IMR16522. Jun 23
IME006: AGB-Recht, Richterrecht, Transparenzgebot

IME - Irgendwas mit Examen

IME006: AGB-Recht, Richterrecht, Transparenzgebot

Prof. Dr. h.c. Barbara Dauner-Lieb, Professor | Universität zu Köln

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Über diese Episode

Folge 165 Deines Jurapodcasts zu allen Karriere- und Examensthemen

AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) - Inhaltskontrolle - Individualvertrag - Praxis - Examensklausur - Rationale Apathie - Bundesgerichtshof - Aushandeln (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB) - B2B - B2C - Richterliche Rechtsfortbildung - Schuldrechtsreform 2002 - Arbeitsvertrag - Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) - Klauselverbote (§§ 308, 309 BGB) - Preisnebenabrede - Bring or Pay Entscheidung - Rechtsgeschichte - § 310 BGB - § 307 BGB - § 307 Abs. 3 BGB - §§ 138, 242 BGB

IMR165 / IME006: In der sechsten Folge eures zivilrechtlichen Examenspodcasts dreht sich alles um das AGB-Recht. Gibt es wirklich keine Individualverträge mehr? Wie wichtig muss das Recht der AGB dann für die Praxis sein? Prof. Dauner-Lieb schafft es mit ihrer außerordentlichen Erfahrung in diesem Rechtsgebiet, durch Systematik und Gesetzeshistorie, ein Verständnis für das AGB-Recht aufzubauen. So steht der gelungenen Examensklausur nichts mehr im Weg!

Kapitel:

  • 01:40 - Wichtigkeit des AGB-Rechts
  • 05:24 - Pacta sunt servanda (?)
  • 07:47 - "Aushandeln" iSv § 305 BGB
  • 11:02 - AGB-Historie: Richterrecht vs Gewaltenteilung
  • 23:42 - Schuldrechtsreform und AGB-Recht
  • 26:36 - Das Transparenzgebot
  • 29:22 - Fall: Bring or pay

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Barbara Dauner-Lieb

Barbara Dauner-Lieb

Kapitel

  • 00:01:40.455Wichtigkeit des AGB-Rechts
  • 00:05:24.103Pacta sunt servanda (?)
  • 00:07:47.438"Aushandeln" iSv § 305 BGB
  • 00:11:02.175AGB-Historie: Richterrecht vs Gewaltenteilung
  • 00:23:42.253Schuldrechtsreform und AGB-Recht
  • 00:26:36.923Das Transparenzgebot
  • 00:29:22.161Fall: Bring or pay

Über Universität zu Köln

Die Uni Köln ist Deutschlands größte juristische Fakultät. Sie zeichnet sich durch mehrfach ausgezeichnete Lehre und juristische Forschung aus. IMR verbindet mit der Uni Köln ein besonderes Verhältnis, denn der Podcast startete hier im Jahr 2018 unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Dauner-Lieb. Prof. Dauner-Lieb engagiert sich zudem seit Jahrem im Rahmen des Examenspodcasts Irgendwas mit Examen, der Teil von IMR ist. Dort erhaltet Ihr sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht einen kontinuierlichen kostenfreien Examenskurs in Podcast-Form.

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Es gibt keine Individualverträge mehr, im Massengeschäft standardisiert man und effizientert man, das AGB-Recht ist deshalb zentral, weil es praktisch alle Verträge prägt und relevante Examensstoff ist.

Sneak Peak – Q&A mit Barbara Dauner-Lieb

Transkript

KI-basiert und kann Fehler enthalten.

0:00 Min
Sponsor: PWC Legal:

Die heutige Episode wird präsentiert von PVC Legal. PVC Legal, das sind mehr als 250 Anwältinnen an 18 deutschen Standorten und weltweit sogar über 3500 Rechtsanwältinnen in mehr als 100 Ländern. Bei ihrer Arbeit in den verschiedensten Rechtsgebieten setzt PVC Legal bereits seit Jahren auf den Einsatz von neuesten Technologien, zum Beispiel durch Kooperationen mit Tech-Startups oder die Entwicklung von eigenen Tools und Anwendungen.

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1:00 Min
Sponsor: PWC Legal:

Den Link hierzu findet ihr auch in den Shownotes.

0:47 Min
Marc Ohrendorf:

Vielen Dank für die Unterstützung der heutigen Folge von Irgendwas mit Recht an PWC und nun viel spaß, Herzlich willkommen zu irgendwas mit examen folge 6 und ebenso zu einer neuen episode irgendwas mit recht mein name ist mark orendorff und ich sitze hier mit barbara donnerlieb hallo barbara hallo mark wieder einmal der ganz kurze hinweis ihr habt weiterhin die möglichkeit uns euer feedback zu schicken zu dieser folge gibt uns auch gerne 5 Sterne bei iTunes oder Spotify, wenn ihr das Ganze gut und hilfreich findet.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Erzählt es euren Kommilitonen. Und jetzt geht's los mit einem deiner Lieblingsthemen, wie du gerade gesagt hast, dem AGB-Recht. Absolut.

1:33 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Ist ein absolutes Highlight meiner Forschung und meiner Lehrtätigkeit.

1:40 Min
Marc Ohrendorf:

Warum ist das AGB-Recht so schön, so wichtig und auch für Examenskandidatinnen auf jeden Fall studierenswert.

1:48 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Beginnen wir mit der Bedeutung für die Praxis. Ich schicke eine provokante These vorweg. Es gibt keine Individualverträge. Es gibt sie nicht.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Es hat sie vielleicht auch nie wirklich so gegeben, wie wir glauben, dass sie geschlossen worden sind. Es mag zwischen zwei Verbrauchern, die überhaupt keinen Plan haben, mal vorkommen, dass sie sich hinsetzen und sagen, hier ist ein weißes Blatt, wir machen einen Vertrag.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Glaub ich aber auch nicht. Die holen sich ein Formular aus dem Internet. Und dann sind wir schon mitten im AGB-Recht.

2:20 Min
Marc Ohrendorf:

Oh sind das, da habe ich noch nie drüber nachgedacht, das ist ja auch eine interessante Konstellation, jetzt gerade so mit Vertragsgeneratoren heutzutage, ja klar wenn der Verbraucher sich irgendwo das Smartloud Dokument oder wenn es da alles so gibt runterlädt, dann nix mit macht, dann sind das erstmal, kann man ja mal durchdeklinieren.

2:38 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Naja, das sind AGBs, die sind vorformuliert zwar von Dritten, aber er macht sie sich zu eigen und der Bundesgerichtshof hat ein einziges Mal eine kleine winzige Lockerung vorgenommen, da hatte ein Verbraucher an einem anderen etwas verkauft und hatte dafür ein Formular aus dem Internet geholt, aber es war eigentlich reiner Zufall, dass er es geholt hat und nicht der andere.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Und darauf hat der Bundesgerichtshof auch abgestellt und hat gesagt, es liegt kein Stellen vor, wenn es im Grunde reiner Zufall war, wer was irgendwo hergeholt hat, wenn da nicht im geringsten Ausnutzung von Gestaltungsfreiheit drin war. Da sind wir schon voll drin.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Aber ich komme zurück zu meiner Ausgangsthese, jeder, der ein Produkt am Markt regelmäßig vertreibt, wird standardisieren und effizienter werden wollen. Es gibt heute keine Rechtsabteilung, die ihrem Vertrieb überhaupt erlaubt, plötzlich anzufangen, Individualverträge abzuschließen. Und das Ganze wird natürlich jetzt durch Digitalisierung noch befördert.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Man nimmt Textbausteine, also es bleibt die These, die ich nachher noch etwas näher erklären will. Es gibt im Massengeschäft überhaupt keine Individualverträge mehr, auch weil die Rechtsprechung die Stellschrauben fürs Aushandeln so angezogen hat, dass man praktisch diese Voraussetzungen überhaupt nicht erfüllen kann. Und ich bringe eine weitere Botschaft, die schmerzlich ist.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Große Unternehmen B2B gehen raus aus dem deutschen Recht, wenn sie können, weil sie die die deutsche AGB-Kontrolle der höchstrichterlichen Rechtsprechung fürchten, die gehen ins Schweizer Recht. Okay, aber der Anfang lautet, die Praxis muss sich mit AGB sowieso beschäftigen, weil es was anderes de facto überhaupt nicht gibt, wenn man halbwegs standardisiert und effizient irgendetwas machen will.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das zweite ist, Studenten müssen sich damit beschäftigen, weil es dauernd vorkommt. Es ist einfach relevant für den Examenskandidaten und die 305 fortfolgende sind nicht ganz einfach zu erschließen. Die gehören zu den Regelungskomplexen, die sich nicht durch Lesen im Examen auch in fünf Stunden noch aufschlüsseln lassen, sondern da muss man die Strukturen vorher kennen.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Worum geht es jetzt? setze ich mal auch noch ganz an den Anfang. Inhaltskontrolle von AGB, im Grunde geht es um etwas Schockierendes. Wir haben gelernt, Pacta sunt servanda.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wir haben Vertragsfreiheit. Aber Vertragsfreiheit bedeutet auch, wenn ich den Vertrag geschlossen habe, kann ich hinterher nicht sagen, der ist ungünstig, will ich wieder weg.

5:24 Min
Marc Ohrendorf:

Warum kann man das denn mit unserer deutschen AGB-Kontrolle durchbrechen?

5:28 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Ja, warum kann man Pacta sunt servanda durchbrechen? Da gibt es unterschiedliche Begründungen im Schrifttum und in der Rechtsprechung und das ist der Anfang der ganzen Schwierigkeiten. Im Schrifttum, darüber diskutiert man jetzt seit 1976, eigentlich schon länger, hat man eine ziemlich plausible Begründungskette entwickelt.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Nämlich, es handelt sich um Transaktionskosten und um rationale Aparthie. Schön, ne? Normalerweise geht das BGB davon aus, dass sich ein Vertragspartner, bevor er einen Vertrag schließt, Gedanken macht, was er da macht. Und das kann er auch.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Und das muss er auch. Bei AGBs ist das aber so nicht. Warum? AGBs sind undurchsichtig, sind lang, er versteht ohnehin nicht der Adressat, was da drin steht. Es lohnt sich auch gar nicht, sich damit zu beschäftigen, weil wenn Sie eine Zahnbürste kaufen, macht es keinen Sinn, darüber zu verhandeln, ob die AGB halbwegs tragfähig sind.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

5,20 Euro gegen zwei Stunden Nachdenken. Und außerdem nutzt es meistens nichts. Verhandeln Sie mal mit Ihrem Bankberater über die AGB der Deutschen Bank. Und weil es ohnehin weder sinnvoll noch ökonomisch noch erfolgversprechend ist, Autonomiediskussionen über AGB zu führen, werden sie auch nicht geführt und infolgedessen funktioniert der Markt nicht.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Weil jedes Unternehmen genau weiß, ich kann da machen was ich will, es wird nicht diskutiert. Und infolgedessen bedarf es einer richterlichen Kontrolle und der Durchbrechung des Grundsatzes Pacta sunt servanda. So, diese Begründung, einhellig in der Literatur, ich kenne niemanden, der was anderes vertritt, wird von der Rechtsprechung aber nicht ganz so akzeptiert.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Die Rechtsprechung hat einen anderen Weg gefunden, viel abstrakter, aber deswegen auch teleologisch weniger standfest. Die Rechtsprechung sagt, es ist die einseitige Inanspruchnahme von Vertragsgestaltungsfreiheit. Das ist natürlich auf den ersten Blick auch gar nicht falsch, weil tatsächlich die eine Seite, die den Vertrag gestaltet.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das Problem ist, die teleologischen Grundlagen, warum das so ist, gehen verloren und die Konsequenzen in der Auslegung zeigen sich beim Aushandeln. Sie wissen, das steht in 305 Absatz 1 Satz 3. Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Parteien im Einzelnen ausgehandelt sind.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Ich bringe jetzt schon ein Beispiel, wenn die beiden Vertragsparteien mit Anwalten über Monate über einen Vertrag diskutiert haben. Dann würde der Bürger sagen, er ist ausgehandelt. Also für eine Inhaltskontrolle besteht hier kein Anlass, denn rational apathisch waren die ganz sicher nicht.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Die waren ganz und gar nicht apathisch. Die haben sich ein halbes Jahr gestritten. Der BGH sagt aber, aushandeln ist etwas anderes, ein mehr als verhandeln. Also das drüber reden nutzt gar nichts, sondern aushandeln heißt, zur Verfügung, zur Disposition stellen der Klausel.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Nämlich sagen, mir ist egal, wenn du die nicht haben willst, komm die auch weg. Meine Damen und Herren, das heißt der Kaufmann geht in die Verhandlung ohne Plan, das ist vorgenommener Quatsch. Niemand geht rein und sagt, mir ist alles egal.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

So der Bundesgerichtshof sagt und dann kommt es noch auf die einzelne Klausel an, also man kann nicht sagen, ich gebe hier nach, du gibst da nach, sondern der guckt die einzelne Klausel an und wenn die nicht zur Disposition gestellt worden ist, dann ist die nicht ausgehandelt und daraus folgt, es ist so gut wie alles AGB, selbst wenn auf beiden Seiten Juristen sechs Monate darüber diskutiert haben.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wenn die eine Seite gesagt hat, da kann ich leider nicht von runter, das ist bei uns Konzernpolitik, wir gehen selbstverständlich gerne preisnach, bleibt das trotzdem eine allgemeine Geschäftsbedingung.

9:32 Min
Marc Ohrendorf:

Bedeutet für euch in der Klausur, wenn ihr hier an diesem Punkt seid und fragt euch gerade, ist ja jetzt eine wichtige Frage, ist das eben ausgehandelt, komme ich jetzt in die AGB-Klausur sozusagen rein oder biege ich irgendwo anders ab? Dann spricht er erstmal fast alles dafür. Erst recht, wenn das schon aufgeworfen wurde in der Klausur aus sozusagen auch strategischen Überlegungen.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Ja, hier lässt man das jetzt nicht rausfliegen. Hier macht ihr im Regelfall weiter.

9:56 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Immer. Ich habe noch nie erlebt, dass es anders ist.

9:59 Min
Marc Ohrendorf:

Gut, dann ganz kurz. Wo stehen wir eigentlich gerade im Privatrecht? Wir haben uns jetzt zuletzt mit minderjährigen Recht beschäftigt, davor haben wir Stellvertretungen gemacht. So langsam wird es da so ein bisschen schuldrechtlicher, aber ganz da sind wir auch noch nicht.

10:13 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das AGB-Recht befindet sich heute in den Paragraphen 305 fortfolgend. Das ist systematisch Schuldrecht. Guckt man etwas genauer hin, ist es aber eigentlich ein Problemkreis, der den AT betrifft, weil es geht darum, wie Verträge geschlossen werden und was in die Verträge hineinkommt.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das spielt aber eigentlich keine große Rolle. Ich weise nur immer darauf hin, das führt häufig dazu, dass es im akademischen Unterricht zu kurz kommt. Weil der, der meint, es ist Schuldrecht, sagt, das soll der AT-Kollege machen und der AT-Kollege sagt, also es wird hin und her geschoben und fällt oft in einen negativen Kompetenzkonflikt und es ist wirklich wichtig, eigentlich wäre es besser, wenn es in beiden Vorlesungen vorging.

11:02 Min
Marc Ohrendorf:

Das ist ja eigentlich ein ganz schönes Sinnbild dafür, dass die AGB ursprünglich auch mal in einem anderen Gesetz geregelt wurden und auch da ein kleines bisschen dann sozusagen hin und her geschoben wurden.

11:14 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Genau so ist das. Die Geschichte des AGB-Rechts ist nicht nur interessant, sondern sogar wichtig, um das zu verstehen, was heute da drin steht. Vor der Schuldrechtsreform gab es ein AGB-Gesetz. Das ist im Wesentlichen identisch mit den heutigen 305 fortfolgenden, mit einer großen Ergänzung.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Erstens, wir haben plötzlich die arbeitsrechtlichen Verträge drin, Die waren vorher nicht drin. Und das Transparenzgebot ist erheblich aufgewertet worden. Das hat eine große Bedeutung für die gesamte Wetterlage.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wie kam es nun zu dem AGB-Gesetz 1976? Das war auch nicht der Anfang. Die Rechtsprechung machte vorher schon seit Jahrzehnten eine Inhaltskontrolle von AGB mit 138.242. Und der Gesetzgeber hat dann irgendwann mal gesagt, das möchten wir jetzt auch im Gesetz haben und schuf das AGB-Gesetz.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Warum ist das so spannend? Weil man sieht, dass das eine lange Entwicklung ist, die aber nicht angefangen hat mit dem Gesetzgeber, sondern angefangen hat mit der Rechtsprechung.

12:21 Min
Marc Ohrendorf:

Das lässt ja einen kleinen Exkurs zu. Wir haben dort Richterrecht. Jetzt haben wir das dann irgendwo in Gesetz gegossen. Wie ist denn diese richterliche Rechtsfortbildung mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar?

12:37 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Gehört zu den interessantesten Grundfragen, mit verfassungsrechtlichen Grundfragen unserer Rechtsordnung. Im Ausgangspunkt eigentlich nicht. Seit Montesquieu ist klar, die Legislative schafft Gesetze und die Rechtsprechung wendet Gesetze an. Wir kommen aber ohne richterliche Rechtsfortbildung mehr oder weniger großzügig nicht aus.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das ist auch ein bisschen eine Frage des Zeitgeists. Im Moment sind wir wieder ein bisschen zurückhaltend mit Rechtsfortbildung. Es gab Zeiten, da war man da sehr viel großzügiger, aber die ganze Privatrechtsordnung ist voll richterlicher Rechtsfortbildung.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Herrenreiter, Persönlichkeitsrecht. Gut, das kann man vielleicht, kommen wir noch darauf zu sprechen, kann man aus dem Grundgesetz holen, aber ganz viele Einzelthemen, die sie kennen, Culpa in contra hendo, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, so gut wie alles, was heute in 311 Absatz 2 und Absatz 2 drinsteht, war vorher schon als richterliches Recht drin und die Schuldrechtsreform, auf die wir auch noch zu sprechen kommen werden, hat als erklärtes Ziel, das Richterrecht endlich zu kodifizieren.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Also eine völlige Umkehrung des Prozesses.

13:53 Min
Marc Ohrendorf:

1976 war die Reichweite dann dieses zu schaffenden AGB-Gesetzes ziemlich umstritten, hast du mir im Vorgespräch verraten. Genau. Worum ging es damals?

14:03 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Ja, es ging um ein Kernthema, was auch heute noch ein Kernthema ist und nur deswegen belästigen wir sie hier heute ein bisschen mit Rechtsgeschichte. Es gab 1976 schon sehr starke Stimmen, die gesagt haben, das Gesetz soll nur für B2C-Verträge gelten. Also für Verträge, in denen der Adressat der AGB-Verbraucher ist.

14:28 Min
Marc Ohrendorf:

Und nicht zwischen Unternehmen, logischerweise.

14:31 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Dann gab es einen Aufstand auf einem Juristentag, wo Peter Ulmer, der berühmte AGB-Rechtler mit dem großen Kommentar, natürlich ein großer Gesellschaftsrechtler, erklärte, das ginge nicht. Da gab es viele Motive, aber eins war völlig klar.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Die meisten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betrafen B2B-Verträge. Und man sagte, wir können jetzt nicht den ganzen B2B Bereich rausnehmen. Verschwindet praktisch die AGB-Kontrolle in der maßgeblichen Bedeutung. Und da hat man nun eine Weiche gestellt.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Der alte Paragraf 24, der heute in § 310 steht, ich sage Ihnen das mal eben, der war eine Kompromisslösung. Da ist keine Wortlautveränderung, deswegen kann ich das einfach so vorlesen. Da steht nämlich drin, dass die Klauselverbote 308 und 309, zunächst mal keine Anwendung finden auf allgemeine Geschäftsbedingungen, die gegenüber einem Unternehmen verwendet werden und dann steht ein etwas schwer verständlicher Satz 2, Paragraf 307 Absatz 1 und 2, also die allgemeine Generalklausel, findet in den Fällen des Satzes 1, Klauselverbote, auch insoweit Anwendung als dies zur Unwirksamkeit von in Paragraf 308 Nummer 1, 2 und so weiter genannten Vertragsbestimmungen führt, Strichpunkt, die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche ist angemessen, Rücksicht zu nehmen.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

So, jetzt, wenn man das verstehen will, ist das eine sehr scharfsinnige Konstruktion, obwohl das Wording wirklich für einen Nichtjuristen kaum noch verständlich ist. Das lautet nämlich, es gibt eine AGB-Kontrolle auch zwischen Unternehmen. B2B.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Die Klauselverbote, Diese ganz strengen ist unwirksam, ist unwirksam, ist unwirksam, 308, 309 finden aber im B2B-Bereich in der Anwendung. Die Themen, die da angesprochen werden, können aber in den 307 hineingezogen und dort berücksichtigt werden, allerdings unter Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gebräuche.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Was ursprünglich gemeint war, heißt, die Klauselverbote kann man zwar in die Diskussion einbeziehen, aber man hat bei der Inhaltskontrolle von Unternehmen viel mehr Freiraum und kann hingucken, passt denn die scharfe Inhaltskontrolle wirklich auf die Bedürfnisse des unternehmerischen Verkehrs?

17:06 Min
Marc Ohrendorf:

Und der Hintergrund, so stelle ich es mir zumindest mal gerade spontan vor, ist ja zum einen, dass branchenübliche Vorgehensweisen sich viel, viel stärker unterscheiden zwischen verschiedenen Industrien, zwischen verschiedenen Branchen, als jetzt beispielsweise, naja, eine vermietete Wohnung in Köln oder Hamburg, das ist irgendwie immer alles dasselbe. Und wenn am Ende gleich wieder da hinkommen, dass es ja auch im B2B Bereich sehr starke AGB Kontrollen de facto dann doch gibt, trägt aber auch der Situation Rechnung, dass sich diese Handelsbräuche ja auch im Laufe der Jahrzehnte tatsächlich hier und da ein kleines bisschen ändern können?

17:45 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Ja, ich nehme das Ergebnis vorweg, der BGH hat diese Einschränkung oder diese Öffnung ignoriert von Anfang an. Er macht es nicht. Er macht es überhaupt nicht und er macht noch etwas anderes nicht, das läuft unter Indizwirkung der Klauselverbote.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wenn er AGB B2B sieht und sieht die Fallen unter die Themen des 309, dann sagt er, das indiziert die Unwirksamkeit nach 307 Und er berücksichtigt die Besonderheiten des Handelsverkehrs überhaupt nicht. Er fragt nicht mal danach.

18:15 Min
Marc Ohrendorf:

Wie kommt das?

18:17 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das weiß man so ganz genau nicht. Ich habe eine... Wie soll ich sagen, eine Hypothese aus der sehr intensiven Befassung mit der Gesetzgebungsgeschichte 1976. Nochmal, 1976 waren die Mehrheit der BGH-Entscheidungen Entscheidungen zu B2B und alles andere, was dann dogmatisch begründet wäre, es gibt keine Handelsbräuche und so weiter, haben eigentlich keine Rolle gespielt.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Deutschland war von Anfang an 1976 eine klare Neigung der Rechtsprechung, die Linie Ulmer zu verfolgen. Es gibt keinen Unterschied zwischen B2B und B2C. Das ist übrigens von der dogmatischen Grundkonstellation wahrscheinlich gar nicht ganz falsch, weil grundsätzlich natürlich Unternehmen, die Adressaten von AGB sind, der, sag ich mal, sehr oft auch rational apathisch sind und auch sehr oft es akzeptieren müssen.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wenn, sag ich mal, irgendwas, einen Dachdecker einen PC kauft, dann ist er den AGB genauso hilflos ausgeliefert, wie jeder Verbraucher. Das ist eigentlich, das hat nichts mit seiner unternehmerischen Position zu tun, sondern das hat eigentlich damit zu tun, ob er einen Vertrag im Kerngeschäft abschließt oder in einem Bereich, der gar nicht zu seinem Kerngeschäft gehört.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Nach meiner Meinung ist das Thema Aushandeln, auf das wir vielleicht gleich nochmal ganz kurz zurückgehen, viel, viel wichtiger. Ich halte aber jetzt noch mal fest, dadurch, dass der BGH sagt, die Klauselverbote haben Indizwirkung. Für Verträge B2B und außerdem das mit dem Aushandeln so macht, wie er es macht, führt das dazu, dass bei uns die Inhaltskontrolle B2C und B2B fast völlig parallel läuft.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das alles beruht auf der Weichenstellung 76. Wenn man das heute nochmal machen würde, würde man es möglicherweise deshalb nicht tun, weil ja das ganze EU-Privatrecht trennt zwischen B2B und B2C und wir eigentlich als einzige so zurückbleiben in unserer Inhaltskontrolle Kontrolle von B2B-Verträgen. Das ist vielleicht gar nicht so falsch.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Also jetzt kommen wir auf ein ganz schwieriges Gebiet. Die ganzen Zulieferer für die Automobilindustrie sehen sich natürlich ganz, ganz schwierigen AGB der Großen gegenüber, die sehr, sehr schwergewichtig sind und sehr, sehr hart. Nur die sind nicht rational apathisch, die Adressaten, sondern Die sind hilflos und das ist eigentlich eine Frage des Kartellrechts und nicht des AGB-Rechts.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Da liegt eher ein Thema Machtmissbrauch und so irgendetwas vor, aber nicht ein Thema, ich habe nicht kapiert, was da drin steht und habe auch keine Zeit, mich drum zu kümmern. Aber das macht die Sache so wunderbar kompliziert.

21:14 Min
Marc Ohrendorf:

Jetzt müssen wir uns nach diesem wunderbar Komplizierten, glaube ich, eine kleine Erdung zurückholen, so würde ich mal formulieren, mit Blick auf das Staatsexamen und was die Examenskandidatinnen dort machen. Ich würde ganz kurz gerne einen Blick nämlich reinwerfen in die gerade so häufig angesprochenen Klauselverbote.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Das ist ja das, wo dann am Ende des Tages man in der Klausur sitzt und anfängt durchzulesen. Ja, sag mal, okay, ich habe Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit im 309, ich habe Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit im 308. Kannst du einmal darlegen, was es mit dieser Wertungsmöglichkeit auf sich hat, wenn man jetzt konkret die Klausur lösen muss?

21:50 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Die Wertungsmöglichkeit ist relativ simpel. Das sind Klauseln, in deren Anwendung eine Wertung erforderlich ist. Wir nehmen mal irgendeine. Fiktion des Zuganges, 308.6, eine Bestimmung, die vorsieht, dass eine Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung, da muss eine Wertung rein.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Was ist von besonderer Bedeutung oder nicht? Die 308 kommen ziemlich selten vor. Was oft vorkommt, ist der 309, und zwar der 309 Nummer 7, unwirksam ist, Haftungsausschluss, eine Begrenzung von Haftung für Schäden aus der Verletzung des Körpers und so weiter und so weiter. Daumenformel.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Eine Haftungsausschlussklausel, wo nicht differenziert wird, das gilt nicht für Verletzungen des Körpers, der Gesundheit und des Lebens. Ist immer unwirksam. Also die Nummer 7 ist der Klausur-Hit.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wenn es tatsächlich zu einer konkreten Klauselkontrolle kommt, dann ist es meistens der. Ein Rat aber, meine Damen und Herren, wenn Sie sehen, es hat irgendwas mit AGB zu tun, Ihre Klausur, dann gucken Sie einfach mal, was da steht. Weil so gut wie das gesamte BGB irgendwo in diesen Klauseln vorkommt und die sind auch nicht unverständlich, man muss es einfach nur lesen.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Aber die Haftungsklauseln sind natürlich die allerwichtigsten. Aber noch einmal ein Tipp fürs Examen. Nach meiner Erfahrung ist das aller aller allerwichtigste, dass die, dass sie das, was wir eben erarbeitet haben, 310, 307, 308, 309 Indizwirkung, dass sie das wissen, wie das funktioniert, weil in sehr sehr vielen Klausuren, die ich gesehen habe, einfach nur verlangt wird, dass sie das verstehen, wie das geht.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Die eigentliche Klauselkontrolle ist dann minimal. Das geht dann, wenn man kapiert hat, wie man über den 310 in die reinkommt. Und das Aushandeln, das kommt natürlich immer wieder vor.

23:42 Min
Marc Ohrendorf:

Gut, jetzt haben wir dargelegt, wo wir in der Klausur häufig unterwegs sind, wo da die Musik spielt. Lass uns mal noch ganz viel, dann wieder ein Stückchen zurückgehen in nämlich die AGB-Historie. Was hat denn die Schuldrechtsreform 2002 für das AGB-Recht gebracht und warum sollte man das auch im Hinterkopf haben, wenn man heute in 2023 fortfolgende sozusagen eine Klausur im AGB-Recht schreibt?

24:08 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Die Schuldrechtsreform hat zunächst einmal... Überhaupt nur das AGB-Recht vom AGB-Gesetz ins BGB transplantiert. Dadurch haben sich alle Hausnummern geändert. Studierende und Prüflinge der heutigen Generation sagen, what the heck, ist egal.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das war damals ein Riesenstreit, weil die Autoren von großen Kommentatoren großer AGB-Gesetze dachten, ihnen geht das Geschäft flöten, wenn das jetzt im BGB... Sie müssen ja einfach sehen, ganze Bibliotheken verschwanden. Das war einfach plötzlich im BGB.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Also könnte man sagen, ist egal, jetzt steht es woanders, wir wissen wie es geht. Es hat eine ganz wichtige Änderung gegeben, die ganze Geschäftsfelder erschlossen hat. Nämlich die Einbeziehung des Arbeitsrechts.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Eigentlich hat das Arbeitsrecht, sage ich jetzt mal etwas kess, da gar nichts drin zu suchen. Kollektives Arbeitsrecht sowieso nicht, weil da wird Privatautonomie und Richtigkeitsgewehr unterstellt. Wo Tarifverträge oder Betriebsräte dabei, gibt es keine richterliche Inhaltskontrolle.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Aber was reinkam, waren die arbeitsrechtlichen Formularverträge. Warum sage ich das passt eigentlich nicht? Bin ich in der Mindermeinung? Ich glaube aber es ist trotzdem hörenswert. Warum? Weil die rationale Apathie im Arbeitsrecht keine Rolle spielt.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Der Arbeitnehmer ist nicht rational apathisch, der liest sich das durch und versteht schon oder lässt sich beraten. Aber, so die Theorie, er hat ja wenig Chancen was dagegen zu tun. Aber das ist jetzt teleologisch ganz was anderes.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Ob ich in einen Vertrag eingreife, weil einer da gar nicht reingucken muss oder ob ich es tue, weil ich sage, diese Verträge sind nicht gerecht. Das ist plötzlich eine ganz andere Schiene. Und mit dem Arbeitsrecht, sage ich mal, ganze Kanzleien sind entstanden.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Es war die beste Business-Idee, die es je gegeben hat, die Erfindung des Arbeitsrechts ins AGB-Recht hineinzutun. Und das ist aber ein extra Thema, kommt in Klausuren permanent vor. Davon gibt es Dutzende von Klausuren.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das liegt natürlich auch daran, dass aktive Arbeitsrechte da sehr gerne Gegenstände für Klausuren sehen und auch welche machen. Manche sind schön, manche sind weniger schön. Aber das ist ein Dauerthema, wo sie aber mit dem normalen Handwerkszeug des AGB-Rechts nicht so weit kommen, weil das ist dann eher Arbeitsrecht.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Und da spielt noch eine ganz, ganz große Rolle das Transparenzgebot, auf das wir vielleicht nochmal ganz kurz zu sprechen kommen. Gerne.

26:38 Min
Marc Ohrendorf:

Was ist das Transparenzgebot?

26:39 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das Transparenzgebot. Das Transparenzgebot ist zu verorten in Paragraf 307 Absatz 1 Nummer 2, äh Satz 2. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmungen nicht klar und verständlich sind. Also bloß, weil sie unklar aus sich ausdrücken, können sie mal ohnehin schon unwirksam sein.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

So, im Arbeitsrecht spielt das eine ganz große Rolle. Warum? Weil die ganzen Klauselverbote natürlich nichts mit Arbeitsrecht zu tun haben. Die kommen aus einer ganz anderen Ecke. Aber mit dem Transparenzgebot kommt man immer relativ weit.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Da gibt es eine riesen Rechtsprechung zu. Jetzt muss ich aber zum Transparenzgebot noch etwas sagen. Da gibt es einen Absatz 3 des 307, der wirklich außerordentlich dunkel formuliert ist. Die Absätze 1 und 2 sowie die Paragrafen 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abgewichen sind.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Jetzt kommt der zweite Satz. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein. Wenn sie da jetzt reingucken, ich weiß noch nicht mal, Marc, verstehst du das sofort so?

27:58 Min
Marc Ohrendorf:

Nee.

27:58 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Nee, gut. Ich mach's mal einfach. Gelten nur für Abweichungen von Rechtsvorschriften. Heißt im Klartext, was eigentlich klar ist, den Preis kann der Richter nicht kontrollieren. Das ist Aufgabe des Marktes.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Leistung und Gegenleistung darf nicht der richterlichen Inhaltskontrolle unterworfen werden, da sind die Grenzen 138, sonst nichts. Aber, und jetzt kommt eben das Interessante, wenn die aber unklar sind, die Regelungen über den Preis, wenn die intransparent sind, können sie doch kontrolliert werden. Und das ist nun ganz wichtig, das sind die Preisnebenabreden, Versicherungsverträge, Bankenverträge, alle die Dinge, wo man nicht so ganz genau weiß, Bezahle ich für die Bearbeitung noch was? Bearbeitungsgebühr? Da kommt über das Transparenzgebot trotz doch eine ganz, ganz intensive Kontrolle, obwohl es eigentlich gerade nicht um Rechtsvorschriften geht.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Aber das ist vielleicht auch nicht ganz falsch, denn die rationale Aparthie gilt ja hier. Da kann ich ja nicht sofort sagen, ach, ich verstehe, wofür ich eigentlich was bezahle, sondern ich muss das einfach akzeptieren und weil ich das akzeptieren muss, bin ich rational, urpatisch und unterschreibe das.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das ändert aber nichts am Grundprinzip. Grundsätzlich ist der Preis nicht kontrollierbar, es sei denn, die Preisgestaltung ist letztlich intransparent.

29:22 Min
Marc Ohrendorf:

Dann haben wir das Transparenzgebot auch, finde ich, sehr, sehr gut eingeordnet und wissen, welche Problematiken sich hinter dieser Tür verbergen. Können damit sicher umgehen. Ansonsten hat man ja häufig den Eindruck beim AGB-Recht, wenn man noch im Studium ist, auch das, was wir hier und da so ein bisschen von euch gehört haben, als wir im Vorfeld die Folgen so ein bisschen geplant haben und du natürlich in deiner Erfahrung als langjährige Professorin auch siehst.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Damit ist ja umzugehen. Das ist ja nicht so ein super schwieriges Rechtsgebiet, ist mein Eindruck. Und insofern finde ich es auch wichtig, dass wir in dieser Folge nochmal wirklich auf die historischen Grundlagen eingegangen sind, denn wenn man das mit dieser Brille sehen kann, dann kann man auch was, was heute passiert, natürlich einfacher lösen.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Wir haben in der letzten Podcast-Folge zum Abschluss einen kleinen Fall besprochen und das kam sehr gut an, deswegen machen wir das auch jetzt wieder, nämlich den Fall Bring or Pay. BGHNJW 2013 8.56.

1:00 Min
Marc Ohrendorf:

Müsst ihr euch nicht merken, wir haben es in die Shownotes gepackt, gibt es auch frei zugänglich online. Ihr müsst einfach nur auf den Link klicken. Aber Barbara, worum ging es?

30:29 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Es ist ein Fall, an dem man sehr schön sehen kann, dass sich die Rechtsprechung von den teleologischen Wurzeln entfernt hat und möglicherweise dadurch Ergebnisse produziert werden, die vielleicht manche Unternehmen dazu bringen, wenn sie können, in die Schweiz auszuweichen. Worum ging es? Da ging es ein Unternehmen, das betrieb eine Müllverbrennungsanlage in den Kommunen.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Und die hatten AGB, die selbstverständlich an alle Kommunen, die dort ihren Müll hinbringen wollten, zum Vertragsbestandteil gemacht wurden. Warum heißt das bring or pay? Da war eine Klausel drin, die sagte, ihr müsst uns eine bestimmte Müllmenge bringen und wenn ihr die unterschreitet, müsst ihr trotzdem zahlen.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Eigentlich völlig klar. Betriebswirtschaftlich, wir brauchen eine Mindestauslastung, sonst läuft das nicht. Wenn ihr sie nicht bringt, zahlt ihr trotzdem. Das hätte, da können die Hörer mal drüber nachdenken und die Hörerinnen, eine ganze Reihe von anderen Gestaltungsformen gegeben, wo man dasselbe Ergebnis erzielt, ohne in die Netze des BGH zu geraten.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Aber so war es nun mal. Da stand eine Klausel, die übrigens bring or pay hieß, obwohl wir ja eigentlich sagen müssen pay. Nevertheless not bring oder irgendetwas. Aber die heißt also bring or pay.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

So, das Besondere dieser Entscheidung war, dass die beteiligten Vertragsparteien monatelang über diese Verträge verhandelt hatten und auf beiden Seiten anwaltlich bestens vertreten war. Also von rationaler Apathie nicht die Spur. Alle wussten ganz genau worum es ging und die Betreiber der Müllverbrennungsanlage haben offen aber doof gesagt und im übrigen, wir können über alles reden, wir können da nachgeben und da nachgeben, wir können auch einen anderen Preis machen, aber darauf müssen wir bestehen.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

So, damit war klar, kein Aushandeln, denn Aushandeln ist mehr als Verhandeln. Es ist das ernsthafte Zur-Disposition-Stellen der Klausel. Und wenn das nicht da ist, nutzt auch nichts, dass Paketlösungen vereinbart wurden.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wir geben hier ein bisschen nach und da ein bisschen nach. Diese Klausel ist unwirksam. der spätere Einwand mancher Justiziare, ja, sollen wir denn kaufmännisch in eine Verhandlung gehen und sagen, wir haben gar keinen Plan, wir stehlen alles zu eurer Disposition.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das wird doch kein Kaufmann machen, das haben die Juristen nie gehört. Das Interessante an dieser Entscheidung ist nicht, dass es sich um Müllverbrennungsanlagen handelte, das war vielleicht gar nicht so wichtig, aber das Entscheidende ist, dass man sieht, das Kriterium des Aushandelns, so wie der BGH es weiterentwickelt hat.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Hat mit der rationalen Aparthie und dem Gesichtspunkt, der Adressat konnte sich nicht drum kümmern, wollte sich nicht drum kümmern und musste sich noch nicht drum kümmern, bei solchen Verträgen einfach keinen Sinn mehr macht. Das eigentliche Ziel der AGB-Kontrolle, eine solche Situation abzufedern, ist hier verfehlt, weil das Schutzbedürfnis, was eigentlich am Anfang des AGB-Rechts stand, in solchen Fällen schlicht nicht gegeben ist.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Wenn sich zwei Großunternehmen gegenüberstehen und etwas verhandeln, bezweifle ich, ob sie den Schutz der AGB-Kontrolle brauchen, aber der Bundesgerichtshof hat einfach diese Linie so entwickelt und ist auch nicht mehr bereit, im Moment von dieser Linie abzuweichen. Es ist nun sehr interessant, über dieses Thema wird seit etwa 15 Jahren rechtspolitisch gestritten.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Das ist das was ich immer als den Wanderzirkus AGB bezeichne. Es gibt also eine Gruppe von Leuten, die sich dafür interessiert. Ein Teil ist pro, ein Teil ist kontra.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Der Kontrateil ist für den BGH, das ist Graf von Westphalen, eine imponierende Anwaltsfigur. Und die, die das AGB-Recht ändern wollen, Thomas Pfeiffer, Heidelberg und natürlich Klaus-Peter Berger hier in Köln. Und wir, ich bin manchmal auch dabei.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Und wir diskutieren also seit über 15 Jahren, das AGB-Recht muss flexibler werden. Die anderen sagen auf gar keinen Fall, der BGH sitzt und hört zu. Und wir wissen, dass der BGH die Argumente natürlich längst kennt und sie vielleicht nicht alle für falsch hält.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Aber uns hat der BGH jetzt immer wieder signalisiert, so lange wie wir das jetzt praktizieren, ist das quasi recht. Was nur noch der Gesetzgeber ändern kann. Wir brauchen ein Signal aus Berlin.

1:00 Min
Prof. Dauner-Lieb:

Vielen Dank.

35:07 Min
Marc Ohrendorf:

Ich danke dir. Tschüss.

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