
Marc Ohrendorf:

Was sollte man denn mitbringen? Also gute Noten, Interesse, bestimmte persönliche Fähigkeiten und so weiter?

30:24 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also ich sage mal so, beim Verwaltungspraktikum jetzt während des Studiums erwarte ich, außer vielleicht, dass man schon ein bisschen im Studiumverlauf sieht, das Strafrecht und dieser gesamte Bereich, dass es da schon so eine Ausrichtung gibt. Ansonsten erwarte ich da außer einem Interesse jetzt nichts.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Bei einem Referendar oder bei einer Referendarin, Ist es schon mal vielleicht ganz nett oder ist es natürlich super, wenn die Person schon mal ein Verwaltungspraktikum gemacht hat, aber auch da, wenn man eben in der Ausbildung schon ein bisschen merkt, dass da ein Schwerpunkt gelegt ist, Noten sind jetzt zu dem Zeitpunkt egal. Egal, also doch würde ich sagen, ich weise nur immer darauf hin, dass wenn man tatsächlich dann nachher sich im Strafvollzug als Volljurist bewerben möchte, man eben genau die gleichen Hürden hat wie sonst im öffentlichen Dienst.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also man muss schon oberes Befriedigen mitbringen, zweiten Staatsexamen und so weiter. Also drunter geht es nicht, manchmal sind die Hürden höher oder tiefer, das ist genau wie beim Richteramt oder so, das hängt immer ein bisschen damit nach dem Bedarf. Aber das muss man schon wissen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also man muss schon einigermaßen ordentliche Noten mitbringen, aber man muss eben auch nicht ein Doppelgut dort vorweisen. Wichtiger ist tatsächlich der persönliche Eindruck. Also man muss eine ganz, ganz hohe Sozialkompetenz mitbringen.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Sie müssen wirklich eine hohe Fähigkeit haben, zu kommunizieren, und zwar auf Augenhöhe mit ganz verschiedenen Menschen. Also das ist eine interdisziplinäre Arbeit. Man hat mit Sozialarbeitern zu tun, mit Psychologen, mit dem uniformierten Dienst, mit Handwerker, mit Staatssekretär, mit Politiker, mit Richtern.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also man hat die ganze Bandbreite und man muss sich eigentlich da in jeder Umgebung wohlfühlen. Und wenn es nur das akademische Parkett ist, in dem man sich wohlfühlt, ist es schlecht. Aber man muss eben auch das können.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Und ja, und da verschaffen wir uns so den Eindruck, also ab dem Zeitpunkt bei Referendaren, ob das eben tatsächlich auch passt. Weil wenn jemand schon wahnsinnig eingeschüchtert ist, bevor die Tür betritt, ist das schlecht. Aber das Gegenteil auch.

1:00 Min
Jennifer Rybarczyk:

Also wenn man meint, man würde hier Rambo spielen, dann ist das auch keine gute Eintrittskarte.

32:29 Min
Marc Ohrendorf:

Vielen Dank, dass Sie den Zuhörenden hier heute so einen schönen Einblick gegeben haben. Ich persönlich fand es auch wirklich interessant und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute.

32:37 Min
Jennifer Rybarczyk:

Tschüss. Vielen Dank. Tschüss.

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