Dr. Dirk Gilberg, Richter | Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen
Verfassungsgerichtshof NRW - Arbeitsgericht Köln - Grundrechte - Landesverfassung NRW - Ausstellung "Grundrechte in Bildern" - Würde des Menschen - Steuerlicher Grundfreibetrag - Richterliche Unabhängigkeit - Gerichtsdirektor - Gerichtsverwaltung - Geschäftsverteilung - Gütliche Einigung - Videoverhandlungen - Eilrechtsschutz - Corona Pandemie - Art. 1 GG
In dieser Episode von Irgendwas mit Recht hört Ihr von Dr. Dirk Gilberg. Er ist Direktor des Arbeitsgerichts in Köln sowie Mitglied des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Wie kann man zwei solch verantwortungsvolle Aufgaben vereinen? Inwieweit hilft hierbei remote work? Welche Vorteile haben persönliche Meetings? Wie hat Corona (sneak peak: 1. FC Köln!) die Verfahrenslandschaft des Verfassungsgerichts verändert? Wie hilft Dr. Gilberg seine Erfahrung aus verschiedensten Studi-Jobs noch heute? Wie kam er auf die Idee, die Ausstellung "Grundrechte in Bildern" ins Leben zu rufen? Wie ist er bei seinen Fotografien vorgegangen - und welches ist sein Lieblingsmotiv? Antworten auf diese und viele weitere Fragen erhaltet ihr im Podcast. Jetzt reinhören und abonnieren!
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Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen ist das oberste Gericht des Bundeslandes in Fragen der Landesverfassung. Er hat seinen Sitz im historischen Landeshaus in Münster, wo rund ein Dutzend Verfassungsrichterinnen und ‑richter sowie etwa 20 wissenschaftliche und administrative Mitarbeitende arbeiten.
Als unabhängige Instanz wacht der Gerichtshof über Wahlprüfungen, Organstreitigkeiten und Verfassungsbeschwerden und prägt damit die rechtsstaatliche Architektur in NRW. Besonders hervor sticht seine Offenheit für Transparenz- und Outreach-Projekte wie die Ausstellung „Grundrechte in Bildern“ sowie eine moderne, zunehmend digitale Verfahrensführung. Hör rein in die aktuelle IMR-Folge und entdecke, wie Verfassungsrecht in der Praxis klingt – Kopfhörer auf und Justizia ins Ohr!
Selbstvertrauen in der Ausbildung zu gewinnen ist entscheidend. Man darf Fehler machen, muss aber dranbleiben. Durch hartes Training und Vertrauen in sich selbst gelingt es.
KI-basiert und kann Fehler enthalten.
Herzlich willkommen zu einer neuen Episode Irgendwas mit Recht. Heute aus dem Verfassungsgerichtshof NRW in Münster. Hier war ich auch schon mal für euch zu Gast damals mit einer Folge mit Frau Prof. Dauner-Lieb zur Examensvorbereitung.
Aber heute spreche ich mit einem Kollegen von ihr und vielem anderen mit einer sehr bunten Persönlichkeit und zwar mit Dr. Dirk Gilberg. Hallo Herr Gilberg.
Ich grüße Sie.
Herr Geberg, Sie haben hier heute eine Ausstellung organisiert und auch als Fotograf dazu beigetragen. Können Sie das mal umreißen, was wir uns hier heute gemeinsam angeschaut haben?
Ja, wir sind im Verfassungsgerichtshof NRW in Münster. Wir haben eine Neuigkeit insoweit, als dass der Verfassungsgerichtshof vom Oberverwaltungsgericht getrennt wurde. Das war früher eine Personalunion der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts mit dem, also gleichzeitig auch als Präsident des Verfassungsgerichtshofs.
Und der Landtag hat dann entschieden, das zu trennen. Und in dem Moment haben wir neben einer eigenen Präsidentin, nämlich Frau Prof. Dauner-Lieb, vorher Frau Dr. Ricarda Brandts, haben wir jetzt eigene Räumlichkeit.
Das heißt, wir sitzen hier in einer Anmietung, die das Land gemacht hat und die für den Verfassungsgerichtshof die Städte seiner Mitarbeiter ist und auch die Städte seiner Beratung ist. Die öffentlichen Verhandlungen finden aber weiterhin im Oberverwaltungsgericht statt, weil wir hier keinen Verhandlungssaal haben, sondern einen Beratungssaal.
Und deswegen gehen wir dann rüber. Wir dürfen auch noch die Geschäftseinrichtungen des OVG in Anspruch nehmen. Und jetzt sind wir hier praktisch in unserer Heimstadt, in der neuen Heimstadt und haben eine Ausstellung gemacht. Das sind die Bilder, die wir eben gesehen haben.
Ja, so ist erstmal der Rahmen.
Wir sind jetzt hier gerade in einem Podcast. Das heißt, erstmal haben wir kein visuelles Medium. Wir packen aber mal ein, zwei Links in die Beschreibung dieser Folge, damit man sich auch im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild machen kann. Was hatte diese Ausstellung denn zum Inhalt? Wir können es ja vielleicht doch mal ein bisschen zumindest beschreiben.
Ja, also die Idee war, wir wollen hier als Landesverfassungsgericht für unsere Besucher in der Weise mit dem Gegenstand dessen, was wir machen, sichtbar werden, dass wir an den Wänden versuchen, diesen Gegenstand abzubilden. Das bedeutet, dass man Grundrechte in Bilder übersetzen muss.
Diese Übersetzung haben wir gemacht, indem wir Artikel des Grundgesetzes, aber auch Artikel der Landesverfassung uns ausgesucht haben und oft in Kombination beider Verfassungstexte ein Bild zugeordnet haben. Dann haben wir diesem Bild die Texte, also entweder den Text des Grundgesetzes und oder den Text der Landesverfassung untergelegt und so das Ganze in einen Rahmen gefasst, sieht der Betrachter das Grundrecht im Bild.
Wenn man aus außen stehender sagen würde, da hat jemand Grundrechte fotografiert, dann natürlich nicht den Text, sondern Menschen, die das gerade beispielsweise ausleben. Im Vorgespräch habe ich Sie gefragt, haben Sie ein Lieblingsmotiv? Und es war auch das, an das ich persönlich als Erstes gedacht hätte, nämlich ein Mann, der in seiner Küche steht und Essen zubereitet.
Bei was hat das mit Grundrechten zu tun?
Also man muss praktisch das Bild mit dem Text zusammen sehen, sonst kann man die Verbindung selber nur schwer herstellen zum Grundrecht. Und bei diesem Bild ist es so, dass zunächst mal der Text, die Würde des Menschen ist unantastbar und der Hinweis eben auf Artikel 1 oben rechts am Bildrand steht und darunter steht eine Verbindung zu der Person, die wir dort sehen und konkret wir sehen dort also, es sich um einen Rentner handelt, das steht da, das steht wann er geboren ist.
Er kocht übrigens neben seinem kleinen Hund in einer Küche, die ersichtlich aus den 70er Jahren stammen wird. Und wir lesen dort also etwas über Steuern. Und die Assoziation, die der Text uns geben soll, die wird am Ende darauf hinauslaufen, dass wir uns fragen, wenn dieser Mann seine Steuererklärung macht, dann wird er einen steuerlichen Grundfreibetrag geltend machen können.
Und dieser Grundfreibetrag hat etwas zu tun mit der Menschenwürde. Die Rechtsprechung bietet diese Verbindung, weil jedem sozusagen aus Gründen der Menschenwürde ein Betrag frei bleiben soll, der nicht besteuert wird.
Ungefähr 10.000 Euro im Jahr, Pi mal Daum.
Genau, ungefähr 10.000.
Euro im Jahr.
Und diese Verbindung, die man ohne den Text niemals herstellen würde, Der ist der Schlüssel zu der Ausstellung, weil der Versuch der Ausstellung so geht, dass der Betrachter, Die Alltagssituation, die er selber tausendmal erlebt hat und die er niemals mit der Verfassung verbunden hätte, dass er sie im Kopf künftig, wenn er das hier gesehen hat, vielleicht hier und da einmal mit der Verfassung verbindet.
Das hat den Zweck, dass wir uns vielleicht mehr als Gesellschaft wieder darüber klar werden, warum vieles, was hier so alltäglich scheint, überhaupt so ist. Denn uns scheint das Leben im Vorbeigehen ja so wie es eben ist, gar nicht besonders oder schon gar nicht mit der Verfassung verbunden.
Und diesen Konnex, den wollen wir hier schaffen.
Das haben wir ja als Eingangs noch gar nicht gesagt. Sie sind auch Richter am Verfassungsgerichtshof, deswegen kommen Sie sozusagen in diesen Kontext überhaupt rein und gestalten das mit. Sie fotografieren offensichtlich gerne und ich würde mich im Folgenden ganz gerne noch mal so ein kleines bisschen über Ihren Werdegang unterhalten.
Das ist das, was wir hier in diesem Podcast viel machen. Wir stellen spannende juristische Persönlichkeiten vor und wir haben jetzt mal diese Ausstellung als sozusagen Aufhänger genommen, um auch vielleicht noch mal so ein kleines bisschen auf Sie als Persönlichkeit einzugehen. Was machen Sie heute alles? Das ist ja eine ganze Bandbreite.
Also in der Hauptsache, mein Hauptamt, ich leite das Arbeitsgericht in Köln. Das heißt Direktor des Arbeitsgerichts und das mache ich seit zehn Jahren. Dann habe ich verschiedene Nebenämter.
Dazu gehört unter anderem hier am Landesverfassungsgericht Mitglied des Gremiums zu sein. Wir sind ein siebener Gremium. Also es gibt sieben ordentliche Mitglieder, denen sieben persönliche Stellvertreter zugeordnet sind. Dann habe ich als Lehrbeauftragter der Uni Köln am Lehrstuhl von Professor Rolfs einen Lehrauftrag und lese in der Regel Vertiefung individualer Arbeitsrechte, manchmal auch Arbeitsgerichtsverfahren.
Und dann bin ich Kommissionsvorsitzender in der zweiten juristischen Prüfung, also am Landesjustizprüfungsamt, angedockt und mache da eben Staatsprüfungen, zweite Staatsprüfungen.
Dann haben Sie uns doch jetzt eine schöne Struktur für unser Gespräch vorgegeben und wir arbeiten diese Stationen sozusagen im Folgenden vielleicht mal ein kleines bisschen ab. Direktor des Arbeitsgerichts. Das haben Sie sich wahrscheinlich auch nicht überlegt, als Sie irgendwann mal angefangen haben, sich mit Ihrer eigenen Karriere und mit Ihrer eigenen Ausbildung zu beschäftigen, dass Sie irgendwann mal Direktor des Arbeitsgerichts werden, oder?
Nee, gar nicht. Also ich habe ursprünglich mit dem Arbeitsleben durch zig Nebenjobs, wie ganz viele von uns das gemacht haben, erstmals Verbindung gehabt. Also ich war lange bei McDonald's in Düsseldorf an der Kasse in der Düsseldorfer Altstadt.
Ich habe Stück gut gefahren im Kleintransporter, längere Zeit. Ich war Kellner, so habe ich im Wesentlichen das Studium verdient in zwei verschiedenen Gastwirtschaften. Und dann habe ich zunächst mal bei der Stadt Düsseldorf ein Studium gemacht im grobenen Verwaltungsdienst, also an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und war dann 91 Diplomverwaltungswirt, so heißt das.
Und dann habe ich das Studium aufgenommen durch diese Nebenjobs eben, also Kellnerei, das Studium finanziert.
Was war als Diplomverwaltungswirt der entscheidende Faktor für Sie zu sagen, ich studiere noch mal Jura und setze noch mal einen drauf sozusagen?
Ja, das ist eine ganz schwierige Frage. Schwierig insofern, als dass man selber gar nicht immer genau weiß, warum man bestimmte Dinge tut in dem Alter. Ich wollte Jura studieren, das ist schwer.
Wenn Sie dieses Studium gemacht haben, dann steigen Sie ein mit A9. Nach dem Studium kriegen Sie eine Stelle bei der Stadt Düsseldorf und A9. Das gibt ein ordentliches Entgelt, jedenfalls so viel, dass Sie eine Wohnung finanzieren können, sich auch ein Leben finanzieren können und deswegen eigentlich ist schwerfällt da wieder rauszugehen und dann eben zu kellnern.
Aber mir war schon klar irgendwie und noch gar nicht so ausdefiniert, dass Jura für mich das Richtige sein würde und ich habe zunächst mal die Möglichkeit gab es damals Sonderurlaub genommen, dann kann man auch natürlich nicht bezahlt, aber dann kann man zumindest gucken, ob das etwas für einen ist. Und dann habe ich im Studium relativ schnell gemerkt, weil ich dann habe da eine Persönlichkeit gefunden, die mich fasziniert hat, Professor Peter Hanau, der große Arbeitsrechtler, und dann habe ich gemerkt, das ist es, das will ich machen.
Und so habe ich mich dann schließlich nach dem Sonderurlaub auch entlassen lassen bei der Stadt Düsseldorf und bin dann als erst studentische Hilfskraft, später wissenschaftliche Hilfskraft und Doktorand am Lehrstuhl von Peter Hanau meinen Weg sozusagen weitergegangen und dann war auch klar, ich gehe nicht mehr zur Kommune zurück.
Ganz interessant, das ist ja auch das, was wir hier so ein bisschen in diesem Podcast versuchen, so ein bisschen Vorbilder und Werdegänge aufzuzeigen, in Verbindung zu bringen, vielleicht auch mit der eigenen Persönlichkeit, dass man sich da auch wieder sieht. Ja, in diese Richtung könnte ich mir vorstellen, mich auch mal zu bewegen, weil ich etwas in diese Richtung gerne machen würde.
Hat Ihnen das geholfen, dann auch vielleicht durch die Staatsexaminer durchzukommen, die ja dann doch für die meisten eher hart sind, dass Sie wussten, was Sie tun möchten anschließend?
Also das war eine, ja, das schon, aber ich habe gleichzeitig auch Familie gegründet und wir haben dann auch was gebaut. Das war schon eine Zeit, wo alles auf einmal kam und wo man schon oft daran zweifelt, ob man das Richtige tut.
Ich komme aus einem sogenannten Arbeiterhaushalt. Das heißt, ich glaube, soziologisch ist mal gesagt worden, dass das Problem, warum so wenige Leute das machen, man zusammenfassen kann in ganz wenigen Worten, nämlich kein Vorbild und kein Rückhalt. Das bedeutet, wenn man aus einem Haushalt kommt, wo die Vorbilder schon Eltern sind, selber studiert haben, dann gewinnt man automatisch vielleicht auch das Vertrauen, ich werde das auch schaffen.
Und dann ist es noch so kein Rückhalt, Stichwort, dass Eltern aus Akademiker, also Akademiker-Eltern vielleicht das Ganze auch durchfinanzieren oder jedenfalls den notwendigen wirtschaftlichen Rückhalt bieten. Während bei anderen ist vielleicht so, dass die dann sagen, also Mensch, du hast doch einen Beruf und jetzt nochmal fünf Jahre, acht Jahre da draufsatteln und selbst finanzieren, das ist schon eine Schwierigkeit.
Und das muss man in dem Sinne also etwas ausgleichen natürlich, aber wenn einem dann auch das eine oder andere gelingt, dann gewinnt man so nach und nach das Vertrauen in sich, dass man Wege auch fortsetzt und diesen etwas steinigen Weg, dem muss man sozusagen gehen, bis man die Erfolge eingefahren hat, dass man selber sagt, ich kann doch was und mir gelingt irgendwas und dass man dann sozusagen sagen, selber das Vertrauen sich erarbeitet, um nach vorne zu gehen.
Ja, also dieses Selbstlob und auch Selbstvertrauen aufbauen während des Studiums ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Aspekt, den rückwirkend viele erklären können und dann auch wahrnehmen. Aber der dann doch, das sehen wir auch in den Zuschriften hier gerade zu unseren Examensfolgen, natürlich während man in dieser Ausbildung noch drinsteckt, vielen wirklich schwer fällt.
Hm, umm... Wir schweifen ein bisschen ab, aber nur weil Sie sagen, Sie sind auch Prüfer im zweiten Staatsexamen, passt ja doch so ein kleines bisschen. Könnten wir da in der Ausbildung noch mehr tun oder ist es einfach so, wie es ist?
Also eine wichtige Sache ist natürlich, dass man an der Uni auch ermuntert werden muss. Ich habe angefangen in der Zeit, als so viele Juristen gingen, gab es. Und das erste, was ich im Hörsaal gehört habe, wo wir mit hunderten von Leuten saßen, war, die Hälfte oder zwei Drittel von euch müssen weg.
Das führt nun unter den Bedingungen, die ich eben geschildert habe, eigentlich nicht dazu, dass man sagt, hier will ich gerne bleiben. Also ist es gut, wenn in der Lehre nach und nach der Eindruck vermittelt wird, und zwar außerhalb der eigenen Leistung, der Eindruck vermittelt wird, das ist toll, dass ihr das macht.
Wir brauchen Juristen, wir brauchen gute Juristen und wir brauchen Leute, die in sich das Vertrauen setzen, dass diese komplexe Aufgabe einmal bewältigt werden wird, erstmal der Ausbildung des Studiums und später auch des Berufs. Denn im Beruf werden die Aufgaben ja nicht weniger schwer als vorher im Studium.
Also die Idee, dass man praktisch studiert und dann ist alles schwierig und danach wartet das Paradies, die stimmt ja nicht. Sondern danach wird das Ganze noch weiter fokussiert und noch weiter schwierig. Und deswegen ist es glaube ich wichtig von Beginn an, dass wir den jungen Leuten einen Selbstvertrauen in der Weise vermitteln, dass wir sagen, also ihr dürft Fehler machen, ihr lasst euch nicht einreden, ihr könnt das nicht, sondern setzt das Vertrauen in euch mehr zu tun, wenn was nicht gelingt und dann wird es aber auch irgendwann gelingen.
Mehr Training ist, ohne das geht es nicht, das ist klar. Es gibt vielleicht irgendwelche Sondertalente, die ohne zu trainieren alles toll schaffen, aber im Normalfall geht es nur mit hartem Training. Aber wenn ihr das macht, dann schafft ihr es auch und das müssen wir vermilden.
Eine ältere Dame, die ich mal kannte, hat mal gesagt, ich tue etwas, also wird es mir schon gelingen.
Das ist ein schöner Satz, genau, den gibt es auch in verschiedenen Variationen. Und am Ende läuft es immer darauf hinaus bei diesen Sentenzen, dass man, glaube ich, die gleiche Erkenntnis formuliert und die heißt einfach anfangen. Ein berühmter Rechtslehrer, der hat mir mal gesagt, bei der Promotion nicht denken, schreiben.
Das ist natürlich völlig übertrieben, weil man natürlich denken muss, aber dahinter steht, die richtige Erkenntnis, dass es nichts nützt, ein Jahr vor sich her zu denken und danach den ersten Satz bedeutungsschwer zu formulieren, sondern man muss das, was man liest, was man auf der einen Seite an Input hat, muss man auch auf der anderen Seite wieder rausbringen und strukturieren und formulieren und dann wird es schon irgendwie gelingen.
Selbstvertrauen, das müssen wir den jungen Leuten geben.
Und das hatten Sie nach Ihrem zweiten Staatsexamen in der Form, als dass Sie dann aber erst mal kleine Wände in unserer bisherigen Geschichte Rechtsanwalt geworden sind, wenn ich das richtig verstanden habe?
Ja, ich bin dann zunächst mal drei Jahre, knapp drei Jahre bin ich Rechtsanwalt in Köln gewesen. Und die Zeit, so ich wusste vielleicht nach anderthalb oder zwei Jahren, dass ich das nicht bleiben will. Ich war in einer großen Wirtschaftskanzlei.
Diese Entscheidung muss ja jeder für sich treffen. Denn am Anfang, also die ersten paar Monate, muss man erstmal die Leute kennenlernen und die ganzen Abläufe kennen. Und vielleicht dauert das auch ein Jahr oder zwei.
Aber irgendwann kommt so der Zeitpunkt, wo man sagt, so jetzt habe ich viele Dinge schon einmal gesehen und kann mir wirklich ein Bild machen. Und dann gibt es nicht selten sozusagen die Richtungsentscheidung, dass man sagt, ich bleibe dabei oder ich gehe raus.
Und da war bei mir halt, ich gehe raus.
Damals haben Sie auch schon Arbeitsrecht im Schwerpunkt gemacht? Nur Arbeitsrecht. Nur Arbeitsrecht. Okay. Und dann haben Sie sozusagen die Seiten gewechselt und sind Richter geworden?
Ja, die Seiten gewechselt, ja. Genau. Ich bin dann Richter geworden und habe gemeint, und das meine ich auch bis heute, dass dieses Gut, was ja auch grundgesetzlich garantiert ist, der richterlichen Unabhängigkeit, ein Gut ist, dass man kaum in Geld bezahlen kann.
Was bedeutet das für Sie im Arbeitsalltag, wenn Sie sagen, mir ist diese richterliche Unabhängigkeit persönlich wichtig, aber natürlich auch auf einer staatlichen Ebene ist sie ungeheuerwichtig. Da müssen wir glaube ich gar nicht darüber diskutieren.
Aber wenn Sie sagen, naja, für mich persönlich auch in Ihrer Berufsausübung, woran, wo merken Sie das, dass Sie da wirklich unabhängig und frei sind?
Also... Jeden Tag, ich will nicht sagen jede Stunde, aber jeden Tag. Denn die richterliche Entscheidung, und zwar ganz egal, ob in der ersten Instanz am Arbeitsgericht oder hier in der sozusagen letzten Instanz, wir sind natürlich kein super Revisionsgericht hier, genauso wenig wie das Bundesverfassungsgericht, aber für das, was wir hier tun, sind wir ja dann doch oft die wirklich, nicht als Instanz, aber bei der Individualverfassungsbeschwerde als ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der jedenfalls dann das Ende normalerweise der rechtlichen Geltemachung bedeutet.
Und die Unabhängigkeit bedeutet, dass eben niemand uns sagt, mir sagt, wie ich zu entscheiden habe, außer das Gesetz. Und natürlich gibt es Rechtsprechungslinien, die seit langer Zeit anerkannt sind und wo sich schon sehr viele Leute Gedanken gemacht haben, warum das so richtig ist.
Das könnte man in Frage stellen mit begründeten Entscheidungen, aber in der Regel sieht man auch den Sinn dessen ein und die Freiheit aber darüber nachzudenken und entweder das nachzuzeichnen oder auch davon abzuweichen. Das ist der Kern der richterlichen Unabhängigkeit und deswegen merke ich das jeden Tag.
Nun gibt es sozusagen die Tätigkeit als Richter an einem Gericht, aber auch eben ihre Funktion als Direktor des Gerichts. Da kommen ja vermutlich sehr viele Verwaltungsaufgaben noch hinzu und organisatorische Aufgaben. Können Sie dazu ein bisschen was erzählen, damit man sich da vielleicht noch mal ein kleines bisschen mehr darunter vorstellen kann?
Also die Verwaltungsaufgaben sind vielfältig und ich sage mal im Kern steht ein Akt der der richterlichen Selbstverwaltung. Das ist das sogenannte Präsidium. Jedes Gericht hat nach Gerichtsverfassungsgesetz ein Präsidium und in dem Präsidium ist das Präsidium auch frei, nämlich frei in der Verteilung der richterlichen Geschäfte.
Und das macht schon einen Teil auch der Arbeit als Direktor aus, dass ich als geborener Vorsitzender dieses Organs daran mitarbeite, die richterlichen, also Prozessgeschäfte, die wir haben, sorgfältig zu verteilen. Und das bedeutet, dass wir also einen Geschäftsverteilungsplan haben, wo dann die Dinge geregelt werden, dann erhöht oder verringert eine Richterin, eine Richterin ihre Arbeitskraft, dann muss das angepasst werden oder jemand wird abgeordnet, dann müssen wir gucken, was passiert mit der Kammer.
Also ein nicht unerheblicher Teil ist tatsächlich die Arbeit im Präsidium. Und darüber hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl von Tätigkeiten, also beispielsweise Personalführung. Wir haben ja auch nichtrichterliches Personal, das wir in jeder Hinsicht personalrechtlich, aber auch einfach durch Gespräche oder durch alltägliche Führungsaufgaben begleiten.
Und wir haben Bauangelegenheiten, wir haben Haushaltsangelegenheiten, wir haben Aus- und Fortbildung, wir haben Referendare, Besuchergruppen, Praktika. All diese Dinge sind dann letztlich in der Verwaltungsaufgabe entscheidend. Machen.
Wir schützen natürlich unsere Daten. Wir haben Personalvertretungsgremien und das ist dann so der Alltag der Verwaltungsarbeit.
Wie viele Menschen arbeiten an einem, also an ihrem Gericht? Das ist ja wahrscheinlich sehr unterschiedlich, je nach Zuschnitt und Größe.
Bei uns, wir sind das größte Arbeitsgericht in Nordrhein-Westfalen, arbeiten 60 Menschen. Genau, aber die haben teilweise unterschiedliche Voll- oder eben Teilzeitanteile. Und wir haben im richterlichen Dienst etwa 15 Arbeitskraftanteile. Verteilt auf 23 kann man tätig.
Und mal ganz salopp gefragt, wie schaffen Sie dann in ganz großen Anführungszeichen natürlich nebenbei noch Ihre ganzen sonstigen Ämter jetzt rein organisatorisch? Wir sitzen jetzt gerade in Münster, Sie sitzen normalerweise in Köln, das ist schon mal ein bisschen Fahrzeit, aber natürlich braucht die inhaltliche Arbeit noch deutlich mehr zeitliches Budget als bloße Fahrzeiten, ist ja klar.
Das haben wir intern so geregelt, dass es passt, aber es ist natürlich so, dass ich keine 40-Stunden-Woche habe. Ich muss das ja auch nicht machen. Ich habe jedes Mal meine Ämter freiwillig angenommen bzw.
Mich wählen lassen. Das ist schon eine andere Woche. Ich arbeite in der Regel 6 Tage die Woche. Vieles von dem ist dann eben auch zu Zeiten, die jetzt nicht ganz handelsüblich sind.
Das geht nur so.
Und vermutlich auch ein paar Sachen remote, oder? Also das wird doch wahrscheinlich auch durch letztlich Corona, aber auch die fortschreitende Digitalisierung mittlerweile möglich sein, dass sie nicht mehr für alles vor Ort sein müssen.
Ja, wir haben unter Corona haben wir durchaus auch hier in Münster Videokonferenzen gemacht, in denen wir Dinge besprochen haben. Aber das ist inzwischen wieder einer Präsenzkultur gewichen, die auch im Arbeitsgericht so eine Erfahrung aus Corona ist. Also im Arbeitsgericht, wir können ja auch da Videoverhandlungen durchführen.
Der 128 AZPO gibt da Dinge her. Die Erfahrung von vielen Kollegen ist es allerdings, dass dann, wenn es hart wird, auch in der Diskussion, dass dann die physische Präsenz einen Vorteil bietet. Und wir haben nun mal, das gilt hier in Münster genauso wie in Köln, wir haben nun mal oft Verfahren, insbesondere in Köln in Kammerterminen, bei denen eine Zeugenaussage zu beurteilen ist oder auch hart inhaltlich gerungen wird.
In Münster ist es nicht anders. Und dann ist eigentlich meine Erfahrung, aber ich glaube auch die von vielen Kollegen, dass die mediale Vermittlung ein Minus darstellt zur physisch präsenten Vermittlung oder zum physischen Austausch, präsenten Austausch. Und wir meinen, ich glaube, das ist auch die Mehrheit, die das meint, dass dann man gegenüber sitzen sollte, alle Kommunikationswege des Menschen erfassen sollte, Körpersprache, Zwischentöne und dass man dann die Sachen besser lösen kann.
Das würde ich auch für mich so unterschreiben.
Na ja klar, man hat letztlich medial immer einen gewissen Filter und nur ein Fenster, durch das man durch eine entsprechende Kamera dann auch schauen kann.
So ist es. Und gerade, ich sag mal, wenn man sich jetzt streitet, wir haben im Arbeitsgericht, im Arbeitsgerichtsgesetz den Vorrang der güttlichen Einigung. Wir sollen den in jedem Verfahrensstadium suchen und gerade die güttliche Einigung, das ist ja im Landesverfassungsgericht ist das weniger ein Thema.
Gerade die gütliche Einigung, die setzt eben voraus, dass man irgendwann auch sich sozusagen in die Augen schaut und dass man einschätzt, soll ich jetzt hier über den Tisch gezogen werden oder mache ich das mit? Und das gilt zwischen Anwälten, das gilt auch zwischen den Parteien, die da sind und das Gericht selber muss gucken, wollen wir das jetzt, also die Kammer, die ja auch dann mit im Gerichtshal sitzt, muss gucken, wollen wir eingreifen, wollen wir das fördern? Das sind ja ganz intensive Kommunikationsprozesse.
Und die sind am besten abgebildet, wenn man voreinander sitzt und sich, wie es früher hieß, die Hand gibt und in die Augen guckt. Also Hand geben tun wir in der Regel nicht, aber in die Augen gucken schon noch.
Und das ist der Kern vieler Möglichkeiten, die man hat. Und deswegen machen wir das meistens dann in harten Situationen präsent.
Es wäre mal interessant, vermutlich ist es jetzt gerade noch ein kleines bisschen zu früh im Frühjahr 2023. Ob es da erste Studien gibt, was die Vergleichsquote in virtuellen Verhandlungen und in physischen Verhandlungen angeht, ob sich das entsprechend negativ oder vielleicht ja doch positiv, wer weiß, da danach auswirkt.
Meine Vermutung wäre auch, dass man in virtuellen Gerichtsverhandlungen weniger vergleichsbereit bleibt.
Ja, das kann ich nicht genau sagen. Ich würde aber auch in Frage stellen, ob die Vergleichsquote der richtige Maßstab sein sollte. Okay. Die reine Tatsache eines Vergleichs, die kann man gut messen.
Den Inhalt eines Vergleichs und auch vor allen Dingen, ob jemand danach nach Hause geht und sagt, das war so in Ordnung, ich bin mit der rechtsstaatlichen Gewährleistung dieses Verfahrens zufrieden. Oder ob der nach Hause geht und sagt, ich weiß auch nicht, was da gelaufen ist, vielleicht sollte, wollte man jetzt einfach nur weiteren Aufwand vermeiden, um nicht nur von Stuttgart nach Köln zu fahren.
Das ist ja auch ein Punkt. Guter Punkt. Und der ist in der reinen Vergleichsquote überhaupt nicht abzubilden. Denn es kann ja durchaus sein, dass jemand die Stunden sparen wollte, die Fahrt sparen wollte, was weiß ich.
Und deswegen schneller etwas zusagt, was ja im Saal vielleicht auch besser ausverhandelt hätte. Und am Ende wollen wir ja, das ist ja nun auch der Qualitätsgrad unserer Rechtsgewährleistung, die wir als Justiz doch geben wollen, am Ende wollen wir doch, dass die Bürger mit dem Gefühl, Bürgerinnen und Bürger mit dem Gefühl nach Hause gehen.
Das Verfahren, was hier gelaufen ist, das war für mich transparent, ehrlich, verständlich und ich schließe damit ab. Und da ist die Quote möglicherweise nicht der richtige Maßstab.
Ist eigentlich ein Vergleich aus ihrer Sicht, ich formuliere es mal bewusst provokant, dann gut, wenn beide Parteien zufrieden sind oder dann, wenn beide Parteien mit dem Ergebnis ein bisschen unzufrieden sind?
Ich glaube, das ist das falsche Gegensatzpaar. Ich glaube, das richtige Paar wäre wahrscheinlich, auf der einen Seite sind beide zufrieden oder beide unzufrieden auf der einen Seite und auf der anderen Seite müsste stehen, ist einer zufriedener als der andere. Deswegen, wenn beide zufrieden oder beide unzufrieden sind, dann könnte das sein, dass das eine ordentliche Lösung war.
So sagt man ja auch in Tarifverhandlungen natürlich zum Beispiel, jeder muss eben nachlassen und dass jeder deswegen immer unzufrieden sein muss, liegt auf der Hand, weil jeder natürlich Kompromisse machen musste. Aber wenn einer deutlich zufriedener ist als der andere, dann könnte das ein Anzeichen dafür sein, dass etwas nicht gut gelaufen ist.
Ja, gut. Das lassen wir einfach mal so stehen. Mich würde zum Abschluss unseres Gesprächs noch ein Punkt interessieren. Und zwar gehen wir nochmal auf Ihre Tätigkeit hier in Münster ein.
Sie haben mir vorhin im Vorgespräch gesagt, und so schließen wir dann jetzt oder Schlagen wir dann jetzt ja auch den Bogen wieder zu unserer heutigen Ausstellung, die die den Beginn dieses Gesprächs gebildet hat, dass sie natürlich auch an Corona verfahren. Im weitesten Sinne, in dem Fall eigentlich ziemlich konkret beteiligt waren, nämlich unter anderem als der erste FC Köln 10.000 Zuschauer in sein Stadion lassen durfte und dann aber ganz gerne 25.000, unter Corona-Schutzmaßnahmen dort aufnehmen wollte.
Können Sie das Verfahren mal kurz darstellen und vielleicht auch so ein bisschen auf die Schnelligkeit der Gerichte in diesem Verfahren eingehen, denn da gibt es dann ja doch viele, die sagen, naja, es dauert vielleicht schon mal ein bisschen länger, aber wenn es schnell gehen muss, kann es eben auch schnell gehen, oder?
Ja, das ist ein gutes Beispiel dafür, denn wir sagen ja, Justizgewährleistung muss auch den Eidlerichtsschutz umfassen. Und so ein Landesverfassungsgericht hat ja hier Nebenämter. Das heißt, wie ich eben gesagt habe, mein Hauptamt ist ein anderes und für die, anderen an einem Nachmittag vielleicht um 17, 18 Uhr vorliegen, wir rechtzeitig vor Spielbeginn am Samstag entscheiden müssen.
Denn sonst macht der Eilrechtsschutz keinen Sinn. Und das wiederum bedeutet, dass wir technisch gesehen dann eben auch schaffen müssen, sieben Leute zusammenzuholen. Die Anwälte müssen zunächst mal die OVG-Entscheidung betrachten und dazu schreiben und wir müssen in der Lage sein, dann das, was da geschrieben wird, zu verarbeiten und in eine Entscheidung umzusetzen.
Und zwar so rechtzeitig, dass der FC Köln auch weiß, wie viele Leute er ins Stadion lassen kann.
Wie muss man sich das logistisch vorstellen? Wo waren Sie zu dem Zeitpunkt? Wie lief das Ganze dann ab?
Ja, also ich war in meinem Büro in Köln, habe mich dann darauf eingerichtet, dass ich einen Abend Pizza bestelle und dann werden auf elektronischen Wege wurden die Entscheidungsgründe des OVG übermittelt und wir haben dann mit modernen Mitteln der Kommunikation uns ausgetauscht und haben es auf diese Weise dann geschafft rechtzeitig eine eigene Entscheidung vorzubereiten und auch am Ende zu fassen, um dann eben rechtzeitig vor Samstag das Ganze rausgehen lassen zu können.
In dem Fall war es aber so, dass wir dann bei den 10.000.
Geblieben sind. Also am Ende des Tages Grundrechte in der ganz konkreten Anwendung. Wir haben den Bogen geschlagen vom am Herd stehenden Mann, der eine Steuererklärung abgibt und deswegen unter anderem natürlich auch Grundrechte auslebt, auch wenn er sich dessen vielleicht gar nicht so bewusst ist in dieser konkreten Situation.
Wir haben viele Beispiele gehört, was in der richterlichen Tätigkeit dahingehend passiert Und ganz konkret natürlich, weil es in aktuellen Zeiten nicht ganz anders geht, nochmal über Corona gesprochen. Ich persönlich finde es ganz, ganz toll, dass Sie hier Ihren wirklich wahnsinnig vielseitigen Werdegang heute mal mit den Zuhörenden geteilt haben.
Und danke Ihnen ganz herzlich fürs Gespräch.
Herr Ohrendorf, ich danke Ihnen. Tschüss. Tschüss!