"Die Rolle der Rechtsanwaltskammern in den Niederlanden ist eine andere. Damit muss man sich vertraut machen."

Niederlande-Spezial | German Desk | Grenzüberschreitende Beratung

Folge 180 deines Jura-Podcasts zu Job, Karriere und Examensthemen.

IMR goes international (again): Im ersten Teil des Niederlande-Spezials sind Markus Sporleder und Tono Wevers zu Gast. Beide sind in Deutschland ausgbildete Anwälte und nunmehr im niederländischen Enschede im German Desk von Damste Advocaten tätig. Welche Besonderheiten ergeben sich aus dem niederländischen Justizsystem? Wie funktioniert die Anstellung als deutscher Anwalt in den niederlanden in Sachen Sozialversicherung? Warum kann man im Teamwork mit niederländischen Kolleg:innen einen besonderen Mehrwert für Mandantinnen liefern? Wie gelingt der Berufseinstieg – und welche Sprachvoraussetzungen sollte man mitbringen / kann man on the job lernen? Antworten auf diese und viele weitere Fragen liefern Markus und Tono in dieser Folge. Viel Spaß beim Anhören & danke für Euer konstantes Feedback!

Inhalt:

  • 00:09 Vorstellung Markus und Tono
  • 00:54 Was macht ein German Desk?
  • 02:13 Tonos Weg in die Niederlande
  • 03:53 Markus’ Weg in die Niederlande
  • 05:10 Die Kanzlei Damste
  • 08:06 Unterschiede zwischen NL und DE-Anwälten
  • 27:32 Rolle der Rechtsanwaltskammern
  • 29:22 Als Anwalt in den Niederlanden starten
  • 35:16 Sprachkenntnisse & learning on the job

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Transkript


Tono Wevers 0:05:56
Die also zweisprachig sind, die da in dem Bereich ja auch IPR-mäßig unterwegs sind. Und dann sind wir deutsche Rechtsanwälte, die halt Niederländisch sprechen, beisprachig sind mindestens. Und das sind drei Kollegen zurzeit, aber wir haben auch immer Referendare hier sehr gerne, auch Schulpraktikanten, alles möglich. Also wirklich jeder, der reinschnuppern möchte, ist willkommen, um das Termin auch perspektivisch vielleicht mal wieder zu erweitern, weil der Bedarf ist da. Insofern bin ich froh, dass Markus dazugestoßen ist. Mein Schwerpunkt ist Arbeitsrecht und Handelsrecht, aber es gab natürlich immer auch Anfragen, jede Woche in anderen Bereichen und ich sage immer, schuße bei deinen Leisten. Mach das, wo du dich sicher fühlst, wo du auch mehr Wert hast und bieten kannst und wenn es eine Spezialität betrifft, die man anders besser kann, dann verweise ich immer gerne weiter. Das Schöne ist hier, dass wir halt wirklich unter einem Dach zusammenarbeiten. In einem Zimmer in diesem Fall sogar sparen wir jeden Tag oder jede Woche über irgendwelche Fälle, wo wir sagen, hey, hast du da noch was oder denkst du daran? Das macht viel mehr Sinn, als diese Briefkasten zusammenarbeiten, die man wirklich sieht, wo gesagt wird, ja, wir haben ein Desk hier und da. Und in Wirklichkeit haben die sich nie gesehen, außer beim PR-Treffen ganz am Anfang und haben dann nachher mal in die Mail geschickt, wenn irgendwie ein Fall da ist und wir sparen wirklich sehr viel, haben dann auch einen Mehrwert, weil wir die Perspektive immer mehr kennenlernen, der niederländischen Kollegen, unsere Perspektive einbringen und dann kommt man einfach auf die Punkte, die sonst einfach übersehen werden. Dass man von selbstverständlichen oder vermeintlich selbstverständlichen Ausgangspunkten ausgeht, die gar nicht so sind. Ich habe zum Beispiel am Anfang nie verstanden, warum die Holländer bei der Verjährung so locker sind, weil man in Holland ... einfach eine Verjährung mit einem einfachen ... ... Schreiben unterbrechen kann ... ... und sie auch 5 Jahre beträgt ... ... und nicht 3 Jahre oder vielleicht 2 oder 1. Also da hat man ... ... einen ganz anderen Ansatz im Hinterkopf, ... ... der aber ... ... nicht unbedingt ausgesprochen wird. Und das hilft ungemein, ... ... wenn man im Team zusammenarbeitet, ... ... beide Seiten kennt ... ... und einfach auch ... ... da nachfragen kann, ... ... da nachhaken kann, ... ... beraten kann ... ... und das macht einfach richtig Spaß, ... ... den Leuten dann auch noch besser zu helfen, ... ... als wenn man ... Ja, immer nur seine Seite sehen würde.
Tono Wevers 0:16:04
Hat interessanterweise in beide Richtungen Auswirkungen, dieses Phänomen. Einerseits wird halt viel mehr verglichen, andererseits wird aber auch das von vornherein vorausgesetzt, dass ja irgendwo Verhandlungsspielraum ja auch irgendwo da sein sollte. In einer Sache, die rechtlich bewertet eindeutig ist, würde man in Deutschland erwarten, dass die eine Seite, die Recht hat, nicht nachgibt. Die würde das notfalls durchsetzen gerichtlich und bis zum Ende durchziehen. Aus Prinzip und weil man halt im Recht ist. In den Niederlanden kann man dann Pech haben, dass die andere Seite sagt, ja, aber ich biete aber nur 70 Prozent. Weil die genau weiß, ja, wenn man sich auf 85 oder 82 Prozent nachher einigt, hat man sich ein teures Verfahren erspart. Auch wenn man das verloren hätte. Aber in den Niederlanden trägt jede Partei erstmal seine eigenen Kosten. Man hat also nicht mit einem erfolgreichen Verfahren eine Prozesskostenverurteilung, die nennenswert ist, die also in dem Sinne eine Art Garantie bietet, die Prozesskosten auch abzudecken, dass man plus minus null rausspringt, sondern... Man kriegt eine Entschädigung dann, aber auch nicht immer und das ist auch so ein bisschen Ermessen des Gerichts und das möchte man natürlich nicht. Diese Unsicherheit möchte man nicht, man möchte nicht auf Kosten sitzen bleiben, also gibt man im Zweifel vielleicht etwas weg, obwohl man eigentlich einen guten Case hat und sagt, aber morgen können wir wieder Geschäfte machen. Weil man einfach nicht wartet, bis es durchgezogen wird, bis zum Ende. Am Anfang musste man sich daran gewöhnen, dass man sagt, wieso wird da jetzt noch was angeboten? Also wir haben noch einen guten Fall, aber das ist einfach schon auch ein anderer Ansatz. Die Gerichtskosten sind ja auch wesentlich höher als in Deutschland, also vor allen Dingen bei den kleinen Streitwerten ist das eine richtige Schwelle, der Zugang zum Recht ist damit eigentlich auch eingeschränkter als in Deutschland, muss man auch so sagen.
Marc Ohrendorf 0:18:47
50-50.
Markus Sporleder 0:21:30
Also eine typische Konstellation ist, dass die Rechtsschutzversicherer bestimmte Budgets freigeben. Das heißt, die werden wahrscheinlich intern Berechnungen haben, wie lange hat ein Fall gedauert, was hat er gekostet und wenn man das Rechtsanwalt dann Deckungsanfrage stellt, bekommt man ein Schreiben zurück, wo drin steht, Achtung, für diesen Fall erteilen wir dir ein Budget von bis zu 10.000, Euro oder bis zu 5.000 Euro, wenn es mehr werden sollte, bitten wir um Rückmeldung und Begründung, warum es halt eben mehr wird. Und dann kann man sicherlich innerhalb des Budgets arbeiten, muss das natürlich auch im Auge behalten, dass das dann nicht aus dem Ruder läuft, weil da sind dann alle Kosten mit abgedeckt, also Gerichtskosten und Anwaltskosten. Da muss man natürlich schon sehen, okay mit den 5000 Euro bei entsprechenden Stundensätzen kann sich jeder selber ausrechnen, wird es hinten raus eng. Also das ist eben eine typische Konstellation, wo man mit Rechtsschutzversicherern zusammenarbeitet. Umgekehrt ist es in Deutschland eben so, wenn man deutsche Mandanten in den Niederlanden betreut, dass sich die deutschen Rechtsschutzversicherer eben auch darauf zurückziehen, ja Jungs, wir zahlen nur RVG und nicht mehr. Und dann muss der Mandant halt sehen, wo denn das herbekommt. Und deshalb ist es hier auch anders wie in deutschen Kanzleien so, dass hier umfangreiches Paperwork vor Beginn des Mandats ausgestellt wird. Das heißt umfangreiche Mandatsbestätigung, da steht genau alles drin, wer im Zweifelsfall was wann wie wo selber zahlen müsste, wie hoch die Stundensätze sind, wie viel Zeitaufwand wahrscheinlich für das Mandat anfällt, weil die sich eben hier alle dementsprechend auch absichern wollen, weil natürlich keiner am Ende den Honorarforderungen hinterherlaufen will.
Tono Wevers 0:31:13
Also erst die Behörde oder das Gericht beim Auflösungsantrag wird rechtlich durchleuchtet, ob es einen Kündigungsgrund gibt, eine Berechtigung gibt. Und dann würde die Auflösung ausgesprochen vom Gericht bzw. die Kündigungsgenehmigung erteilt. In Deutschland haben wir einfach, der Arbeitgeber entscheidet jetzt, ich mache das mal. 95 Prozent oder 90 Prozent wehren sich gar nicht, weil sie eine neue Stelle haben, wissen, dass es chancenlos ist oder weil sie die Frist verpassen. Und in den anderen 10 oder 15 Prozent wird dann vielleicht nochmal durch eine Kündigungsschutzklage was geklärt und dann auch nochmal wieder verglichen. Das heißt, wir haben in Deutschland nach wenigen Wochen Klarheit. In den Niederlanden haben wir dieses verabgeschaltete Genehmigungsverfahren, haben im Prinzip alle Fälle damit erstmal rechtlich durchleuchtet. Auch die, bei denen es gar nicht so wichtig wäre. Was aber auch wiederum dazu führt, dass auch in den Fällen natürlich die Leute sich sagen, nee, das dauert zu lange, lass uns doch einigen. Das wird also im Prinzip als erster Schritt hier ein Aufhebungsvertrag entworfen, eine Fachstellungsuverenkunft. Und da werden dann alle Dinge reingenommen, die man so regeln möchte. Und da wird verhandelt und das wird dann auch relativ schnell gelöst in der Praxis. Aber das ist wieder der Pragmatismus gegenüber. Wir haben eine Regel, gesetzlich alles ganz strukturiert geformt in Deutschland. Der Ansatz ist in Holland einfach anders.
Tono Wevers 0:32:32
Das ist die Folge, dass man dieses gerichtliche Verfahren hat, führt dazu, dass man sich im Zweifel auch immer wieder einigt. Man ist bei diesem Antragverfahren abhängig von jemand anders. Das möchte man nicht, weil das kann abgelehnt werden. Man weiß ja auch, was rauskommt so ungefähr. An den Schnittstellen kann man ja drehen und verhandeln. Ein großer Unterschied in dem Bereich ist, dass es in den Niederlanden eine gesetzliche Abfindung gibt. Also einen Anspruch, den man, es gibt auch Ausnahmen, aber das können die niederländischen Kollegen sich ja noch erklären im zweiten Teil, aber man kann einfach davon ausgehen als Arbeitnehmer, wenn ich gekündigt werde. Kriege ich Geld. Und in Deutschland ist das ja eher so, ja, wenn es einen Grund gab oder ein Kleinbetrieb, habe ich gar keine Chance, brauche ich gar nicht darüber reden. Und wenn es dann irgendwie kritisch war, verhaltensbedingt und die Frage, ob das dann mit der Abmahnung so passt, dann wird vielleicht schon mal verhandelt und dann gibt es vielleicht dieses halbe brutto Monatsgehalt. In den Niederlanden war es früher sogar noch so, dass die Abfällungen dramatisch viel höher waren. Also das war ein riesiger Unterschied. Ist dann aber in den letzten Jahren doch ein bisschen nach unten korrigiert worden und inzwischen hat sich das ein bisschen von der Höhe angeglichen. Aber es gibt halt einen Anspruch gegenüber. Übliche Praxis bei Verhandlungen kommt das ungefähr raus. In den Niederlanden weiß ein Arbeitnehmer, ich kriege Geld und geht auch so entsprechend in die Gespräche.
Markus Sporleder 0:33:55
Und ich kann vielleicht noch eine Ergänzung zu meinem Onboarding-Prozess, der über 20 Jahre später stattgefunden hat. Das Ganze war von Anfang an professionell vorbereitet. Also man ist wirklich an die Hand genommen worden. Man wurde unterstützt. Und das fängt an bei einfachen Dingen wie der Bürgerservice Nummer, weil ohne die existiert man im niederländischen System nicht. Die muss man haben. Das geht weiter über die Krankenversicherung, wo man eben auch, wie der Kollege schon gesagt hat, als Mensch, der in Deutschland wohnt, das Glück hat, dass wir zwei Karten benutzen können, zwei Gesundheitssysteme benutzen können. Das geht weiter über den Advokatenorten, wo man auch eben unterstützt wird, sodass man wirklich über diesen ganzen Prozess, bevor ich die Tätigkeit aufgenommen habe, mehrere Monate in Anspruch genommen hat, aber wirklich an Tag eins der Arbeit hier gesessen hat. Und es war wirklich alles geregelt und alles eben voll digital, selbst die Krankenversicherung. Sämtliche Anträge konnten mit der sogenannten Digi-D, das ist hier auch in den Niederlanden die digitale Identität, konnte alles wirklich vom Sofa aus beantragt und gemanagt werden, ohne dass man da großartig selber hinfahren musste und persönlich erscheinen musste. Die einzige Ausnahme war die Bürgerservice-Nummer, weil da muss man sich einmal persönlich identifizieren, dass man auch wirklich existiert und nicht... Irgendeine virtuelle Persönlichkeit da vorstellig wird, aber das war die einzige Ausnahme, wo man wirklich zwingend zum niederländischen Staat gerufen wurde.
Tono Wevers 0:35:43
Ne, das ist auch nicht der Mehrwert aus meiner Sicht. Also das wäre natürlich nicht schädlich oder wäre natürlich eine super Qualifikation, aber die werden dann den Weg sowieso finden hierhin. Aus meiner Sicht ist das Wichtige, dass man halt offen ist für die andere Mentalität, dass man Spaß dran hat, den Leuten zu helfen. Sprachliche Kompetenz ist natürlich schon wünschenswert. Die Erfahrung ist nämlich, dass Englisch als Common Ground nicht unbedingt immer die beste Lösung ist, wenn man halt kommuniziert. Auch die Unternehmen, die merken das natürlich auch, dass die Verträge auf Englisch abgefasst werden, nicht unbedingt das deutsche Recht gut abbilden können und auch das chassieländische Recht und dass man da auch vielleicht besser sich auf eine Sprache geeinigt hätte. Aber wenn man sich als Anwalt interessiert oder auch als Referendar in dem Bereich mal tätig zu werden, dann reichen Basiskenntnisse und einfach ein bisschen Feeling für Sprache. Ich habe es so gemacht, ich habe die Sprache von Anfang an einsetzen können und genutzt und habe da sehr viel Spaß dran. Dann hat man auch irgendwann die Chance, dass man wirklich ja mit beiden Seiten kommuniziert und nicht immer nur mit Übersetzer und deepl.com, arbeitet, sondern wirklich dem niederländischen Mandanten zum Beispiel die Beratung zuteilwerden lässt, aber mit der deutschen Gegenseite auf Deutsch verhandelt oder umgekehrt. Wir haben also auch viele deutsche Mandanten, die in den Niederlanden Berührungspunkte haben. Dann kann man halt entsprechend mit beiden Sprachen arbeiten. Andererseits haben wir hier den großen Vorteil, dass wir einfach eine Kanzlei mit holländischen Anwälten, mit deutschen Anwälten, wenn wir also... Nur auf deutsch hier arbeiten würden, wäre das auch kein Drama, weil es halt einfach die Kollegen gibt und natürlich weiter und die machen dann mit einem zusammen im Teamarbeit eigentlich das so, dass es immer optimale Ergebnisse geben kann. Man lernt das, wenn man es macht, dass man jetzt anfängt und sagt, ich muss schon perfekt niederländisch können, wäre toll, braucht man aber nicht. Das lernt man, sobald man hier ist. Der Kollege trainiert jede Woche und ist schon gut dabei und ich bin mir sicher, das wird auch irgendwann ja keiner mehr merken.

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Tono Wevers Rechtsanwalt, Damste

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