IMR4712. Mai 20
IMR047: Völkerstrafrecht | Interview Rechtsanwältin

IMR - Original

IMR047: Völkerstrafrecht | Interview Rechtsanwältin

Elisabeth Baier, Associate | Danckert Bärlerin Sättele

0:00
0:00

Über diese Episode

Folge 47 Deines Jurapodcasts zu allen Karriere- und Examensthemen

Völkerstrafrecht - Internationaler Strafgerichtshof - Den Haag - Nürnberger Prozesse - Rom-Statut - Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) - Verbrechen gegen die Menschlichkeit - Kriegsverbrechen - Völkermord - Nationale Gerichte - NGOs - Internationale Organisationen - Carlo-Schmid-Programm - Praktikum - Strafverteidigerin

Rechtsanwältin Baier aus Berlin berichtet, wie sie über ihr Referendariat zu ihrer Tätigkeit im internationalen Völkerstrafrecht kam. Wir sprechen darüber, welche Besonderheiten das Völkerstrafrecht mit sich bringt, welche Zwecke es verfolgt und welche Herausforderungen sich als Anwältin potentiell in diesem Rechtsgebiet stellen. Anschließend hört ihr, wie Ihr Frau Rechtsanwältin Baier im Rahmen eines Praktikums oder einer Referendariatsstation als Kollegin kennenlernen könntet.

Kapitel:

  • 00:10 - Vorstellung Frau Baier
  • 01:03 - Überblick Völkerstrafrecht
  • 10:44 - Die Rolle von NGOs
  • 13:42 - Background Frau Baier
  • 19:38 - Arbeit am ICC
  • 27:23 - ICC-Verfahren
  • 31:22 - Zwecke des Völkerstrafrechts
  • 35:50 - Praktikums- & Referendariatsmöglichkeiten

Kontakt & Follow:

IMR nach Themen sortiert:

Viel Spaß 🎉 und vielen Dank für Euer Feedback! 🙏🏼

Zu Gast

Elisabeth Baier

Elisabeth Baier

Kapitel

  • 00:00:10.000Vorstellung Frau Baier
  • 00:01:03.000Überblick Völkerstrafrecht
  • 00:10:44.000Die Rolle von NGOs
  • 00:13:42.000Background Frau Baier
  • 00:19:38.000Arbeit am ICC
  • 00:27:23.000ICC-Verfahren
  • 00:31:22.000Zwecke des Völkerstrafrechts
  • 00:35:50.000Praktikums- & Referendariatsmöglichkeiten

Über Danckert Bärlerin Sättele

Danckert Bärlerin Sättele ist eine Berliner Boutique-Kanzlei mit einem zusätzlichen Standort in Dresden und zählt zu den kleineren Einheiten des Marktes. In dem rund 15-köpfigen Team arbeiten überwiegend Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger, die sich insbesondere auf internationales Völkerstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht sowie Compliance-Beratung konzentrieren.

Besonders zeichnet die Kanzlei der direkte Mandatskontakt schon in frühen Karrierestufen, flache Hierarchien und die Möglichkeit, an spannenden Auslandsverfahren mitzuwirken. Lust auf Einblicke in echte Kriegsverbrecherprozesse und den Weg dorthin? Dann schnapp dir die Kopfhörer und lausche dem Interview in unserem Podcast Irgendwas mit Recht!

"
Das Ziel des Völkerstrafrechts ist es, dass auch Präsidenten sich nicht sicher fühlen können, wenn sie Verbrechen begehen, und keinen sicheren Ort finden, um sich vor ihren Taten zu verstecken.

Sneak Peak – Q&A mit Elisabeth Baier

Transkript

KI-basiert und kann Fehler enthalten.

Music:

0:10 Min
Marc Ohrendorf:

Herzlich willkommen heute mal wieder aus dem Homeoffice, aber schön, dass es weitergeht mit einer neuen Episode von Irgendwas mit Recht, aufgezeichnet am 6. Mai 2020 und ich spreche über das Telefon bzw. Über diese moderne Technologie namens Internet mit Frau Elisabeth Bayer. Hallo Frau Bayer.

0:31 Min
Elisabeth Baier:

Hallo.

0:33 Min
Marc Ohrendorf:

Frau Bayer, Sie sind Anwältin in Berlin, richtig?

0:36 Min
Elisabeth Baier:

So ist es, genau.

0:37 Min
Marc Ohrendorf:

Und was beschäftigt Sie da tagtäglich?

0:41 Min
Elisabeth Baier:

Ähm, die Bandbreite des Strafrechts. Also ich bin Strafverteidigerin, arbeite in einer kleinen Boutique. So acht Anwälte sind wir und ja, wir verteidigen im ganzen Strafrecht vor allem, aber im Wirtschaftsstrafrecht. Also das ist schon so ein bisschen der Schwerpunkt unserer Kanzlei. Und ja, das beschäftigt mich so tagtäglich.

1:04 Min
Marc Ohrendorf:

Heute wollen wir aber nicht über das Strafrecht sprechen, sondern ein kleines bisschen über das, was Sie in Ihrer Referendariatsstation und auch darüber hinaus noch erlebt haben. Sie haben mich angeschrieben und gesagt, Völkerstrafrecht und der Internationale Strafgerichtshof kommen hier zu kurz im Podcast.

NaN
Marc Ohrendorf:

Sie haben natürlich vollständig recht, da haben wir noch nie drüber gesprochen. Also schießen Sie mal los. Was ist denn das?

1:28 Min
Elisabeth Baier:

Ja, genau. Also ich glaube, das trifft nicht nur auf den Podcast zu, sondern generell habe ich das Gefühl, dass das Völkerstrafrecht immer so ein bisschen hinten überfällt. Wobei jetzt gerade auch, kommen wir vielleicht später ja noch drauf zu sprechen, ein paar ganz spektakuläre aktuelle Geschehnisse sind.

NaN
Elisabeth Baier:

Und ja, Völkerstrafrecht ist natürlich auch Strafrecht, also von daher schon irgendwie ein bisschen konnext zu dem, was ich jetzt auch mache. Aber natürlich ganz andere Tatbestände als die, mit denen ich mich so tagtäglich beschäftige. Also in Deutschland haben wir ja das Völkerstrafgesetzbuch.

NaN
Elisabeth Baier:

Das gibt es so seit Anfang der 2000er Jahre neben dem Strafgesetzbuch. Und da sind die Kerntatbestände des Völkerstrafgerichts auch normiert, also Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Völkermord und Aggression, was früher Vorbereitung eines Angriffskriegs hieß im StGB. Genau, und das sind im Wesentlichen so die materiellen Tatbestände.

NaN
Elisabeth Baier:

Und das Völkerschaftsrecht selber hat natürlich aber auch noch ganz viele Annexmaterien sozusagen. Also es geht dann vor allem auch immer darum, vor welchem Organ sozusagen wird das praktiziert, was gibt es für Gerichtshöfe, Tribunale, wer ist zuständig, passiert das auf internationaler Ebene, auf nationaler Ebene. Rechtsgeschichtlich gibt es super viel zu sagen im Völkerstrafrecht.

NaN
Elisabeth Baier:

Das gehört natürlich auch irgendwie alles noch zu dieser Rechtsmaterie dazu.

3:03 Min
Marc Ohrendorf:

Dann fangen wir vielleicht mal vorne an. Im Völkerstrafrecht ist es ja wahrscheinlich so, dass es irgendwann das Bedürfnis gab, ein internationales Strafrecht ins Leben zu rufen, weil ein Staat mit seiner entsprechenden Souveränität, mit seiner eigenen Staatsgewalt bestimmte Verbrechen nicht bestrafen kann. Dann hat man sich zusammengesetzt und wie kam das? Was hat man denn als erstes gemacht? Wo kommt es her?

3:31 Min
Elisabeth Baier:

Ja, das ist, glaube ich, so einfach beziehungsweise geradlinig gar nicht zu beantworten, weil das allein schon umstritten ist, wo jetzt eigentlich genau das Völkerstreifrecht herkommt, wann es angefangen hat als Rechtsmaterie, was man da so als Startschuss sozusagen sieht, Also, ich glaube, die meisten Leute, wenn man jetzt eine Umfrage machen würde, würden wahrscheinlich sagen, ja, Völkerstrafrecht und jetzt die Tatbestände, die ich vorhin aufgezählt habe, ja, so Nürnberg, Nürnberger Prozesse, damit hat das doch bestimmt irgendwas zu tun.

NaN
Elisabeth Baier:

Und also in der Tat ist das auch ein sehr, sehr wichtiger Moment des Völkerstrafrechts gewesen, also die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Es ist aber nicht der Beginn dieses Rechtsgebiets. Man kann da schon noch deutlich weiter zurückgehen ins 19.

NaN
Elisabeth Baier:

Jahrhundert, wo auch schon Staaten sich überlegt haben, wie geht man zum Beispiel um mit Piraten auf hoher See, also einfach Tatbestände, die sich nicht so richtig greifen ließen und wo es auch aus verschiedenen Gründen nicht so Sinn ergeben hat, das vielleicht nur einen Staat national aburteilen zu lassen. Und das gab es also schon so in Ansätzen, aber es gab jetzt keine Institution, keinen völkerrechtlichen Vertrag oder ähnliches, der das geregelt hätte.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dann kam das Thema auch schon nach dem Ersten Weltkrieg natürlich aus. Also das vergessen auch immer viele, dass der Vassala-Vertrag schon vorgesehen hatte, dass Kaiser Wilhelm II. Tatsächlich abgeurteilt wird vor einem Tribunal.

NaN
Elisabeth Baier:

Weil das ist ja dann gescheitert, weil er in die Niederlande geflohen ist und die ihn nicht ausgeliefert haben. Also das ist auch so ein bisschen eine meiner Lieblingsanekdoten aus dem Völkerstrafrecht, dass die kleinen Niederlande es im Prinzip verhindert haben, dass damals schon der Startschuss fiel und heute aber eben das Land sind, was fast alle diese Gerichtshöfe und Tribunale ja, die es dann zu Hause gibt in Den Haag.

NaN
Elisabeth Baier:

Also es ist ein bisschen, eigentlich ein bisschen lustig, dass das so war.

5:33 Min
Marc Ohrendorf:

Können Sie das mal ein bisschen ausführen? Was ist denn damals passiert?

5:36 Min
Elisabeth Baier:

Ja, also der Kaiser ist eben geflohen, weil er da Verwandtschaft hatte in den Niederlanden. Da sind ja irgendwie alle immer miteinander verwandt, die europäischen Adelshäuser. Und er war dann da auf so einem Landsitz in Dorn.

NaN
Elisabeth Baier:

Das ist so ein kleines Dorf, eigentlich nördlich von Utrecht. Und während die Alliierten sich überlegten, wie man jetzt nur dieses Tribunal aufbauen sollte Und wer da so sitzen könnte als Richter und so weiter, hat die Niederlande sich schlicht geweigert, den Kaiser auszuliefern. Und daran haben sie auch festgehalten.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dann ist er letztlich immer auf diesem Landsitz geblieben bis zu seinem Tod, der dann glaube ich schon in den 40er Jahren kurz vor Beginn oder am Anfang des Zweiten Weltkriegs war. Aber also daraus ist nichts geworden.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber also theoretische Überlegungen gab es dazu. Und da hat man sich eben auch schon mal Gedanken gemacht, was könnte denn da überhaupt für Tatbestände angeklagt werden. Und so richtig materialisiert hat sich das dann aber erst in Nürnberg.

NaN
Elisabeth Baier:

Also die Nürnberger Prozesse und der Militärgerichtshof, der damals sowohl die Hauptkriegsverbrecher, aber auch, das vergisst man auch oder das wissen viele nicht, Nicht, dass es nach dem Hauptprozess, den noch viele kennen, auch noch zwölf Nachfolgeprozesse gab, wegen aller möglichen Berufsgruppen, also Ärzte, Juristen auch, SS, Wirtschaftsgrößen und so weiter. Das war eigentlich dann der erste große Meilenstein, wo auch mal was institutionalisiert wurde.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber es war letztlich auch nur isoliert zur Aburteilung dieser Verbrechen. Also es war nichts für die Zukunft, nichts Permanentes für die Zukunft geschaffen. Und das ist dann letztlich erst in den 90er Jahren eigentlich gelungen mit dem Rom-Statut, also dem völkerrechtlichen Vertrag, auf dem auch der ICC in Den Haag beruht.

NaN
Elisabeth Baier:

Und auch zum Beispiel das Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland wurde auch als Umsetzungsakt geschaffen, dieses Rom-Statuts. Das ist also dann erst Ende der 90er Jahre gelungen. Es gab dazwischen noch so ein paar Ad-Hoc-Tribunale, nennt man die, also auch wieder für bestimmte Konflikte, Jugoslawien, Ruanda, es gibt auch noch ein paar andere.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber eigentlich die erste permanente Institution ist eben der ICC, der dann so Anfang der 2000er Jahre, 2002, seine Arbeit aufgenommen hat.

8:06 Min
Marc Ohrendorf:

Das ist übrigens nicht zu verwechseln mit der International Chamber of Commerce in Paris, was wir hier auch schon öfters im Podcast angesprochen haben, Stichwort Schiedsverfahren, sondern der International Criminal Court.

8:17 Min
Elisabeth Baier:

Und auch nicht mit dem International Cricket Council, der auch gerne mal aufpoppt bei der Google-Suche.

8:25 Min
Marc Ohrendorf:

Okay, also das heißt, das waren zunächst solche Ad-Hoc-Tribunale, weil man gesagt hat, wir brauchen einen gewissen Mechanismus, um hier diese besonders schlimmen Verbrechen auch international ahnden zu können. Kann man das so sagen?

8:39 Min
Elisabeth Baier:

Genau. Und es war eben auch alles, was möglich war zu der Zeit. Also man muss halt auch immer sehen, dass sowas natürlich auch eine wahnsinnige politische Dimension hat. Und letztlich sind all diese Tribunale und durch Prozesse, die passiert sind in der Vergangenheit, immer auch irgendwie das Kind ihrer Zeit.

NaN
Elisabeth Baier:

Ja, also was war möglich, auf was konnte man sich einigen? Nürnberg war natürlich möglich, weil das von den Alliierten auch gesteuert wurde, die nun mal den Krieg auch gewonnen hatten. Also es war auch klar, dass das natürlich, was sich dort überlegt würde, umgesetzt werden würde.

NaN
Elisabeth Baier:

Und in den 90er Jahren... War die Stimmung auch eine andere vielleicht international, als sie jetzt ist. Also es war, glaube ich, große Aufbruchsstimmung nach dem Ende des Kalten Krieges und in verschiedenen Schlüsselnationen, sage ich mal, auf der Welt, saßen eben Präsidenten oder Regierungschefs im Amt, die eher progressiv waren und man konnte sich da eben viel leichter einigen, auch auf Schritte, zum Beispiel über die UNO bestimmte Schritte zu gehen.

NaN
Elisabeth Baier:

Also diese Ad-Hoc-Tribunale sind ja letztlich Instrumente, die über die UN-Charta geschaffen wurden. Also der Sicherheitsrat hat sich dann auch irgendwann mal darauf geeinigt. Das war mal irgendwie so ein Zeitfenster in den 90ern, wo sich zum Beispiel auch Russland und die USA einigen konnten.

NaN
Elisabeth Baier:

China auch genauso. Die Zeiten sind da leider so ein bisschen vorbei. Also, dass man darüber gehen kann über solche Instrumente. Zum Glück haben sozusagen die 90er es dann auch noch geschafft, schnell noch dieses Rom-Statut hervorzubringen Ende der 90er.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber ich sage mal so, ab Anfang jetzt 2000er Jahre ist jetzt die Kurve in Sachen internationale Kooperation und auch Multilateralismus natürlich eher nach unten zeigend. Und deshalb, ja, sozusagen muss man diese Institutionen, glaube ich, auch immer in ihrem geschichtlichen Kontext sehen.

10:43 Min
Marc Ohrendorf:

Steigt dadurch eigentlich die Wichtigkeit von NGOs? Also wenn man sich überlegt, dass es ja auch eine gewisse Überwachungsfunktion hat, wenn sowas jedenfalls theoretisch im Raum schwebt, dass bestimmte Staatenlenker eventuell vor einen entsprechenden Gerichtshof gezerrt werden können für ihr Tun. Wenn die dann aber heutzutage gegebenenfalls weniger drastische Maßnahmen fürchten müssen, also Stichwort Syrien, wo wir uns jetzt seit zehn Jahren mit rumliegen.

NaN
Marc Ohrendorf:

mit rumschlagen. Ist es dann an der Zivilgesellschaft da, entsprechende Verbrechen aufzudecken oder wie würden Sie das sehen?

11:23 Min
Elisabeth Baier:

Ja, Syrien ist ein gutes Stichwort, weil es, glaube ich, ganz exemplarisch zeigt, zum einen, dass die bestehende Institution ICC eben auch schnell an ihre Grenzen gerät. Syrien ist kein Mitgliedstaat des ICC, dann kann er sich dieser Situation auch nicht annehmen.

NaN
Elisabeth Baier:

Es sei denn, der UN-Sicherheitsrat würde sie überweisen, was er aber nicht tut, weil Russland und China das blockieren seit Jahren. Also da kommt man nicht weiter auf den Weg. Und was dann stattdessen passiert ist, ist, dass die nationalen Gerichte anfangen, vor allem auch deutsche Gerichte, systematisch Verbrechen zu ermitteln und jetzt auch anzuklagen.

NaN
Elisabeth Baier:

Und da spielen NGOs oder die Zivilgesellschaft auf jeden Fall eine sehr große Rolle. Also zum Beispiel in Deutschland der ECCHR, also das European Center for Constitution and Human Rights hier in Berlin, also eine NGO, die sehr eifrig ist, auf diesem Gebiet Menschenrechte mit juristischen Mitteln durchzusetzen, hat auch systematische Fälle vor deutsche Gerichte gebracht.

NaN
Elisabeth Baier:

Wie jetzt zum Beispiel dieser Prozess, der letzte Woche in Koblenz angefangen hat, vor dem OLG Koblenz, liegen zwei Ex-Geheimdienstmitarbeiter aus dem Assad-Regime. Da werden also Opfer, Betroffene gebündelt, es werden Zeugenaussagen gesammelt, es wird auch über das Instrument der Nebenklage viel gearbeitet.

NaN
Elisabeth Baier:

Und es gibt ganz viele solche Organisationen, die auf unterschiedliche Arten und Weisen Beweise sammeln. Und die natürlich, wenn es das gäbe, auch internationalen Gerichten und Tribunalen zur Verfügung stellen würden, aber momentan eher nationalen. Neben NGOs im Übrigen auch einige UN-Instrumente.

NaN
Elisabeth Baier:

Also die UN versucht dann doch wieder so über andere Hintertüren zumindest Beweise zu sammeln. Also es gibt in Genf so eine Einrichtung, die auch im Syrien-Konflikt Beweise sammelt. Also da gibt es ganz viel, ja so Mosaiksteine, die in solchen Verfahren dann zusammenkommen, die aber ja sehr anders dann arbeiten oder sehr viel fragmentarischer sind natürlich, als es jetzt eine fest eingerichtete Institution ist.

13:40 Min
Marc Ohrendorf:

Verstehe. Dann lassen Sie uns im Folgenden ein kleines bisschen über Ihren Werdegang sprechen und wie Sie eigentlich dahin gekommen sind, sich mit dem internationalen Völkerstrafrecht zu beschäftigen und gleichzeitig dann vielleicht auch nochmal ein kleines bisschen über die Tätigkeit am internationalen Strafgerichtshof. Was hat Sie denn in diesem Rechtsgebiet fasziniert? Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt damit?

14:05 Min
Elisabeth Baier:

Ja, habe ich auch mal dann letztens versucht zu rekonstruieren, also eigentlich schon im Studium, wobei es in meinem Kopf irgendwie so richtig erst später dann an Fahrt aufgenommen hat. Aber ich hatte in Passau studiert und hatte da als Schwerpunkt Strafrecht.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dieser Schwerpunkt hielt einfach nur Strafrecht. Das war irgendwie eine bunte Mischung aus allen möglichen Kriminologien, Strafvollzug und unter anderem auch europäischem und internationalem Strafrecht. So hieß, glaube ich, damals die Vorlesung.

NaN
Elisabeth Baier:

Und ich war damals studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Professor Etzer, der auch im europäischen und internationalen Strafrecht forscht. Und das war eigentlich so der erste Kontakt. Das war aber ganz wenig Kontakt, weil das wirklich nur ein Modul, ein Seminar unter vielen war und am Lehrstuhl auch mal so aufkam als Thema, aber jetzt auch nicht so das zentrale Forschungsthema war, sage ich mal.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dann eigentlich als nächstes wieder im Referendariat. Das war aber auch irgendwie mehr so ein Zufall. Also ich muss sowieso feststellen, dass manche Dinge, wenn man so nachhinein draufguckt, wie ist man dazu gekommen, dann ist vieles irgendwie so zufällig doch bekommen.

NaN
Elisabeth Baier:

Also ich hatte mir überlegt, was ich in der Wahlstation machen will und wollte unbedingt ins Ausland gehen. Viele sind ja irgendwie was Auswärtiger Amt, dann irgendwelche Botschaften oder so. Und ich habe überlegt, was kann ich machen und brach dann mit einem Freund und ehemaligen Kollegen auch aus Passau, der gesagt hat, guck dir doch mal, du hast doch auch mal so Völkerstrafrecht gemacht irgendwie in Passau.

NaN
Elisabeth Baier:

Guck dir doch mal diese Institutionen und Gerichtshöfe an, was es da so gibt. Ich habe da auch mal ein Praktikum gemacht vor Jahren in Den Haag. Und irgendwie war mir dieser Gedanke überhaupt nicht gekommen vorher.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dann habe ich da so ein bisschen angefangen zu recherchieren. Und all diese Gerichtshöfe und Tribunale in Den Haag haben sehr umfangreiche Internship-Programme. Das ist, wenn man ehrlich ist, auch so ein bisschen, wovon die leben, beziehungsweise wodurch die auch so ein bisschen mangelndes Personal in der einen oder anderen Abteilung kompensieren.

NaN
Elisabeth Baier:

Also es gab wahnsinnig viele Interns überall, überhaupt in Den Haag. Also Den Haag hat ja auch noch viele andere internationale Organisationen, die jetzt nichts mit Völkerstrafrecht zu tun haben. Also das ist eine totale Industrie da, fast schon.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dann bin ich da an den ICTY damals gekommen, also an das Jugoslawien-Tribunal, wo damals auch ein deutscher Richter war, Christoph Lügge. Der damals in der Kammer saß, die das Mladic-Verfahren geführt hat. Also Radko Mladic war sozusagen der militärische Führer.

NaN
Elisabeth Baier:

Der bosnischen Serben im Jugoslawien-Krieg. Und da war ich dann in der Wahlstation, drei Monate in Den Haag. Und das war super. Also es hat mir super gefallen.

NaN
Elisabeth Baier:

Es war auch wirklich ein außerordentliches Glück, dieses Team, muss man sagen. Sehr, sehr nettes Team, tolle Zusammenarbeiten auch, also tolle Richter. Und es war echt, war auch noch im Sommer dann natürlich zufällig, das hat man dazu beigetragen, glaube ich, dass man das in guter Erinnerung hat.

NaN
Elisabeth Baier:

Irgendwie ein Sommer am Meer in Den Haag war natürlich auch schön. Und dann, da war ich dann eigentlich erst so ab dann richtig angefixt, würde ich sagen. Und dann habe ich nochmal nach dem Referendariat ein LLM gemacht in London an der LSD ein Jahr.

NaN
Elisabeth Baier:

Und bin dann da auch mal so ein bisschen mehr in die völkerrechtliche Schiene gegangen. Nicht nur Völkerstrafrecht, aber auch. Und habe mich dann nach der LLM-Zeit nochmal entschieden, auch nochmal nach Den Haag zu gehen.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dieses Mal dann aber im ICC. Also andere Institutionen und auch über ein anderes Programm. Das war beim zweiten Mal das Carlo-Schmid-Programm, von dem ich auch noch nie gehört hatte vorher. Was ich aber jedem nur ans Herz legen kann, der sich für Praktika in internationalen Organisationen interessiert.

NaN
Elisabeth Baier:

Also das ist ein ganz breit gestreutes Programm vom DAAD und der Studienstiftung und der Mercator-Stiftung, die eben deutsche internationale Organisationen bringen wollen. Wir wollen den Anteil in Deutschland ein bisschen erhöhen, weil es auffällig ist, dass Deutschland ganz oft das größte Geberland ist finanziell für diese Institution, aber das Personal es überhaupt nicht widerspiegelt.

NaN
Elisabeth Baier:

Andere Länder sind da sehr viel besser vertreten. Ich glaube, weil der deutsche Jurist zumindest auch vielleicht im Schnitt gerne lieber in Deutschland bleibt und nicht so häufig bei Landesgrenzen hinausgeht, weil das Studium auch nicht fixiert ist, aber auch in Deutschland. Und das versucht, dieses Programm eben zu ändern und hat da ganz viele Praktikumsplätze.

NaN
Elisabeth Baier:

Es gibt über 150 Stück immer pro Programm, auf die man sich bewerben kann. Man kann sich aber auch einen eigenen Praktikumsplatz suchen und dann versuchen, sich den finanzieren zu lassen von dem Programm. Muss man dann einen Auswahlprozess durchlaufen und so weiter.

NaN
Elisabeth Baier:

Also wer schon mal beim DAAD was gemacht hat, weiß, wie das immer abläuft, diese Auswahlrunden. Und das war dann eine Stelle am ICC für ein halbes Jahr. Ja, und zufällig wieder beim deutschen Richter Bertram Schmidt, der früher also auch BGH-Richter war, ist momentan der deutsche Richter am ICC und führte dort die Strafkammer, die sich mit dem ongoing-Verfahren auch aktuell noch befasst.

NaN
Elisabeth Baier:

Und dann war ich dort für ein halbes Jahr, genau.

19:37 Min
Marc Ohrendorf:

Wir verlinken das natürlich auch alles nochmal, also sowohl das Programm als auch die ganzen sonstigen Infos, denn das immerhin gibt es jetzt hier neu in Zeiten von Corona, dass es ordentliche Shownotes gibt, wo ihr dann auch in dem Podcast-Player eurer Wahl das Ganze nachlesen könnt. Aber zurückkommen würde ich gerne nochmal auf die Tätigkeit am ICC.

NaN
Marc Ohrendorf:

Wie sieht das denn genau aus? Was kann man denn da machen, wenn man Referendarin bzw. Dann nachher wissenschaftlicher Mitarbeiter ist? Was macht man da alltäglich?

20:06 Min
Elisabeth Baier:

Ja, das kommt sehr darauf an, wo man eingeteilt ist. Also man muss sich das ein bisschen anders vorstellen als in Deutschland, wo das vielleicht auch sehr viel getrennter ablaufen würde. Der ICC ist eine ziemlich große Organisation, ich glaube mit so rund 1000 Mitarbeitern.

NaN
Elisabeth Baier:

Das ist also ein Riesengebäude, wo im Prinzip alles, was jetzt mit diesen völkerstrafrechtlichen Verfahren zu tun hat, untergebracht ist. Also es gibt ein Registry, was man in Deutschland so mit Geschäftsstelle übersetzen würde, was dem aber überhaupt nicht gerecht wird.

NaN
Elisabeth Baier:

Also es ist im Prinzip die komplette Verwaltung des Gerichts und auch das, was eine Geschäftsstelle in Deutschland übernehmen würde an einem Gericht. Also Eingang, Ausgang, Sortierung von Beweismitteln. Das alles macht das Registry.

NaN
Elisabeth Baier:

Personalabteilungen aber auch und so weiter. Also die halten sozusagen den Laden da am Laufen. Und dann gibt es die Prosecution natürlich, also die Anklagebehörde, die Chambers, die Kammern, also da, wo die Richter sitzen und die Defense, also Verteidigung.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber alles eben untergebracht in einem Gebäude. Also natürlich getrennt voneinander. Und natürlich hat nicht jeder auf jeden Flügel Zugriff. Also es wäre ja auch abstrus, wenn irgendwie die Anklagebehörde zur Verteidigung reinlaufen könnte und andersrum.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber letztlich ist das alles eine Organisation. Und was auch ein bisschen anders ist als in Deutschland, und daraus ergibt sich dann ein bisschen auch die Tätigkeit, dass all diese Abteilungen neben... Ich sage mal, zum Beispiel bei der Prosecution würde man jetzt denken, da arbeiten nur Staatsanwälte und bei den Kammern nur Richter und bei der Verteidigung nur Verteidiger.

NaN
Elisabeth Baier:

All diese Abteilungen haben auch noch mal sogenannte Legal Officers, die für sie arbeiten. Also das ist, würde ich sagen, vergleichbar in Deutschland vielleicht mit so einer Art Referent, der in einem Ministerium arbeitet. Und die arbeiten den Abteilungsleitern, wie man das jetzt auch übersetzen mag, auf Deutsch zu.

NaN
Elisabeth Baier:

Und das ist ein ganz erheblicher Unterschied. In Deutschland hat ein Richter keine wissenschaftlichen Mitarbeiter, keine Referenten, die ihm zuarbeiten. Dort machen aber eigentlich die Legal Officer die Hauptarbeit. Also die Staatsanwälte treten, wie das zum Beispiel auch im angloamerikanischen System üblicher ist, hauptsächlich vor Gericht auf und gehen hinter den Kulissen, also die ganzen Sachen aufarbeiten, auch Entwürfe schreiben und so weiter.

NaN
Elisabeth Baier:

Das machen alles diese Legal Officers. Und das, also eine Tätigkeit vergleichbar zu der eines Legal Officers, das macht man eigentlich da. Also das war zumindest so, wie meine Vorgesetzten jetzt sozusagen meine Stellen da interpretiert hatten.

NaN
Elisabeth Baier:

Also klar muss man sich da auch irgendwie erstmal herantasten und kriegt am Anfang ein bisschen einfache Aufgaben. Aber wenn man sich da reinfuchst und nach ein paar Monaten macht man eigentlich, wenn man Glück hat und eine Abteilung landet, die einem das auch machen lässt, macht man das Gleiche wie solche Legal Officer.

NaN
Elisabeth Baier:

Also ich war ja beide Male in den Kammern, sowohl am ICTY als auch am ICC, da also vor allem Beweismittel auswerten, Beschlüsse schreiben, vielleicht schon Portionen des Urteils, Entwürfe vorbereiten. Man darf auch mit in die Verhandlungen.

NaN
Elisabeth Baier:

Also es ist wirklich super breit gefächert und hängt eben auch total davon ab, in welcher Abteilung man da landet. Aber man kann sich auch auf diese verschiedenen Abteilungen konkret bewerben, wenn man da jetzt ein spezielles Interesse hat.

23:26 Min
Marc Ohrendorf:

Mhm. Das heißt, der bzw. die Angeklagten haben gar keine selbst ausgewählte Verteidigung, verstehe ich das richtig?

23:35 Min
Elisabeth Baier:

Doch, die ist selbst ausgewählt, die Verteidigung. Also natürlich gibt es das Recht genauso dort wie auch hier. Es gibt auch eine Pflichtverteidigung. Also wenn sie zum Beispiel finanziell sich keine eigenen Anwälte leisten können, oft ist das auch so eine Kombination.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber diese Verteidiger, auch wenn sie selber ausgewählt sind, also denen werden zumindest Büros bereitgestellt in diesem Gebäude. Ich glaube jetzt nicht, dass sie dazu gezwungen werden, die auch wahrzunehmen. Die könnten sicherlich auch irgendwo anders in Den Haag sich was anmieten.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber sie sind schon in gewissem Maße Teil dieser Organisation, sind natürlich trotzdem unabhängig. Also beim ICC habe ich in diesem Verteidigungsflügel sozusagen des Gebäudes nicht so viel mitbekommen, weil der relativ weit von uns weg war. Aber beim ICTY war das etwas enger alles.

NaN
Elisabeth Baier:

Das ist dann wirklich, man hat eine Karte und kommt dann in bestimmte Gänge und Flügel rein, in andere nicht. Also das ist schon separat, dass das natürlich eine Unabhängigkeit gewährt ist. Aber auch das Finanzielle, je nachdem, wie der Angeklagte das Handhaben will, wird eben in bestimmten Fällen dann der Pflichtverteidigung auch über diese Organisation geregelt.

NaN
Elisabeth Baier:

Was ja in Deutschland letztlich auch nichts anderes ist, der Staat würde das ja auch zahlen, nur wäre, würde man das hier, glaube ich, als eher befremdlich wahrnehmen, wenn der Verteidiger jetzt im Gerichtsgeräte mit seinem Büro sitzt. Das ist auch so ein bisschen komisch, gewöhnungsbedürftig am Anfang, aber letztlich, solange man es natürlich schafft, da trotzdem an den nötigen Stellen eine Barriere zu schaffen, gibt es da kein grundsätzliches Problem, glaube ich.

25:14 Min
Marc Ohrendorf:

Das ist auch soweit. Ich weiß im sonstigen europäischen Ausland aus unserer Sicht gar nicht so unüblich. Also in Skandinavien, aus Dänemark zum Beispiel weiß ich, dass das da jedenfalls beim obersten Gericht auch ungefähr so abläuft.

25:30 Min
Elisabeth Baier:

Naja, okay.

25:32 Min
Marc Ohrendorf:

Übrigens ganz interessant, wo Sie gerade eben Den Haag und die ganzen örtlichen Sachen ansprachen, der IGH, der Internationale Gerichtshof, der ist ja im Friedenspalast, wenn ich mich recht entsinne, oder?

25:44 Min
Elisabeth Baier:

Genau. Den gibt es nämlich auch noch in Den Haag, der wird auch gerne mal verwechselt mit dem ICC, beziehungsweise es besteht da eine große Enttäuschung. Also oft, wenn ich Besuch bekommen habe, dachten die Leute, dass der ICC in diesem Friedenspalastgebäude wäre, was viele kennen, weil es ja auch sehr spektakulär aussieht.

NaN
Elisabeth Baier:

Leider muss ich sie dann enttäuschen, der ganze ICC. Ich finde das Gebäude, das neue Gebäude des ICC auch sehr schön, aber es ist halt ein moderner Bau. Und genau, er ist eben auch nicht zu verwechseln mit dem IGH.

NaN
Elisabeth Baier:

Also der IGH entscheidet über völkerrechtliche Fragen innerhalb des UN-Systems. Das ist also auch ein UN-Gericht. Der ICC hat nichts erstmal mit der UN zu tun. Also der ist dann natürlich irgendwie mittelbar verbandelt über diesen Überweisungsmechanismus Sicherheitsrat, aber das ist kein Gerichtshof der UNO.

NaN
Elisabeth Baier:

Der wurde auch nicht geschaffen von der UNO. Also das ist eigentlich das Hauptunterscheidungskriterium und der IGH beschäftigt sich halt eher mit allgemeinen völkerrechtlichen Fragen, also irgendwelche Grenzstreitigkeiten oder ähnliches. Also es kann auch mal völkerstrafrechtliche Einschläge haben.

NaN
Elisabeth Baier:

Es gab ja zum Beispiel letztes Jahr das Verfahren zum Völkermord oder möglichen Völkermord in Myanmar. Letztlich, weil es dann aber auch wieder um völkerrechtliche Verträge da ging, also um die Völkermordkonvention in dem Fall. Also Anknüpfungspunkte sind immer Auslegungen bestimmter völkerrechtlicher Instrumentarien, Wohingegen der ICC sich wirklich nur mit dem Rom-Statut und dem Völkerstrafrecht beschäftigt.

27:24 Min
Marc Ohrendorf:

Mhm. Und welche Verfahren sollte man, das hier war ja übrigens gerade auch eine super Frage für die mündliche Prüfung im ersten oder zweiten, so eine richtige Hassfrage, wo man sich die sehr ähnlichen Namen dann irgendwann zwei Wochen vorm Examen reinprügelt, wenn man da sonst nicht so viel mit zu tun gehabt hat. Also an der Stelle jetzt bitte sofort machen, dann ist es erledigt und einmal kurz anschauen.

NaN
Marc Ohrendorf:

Welche Verfahren sollte man denn gegebenenfalls kennen? Also jetzt losgelöst vom Examen, aber so ist ja auch eine Allgemeinbildungsfrage. Klar, Nürnberger Prozesse haben wir schon angesprochen, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg oder ein paar Jahre danach. Aber das ist natürlich auch ein historischer Prozess von gewisser Tragweite und Wichtigkeit.

NaN
Marc Ohrendorf:

Aber es gab ja auch viele in jüngerer Vergangenheit. Also wir hatten eben schon mal Serbien gestreift. Aber vielleicht könnten Sie schon noch mal einen kleinen Abriss geben, was der Eishockey, in den letzten Jahren so bearbeitet hat.

28:22 Min
Elisabeth Baier:

Genau, also die Jugoslawien-Geschichte war ja auch, wie gesagt, ein separates Tribunal. Da gab es den ICC noch gar nicht. Das waren die Ad-Hoc-Tribunale Jugoslawien und Ruanda in den 90er Jahren.

NaN
Elisabeth Baier:

Was immer so ein bisschen hinten überfällt, es gab aber auch Ad-Hoc-Tribunale in den 90er Jahren, Zu Sierra Leone, in Kambodscha gibt es eins, es gibt immer noch eins für den Libanon, die gibt es auch noch, aber die sind nicht so oft in der Presse, als dass das, glaube ich, so allgemein bekannt wäre. Und der ICC hat sich, was auch einer der größeren Kritikpunkte ist bisher, ich sage mal geografisch vor allen Dingen in Afrika aufbehalten.

NaN
Elisabeth Baier:

Tatsächlich sind bisher alle Angeklagten afrikanischer Nationalität, wobei es mittlerweile auch einige Ermittlungsverfahren in anderen Regionen gibt. Und da gibt es einige spektakuläre Haftbefehle, Also zum Beispiel Al-Bashir, der ehemalige sudanesische Präsident oder einer der Gaddafi-Söhne, die tatsächlich da nach wie vor per internationalem Haftbefehl gesucht werden, aber nicht ausgeliefert worden bisher.

NaN
Elisabeth Baier:

Aktuell, wie ich vorhin schon erwähnt habe, in der Kammer von Herrn Schmidt verhandelt wird das Ongwen-Verfahren. Das ist, der Name sagt jetzt vielleicht noch nicht allen was, aber die LRA und Joseph Coney, die Lords Resistance Army, sagt dann vielleicht schon mehr Leuten was, ja.

NaN
Elisabeth Baier:

Also letztlich eine Miliz, die dort unter der Leitung von Joseph Coney, das so Anfang der 10er Jahre war das mal so ein bisschen präsenter, das Thema.

30:06 Min
Marc Ohrendorf:

Da gab es so eine virale Kampagne, ne?

30:08 Min
Elisabeth Baier:

Genau, Coney 2012, ja, von so einem Amerikaner. Dadurch ist das auch ein bisschen international bekannter geworden. Ja, Joseph Coney ist nicht gefasst worden. Also man weiß auch gar nicht, ob er überhaupt noch lebt oder ob er sich irgendwo im Dschungel versteckt.

NaN
Elisabeth Baier:

Aber Dominic Ongwen ist gefasst worden und steht dafür auch aktuell eben vor dem ICC. Also das ist ein Verfahren, was aktuell läuft. Und ansonsten gibt es einige Ermittlungsverfahren.

NaN
Elisabeth Baier:

Ein ganz heißes Thema momentan ist Afghanistan und Palästina. Also das sind zwei Verfahren, die sich noch im Ermittlungs- oder teilweise sogar noch einen Vorschritt vor Ermittlungsverfahren, also dass die Anklagebehörde sich überhaupt erstmal entschließen muss, an Ermittlungsverfahren zu starten und zu finden. Und die natürlich aus offensichtlichen Gründen sehr viel Wirbel verursachen, weil das hochpolitisch alles ist und es auch genügend Nationen gibt, die da was gegen haben.

NaN
Elisabeth Baier:

Dass jetzt Situationen in Afghanistan, Palästina beispielsweise, da genauer unter die Lupe genommen werden. Ob es da jetzt je zu Ermittlungsverfahren oder Anklagen kommen wird, steht so ein bisschen in den Sternen. Aber das ist da sozusagen alles in der Pipeline, sage ich mal.

31:23 Min
Marc Ohrendorf:

Welche Zwecke kann denn so ein Prozess überhaupt noch erfüllen?

31:28 Min
Elisabeth Baier:

Ja, das ist natürlich eine ganz große und schwierige Frage, mit der sich das Völkerstrafrecht generell rumplagt. Was bringen solche Prozesse eigentlich? Also ich bin große Verfechterin davon, das Ganze sehr pragmatisch zu sehen und erstmal zu sehen, was geht es hier eigentlich letztlich um Strafprozess.

NaN
Elisabeth Baier:

Also ein Strafprozess wie der andere, könnte man erstmal sagen, wo also eine Straftat abgeurteilt wird. Natürlich haben diese Prozesse noch viel mehr Dimensionen, weshalb dann auch noch lauter mögliche Ziele da so immer im Hintergrund rumschwirren, was jetzt dieser Prozess auch noch alles erfüllen soll.

NaN
Elisabeth Baier:

Also vor allem natürlich das große Ziel des Völkerstrafrechts, Kampf gegen die Straflosigkeit, dass auch Präsidenten, Staatsoberhäupter sich nicht sicher fühlen können, wenn sie Verbrechen begehen, dass diese nicht auch irgendwann abgeurteilt werden. Dass sie auch keinen, ja, safe haven sagt man immer im Englischen, also keinen sicheren Ort sozusagen auf der Welt finden, wo sie sich verstecken können vor ihren Taten.

NaN
Elisabeth Baier:

Viele hoffen auch auf eine gewisse abschreckende Wirkung. Da habe ich aber ehrlich gesagt große Zweifel, ob das der Fall ist. Ist also, ob Herr Assad jetzt vor dem Fernsehsitz und das Verfahren vor dem OLG Koblenz zum Beispiel verfolgt in Deutschland und sich denkt, jetzt lasse ich besser mal das, was ich noch so vorhatte.

NaN
Elisabeth Baier:

Da habe ich große Zweifel und auch der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das nicht unbedingt abschreckende Wirkungen hatte. Dann führen viele die Opferbeteiligung eigentlich so als den Hauptgrund an, also dass man den Opfern eine Bühne gibt, dass die Opfer gehört werden, dass sie irgendwie das Gefühl haben, das Unrecht, was ihnen geschehen ist, wird irgendwo irgendwie gegen irgendwen wieder gut gemacht.

NaN
Elisabeth Baier:

Was ich noch zwei eher wichtigere Nebeneffekte sozusagen finde, ist, dass natürlich, wenn es zu einem Urteil kommt, auch offizielle Aufzeichnungen von bestimmten Konflikten geschaffen werden. Also ein Historic Record irgendwie. Man sagt, hier hat zumindest mal ein objektives, unabhängiges Gericht festgestellt in diesem Urteil, die ja sehr lange Sachverhaltsausführungen an hunderte, tausende Seiten teilweise lang haben, dass dies und das zu dieser Zeit dort passiert ist.

NaN
Elisabeth Baier:

Und das ist dann eben nicht mehr so leicht aus der Welt zu kriegen. Deswegen ist es auch nicht mehr so leicht wegzuwischen, wenn das ein Gericht festgestellt hat. Ich denke, das ist noch eine wichtige Nebenfolge.

NaN
Elisabeth Baier:

Und idealerweise, und das ist auch eigentlich das Ziel des ICC, was immer gerne vergessen wird, auch so in der Kritik, der ICC würde sich überall einwischen, was ihm gar nichts anginge, das ist eigentlich nicht das Ziel des ICC, sondern es gibt den Komplementaritätsgrundsatz. Das heißt, der ICC wird nur tätig, wenn der Staat, in dem die Verbrechen begangen wurden, nicht selber tätig wird.

NaN
Elisabeth Baier:

Also natürlich soll das Ziel sein, dass jedes Land das selber aburteilt im eigenen Rechtssystem. Also er wird eigentlich nur tätig, wenn das nicht möglich ist oder wenn der Staat eben nicht dazu ist. Mittelbar soll das also auch als eine Art Instrument zum Aufbau von einer gewissen Rechtsstaatlichkeit beitragen.

NaN
Elisabeth Baier:

Also wenn man jetzt zum Beispiel auf Deutschland guckt, ist halt auch dieser Umsetzungsakt Rom-Statut ins Völkerstrafgesetzbuch auch letztlich eine Folge davon. Genau, aber ich bin sozusagen, um das nochmal deutlich zu machen, wirklich der Verfechterin von dem pragmatischen Ansatz, also erstmal wirklich zu schauen, wir führen hier letztlich ein Strafverfahren durch und es ist schön, wenn dieses Strafverfahren dann auch noch gewisse Nebeneffekte hat, aber ich glaube, man sollte diese Nebeneffekte oder diese Ansprüche, die auch verschiedene Gruppen daran stellen, nicht so sehr in den Vordergrund stellen, weil das der ICC auch nicht erfüllen können wird.

NaN
Elisabeth Baier:

Und ich glaube, wenn man weitermacht, damit da solche hohen Ansprüche aus verschiedenster Richtung zu stellen, wird das letztlich eher zu einem Scheitern als zu einem Erfolg führen. Also ich würde das mal ein bisschen runterfahren und mich eher auf die Verfahren, die realistischerweise durchführbar sind, konzentrieren.

35:50 Min
Marc Ohrendorf:

Das ist noch ein schönes, rundes, fast Schlusswort, denn ich glaube, viele Zuhörerinnen und Zuhörer interessiert nach dieser interessanten Episode und den interessanten Erzählungen, was machen sie eigentlich heute? Sie sind, wir haben es schon angedeutet, in Berlin Strafrechtlerin, aber machen kein Völkerstrafrecht, sondern?

36:09 Min
Elisabeth Baier:

Nein, sondern hauptsächlich Wirtschaftsstrafrecht. Also genau, eigentlich kunterbunt durch das Strafrecht einmal durch, aber wenn man dann natürlich schaut, was ist ein bisschen der Schwerpunkt, ist es schon das Wirtschaftsstrafrecht. Genau, also ich arbeite dort jetzt seit mehreren Monaten in der Kanzlei, als Strafverteidigerin und mache da auch alles von Schriftsätze schreiben zu Vertretungen in Hauptverhandlungen, zu Mandanten der Haftbesuchung, was man eben so macht als Strafverteidiger.

36:44 Min
Marc Ohrendorf:

Und Sie wissen ja, das Ganze hier dient auch immer ein bisschen dazu, gute Praktikastellen und Referendariatsstationen zu finden. Kann man da bei Ihnen mitmachen?

36:53 Min
Elisabeth Baier:

Ja, klar. Also wir heißen im übrigen Dankert Bärlein-Settele und sind eben eine Kanzlei in Silmersdorf in Berlin Und haben auch regelmäßig sowohl Praktikanten als auch Referendarinnen und Referendarinnen, also auch wissenschaftliche MitarbeiterInnen. Also das ist alles möglich und wir freuen uns immer über motivierte und gute Bewerber, die da vielleicht mal reinschnuppern wollen, vielleicht auch schon ein bisschen Firma im Strafrecht sind.

NaN
Elisabeth Baier:

Das ist eigentlich auch nicht so wichtig. Hauptsache man hat da irgendwie Lust drauf. Also gerne jederzeit melden.

37:27 Min
Marc Ohrendorf:

Ja, sehr schön, Frau Bayer. Vielen herzlichen Dank für die tatsächlich etwas andere Perspektive, die man auch nicht jeden Tag hört. Und weiterhin alles Gute für Sie. Und danke, dass Sie das mit uns und den Zuhörern geteilt haben.

37:41 Min
Elisabeth Baier:

Ja, sehr gerne. Tschüss. Tschüss.

Das könnte Dich auch interessieren

featured

IME027: Notwehr nach § 32 StGB (Notwehrlage, Notwehrexzess, Notwehrhandlung, subjektives Rechtfertigungselement) mit Richter am BVerfG Prof. Dr. Henning Radtke

featured

IMR302: LL.M. in Washington, KI als Kollege der Zukunft, Restrukturierung international, Projektmanagement

featured

IMR301: Klimaklagen in der Klausur, RWE-Fall mit peruanischem Bauer vor OLG Hamm, detaillierte Prüfung, strategische Prozessführung, Lösungsmöglichkeiten für Masseverfahren

featured

IMR300: Litigation-Alltag, Streiten wie bei Suits, Mammutverfahren, Wechsel als Team, Teilzeit in der Wirtschaftskanzlei

Nichts verpassen mit dem Abo

QR Code for Apple Podcasts
Direkt zu Apple Podcasts