Onur Özata, Associate | Kanzlei Özata
Strafrecht - Strafverteidiger - Opfervertretung - Nebenklage - Menschenrechte - Schuldsvermutung - Kachelmann-Effekt - NSU-Verfahren - Holocaust-Überlebende - KZ Stutthof - Rechtspopulismus - Geschichtsrevisionismus - Aufklärungsquote Kriminalität - Strafen erhöhen - Rechtsfrieden - Mord - Beihilfe zum Mord - Nichtverjährbarkeit Mord
Onur Özata berichtet von seinem Beruf als Anwalt in Berlin. Er ist ausschließlich im Strafrecht tätig und vertritt ebenso Täter wie Opfer (als Nebenklägervertreter). Herr Özata war ferner als Nebenklägervertreter im Hamburger Stuttfhof-Prozess tätig. Neben seinen größten Verfahren sprechen wir über Gewalt, faire Strafen und den Zweck eines modernen Strafverfahrens.
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Kanzlei Özata ist eine kleinere, auf Strafrecht spezialisierte Boutique mit Hauptsitz in Berlin. Rund ein bis drei Rechtsanwältinnen und ‑anwälte um Gründer Onur Özata widmen sich ausschließlich dem Straf- und Strafvollstreckungsrecht und vertreten Täter ebenso wie Opfer als Nebenklagevertreter.
Bekannt wurde die Kanzlei durch ihre engagierte Vertretung von Holocaust-Opfern im Hamburger Stutthof-Verfahren und ihre klare menschenrechtsorientierte Haltung. Wer wissen will, wie Strafverteidigung heute klingt, sollte unbedingt in unsere Podcast-Episode reinhören – Rechtswissen to go!
In Strafverfahren brauchen die Leute Schutz und jemanden, der sich für sie einsetzt. Das hat viel mit Menschenrechten und Schuldsvermutung zu tun – jeder ist erstmal unschuldig, auch wenn das oft nicht so wahrgenommen wird.
KI-basiert und kann Fehler enthalten.
Herzlich willkommen zu einer neuen Episode Irgendwas mit Recht zum Jahresende 2019. Heute, wo wir aufnehmen, ist der 16. Dezember diesen Jahres und ich spreche mit Onur Özata. Ich grüße dich, Onur.
Hallo Marc, vielen Dank für die Einladung.
Sehr gerne. Onur, warum Strafrecht? Du bist Strafverteidiger, ne?
Ja, ich bin Strafverteidiger. Ich verteidige Menschen, die sich strafrechtlichen Vorwürfen ausgesetzt sehen. Ich vertrete aber auch Opfer von Straftaten und mache auch noch diverse weitere Sachen. Warum Strafverteidiger? Ja, Strafverteidiger sein ist ein schöner Beruf.
Also es macht Spaß, es ist spannend. Man engagiert sich für Menschen, die allein sind so ein bisschen. Also die sich der Staatsmacht, mit der Staatsmacht konfrontiert sehen. Und und Und Hilfe brauchen in gewisser Weise.
Das ist so der eine Teil, das hat viel mit Gerechtigkeit zu tun.
Wann wurde dir denn klar, dass du gerne Strafverteidiger würdest?
Das war mir überhaupt nicht klar, ehrlich gesagt. Also ich habe Jura angefangen, weil ich nicht wusste, was ich sonst machen will.
Wie so viele, ja?
Ja, wie so viele, genau. Das haben meine Eltern gerne gesehen, dass ich Jura mache. Ich hatte keine besonderen Talente in keinem anderen Bereich, jetzt nicht naturwissenschaftlich oder so. Also klar, man hat so Interessen gehabt, aber Geschichte wollte ich jetzt auch nicht machen.
Und deswegen bin ich dann irgendwie bei Jura gelandet. Und das war auch im Studium nicht klar. Also mir hat Strafrechte mal Spaß gemacht, mehr als die anderen Sachen, weil das war so ein bisschen näher am Leben.
Das war auch so ein bisschen näher an dem, was ich selber erfahren habe in meinem Leben. Also das war so ein bisschen nachvollziehbarer. Ja, und dann hat sich das so ergeben über die Zeit.
Also es ist eine komplexe Geschichte so ein bisschen.
Hat sich dann nach dem Referendariat einfach selbstständig gemacht oder wie hat das angefangen?
Nach dem Referendariat habe ich mich sofort selbstständig gemacht, genau. Also ich bin gleich in die Selbstständigkeit gegangen. Ich habe mich hier und da mal ein bisschen beworben, aber eher so halbherzig und habe dann ...
Gesagt, bevor ich noch länger irgendwie warte oder noch mehr Frustrationserlebnisse sammle, mache ich mich selbstständig. Aber auch nicht unbedingt mit dem Ziel, Strafverteidiger zu werden. Das kam dann erst mit der Zeit, das hat sich so ergeben.
Aber wenn ich zurückblicke, dann kann ich schon Gründe finden, warum das irgendwie im Strafrecht, warum ich da so eine Affinität dazu habe, warum mich dieser Bereich besonders interessiert. Und was sind die Gründe? Ihn immer interessiert hat.
Das hat vielleicht ein bisschen was damit zu tun, dass Gewalt, das hat ja auch viel mit Strafrecht zu tun, also viele Dinge, die sich im Strafrecht abspielen, nicht ausschließlich, aber haben auch mit Gewalt zu tun und Gewalt war auch immer ein Teil meiner Lebenserfahrung. Sei es im privaten Umfeld, sei es in meiner Jugend Und da hatte ich einige Gewalterfahrungen und das es mir irgendwie näher als jetzt Mietrecht zu machen oder sowas.
Und ich habe so das Gefühl, dass ich die Leute auch verstehe so ein bisschen, wenn die so dann vor mir sitzen und mir erzählen von ihren Erfahrungen oder dann kann ich mich irgendwie so in die rein denken. Das heißt nicht, dass ich mich mit denen dann also fraternisiere in der Form oder dass ich das gutheiße oder befürworte, was sie gemacht haben, aber irgendwie kann ich das nachvollziehen und mich für die auch einsetzen in der besten Art und Weise.
Bleiben wir mal bei dem Gewaltbegriff. Das ist ja eine ganz interessante Sache, weil das sozusagen zwei Seiten hat, diese Medaille. Zum einen haben wir Gewalt innerhalb der Straftat, sagen wir mal eine einfache Körperverletzung, muss man bei was relativ Einfachem zu belassen.
Aber wir haben gleichzeitig, wie von dir ja schon angesprochen, die Staatsgewalt, die von oben kommt sozusagen und die jetzt, Zurecht oder zu Unrecht, das muss sich dann im Strafverfahren eben zeigen, auf den Einzelnen als Bürger einwirkt. Ist das nicht auch ein interessanter Prozess und was würdest du sagen, wie sieht das so der normale Angeklagte, der meinetwegen, sagen wir mal, gefährliche Körperverletzungen begangen haben soll, sieht der diesen Zusammenhang, was spielt das für eine Rolle, wie ist der da eingestellt gegenüber dem Ermittlungsverfahren, wie würdest du das beschreiben?
Also da gibt es natürlich verschiedene Typen an Beschuldigten. Also da gibt es die komplette Bandbreite. Aber was alle eint ist natürlich, dass sie sich mit einer Staatsmacht konfrontiert sehen. Mit einem Apparat, der über alle Möglichkeiten verfügt, in Grundrechte einzugreifen.
Ja, und genau an der Stelle brauchen die Leute ja Schutz. Genau an der Stelle brauchen die Leute ja jemanden, der sich für sie einsetzt. Das hat ja auch viel mit Menschenrechten zu tun und Schuldsvermutung.
Also jeder ist erstmal unschuldig. Auch wenn er mit den schwierigsten Vorwürfen konfrontiert ist, muss dieser Mensch erstmals unschuldig gelten. Und das ist aber häufig nicht so. Also de facto ist es nicht so.
Inwiefern nicht?
Also wenn man sich die Prozesse in der Gesellschaft anguckt, Medien, wenn man sich voreingenommene Prozessbeteiligte anguckt. Und dann, wenn man sich die Gesellschaft anguckt, dann sieht man, dass die Leute mit dem Vorwurf eigentlich schon oft aus der Gesellschaft in irgendeiner Form geächtet werden, dass sie geächtet werden durch die Gesellschaft, dass sie ausgestoßen werden, bevor überhaupt in so einem gerichtsförmigen Verfahren festgestellt wurde, dass sie tatsächlich schuldig sind.
Könnte man das tragischerweise vielleicht den Kachelmann-Effekt nennen?
Absolut, genau. Also das ist so das Beispiel, woran man auch als erstes denkt.
Kannst du vielleicht kurz erläutern für diejenigen Zuhörer, die es nicht kennen, nur ganz grob, was damals passiert war?
Ja, Kachelmann war ein Fernsehwettermoderator, der, so genau, ich bin jetzt nicht in dem Fall drin, aber dem vorgeworfen wurde, seitens einer oder mehrerer Frauen diese vergewaltigt zu haben. Der hatte so einen sehr frivolen Lebensstil, hatte da mehrere Affären gleichzeitig irgendwie.
Allein dieser Vorwurf, der dann im Raum stand, hat dazu geführt, dass dieser Mann seinen gesellschaftlichen Tod erlebt hat. Er hat Anstellungsverhältnisse verloren, hat Aufträge verloren und so weiter. Und es gab dann, glaube ich, auch Feministenverbände, Gruppierungen, die sich gegen ihn gestellt haben, obwohl eben noch gar nicht klar war, dass er sich dieser vorgeworfenen Tat tatsächlich schuldig gemacht hat.
Und er wurde freigesprochen am Ende.
Und er wurde am Ende freigesprochen. Und diesen Effekt erleben wir aber häufig. Auch in ganz anderen Konstellationen.
Ich verstehe.
Und... Genau an der Stelle eben braucht man jemanden und dafür ist dann auch der Strafverteidiger da, der sich für jemanden einsetzt und der da hilft, dass das Verfahren dann fair abläuft. Also das ist so die letzte Bastion sozusagen eigentlich im Rechtsstaat aus Sicht eines Beschuldigten.
Du bist Einzelanwalt in Berlin, ne?
Ja.
Was macht das mit deiner, oder was macht das mit dir? Ich meine, das Ganze kann ja auch schon mal psychisch belastend sein. Wünschst du dir dann nicht manchmal vielleicht einen Kollegen, mit dem du das auch teilen könntest, was du da vertrittst?
Ja, also dass ich Einzelanwalt bin, bezieht sich auf die geschäftliche Seite. Aber ich bin trotzdem ein sehr vernetzter Typ. Also ich habe natürlich viele Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite.
Ich bin in einem Büro mit zwei weiteren Anwälten. Wir sind eine Bürogemeinschaft. Das heißt, ich habe schon die Möglichkeit, mich da auszutauschen und da mir Inspirationen zu holen. Oder wenn ich was auf dem Herzen habe, mich bei Kollegen mitzuteilen.
Das geht schon. Also man ist nicht komplett alleine da auf weiter Flur.
Okay. Dann erzähl uns doch mal vielleicht ein, zwei spektakuläre Fälle, die du so erlebt hast, natürlich anonymisiert, damit sich die Zuhörenden, Studierenden vielleicht noch ein kleines, ein bisschen ein lebhafteres Bild von dem machen können, womit du so täglich zu tun hast.
Ja, spektakuläre Fälle. Also ich bin natürlich in Verfahren auch, die so ein bisschen medial von Interesse sind, die gesellschaftlich von Interesse sind. Und sein ist, ja, das NSU-Verfahren, da war ich zum Beispiel Nebenklagevertreter oder…
Darüber ist auch der Kontakt zustande gekommen von uns beiden, weil Mehmet Daimler-Gühler, der ja auch schon mal hier im Podcast war, uns vorgestellt hat. Also so kommt dann oft eins zum anderen. Aber daher, okay, verstehe. Also NSU-Verfahren, ja?
Genau. Und so weitere Verfahren, beispielsweise das OEZ-Verfahren in München, dort habe ich auch eine Familie vertreten.
Das war dieser Anschlag vor Ort?
Genau, ich war in diversen Verfahren gegen ehemalige SS-Wachmänner, wo ich da auch Holocaust-Überlebende vertreten habe und auch jetzt zurzeit in Hamburg läuft so ein Verfahren.
Gehen wir da noch mal ein bisschen näher drauf ein. Da, wenn ich recht informiert bin, wird gerade ein 3- oder 94-Jähriger angeklagt, weil er als 17-Jähriger im KZ als SS-Wachmann Wache gestanden haben soll, wegen Beihilfe zum Mord. Ist das korrekt?
Ja, das ist richtig. Zum Mord in über 5000 Fällen.
Vor der Jugendkammer, stimmt's?
Genau.
Kannst du da mal ein bisschen, das klingt ja erstmal kurios, ein bisschen erklären, warum das so ist und was da gerade eigentlich passiert?
Ja, also der Angeklagte soll eben mit 17 im Konzentrationslager Stutthof tätig gewesen sein. Ich glaube, circa acht Monate waren das.
Wo liegt Stutthof?
Das liegt bei Danzig. Das war ein Konzentrationslager, in welchem schätzungsweise 65.000 Menschen ermordet wurden über die Jahre. Davon sehr viele Juden, also sehr viele Polen, politische Häftlinge. Und wir hatten letztes Jahr bereits ein Verfahren am Landgericht Münster, da gab es auch einen Angeklagten und das ist jetzt ein weiteres Verfahren gegen einen Angeklagten, der dort tätig gewesen sein soll.
Das heißt, es geht aber nicht darum, dass der Mensch jemanden jetzt direkt getötet haben soll, sondern es geht um Beihilfe dadurch, dass er dort seinen Wachdienst verrichtet hat.
Genau, also die Anklage geht nicht davon aus, dass der Angeklagte dort selber beispielsweise in der Gaskammer dort Menschen ermordet hat oder dass er Menschen aufgegangen hat oder erschossen hat, sondern was die Anklage und die stützt sich ja auf die historischen Akten und seine eigenen Vernehmungen, wovon die ausgehen ist eben, dass er dort tätig war als Wachmann. Das ist das gesicherte Wissen so.
Und das alleine aber reicht schon aus Sicht der Anklage, um hier zu einem Schuldspruch zu kommen.
Macht das Sinn nach 74 Jahren, könnte man provokant fragen, so jemanden noch vor ein Jugendgericht zu setzen?
Da bin ich von überzeugt, weil... Einerseits Mord nicht verehrt, also das ist einfach juristischer Fakt so. Man will diese Taten nicht ad acta legen. Das ist der Mord an sich oder die Tötung eines Menschen ist mit so einem hohen Tabu belegt in unserer Gesellschaft, dass man sagt, da kann man nicht einfach Schwamm drüber sagen und gut ist, sondern da muss man dranbleiben.
Die Nichtverjährbarkeit von Mord hat ja auch viel mit unserer Geschichte zu tun. Dass Mord heutzutage nicht verjährt, hat ja auch lange gedauert, bis es politisch umgesetzt wurde. Das war glaube ich 1979 zuletzt, dass man das entschieden hat.
Vorher gab es ja eine Verjährung von 30 Jahren und davor von 20 Jahren und so weiter. Und das vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Also der Barbarei des Nationalsozialismus, der sechs Millionen getöteten Juden des Zweiten Weltkriegs etc.
Da hat man dann richtigerweise beschlossen oder das deutsche Volk hat da beschlossen, dass diese Taten nicht verjähren dürfen. Und dass man die Täter dafür auch noch, wenn sie 100 Jahre alt sind, sagen wir mal, verfolgen sollte. Und dass da ein Strafverfahren stattfinden sollte.
Und das ist das eine. Und das andere ist natürlich, dass man jetzt vor der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, in der wir uns befinden, vor der politischen Entwicklung mit einem Wiedererstarken des Rechtspopulismus schon sagen muss, dass es eine gute Sache ist, dass man hier solch ein Strafverfahren durchführt. Ja, wir erleben ja, dass die AfD immer stärker wird, die ihrerseits aber eine rechts, eine erinnerungspolitische Wende von 180 Grad fordert, die vom Vogelschiss spricht, wenn es um diese zwölf Jahre deutsche Geschichte geht, die eben so ein bisschen das, was damals passiert ist, verschwinden lassen will aus dem kollektiven Gedächtnis.
Und das darf eben nicht passieren, so aus meiner Sicht. Und vor dem Hintergrund ist es schon wichtig, dass wir solche Taten juristisch aufarbeiten und dass wir die Taten juristisch aufarbeiten Weil dort eben auch mit vielen Mythen aufgeräumt wird.
Zum Beispiel? Was wären solche Mythen?
Zum Beispiel der Mythos, dass es nur einige wenige Haupttäter gibt und dass das deutsche Volk selber ja eigentlich so ein bisschen selber Opfer ist. Ja, da gibt es ja so Geschichtsrevisionismus. Die Deutschen sind auf selber Stufe wie die Juden, sind ja auch eigentlich nur Opfer und die können ja eigentlich nichts dafür.
Und es gab so ein verbrecherisches Regime. Und damit hat sich die Sache, das waren so ein paar hundert oder tausend Leute und der Rest kann eigentlich nichts für. Und das ist natürlich Quatsch, weil es gab viele hunderttausend Menschen, die mitgewirkt haben bei der Massenvernichtung, bei diesem, bei dem Genozid.
Was sich jetzt insbesondere dann, wenn ich dich richtig verstehe, auch darauf bezieht, dass eben auch, wenn man schon Wache gestanden hat, das als juristische Beihilfe zu werten ist. Und da gibt es natürlich, wie du ganz korrekt sagst, mehr als ein paar hundert Leute. Das kann ja logistisch schon nicht anders gewesen sein.
Ja, vollkommen richtig, genau. Aber das ist ja auch so eine Sache, die nicht unbedingt jeder so sieht. Also nicht jeder sieht den Wachmann oder den einzelnen Soldaten als Teil einer Mordmaschinerie. Also viele würden jetzt sagen, das kriege ich auch so mit, die könnten doch gar nichts dafür.
Was sollen die denn machen? Sollen die sich irgendwelchen Befehlen widersetzen, dann werden die erschossen.
Und sollten sie?
Das ist unser moralischer und gesellschaftlicher Anspruch an die Leute. Genau, ja, sollten sie, weil es auch gar keine Belege dafür gibt, dass irgendwer irgendwann mal in einem KZ sich einem Befehl widersetzt hat und dann dafür irgendwie wie mit Repressalien rechnen musste. Im Gegenteil, also das Gegenteil ist der Fall.
Die Leute konnten sich immer aus diesen Mordfabriken wegbegeben. Sie konnten immer sagen, sie hätten sich immer zur Front melden können. Das ist also historisch belegt. Natürlich wären sie dann an der Front.
Aber das ist trotzdem immer noch was anderes, als kleine Kinder, unschuldige Menschen etc. in die Gaskammern zu treiben. Oder dafür zu sorgen, dass diese Leute massenhaft ermordet werden.
Und das sind so Dinge, die eigentlich in so einem Prozess dann auch zur Sprache kommen und auch durch die sehr breite Berichterstattung dann auch breiten Kreisen der Bevölkerung zugänglich gemacht werden als Information. Das ist wichtig, denke ich.
Und es gibt noch einen dritten Aspekt, warum so ein Verfahren stattfinden sollte. Aus Sicht der Opfer ist das natürlich ganz wichtig, aus Sicht meiner Mandanten.
Du bist Nebenklägervertreter, das muss man vielleicht einmal kurz erläutern, auch für diejenigen, die im Studium noch nicht ganz so weit sind. Es gibt im Strafrecht die Möglichkeit, wo ja eigentlich der Staat gegen den Bürger vorgeht, als Nebenkläger, als Opfer der Tat, sich dem Verfahren sozusagen anzuschließen und dann auch ein Fragerecht zu haben, kann man Anträge stellen, also letztlich auf das Verfahren auch einwirken.
Könnte man das so beschreiben, würdest du sagen?
Genau, der Nebenkläger hat die Möglichkeit, sich am Verfahren zu beteiligen. Der ist Prozesssubjekt. Es geht gerade darum, dass er nicht nur Zeuge ist, dass er nicht nur berichtet, was ihm passiert ist, sondern dass er sich auch einbringen kann.
Dass er Fragen stellen kann, dass er die Gelegenheit hat, die Akten zu sichten, genauso wie die Verteidigung, dass er Gelegenheit hat, Beweisanträge zu stellen und an der Verurteilung oder an der Wahrheitsfindung mitzuwirken. Und das ist ein ganz wichtiges Institut mittlerweile und wird in den letzten 30 Jahren auch immer weiter ausgebaut.
Und da sagtest du eben, ist es wichtig für deine Mandanten, dass da eben auch dieser Prozess stattfindet. Kannst du das nochmal ein bisschen erläutern, bitte?
Genau, also meine Mandanten mussten ja mit ansehen, in den letzten, das sind ja auch alles hochbetagte Menschen, muss man dazu sagen, ja, und die mussten in den letzten Jahrzehnten natürlich mit ansehen, wie in der Bundesrepublik Deutschland die Verfolgung und Verurteilung dieser vielen, vielen Täter bitte? vereitelt wurde, muss man so sagen.
Zum Hintergrund, deine Mandanten waren selber Häftlinge im KZ, nehme ich an?
Teils, teils. Also einige waren selber im Konzentrationslager, andere haben Angehörige da verloren und das befähigt sie im Sinne des Strafprozessrechts, sich diesem Verfahren anzuschließen als Nebenkläger. Und es gibt eben darunter Mandanten, die haben 30 Familienmitglieder verloren.
Denen wurde alles genommen. Die haben ihre Heimat verloren, die haben ihren Besitz verloren, die haben ihre ganze Vergangenheit verloren. Und die mussten aber wiederum damit ansehen, wie viele Täter überhaupt nicht verfolgt wurden, wie die ganz normal ihr Leben weiterleben konnten.
Und vor dem Hintergrund ist es natürlich reichlich spät, dass jetzt solche Menschen vor Gericht gestellt werden, weil eben nicht nur Hitler, Himmler und so weiter verantwortlich sind für den Völkermord an den Juden Europas und vieler weiterer Minderheiten und Gruppierungen, sondern auch viele, viele weitere andere Menschen, die da mitgemacht haben. Und das ist eben wichtig für die, dass sie jetzt sehen, okay, das wird nicht vergessen, sondern ein deutsches Gericht verhandelt diese Taten.
Mhm. Kann ein solcher Prozess dann sowas wie Frieden schaffen überhaupt? Was würdest du sagen?
Ja, das ist der Anspruch eines Strafverfahrens. Rechtsfrieden schaffen. Der Täter hat den Rechtsfrieden gestört und der Prozess soll im Rahmen der Wahrheitsfindung den Rechtsfrieden wiederherstellen. Er soll eine gewisse Form der Gerechtigkeit schaffen.
Gerechtigkeit zu schaffen bei diesen Schicksalen ist natürlich nicht möglich. Aber es ist ein Griff nach der Gerechtigkeit. Es ist ein Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Und den muss man natürlich, den muss man wagen, den muss man nehmen.
Und es wird ja auch begrüßt von Opferseite.
Ja. Vielleicht machen wir dazu nochmal eine getrennte Folge, wenn der Prozess rum ist, dann kannst du auch ein bisschen mehr erzählen, wenn auch die Öffentlichkeit weiß, wie es dann ausgegangen ist sozusagen. Retrospektiv ist das etwas einfacher, als im laufenden Prozess natürlich darüber zu sprechen.
Deswegen würde ich ganz gerne nochmal auf zwei, drei allgemeine Fragen zum Strafrecht zurückkommen, so zum Abschluss auch unseres Gesprächs. Zum einen zum folgenden Gedanken. In der nicht-juristischen öffentlichen Debatte Ist das Strafrecht neben dem Steuerrecht ja wahrscheinlich das am häufigsten debattierte Rechtsgebiet? Nach dem Motto, wir haben 80 Millionen Bundestrainer, wir haben auch 80 Millionen Strafrechtsexperten.
Das ist natürlich sehr plakatives. Viele Menschen haben auch eine morbide Faszination für die Dinge, die mit dem Strafrecht zusammenhängen und die eben dort passieren. Was ist denn aus deiner Sicht eine der wichtigsten Entwicklungen im Strafrecht in den letzten fünf oder zehn Jahren? Wie hat sich das Strafrecht verändert?
Also ich würde dem erstmal total zustimmen, dass jeder sich so ein bisschen berufen fühlt, damit zu reden. Also weil das natürlich auch eine interessante Thematik ist für viele Menschen. Wenn man den Fernseher einschaltet, dann gibt es von Tatort bis zu sonst was, Polizeiruf, unzählige Formate.
Es gibt Krimi-Romane und es geht immer um Mord und Totschlag. Deswegen haben viele Menschen Zugang zu dieser Thematik. Es interessiert die Leute und das führt aber eben auch dazu, dass Medien sich sehr viel mit diesen Themen beschäftigen und ständig über Mord und Totschlag berichten auch.
Wenn man sich aber mal dann die Statistiken anguckt, wenn man mal Kriminologen fragt, dann beobachtet man aber oder dann wird man feststellen, dass in der gesamten westlichen Welt eigentlich Straftaten abnehmen. Dass es immer weniger Straftaten gibt in den letzten 20, 30 Jahren.
Und das Gefühl in der Bevölkerung ist aber ein ganz anderes. Das Gefühl in der Bevölkerung ist, es wird alles gefährlicher, man kann sich kaum noch auf die Straße raustrauen, es werden überall Menschen vergewaltigt und ausgeraubt und ermordet. Und dieses Gefühl, mit dem arbeitet dann wiederum die Politik, mit dem arbeitet dann wiederum der Gesetzgeber, der natürlich auf Mehrheiten, der Mehrheiten schaffen muss, der gewählt werden muss.
Und was der macht, ist oft, oder was Politiker, die sich profilieren wollen, machen, ist oft Strafen erhöhen. Also das ist so das einfachste, neue Straftatbestände schaffen und Strafen erhöhen.
Bringt das was? Dass es weniger Straftaten tatsächlich gibt, wenn man Strafen erhöht?
Wenn man einen Kriminologen fragt, nein. Was bringt denn dann was? Für den Täter macht es natürlich einen Unterschied, ob er jetzt beispielsweise für einen Mord lebenslang kriegt oder nur ein Jahr. Das natürlich.
Aber ob er jetzt für einen Bankraub acht Jahre oder zehn Jahre kriegt, das wird ihn nicht davon abhalten, diesen Bankraub durchzuführen. Was ihn davon abhalten würde oder abschrecken würde, ist eher eine Aufklärung. Also eine höhere Aufklärungsquote.
Wenn 5% aller Wohnungseinbruchsdiebstähle aufgeklärt werden, dann wird es immer weiter viele Wohnungseinbruchsdiebstähle geben. Aber wenn 20 Prozent aufgeklärt werden, dann werden Täter sagen, das lohnt sich nicht mehr und dann vielleicht ausweichen oder im besten Fall einer legalen Tätigkeit nachgehen. Aber das ist vielleicht auch Wunschdenken.
Aber härtere Strafen haben sich nirgendwo bewährt, in keiner Gesellschaftsform. Wenn man in die USA schaut, da gibt es die Todesstrafe in einigen Bundesstaaten. Die haben dieselbe Mordrate wie die Bundesstaaten, die keine Todesstrafe mehr haben.
Also das führt nicht dazu, dass weniger Menschen ermordet werden. Von daher ist das eigentlich nicht der Weg, um Kriminalität, Straftaten zu verhindern, sondern man muss an anderen Stellschrauben drehen.
Bestrafen wird zu hart oder zu milde oder genau richtig?
Teils, teils, ja und nein. Also wenn man die Leute in der Bevölkerung fragt, werden die sagen, wir bestrafen zu milde. Also bezogen auf beispielsweise Jugendkriminalität. Ich als Strafverteidiger habe immer das Gefühl, dass das viel zu unverhältnismäßig ist, dass die immer viel zu hart ins Gericht gehen mit den Leuten.
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Wenn man jetzt wieder Kriminologen fragt, dann würden die wahrscheinlich sagen, die Strafen werden mit der Zeit härter. Also ich glaube, mal sowas gelesen zu haben, dass da Gerichte mittlerweile so ein bisschen härtere Strafen aussprechen.
Und das hat vielleicht auch was damit zu tun, dass sie sehr stark unter einem gesellschaftlichen Druck stehen. Die stehen ja ständig in der Kritik, dass sie da zu milde sind, Kuscheljustiz, die Polizeigewerkschaften laufen immer Sturm. Ich kenne keinen Polizisten, der mal irgendwie positiv über die Justiz spricht.
Die äußern sich alle abfällig und das ist natürlich auch für unsere Demokratie gefährlich, muss man tatsächlich so sagen. Aber das hinterlässt Spuren bei Richtern, die sind ja auch nur Menschen und das führt wahrscheinlich dazu, dass sie dann härter bestrafen.
Stammhörer kennen schon die Frage, die jetzt kommt, nämlich wenn ich es interessant fand und wenn man dich vielleicht sympathisch fand als Gast hier bei uns im Podcast, kann ich mir das Ganze dann mal näher anschauen. Besteht bei dir die Möglichkeit ein Praktikum zu machen oder vielleicht sogar eine Referendariatsstation oder ähnliches?
Ja, auf jeden Fall. Also ich freue mich immer für Nachfragen, für engagierte Studenten, Referendare. Ich habe auch Schülerpraktikanten. Das ist natürlich für mich auch sehr aufwendig, mich um die zu kümmern.
Aber ich mache das natürlich gerne, wenn es sich einrichten lässt. Dann freue ich mich, wenn ich was zurückgeben kann und wenn ich was von meiner Erfahrung mitteilen kann.
Sag vielleicht nochmal genau, wo du sitzt, damit man weiß, ob das in Betracht kommt.
Ja, ich sitze in Berlin-Schöneberg.
Ah ja, und die entsprechenden Infos findet man, wenn man dich googelt oder wenn man auf unserer Homepage oder in eurer Podcast-App auf den entsprechenden Namen klickt, dann verlinken wir das Ganze auch nochmal. Vielen Dank, Uno, dass du dir heute die Zeit genommen hast, uns hier mal einen ganz ungefilterten Eindruck aus dem Leben eines Strafverteidigers in Berlin zu geben.
Herzlichen Dank.
Sehr gerne, danke dir.
Ganz kurz zum Abschluss für euch noch der Hinweis, da wir ja in den letzten Wochen sehr viele neue Hörer bekommen haben. Wenn ihr irgendwas mit Recht einen Gast vorschlagen wollt, könnt ihr das natürlich gerne machen. Schreibt uns eine E-Mail an gast at irgendwasmitrecht.de, folgt uns auf Twitter unter imr-podcast oder auf Instagram unter dem Namen irgendwasmitrecht.
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Aber am wichtigsten ist eigentlich, dass ihr Gäste vorschlagt, weil wir möchten gerne mit den Leuten sprechen, die ihr auch interessant findet. Vielen Dank und bis zum nächsten Mal aus Köln. Ciao!
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