IMR26321. Okt 24
IMR263: Studie zum deutschen Rechtsmarkt, Rückgang Anwaltszahlen, Einstiegsgehälter, Zukunft der universitären Ausbildung

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IMR263: Studie zum deutschen Rechtsmarkt, Rückgang Anwaltszahlen, Einstiegsgehälter, Zukunft der universitären Ausbildung

Prof. Dr. Matthias Kilian, Professor | Universität zu Köln

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Über diese Episode

Folge 263 Deines Jurapodcasts zu allen Karriere- und Examensthemen

Anwaltschaft Deutschland - Rechtsmarkt Entwicklung - Niedergelassene Anwälte - Syndikusrechtsanwälte - Demografischer Wandel - Künstliche Intelligenz - Legal Tech - Digitalisierung - Juristinnen Karriere - Vereinbarkeit Beruf Familie - Wochenarbeitszeit - Einstiegsgehälter Jura - Gender Pay Gap Jura - Berufsaussichten Juristen - Arbeitgeberwahl

Heute zu Gast: Professor Matthias Kilian, Direktor des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln. Wir sprechen über den Wandel in der deutschen Anwaltschaft. Prof. Kilian teilt spannende Einblicke aus seiner Forschung und erklärt, warum seit 2017 die Zahl der niedergelassenen Anwälte sinkt, während die Zahl der Syndikusanwälte weiter wächst. Wir diskutieren die Herausforderungen junger Anwälte, die Bedeutung von Berufszufriedenheit und welche Faktoren wie Arbeitszeit und Spezialisierung heute bei der Wahl des Arbeitgebers eine Rolle spielen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Frage, warum im Laufe der Karriere immer mehr junge Juristinnen und Juristen die Anwaltschaft verlassen und welche Auswirkungen dies auf den Rechtsmarkt hat. Viel Spaß mit dieser Folge Eures Jurapodcasts zu allen Karrierethemen!

Kapitel:

  • 00:09 - Vorstellung Prof. Kilian
  • 03:10 - Haupttrends der Anwaltschaft
  • 04:21 - Rückgang der Anwaltszahlen seit 2017
  • 06:51 - Anwaltsrückgang in Ostdeutschland
  • 08:24 - Mögliche Lösungen
  • 09:45 - Trends bei Juristinnen
  • 13:12 - Arbeitsbedingungen
  • 15:21 - Durchschnittliches Einstiegsgehalt
  • 24:41 - Zukunft der universitären Juristenausbildung
  • 27:43 - Herausforderungen im Referendariat
  • 30:07 - Soft Skills als Auswahlkriterium für Arbeitgeber

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Zu Gast

Matthias Kilian

Matthias Kilian

Kapitel

  • 00:00:09.553Vorstellung Prof. Kilian
  • 00:03:10.083Haupttrends der Anwaltschaft
  • 00:04:21.043Rückgang der Anwaltszahlen seit 2017
  • 00:06:51.515Anwaltsrückgang in Ostdeutschland
  • 00:08:24.923Mögliche Lösungen
  • 00:09:45.223Trends bei Juristinnen
  • 00:13:12.425Arbeitsbedingungen
  • 00:15:21.928Durchschnittliches Einstiegsgehalt
  • 00:24:41.196Zukunft der universitären Juristenausbildung
  • 00:27:43.856Herausforderungen im Referendariat
  • 00:30:07.460Soft Skills als Auswahlkriterium für Arbeitgeber

Über Universität zu Köln

Die Uni Köln ist Deutschlands größte juristische Fakultät. Sie zeichnet sich durch mehrfach ausgezeichnete Lehre und juristische Forschung aus. IMR verbindet mit der Uni Köln ein besonderes Verhältnis, denn der Podcast startete hier im Jahr 2018 unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Dauner-Lieb. Prof. Dauner-Lieb engagiert sich zudem seit Jahrem im Rahmen des Examenspodcasts Irgendwas mit Examen, der Teil von IMR ist. Dort erhaltet Ihr sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht einen kontinuierlichen kostenfreien Examenskurs in Podcast-Form.

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"
Früher war immer die Rede von Juristenschwemmen. Das hat sich seit einigen Jahren geändert.

Transkript

KI-basiert und kann Fehler enthalten.

0:10 Min
Marc:

Herzlich willkommen zu einer neuen Episode Irgendwas mit Recht. Interessanterweise heute aus einem Raum, den ich sehr gut kenne, nämlich an der Uni Köln, wo ich auch mal tätig war. Und ich darf sprechen mit Professor Matthias Kilian. Hallo.

0:23 Min
Prof. Matthias Kilian:

Hallo, vielen Dank.

0:24 Min
Marc:

Wir haben uns auf dem Anwaltstag getroffen, wo am 1.7. Die Episode hier bei Irgendwas mit Recht online gegangen ist. Man muss ja immer so ein bisschen überlegen, wann wurde was aufgezeichnet, wann geht was online, da ist immer so ein gewisser Versatz drin und da haben sie einen, ja man kann sagen Traditionsvortrag gehalten, den halten sie glaube ich jedes Jahr auf dem Anwaltstag zum Status der Anwaltschaft, zum aktuellen Stande der Anwaltschaft, also ein bisschen Zahlen, Daten, Fakten und dieses Jahr kam da auch eine Studie zur jungen Anwaltschaft dazu.

1:10 Min
Marc:

Das ist ja auch Ihr Steckenpferd. Da beschäftigen Sie sich ziemlich viel mit, mit diesen ganzen Themen.

1:00 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, ich mache relativ viel empirische Berufsforschung seit Längerem, zusätzlich zu dem klassischen Geschäft, was man als Professor so macht, materielles Recht, Berufsrecht. Und da bin ich seit Längerem unterwegs und junge Anwälte beschäftigen mich jetzt nicht zum ersten Mal. Da gibt es schon frühere Studien dazu, an denen ich beteiligt war. Das ist ein spannendes Thema.

1:19 Min
Marc:

Wie sind Sie da hingekommen?

1:21 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, das ist eine gute Frage. Das beruht eigentlich auf einer Erfahrung aus meiner Promotionszeit. Ich habe Rechtsvergleichen promoviert, war in London an der Universität dort relativ oft vor Ort und bin dann eingeladen worden, zu meinem Promotionsthema an einer Arbeitsgruppe mitzuwirken, die seinerzeit eine Reform im englischen Recht begleiten sollte.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und das habe ich gerne gemacht, fühlte mich da sehr geehrt. Habe dann aber sehr schnell gemerkt, dass eigentlich so diese typisch deutsche Herangehensweise mit dieser dogmatischen Betrachtung und wie könnte man das rechtlich gestalten, da zwar höflich aufgenommen wurde, aber als völlig unbehilflich empfunden wurde und immer dann gefragt wurde, ja, aber wie ist das denn so im echten Leben jetzt? Wie ist das denn rein tatsächlich und wie wirkt sich das aus? Und das ist ja so eine Gedankenwelt, in der wir uns deutsche Juristen eigentlich selten bewegen, also evidenzbasiert Rechtspolitik zu gestalten.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und das hat mir das verdeutlicht eigentlich, dass international man eigentlich häufig doch eher mit Fakten, mit Rechtstatsachen auch argumentieren muss. Und das habe ich so ein bisschen mitgenommen aus dieser Zeit und mich dann, als ich die Gelegenheit hier in Deutschland ergab, mich in dem Bereich auch ein bisschen dann...

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Breit gemacht so gesehen und das dann kombiniert mit einer klassischen Spezialisierung im rechtlichen Bereich, die ich halt im Berufsrecht habe.

2:37 Min
Marc:

Und dass Sie Professor werden wollten, war Ihnen wann klar?

2:40 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, das war mir eigentlich gar nicht so früh klar. Das hat sich offengestanden eher so ein bisschen mit der Zeit ergeben, weil ich als Student ganz klassisch eigentlich in einer Anwaltskanzlei gearbeitet habe, als studentischer Mitarbeiter. Und da eigentlich so die Weichen gestellt waren, da zu bleiben.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und dann ergab sich für mich eine Promotionsgelegenheit im anwaltlichen Berufsrecht. Dann bin ich über ein Institut für Anwaltsrechte an der Universität in Köln in diesen Bereich hineingeraten und dann bin ich sozusagen geblieben.

3:08 Min
Marc:

Kam so eins zum anderen.

3:09 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau.

3:10 Min
Marc:

Ja, wo steht die Anwaltschaft denn heute? Was ist der Haupttrend der letzten Jahre, den man vielleicht kennen muss, wenn man sich mit dem Rechtsmarkt, dem Anwaltsmarkt beschäftigt?

3:20 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, also wir haben eigentlich ja 120, 150 Jahre, wenn man zurückblickt, immer einen permanenten Wachstum der Anwaltschaft gehabt. Wurden jedes Jahr mehr. War immer die Rede von Juristenschwemmen, von Anwaltsschwemmen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Es gibt zu viele Anwälte. Wie sollen diese Anwälte alle überhaupt ihr Geld verdienen und müssen Absolventen nicht vielleicht Taxi fahren, weil sie nicht mehr genug Möglichkeiten haben, mit Jura ihr Geld zu verdienen. Das hat sich ja, was für Juristen völlig ungewohnt ist, so seit einigen Jahren geändert.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Anwaltszahlen, jedenfalls im klassischen Anwaltsbereich, also Kanzleitätige, niedergelassene Anwälte, sind ja rückläufig seit 2017. Und das ist eigentlich eine Zeitenwende, muss man sagen, für den deutschen Rechtsmarkt, für künftige Volljuristen. Ich sage immer in den Vorlesungen, man muss trotzdem weiterhin fleißig lernen und gute Examina machen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Aber die Berufsaussichten für Juristen sind eigentlich so gut wie nie in der Vergangenheit, muss man sagen.

4:17 Min
Marc:

Können Sie das ein bisschen mit Zahlen unterstützen? Wie muss man sich den Rückgang vorstellen?

4:21 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, also 2017 gab es noch 154.000 Rechtsanwälte, die in Kanzleien niedergelassen waren, also tätig waren. Jetzt zum 01.01.2024 waren es noch 139.000, das heißt wir haben innerhalb von sieben Jahren einen Rückgang von 15.000 bereits gehabt. Das ist ja ein relativ kurzer Zeitraum, zehn Prozent verloren innerhalb von sieben Jahren und das wird noch ein bisschen dadurch verzerrt, dass es ja einige Standorte von Großkanzleien gibt, die noch nicht so sehr unter diesem Problem leiden.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Also Düsseldorf, Hamburg, Berlin, München, wenn man diese Kammerbezirke mal rausnehmen würde, weil da vor allem die Großkanzleien sind, dann wäre der prozentuale Rückgang im Rest Deutschlands noch höher. Wir haben einige Kammern, die jetzt erstmals in dem Sieben-Jahres-Zeitraum über 20 Prozent schon verloren haben, also jeden fünften Anwalt innerhalb von sieben Jahren.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das ist natürlich ein enormer Aderlass.

5:18 Min
Marc:

Ich glaube, hier muss man kurz ein bisschen einordnen, wenn man jetzt vielleicht gerade noch im ersten Semester ist, dass man so ein bisschen weiß, wovon sie sprechen. Wir hatten gerade zum einen den klassischen Anwaltsbereich in Anführungszeichen sozusagen genannt in Abgrenzung zu Syndikusanwälten.

1:10 Min
Marc:

Und wenn sie von Kammern sprechen, meinen sie natürlich Rechtsanwaltskammern. Das heißt, ihre Forschung startet sozusagen mit den Zahlen der verschiedenen Rechtsanwaltskammern in Deutschland und daraus konsolidieren sie das Ganze erstmal, beobachten, treffen Ableitungen und so weiter.

5:45 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, also meistens werden ja, wenn über Statistiken berichtet wird, wird einfach gesagt, in Deutschland gibt es 165.000 Rechtsanwälte und das ist dann so die Zahl, die sich meistens festsetzt. Man muss dann aber halt natürlich schon schauen, ja wo sitzen die halt in Deutschland und was für eine Art von Rechtsanwalt ist das? Sind das klassische Kanzleianwälte, sind das Syndikusrechtsanwälte? Die Syndikus-Rechtsanwälte, die also in Unternehmen, Verbänden tätig sind, deren Zahl wächst weiterhin.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das ist im Prinzip ein kleiner Teilmarkt der Anwaltschaft, der weiterhin halt wächst. Der kompensiert im Prinzip auch die Rückgänge zu Teilen noch der klassischen niedergelassenen Anwaltschaft. Deshalb muss man da immer sehr genau auf diese Zahlen gucken, die berichtet werden, weil es halt ganz unterschiedliche Marktsegmente gibt, ganz unterschiedliche Regionen, natürlich auch in Deutschland, die sich ganz unterschiedlich auch entwickeln.

6:32 Min
Marc:

Ich erinnere mich an Ihren Vortrag, dass wir, jetzt Pi mal Daumen, die Nachkommastelle kriege ich jetzt aus dem Kopf nicht mehr hin, teilweise in Ostdeutschland Regionen haben, unter anderem in Sachsen glaube ich auch, wo wir 17 bis 19, 20 Prozent, Sie haben es eben schon angedeutet, Rückgang in der niedergelassenen Anwaltschaft haben. Wozu führt das? Und Folgefrage, muss man da auch nochmal unterteilen nach B2B und B2C Rechtsberatung?

6:58 Min
Prof. Matthias Kilian:

Die Rückgänge sind in Ostdeutschland besonders ausgeprägt schon. Also Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sind die beiden Bundesländer, wo es am ausgeprägtesten ist, mit über 20 Prozent jetzt schon in den letzten sieben Jahren. Sachsen ist eigentlich von den fünf neuen Bundesländern noch am besten aufgestellt.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Also in diesen Regionen Deutschlands gibt es ja schon mal keine Großkanzleien. Das wirkt sich aus natürlich zum einen. Es gibt auch wenig größere, also mittelständische Kanzleien, sehr viele kleine Einheiten.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und wenn dort dann Anwälte ausscheiden, dann ist das häufig natürlich auch, dass die Kanzleien verschwinden. Nicht nur der Anwalt ist weg, sondern eine Kanzlei ist dann auch schnell weg, wenn da Einzelanwälte tätig sind. Das führt insbesondere in Flächenstaaten, wenn man etwa in Mecklenburg-Vorpommern denkt, natürlich auch zu Problemen der Versorgung der Bevölkerung mit Rechtsrat.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Es hat aber auch Auswirkungen natürlich, was jetzt den B2B-Bereich betrifft, weil bei der geringen Zahl der Anwälte gibt es natürlich dann auch deutlich selten Spezialisierungen. Mir ist ein Beispiel aus einem Bundesland genannt worden, in dem es halt nur drei Vergaberechtler etwa überhaupt gibt.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das macht natürlich auch Probleme für Unternehmen, die Rechtsrat eigentlich jetzt nicht in Hamburg, München oder Düsseldorf suchen, sondern vielleicht eher etwas ortsnäher, weil es dann einfach natürlich aufgrund der geringen Zahl der Anwälte auch nicht diese Möglichkeit der, Hyperspezialisierung gibt und man natürlich dann auch größere Probleme hat, echte Experten für bestimmte Gebiete zu finden.

8:25 Min
Marc:

Was kann denn diesen Trend womöglich aufhalten? Wir klammern mal bessere Ausbildungsbedingungen kurz aus, da würde ich gerne nochmal länger drüber sprechen. Gibt es denn was, wo Sie sagen, naja, vielleicht ist ja KI die Lösung, sag ich jetzt mal so salopp.

1:10 Min
Marc:

Also Technologisierung in Kanzleien mehr in kürzerer Zeit schaffen. Vielleicht kann es helfen, dass das Fremdbesitzverbot in Zukunft fällt und da entsprechend Investoren in den Markt drängen. Was ist Ihre Prognose?

8:50 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, ich habe eigentlich schon sehr früh, als diese Diskussion aufkam mit künstlicher Intelligenz, Legal Tech, da ja sich sehr schnell die Sorge eigentlich breit gemacht hat in der Anwaltschaft, dass eine Art Verdrängungswettbewerb werden würde, habe ich gesagt, dass man eigentlich das eher als Chance begreifen sollte und muss. Denn die Zahl der Menschen, die Rechtsprobleme lösen können, das ist einfach auch demografisch bedingt.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Die wird sich kontinuierlich dann reduzieren und in diese Lücke muss halt irgendetwas anderes stoßen. Und eigentlich muss man dann froh sein, wenn es sowas gibt wie KI oder Legal Tech, die Aufgaben übernehmen kann, die in der Vergangenheit dann einfach noch Anwälte übernommen haben, obwohl sie dafür vielleicht dann auch in gewissem Sinne überqualifiziert waren.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das wird sicherlich eine zentrale Perspektive sein, dass technische Lösungen, Digitalisierung da die Lücken ein bisschen schließen kann oder muss, die sich auftun durch die rückläufigen Zahlen an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Die andere Frage ist halt, ob Organisationsstrukturen möglicherweise auch ändern müssen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Wir haben ein Phänomen ja vor allem, dass wir auch feststellen, dass wir immer mehr weibliche Absolventinnen haben der Ausbildung, die aber nicht in dem Maße überhaupt in der Anwaltschaft ankommen. Und wenn sie einmal in der Anwaltschaft angekommen sind, sehr häufig nach wenigen Jahren dann wieder aus der Anwaltschaft rausgehen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Da muss man sich natürlich die Frage stellen, gibt es da... Gründe für und kann man an diesen Gründen irgendetwas ändern, denn wenn 65 Prozent mittlerweile der Studierenden in manchen Anfangssemestern weiblich sind, muss man sich natürlich besonders Gedanken machen, wie kann man für diese künftigen Absolventen die Anwaltschaft attraktiv machen und sie insbesondere auch in der Anwaltschaft halten dann.

10:31 Min
Marc:

Das lässt sich also auch empirisch zeigen, dass wir sagen wir mal von tausend männlichen Studienanfängern und tausend weiblichen Studienanfängerinnen da einen höheren Dropout haben, je weiter die Karriere fortschreitet. Ich sag mal bis zum zweiten Fachanwaltstitel oder so.

10:45 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, also man kann sagen, jetzt beim Berufseinstieg liegt ja der Anteil der Frauen schon ungefähr zehn Prozentpunkte unter dem Anteil der Absolventinnen der Ausbildung bei den jungen Anwältinnen. Und dann verliert man relativ schnell im ersten Berufsjahrzehnt auch noch einen größeren Anteil entweder komplett aus der Anwaltschaft, die halt dann in Justiz wechseln oder die in die Syndikusanwaltschaft wechseln.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und da kann man also sehr schön diese, ich will jetzt nicht sagen Fluchtbewegung, aber diese Wanderungsbewegung kann man da sehr gut empirisch auch nachvollziehen. Das hat man bei den männlichen Absolventen nicht, aber wenn halt zwei Drittel mittlerweile der Studierenden fast weibliche Absolventen sind, das zeigt, dass halt ein besonders großes Problem für die Anwaltschaft unter den volljuristischen Berufen auch.

11:29 Min
Marc:

Und da springt man wahrscheinlich nicht so weit, wenn man sagt, naja, wenn man sich mal die Alterskohorte dann anschaut, dann ist man Ende 20, Anfang, Mitte 30, je nachdem, wie lange man gebraucht hat, dann ist der Elefant im Raum natürlich irgendwie Familiengründung und Vereinbarkeit am Ende des Tages.

11:45 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, also das ist sicherlich so. Man kann das auch sehr schön ablesen, zum Beispiel beim Thema Zusatzqualifikation, ob man jetzt schaut auf Fachanwaltschaft, Anwaltsnotar, also da muss man ja eine notarielle Fachprüfung machen. Zusätzlich noch, ob man schaut auf Promotion.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

In all diesen Zusatzqualifikationen, die sich ja der klassischen juristischen Ausbildung anschließen und dann typischerweise so zwischen 30 und 40 erledigt werden, sind Frauen einfach unterrepräsentiert, weil sie anders priorisieren müssen. Männer haben halt den Luxus dann zu sagen, ich mache jetzt noch zwei, drei Fachanwälte oder ich promoviere jetzt noch in Ruhe.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

diesen Luxus haben Frauen dann häufig vielleicht nicht, wenn sie sich mit dem Thema Familiengründung beschäftigen. Das ist, glaube ich, das eine Problem. Das andere ist natürlich, dass dann wiederum das Arbeitsumfeld trotz vieler Lippenbekenntnisse, die es ja mittlerweile gibt, dann häufig dann doch nicht so adaptiert ist auf die Bedürfnisse von Frauen, die ja nicht die einzigen Eltern sind, die im Beruf sind.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Aber wir haben auch mal eine Studie gemacht zum Berufs- und Privatleben von Rechtsanwälten, wo man Und man halt sehr schön sehen kann, dass auch in der Anwaltschaft natürlich das Thema Kinder-, Familie-, Care-Arbeit bei Rechtsanwälten ein deutlich geringeres Thema ist als bei Rechtsanwältinnen. Das ist halt einfach so.

13:00 Min
Marc:

Genau, also ich glaube, das ist nochmal wichtig an der Stelle auch zu sagen, dass es hier um die empirische Beobachtung geht und nicht darum, dass es ein Wunsch von Ihnen oder mir oder sonst wem ist, dass das so ist. Das ist halt so beobachtbar.

1:10 Min
Marc:

Aber gehen wir nochmal kurz auf die Arbeitsbedingungen ein. Ich erinnere mich auch daran, dass sozusagen die geleisteten Stunden in der Anwaltschaft tendenziell pro Woche ein bisschen abgenommen haben, ne?

13:24 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, also es gibt diese Studien mit jungen Anwälten seit den 1980er Jahren. So alle acht bis zehn Jahre werden die wiederholt, weitgehend nach derselben Methodik, um da Langzeitvergleiche zu ermöglichen. Und was man bei der letzten Studie, die war 2012, schon sich andeutet, da hat sich jetzt in der aktuellen Studie auch bestätigt, dass die Wochenarbeitszeit rückläufig war und zusätzlich auch sich gezeigt hat, dass früher die Angestelltenanwälte meistens merklich mehr noch gearbeitet haben als die Partner.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das hat sich schon 2012 so ein bisschen gedreht, hat sich jetzt auch nochmal fortgesetzt. Insbesondere so diese extremen Arbeitszeiten, 60 Stunden mehr, die haben sich deutlich in ihren Anteilen reduziert. Gibt es immer noch, aber hat schon abgenommen, muss man sagen.

14:09 Min
Marc:

Wenn man das jetzt auch runterbricht auf den Verdienst, ist es nicht notwendigerweise so, dass man in der Kanzlei, wo man absolut in Euro am meisten verdient, auch pro Stunde am meisten hat, ne?

14:20 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, also das sage ich auch immer gerne den Studierenden, weil ja in den Medien ja für Spitzengehälter auch ganz normal natürlich berichtet wird. Aber man muss natürlich diese Spitzengehälter auch immer in Relation setzen zu der Wochenarbeitszeit letztendlich.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und wenn man das dann mal runter bricht auf die Wochenarbeitszeit, dann reduzieren sich die Gehaltsunterschiede schon relativ schnell. Weil tatsächlich ist es zum Beispiel auch so, dass in Teilzeit arbeitende jüngere Anwälte, die es auch gibt, von den Stundenverdiensten her gar nicht mal schlechter dastehen als jemand, der 60, 70 Stunden arbeitet.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Also letztendlich ist es nicht so, dass man diese Spitzengehälter mit einer 40-Stunden-Woche bekommt. Die muss man sich natürlich auch hart erarbeiten über die Wochenarbeitszeit.

15:02 Min
Marc:

Ist ja auch gewissermaßen logisch. Man kann zwar eine Kanzlei effizienter und weniger effizient führen, aber solange das zugrunde liegende Businessmodel in den meisten, jetzt jedenfalls bei diesen Spitzengehältern angehenden Kanzleien, stundenbasiert ist, muss man halt mehr Stunden arbeiten, um mehr Geld zu verdienen.

15:17 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau.

15:18 Min
Marc:

Das ist relativ einfach.

15:20 Min
Prof. Matthias Kilian:

Zwangsläufigkeit ist das, genau.

15:22 Min
Marc:

Okay, wo wir gerade beim Thema Geld sind. Noch eine Zahl, die man glaube ich kennen muss. Das durchschnittliche Einstiegsgehalt in der Anwaltschaft. Wie hoch ist das in etwa?

15:29 Min
Prof. Matthias Kilian:

Wir haben aktuell ungefähr 3000 Junganwälte, die zwischen 2015 und 2021 zugelassen worden sind, befragt. Und da lag das durchschnittliche Einstiegsgehalt bei knapp über 60.000 Euro. Diese Spitzengehälter, sechsstellig, die ja gerne kolportiert werden, das ist, wie gesagt, eine sehr kleine Gruppe.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Man kann das auch sehr gut dann, wenn man abfragt, zum Beispiel, welche Qualifikationen bringen sie mit, welche Noten bringen sie mit, kann man das also sehr gut rückbinden. Auch, dass das natürlich eine sehr kleine Gruppe ist, die in der Regel dann über Doppelprädikate, Promotionen und Ähnliches verfügt.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das ist aber jetzt nicht die normale Anwaltswelt beim Berufseinstieg. Das muss man sich auch, denke ich, immer vor Augen führen, dass man heutzutage keine Keine Probleme hat wahrscheinlich mit bestandenen Examen, eine gute Anstellung zu finden. Aber die Noten, die definieren schon nach wie vor auch ganz stark die Gehälter, muss man auch sehen.

16:23 Min
Marc:

Hört man da natürlich auch gut, einfach auch aufgrund des demografischen Wandels, aufgrund der Tatsache, dass es viel Arbeit gibt und zu wenig Nachwuchs, werden vielleicht hier und da ein paar Notenanforderungen gesenkt. Man braucht vielleicht nur noch ein Prädikat, das ist jetzt eine sehr individuelle Frage natürlich.

1:10 Min
Marc:

Natürlich. Aber wo wir gerade beim Thema Geld sind, wenn ich da jetzt drauf blicke und sage, gut, ich bin jetzt vielleicht gerade im Referendariat und ich habe so durchschnittliche Examina und kriege so ein ganz gutes Angebot zu dann jetzt überdurchschnittlichen 75.000 Euro in der Kanzlei und das andere wäre, ich gehe in die Justiz und mir hat wirklich beides gut gefallen und ich weiß es nicht so genau.

1:10 Min
Marc:

Genau, dann sehe ich die Zahl in der Justiz, die ist natürlich brutto erstmal deutlich niedriger. Was muss ich denn dann so wissen sozusagen? Da muss man ja etwas anders rechnen.

17:07 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, also die Vergleiche jetzt der Richtergehälter oder der Gehälter im öffentlichen Dienst mit Anwaltsgehältern sind natürlich immer etwas problembehaftet, weil man sehen muss, dass jetzt Richtergehalt ja Versorgungsanteile enthalten sind, die man eigentlich dynamisieren muss, also im Prinzip aufschlagen muss auf das, was man jetzt auf dem Gehaltszettel stehen hat. Also so Themen wie eine Pension, die man ja geschenkt bekommt, da muss man ja nicht Eigenanteile einzahlen ins Versorgungswerk, wie das bei Rechtsanwälten und Rechtsanwälten der Fall ist.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Sie haben zusätzliche Absicherung über Beihilfe letztendlich. Das muss man also entsprechend oben draufschlagen. Das wird in Berechnungen, die der Staat selbst durchführt, immer so mit 25 Prozent nochmal angesetzt. Das kommt hinzu.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Zum anderen hängt das dann sehr stark von den individuellen Verhältnissen ab. Ist man verheiratet, hat man Kinder, kriegt man entsprechende Zuschläge noch. Es hängt in gewissem Umfang auch vom Bundesland ab.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

In manchen Bundesländern sind die Richterbeamtengehälter etwas höher als in anderen Bundesländern. Deshalb muss man da, denke ich schon, wenn man eine Vergleichsrichtung anstellt, das alles so ein bisschen auch einpreisen und sollte jetzt nicht einfach nur auf diese etwas plakativ immer berichteten Zahlen dann anspringen. Das muss man schon ein bisschen genauer auch sich anschauen.

18:16 Min
Marc:

Kann man dann so Pi mal Daumen sagen, dass man als Richter, wenn man so eine, ich sag mal, freie Wirtschaft brutto äquivalent berechnen wollen würde, so bei ungefähr 80.000 rauskommt?

18:26 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, würde ich sagen. Das ist immer so das, was ich eigentlich immer sage.

18:29 Min
Marc:

Ja, okay. Dann hat man da mal so einen Anhaltspunkt. Das ist, glaube ich, ganz hilfreich. Beim Thema Geld, ein Thema, was man noch ansprechen muss, ist das nicht mehr vorhandene Gender Pay Gap.

18:39 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, das ist ganz interessant in der Tat. Wir haben da diese 3000 jungen Anwälte auch gefragt, wie gesagt nach den Einschiebsgehältern und da kam in der Tat heraus, dass bei den Einschiebsgehältern ein Gender Pay Gap nicht mehr feststellbar ist. Das hat sicherlich was zu tun mit der, einer verbesserten Marktsituation für Bewerber, dass man da auch nicht mehr gezwungen ist, jetzt Kompromisse vielleicht auch zu machen, gerade als Rechtsanwältin und dass man da in einer günstigeren Verhandlungsposition ist als noch vor 10 oder 20 Jahren auch Arbeitgeber offensichtlich dann nicht mehr geschlechtsbedingt diskriminieren beim Einstiegsgehalt.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ob das dann dauerhaft so bleibt im weiteren Verlauf der Karriere, das war jetzt nicht Gegenstand der Studie, das bedeutet jetzt nicht, dass es per se kein Gender Pay Gap mehr gibt in der Anwaltschaft, aber jedenfalls beim Einstieg jetzt in der aktuellen Marktsituation ist das praktisch nicht mehr messbar.

19:30 Min
Marc:

Ja und hinten raus ergeben sich dann, wenn wir die beiden Trends, die wir gerade beschrieben haben, kombinieren. Einmal sozusagen diese höhere Quote von Frauen, die beispielsweise in die Syndikusanwaltschaft wechseln und dann eben auch die Tatsache, dass wir jetzt nicht wissen, was Menschen verdienen, die schon länger in der Anwaltschaft sind, natürlich wieder Unterschiede. Genau.

19:49 Min
Prof. Matthias Kilian:

Klar.

19:49 Min
Marc:

Und da ist dann immer ganz schwer festzustellen, ob die eigentlich geschlechtsbasiert sind und wir wirklich ein Gender Pay Gap haben oder ob die eventuell auch einfach in anderen Gründen liegen, wie zum Beispiel mehr Umsatz.

20:00 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, also das ist ja immer dieses Problem beim Gender Pay Gap, wenn man darüber spricht, ist es sozusagen der Unbereinigte, also das, was man einfach nur auf dem Zettel stehen hat. Oder ist er bereinigt um Einflussfaktoren, die bestehen, die aber jetzt nicht unmittelbar auf dem Geschlecht beruhen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Die wiederum aber auch mittelbar natürlich geschlechtsbedingte Gründe haben können bei den Anwälten. Das ist ein Beispiel dafür dann immer, dass Frauen in sehr starkem Maße zum Beispiel im Familienrecht, Sozialrecht, Migrationsrecht überrepräsentiert sind. Da resultiert dann die niedrigere Vergütung im Wesentlichen aus dem Rechtsgebiet.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und jetzt kann man sich natürlich dann wieder die Folgefrage stellen, warum sind die jetzt besonders häufig in diesem Rechtsgebiet? Das kann natürlich auch Gründe haben, die dann wiederum geschlechtsbedingt sind. Das ist also relativ komplex, dieses ganze Thema Gender Pay Gap.

20:46 Min
Marc:

Gut, dann lassen Sie uns nochmal darüber sprechen, wie wir eigentlich mehr Leute in die Juristerei, aber vor allem auch in die Anwaltschaft reinbekommen. Wir können da im Prinzip in der Schule anfangen. Ich persönlich habe Jura studiert, weil ich Rechtskunde-Abi hatte als viertes Fach und auch dann logischerweise in den Jahren davor.

1:10 Min
Marc:

Und ich erinnere mich noch, ich glaube Facharbeit hieß das in der Schule zur Frage, wem gehört ein amputierter Arm? Das war natürlich irgendwie Pseudo-Jura, aber mir hat es genug Spaß gemacht, um mir mal das Studienfach da noch anzuschauen. Was können wir sonst noch tun, damit das wieder interessanter wird?

21:19 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, tatsächlich. Also ich sage auch gerne eigentlich Anwälte in die Schulen, um mehr Schüler schon für Jura zu interessieren. Und sicherlich wäre es schön, auch wenn es mehr Rechtskunde in Schulen gibt. Das ist ja nach wie vor exotisch, denn je früher jemand mit dem Thema konfrontiert wird, desto leichter ist es vielleicht, ihn dann auch dafür zu interessieren, das als Studium zu machen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Aber das muss man, glaube ich, realistisch sehen, ist jetzt keine Perspektive, die sich bundesweit in größerem Umfang ausrollen lässt. Wobei es durchaus schon auch Anwaltsvereine gibt, in denen solche Initiativen gestartet worden sind, dass Anwälte in Schulen gehen. Also im Prinzip muss man sich überlegen, wie kriegt man, ja das ist schon die Frage, kriegt man überhaupt noch mehr Abiturienten in ein juristisches Studium? Denn wir haben ja jetzt so einen Peak erreicht eigentlich nach den Prognosen der Kultusministerkonferenz, was so die Studienanfängerzahlen betrifft.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Wir hatten ja eine kontinuierliche Akademisierung der Gesellschaft, die ja zu kontinuierlich steigenden Studienanfängerzahlen geführt hat. Das ist jetzt aber weitgehend ausgereizt und vollzieht sich ja im Wesentlichen jetzt in den letzten Jahren dieses Wachstum noch im Bereich der Fachhochschulen, wo man ja eigentlich nicht klassisch oder keine klassische Jura-Ausbildung genießen kann.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Also mehr ist glaube ich schon unrealistisch. Die Frage ist eher, wie kann man jetzt relativ gesehen den Anteil vielleicht unter den Studienanfängern verbessern oder zumindest stabil halten. Da ist es glaube ich wichtig zu verstehen, warum zum einen das Wachstum jetzt bei Studienanfängerzahlen sich im Bereich der Fachhochschulen sehr stark vollzieht und das sieht man ja auch bei den juristischen Studiengängen, die es ja in stärkerem Maße mittlerweile auch an Fachhochschulen oder an Universitäten ohne klassische Jurafakultäten gibt, wo man halt Jura auf Master und Bachelor studiert.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das spricht offensichtlich ja doch eine größer werdende Teilgruppe der Schulabgänger an vom Konzept her, vielleicht von der Art, wie da Wissen vermittelt wird, wie geprüft wird. Und wenn das Studierende wären, die vielleicht vor 20 Jahren noch klassisch Jura studiert hätten, weil es diese Angebote noch gar nicht gab, hätten wir vielleicht diese Rückgänge der Anwaltszahlen nicht die Probleme Richterstellen zu besetzen, wenn die seinerzeit mangels aus ihrer Sicht bessere Alternative noch klassisch Jura studiert hätten.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und ich glaube, da ist es halt wichtig zu verstehen, warum ist das attraktiver heutzutage für viele Schulabgänger.

23:33 Min
Marc:

Ja und dann ist die Folgefrage, ich würde mal einfach vermuten und spekulieren, dass das mit dem Staatsexamen zusammenhängt, ist die Folgefrage, was können wir denn für diejenigen, die sich noch für klassisches Jura interessieren, neben einem integrierten Bachelor, der glaube ich sehr, sehr viel Sinn macht, ich sehe sie nicken, was können wir da noch tun? Was können wir

1:10 Min
Marc:

denn in der universitären Juristinnenausbildung eventuell anders machen in Zukunft?

23:57 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, also der Trend der letzten Jahre war ja, den ich etwas irritierend fand, dass man ja Dinge, die, wenn man an dem Staatsexamensmodell festhält, der politische Wille, da was dran zu ändern, ist ja offensichtlich nicht wirklich vorhanden. Warum man dann jetzt auch noch dieses Staatsexamen in dem Sinne erschwert hat, anstatt es vielleicht verträglicher zu machen, indem man Dinge wie Ruhetage, Abschichtungsmöglichkeiten, all diese Dinge gestrichen hat.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das erschließt sich mir ehrlich gesagt jetzt nicht wirklich. Wirklich was gewonnen hat man dadurch aus meiner Sicht ja nicht aus der Perspektive des Gesetzgebers, außer dass man es jetzt den Studierenden noch unnötig erschwert und vielleicht noch abschreckender macht, als es ohnehin konzeptionell ist. Da könnte man sicherlich drüber nachdenken, was spricht jetzt wirklich gegen stärkere Berücksichtigung von Studienleistungen, stärkere Möglichkeiten abzuschichten, dass sich nicht alles auf zwei Wochen konzentriert.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Diese Argumente ja, das stärkt sozusagen oder filtert die heraus, die besonders resilient sind. Das mag sein, aber letztendlich ist das ja auch nicht mehr die Art, wie Juristen heute zwingend arbeiten, dass man sich hinstellt und innerhalb von zwei Wochen jetzt handschriftlich oder jetzt seit neuestem halt auch am Computer ohne Hilfsmittel Klausuren anfertigt.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das ist aus meiner Sicht vielleicht auch nicht mehr so wirklich dann zeitgemäßen.

25:17 Min
Marc:

Ja, im Gegenteil. Also wenn man in der Kanzlei sitzt und komplett ohne Hilfsmittel einfach mal drauf losschreibt, je nach Komplexität des Falles, muss man sich ja schon fragen, ob man nicht dann eher einen Haftungsfall produziert.

25:27 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, ja.

25:28 Min
Marc:

Okay, dann Referendariat. Wir haben jetzt gerade so ein bisschen etwas im Hinterkopf, weil wir das gerade aufnehmen vor dem Hintergrund mancher Entscheidungen, vor allem hier in NRW. Und zum einen gab es erstmal so die bundesweite Proklamation, dass die Justizministerkonferenz nicht unbedingt Reformbedarf im Jurastudium sieht.

1:10 Min
Marc:

Klammern wahrscheinlich dann auch nicht notwendigerweise im Referendariat, so halb mitgedacht und hinzu kommt, dass jetzt in Nordrhein-Westfalen gerade, wenn ihr den Podcast hier regelmäßig hört, dann habt ihr die Folge mit dem nordrhein-westfälischen Justizminister Dr. Limbach sicherlich auch neulich gehört, Da die Plätze im Referendariat zum einen gekürzt oder verringert wurden, es gibt einfach weniger Referendiatsplätze in NRW und zum anderen hat man da auch Änderungen vorgenommen, die die Wahlstation betreffen, um sozusagen auch für alle, die hier vielleicht daraus nicht aus NRW kommen, zu erklären, man kriegt ja einfach jetzt einen Monat kürzer Geld und kriegt hinten raus, wenn man dann seine mündliche Prüfung hat, eventuell ein bisschen finanziellen Druck.

1:10 Min
Marc:

Das ist ja dann wahrscheinlich auch nicht der richtige Weg, oder? Also wenn ich mich frage nach dem ersten Examen, mache ich zweites oder gehe ich vielleicht in eine der immer mehr aufkommenden Rollen in der Kanzlei, so als Legal Engineer oder ähnliches, da entscheiden sich wahrscheinlich dann doch relativ viele gegen das Referendariat, zumindest vorläufig, aber ein Teil natürlich dann auch immer langfristig.

26:47 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, also die Effekte lassen sich jetzt natürlich schlecht prognostizieren. Wahrscheinlich ist die Vorstellung jetzt von Nordrhein-Westfalen oder der Bundesländer, da das das Nadelöhr ist, durch das alle müssen, können wir letztendlich es so attraktiv oder unattraktiv machen, wie wir das für vernünftig oder fiskalisch geboten halten. Ob das aber tatsächlich dann doch auch auf den einen oder anderen abschreckend wirkt, das bleibt abzuwarten.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Also zum Beispiel werden ja jetzt durch diesen weggefallenen Monat vor der mündlichen Prüfung Möglicherweise so Dinge wie Wahlstationen im Ausland auch unattraktiver, die für viele vielleicht auch ein Anreiz sind, dann das Referendariat zu machen, die Zweifel haben vorher. Die längeren Wartezeiten, die können natürlich dazu führen, dass man schon mal die Zeit überbrückt durch irgendeine Tätigkeit in der Kanzlei und dann sagt, okay, das hatte ich mir zwar jetzt vorher nicht so vorgestellt, dass ich vielleicht auch ohne einen Abschluss als Volljurist in der Kanzlei sinnvoll arbeiten kann.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Aber hier gibt es interessante Betätigungsmöglichkeiten. Mache ich das jetzt wirklich nochmal? Warte noch ein Jahr, mache dann noch zwei Jahre Referendariat für vielleicht eine Tätigkeit, die ich dann gar nicht so spannend finde im Gegensatz zu sowas wie Legal Engineer oder als sonstige Spezialistenfunktion in der Kanzlei. Das ist natürlich ein Risiko, dass man dann sehenden Auges auch ein bisschen eingeht, wenn man das Referendariat erschwert und unattraktiver macht.

28:04 Min
Marc:

Sozusagen jetzt rein als persönliche Meinung meinerseits. On top müsste man sich ja, weil Sie gerade fiskalische Gründe ansprechen, auch nochmal fragen, ob nicht jemand, der schneller Volljuristin wird, auch schneller bei höheren Gehältern mehr Steuern zahlt und ob das nicht eigentlich auch ganz gut angelegtes Geld ist aus staatlicher Sicht. Aber naja, gut, das führt vielleicht für diesen Podcast ein kleines bisschen zu weit.

1:10 Min
Marc:

Abschließend, Sie haben eben gesagt, die Berufsaussichten sind so gut wie nie. Das hören wir hier im Podcast auch immer und ganz, ganz viel. Wonach würden Sie denn schauen, wenn Sie noch mal jung wären und Sie wüssten nicht so genau, was Sie jetzt tun sollten mit vielleicht bald zwei Staatsexamen so irgendwo im Referendariat? Wie würden Sie die Suche nach einer Rolle und nach einem guten Arbeitgeber heutzutage angehen? Wonach würden Sie achten?

28:53 Min
Prof. Matthias Kilian:

Vielleicht kann ich die Frage gar nicht aus meiner persönlichen Perspektive beantworten, sondern einen Hinweis geben, was eigentlich junge Absolventen interessiert. Zusätzlich zu dem Thema Gehalt, das ja immer so sehr in den Mittelpunkt gestellt wird, wir haben tatsächlich auch gefragt in dieser jungen Anwältestudie, was ist für Sie eigentlich noch so wichtig alles, wenn Sie einen Arbeitgeber suchen? Und da waren Themen zum Beispiel wie Sichtbarkeit spielt da eine Rolle.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Also dass man zum Beispiel nicht in einer Rolle tätig ist, in der man Akten wegarbeitet, ohne dass man Kontakt zur Außenwelt mehr oder weniger hat. Also dass man in dem klassischen Sinne halt auch mit seiner Leistung für andere sichtbar ist.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Das spielt eine gewisse Rolle. Dann klare Karrierekonzepte, das wird auch häufig genannt als Auswahlkriterium. Dann zum Beispiel Aspekte, die in der Vergangenheit nicht so eine Rolle gespielt haben. Gibt es eine Möglichkeit, etwa mal ein Secondment zu bekommen in Unternehmen, also zu einem Mandanten des Arbeitgebers? Werden Dinge in Aussicht gestellt wie ein Sabbatical? Das war bei früheren Befragungen, haben wir da gar nicht nachgefragt, haben das jetzt erstmals gemacht.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und das wird tatsächlich nicht nur als Auswahlkriterium häufig genannt, sondern es wird auch tatsächlich häufig angeboten von Arbeitgebern mittlerweile. Also so Dinge wie Sabbatical. Verlängerte Elternzeit zum Beispiel wurde auch häufig mittlerweile als weiterer Benefit angeboten von Arbeitgebern, wo auch offensichtlich Absolventen dann darauf anspringen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Also ich glaube, diese soften Faktoren, die spielen eine große Rolle und was, glaube ich, ganz zentral ist und das wichtigste Kriterium da auch rausgekommen ist, was man früher, glaube ich, als Absolvent auch gar nicht so stark eingefordert hat, ist etwas wie die Möglichkeit, in der eigentlichen fachlichen Spezialisierung, wenn man eine hat, oder im fachlichen Interesse tätig werden zu können.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Die Auswahlmöglichkeiten sind ja jetzt besser geworden, das heißt man kann ganz gezielt sagen, ich bin jetzt nicht mehr gezwungen Kompromisse zu machen. Es gibt Rechtsgebiete, die wollte ich schon im Studium nicht anpacken. Vor 10, 20 Jahren hätte man dann vielleicht noch gesagt, okay das ist jetzt der Job, der wird mir angeboten, ich habe nicht so viele Alternativen, dann mache ich das halt zähneknirschen, auch wenn es mich nicht so interessiert.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Diese Gefahren so gesehen, die bestehen heute gar nicht mehr. Das ist auch ganz interessant. Wir haben gut qualifizierte Absolventen, die also die Staatsnote, wenn man so will, haben auch gefragt, warum sind sie eigentlich Anwalt geworden und nicht Richter geworden, obwohl sie es hätten werden können eigentlich von den Noten.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und da war eine ganz zentrale Antwort ja, wenn ich in die Justiz gehe, da weiß ich ja nicht, was ich inhaltlich machen muss halt. Also da muss ich vielleicht Staatsanwalt sein erstmal in einem Bundesland, die nicht direkt in den Richterdienst einstehen.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Da muss ich vielleicht Strafrecht machen, obwohl ich eigentlich von Hause aus Zivilrechtler bin. Und in der Anwaltschaft haben sie dieses Problem nicht und nicht mehr in dem Maße, wie sie es früher hatten. Da können sie ganz gezielt sich verwirklichen, was ihre Interessen auch betrifft.

1:10 Min
Prof. Matthias Kilian:

Und das wäre sicherlich auch was, wo ich persönlich auch darauf achten würde, dass ich sagen würde, okay, das ist jetzt mein Leib- und Magengebiet und das würde ich auch gerne dann tatsächlich beruflich machen.

31:46 Min
Marc:

Ja, spannender Punkt, zumal es ja nicht nur so ist, dass man am Anfang der Karriere mal Staatsanwalt sein muss und danach dann vielleicht Richter wird, sondern wir haben jetzt gerade hier auch wieder in NRW den umgekehrten Fall, dass 300 Richter gerade in die Staatsanwaltschaft beordert wurden, weil einfach Staatsanwälte fehlen.

32:03 Min
Prof. Matthias Kilian:

Genau, oder es gibt ja Bundesländer, die tatsächlich zunächst mal nur für die Staatsanwalt, also einstellen zwar in den Richterdienst, aber klar, man muss erst mal drei Jahre oder mehr Staatsanwalt sein, um dann Richter werden zu können, was auch abschreckend wirkt letztendlich.

32:16 Min
Marc:

Das war sehr spannend und vor allem auch so schön objektiv, alles schön Zahlen, Daten, Fakten basiert. Vielen herzlichen Dank.

32:23 Min
Prof. Matthias Kilian:

Ja, sehr gerne, vielen Dank.

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