IMR30312. Jun 25
IME027: Notwehr nach § 32 StGB (Notwehrlage, Notwehrexzess, Notwehrhandlung, subjektives Rechtfertigungselement) mit Richter am BVerfG Prof. Dr. Henning Radtke

IME - Irgendwas mit Examen

IME027: Notwehr nach § 32 StGB (Notwehrlage, Notwehrexzess, Notwehrhandlung, subjektives Rechtfertigungselement) mit Richter am BVerfG Prof. Dr. Henning Radtke

Prof. Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy, Professor | Bundesverfassungsgericht

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Über diese Episode

Folge 303 Deines Jurapodcasts zu allen Karriere- und Examensthemen

Rechtfertigungsgründe - Notwehr - Notstand - Subjektives Rechtfertigungselement - Handlungsunrecht - Notwehrlage - Notwehrhandlung - Individualschutz - Rechtsbewährung - Verhältnismäßigkeit - Eignung - Erforderlichkeit - Notwehrüberschreitung - Notwehrprovokation - Strafprozessrecht (StPO) - § 32 StGB - § 34 StGB - § 228 BGB - § 904 BGB - § 127 StPO - § 33 StGB

In Folge 303 von IMR begrüßen Marc und Prof. Dr. Schmitt-Leonardy ihren ersten Gast, den Bundesverfassungsrichter und Strafrechtsexperten Prof. Dr. Radtke. Im Rahmen dieser Strafrechtsedition im Bundesverfassungsgericht stellt Charlotte ihn zunächst als ihren ersten – sehr prägenden – Strafrechtsprofessor vor, bevor beide gemeinsam einen tiefgehenden Einblick in die für das Strafrecht relevanten Rechtfertigungsgründe geben. Im Fokus stehen zunächst Struktur und Systematik der Rechtfertigungsgründe im Allgemeinen, also welche Elemente für die Prüfung zentral sind und wieso das subjektive Rechtfertigungselement oft unterschätzt wird. Detailliert beleuchten beide dann die examensrelevanten Problemfelder der Notwehr nach § 32 StGB. Welche klassischen Fallen gibt es im Umgang mit Notwehr? Wo liegen die entscheidenden Unterschiede zwischen Literatur- und Rechtsprechungsansatz bei fehlendem subjektiven Rechtfertigungselement? Wo setzt das Notwehrrecht dogmatisch und praktisch Grenzen, und wie hängen Individualschutz und Rechtsbewährung zusammen? Was gilt bei schuldlos Angreifenden oder der Notwehrprovokation? Antworten auf diese und viele weitere Fragen erhaltet Ihr in dieser Folge von IMR. Viel Spaß!

Kapitel:

  • 01:10 - Vorstellung Prof. Radtke
  • 03:36 - Grundwissen Rechtfertigungsgründe
  • 06:19 - Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements
  • 16:14 - Notwehr, § 32 StGB
  • 26:28 - Rechtswidrigkeit des Angriffs
  • 29:59 - Notwehrhandlung
  • 35:17 - Notwehrexzess
  • 51:47 - Notwehrprovokation
  • 58:04 - Verteidigungswille und Notwehrprovokation
  • 60:58 - Zuschauerfrage: Die strafprozessuale Zusatzfrage in der Klausur

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Zu Gast

Charlotte Schmitt-Leonardy
Henning Radtke

Charlotte Schmitt-Leonardy & Henning Radtke

Kapitel

  • 00:01:10.751Vorstellung Prof. Radtke
  • 00:03:36.535Grundwissen Rechtfertigungsgründe
  • 00:06:19.358Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements
  • 00:16:14.865Notwehr, § 32 StGB
  • 00:26:28.310Rechtswidrigkeit des Angriffs
  • 00:29:59.504Notwehrhandlung
  • 00:35:17.169Notwehrexzess
  • 00:51:47.303Notwehrprovokation
  • 00:58:04.641Verteidigungswille und Notwehrprovokation
  • 01:00:58.847Zuschauerfrage: Die strafprozessuale Zusatzfrage in der Klausur

Über Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht ist als höchste Gerichtsbarkeit für Verfassungsfragen in Deutschland Teil der Justiz und residiert im badischen Karlsruhe. Rund 300 Mitarbeitende – darunter die 16 Richterinnen und Richter, wissenschaftliche Mitarbeitende sowie Verwaltungskräfte – sorgen dafür, dass Grundgesetz und Rechtsstaat täglich gelebt werden.

Die Aufgaben reichen von der Bearbeitung von Verfassungsbeschwerden über Organstreitverfahren bis hin zu wegweisenden Entscheidungen mit politischer Strahlkraft, wobei die intensive wissenschaftliche Durchdringung jedes Falls das Haus besonders auszeichnet.

Wie der Arbeitsalltag dort aussieht und welche juristischen Kniffe ihr aus erster Hand mitnehmen könnt, erfahrt ihr in unserer Podcastfolge – klickt gleich rein und hört, was Karlsruhe zu erzählen hat!

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Bundesverfassungsgericht

"
Wer die Strukturen der Rechtfertigungsgründe kennt, hat eine Checkliste für Prüfungssituationen. Dann kann man mit einem guten Gefühl und relativer Sicherheit juristisch argumentieren.

Sneak Peak – Q&A mit Charlotte Schmitt-Leonardy und Henning Radtke

Transkript

KI-basiert und kann Fehler enthalten.

0:10 Min
Marc:

Herzlich willkommen zu einer neuen Episode Irgendwas mit Recht in unserer schönen Strafrechtsedition heute aus einem sicherlich ganz besonderen Ort, nämlich nicht live, aber direkt aus dem Bundesverfassungsgericht. Und ich darf wieder begrüßen Charlotte Schmidt-Leonardi. Hallo Charlotte.

0:27 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Hallo Marc.

0:28 Min
Marc:

Und Herrn Bundesverfassungsrichter, Professor sind Sie natürlich auch, Henning Rattke, hallo.

0:32 Min
Henning Radtke:

Guten Morgen.

0:33 Min
Marc:

Guten Morgen. Wir steigen auch direkt ein. Charlotte, heute geht es um Rechtfertigungsgründe. Das ist ein Thema, was man in der Examensvorbereitung natürlich wissen muss, aber wir wollen nicht direkt sozusagen ins Inhaltliche springen, sondern haben ja immer auch einen persönlichen Bezug in diesen Folgen.

1:10 Min
Marc:

Und heute sprechen wir, ich habe es gerade schon gesagt, zwar über was Inhaltliches, aber du hast mir gesagt, als wir diesen Podcast vorbereitet haben, ja eigentlich will ich mit den Leuten sprechen, von denen ich gerne das Strafrecht gelernt hätte oder von denen du auch das Strafrecht gelernt hast sozusagen. Vielleicht magst du unseren heutigen Gast ein bisschen vorstellen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ja, vielen Dank und sehr gerne. Sie Studierende und Sie Zuhörerinnen und Zuhörer kennen Herrn Professor Radtke als Bundesverfassungsrichter. Er war zuvor Richter im ersten Strafsenat des Bundesgerichtshofs, unter anderem für Steuerstrafrecht zuständig. Aber davor gab es ein langes Kapitel als Universitätsprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht und zwar in Saarbrücken, in Marburg und zuletzt in Hannover.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und in diesem ersten Kapitel habe ich ihn kennengelernt. Herr Radtke war nämlich mein allererster Professor und deswegen war es tatsächlich mein Wunsch, dass Herr Radtke auch unser allererster Gast ist in diesem Podcast. Und Sie haben, Herr Radtke, ohne es sozusagen bewusst wahrzunehmen, in meinem Leben ganz entscheidende Weichen gestellt, also wirklich Grundlagen gelegt.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ich habe ab dem ersten Semester, erstes bis drittes Semester bei Herrn Radtke Strafrecht AT oder ich glaube es war Strafrecht 1 bis 3, so hieß es, gehört und war, auch aufgrund ihrer Art zu unterrichten, gleich vom Strafrecht fasziniert und eingenommen mit der Folge, dass natürlich jeder gesagt hat, das wird sich legen, Zivilrecht wird übernehmen, Strafrecht ist nur ein Nebenfach, aber das hat nicht meiner Wahrnehmung und dann später auch nicht der Realität entsprochen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Sie waren sogar so gut und haben uns alle, unsere ganze Freundesgruppe, so beeindruckt, dass wir, das weiß ich noch ganz genau, Strafrecht 1 und 2 wurden dreistündig gehalten. Und zwar zunächst zwei Stunden, ich glaube an einem Dienstag und dann eine Stunde für die Zuhörerinnen und Zuhörer.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das waren 45 Minuten, eine einzige Stunde an einem Donnerstagmorgen und es gab sonst keine andere Vorlesung in diesem ersten und zweiten Semester. Und nur für diese Strafrechtsvorlesung bin ich aber nach Saarbrücken gefahren, 20 Minuten hin und 20 Minuten zurück, weil ich sie hören wollte.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also insofern wirklich wunderbare und nachhaltig wirkende Erfahrungen in dieser Vorlesung gesammelt und nicht zuletzt aufgrund ihrer, wie soll ich sagen. Didaktischen Persönlichkeit, die sie von Anfang an waren und insofern glaube ich, dass das die Zuhörerinnen und Zuhörer hier wirklich bereichern wird und die Rechtfertigungsgründe, die ja.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ich würde jetzt mal tippen, fast in jeder schriftlichen Prüfung eine Rolle spielen, vielleicht ein Stück weit erhellen können.

3:36 Min
Marc:

Ja, dann steigen wir ein, würde ich sagen. Gibt es denn da etwas sozusagen, was man auf jeden Fall wissen muss, was vielleicht auch häufiger drankommt als anderes in der Examensprüfung?

3:47 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Was denken Sie? Alles natürlich. Wer muss alles können?

3:51 Min
Henning Radtke:

Nein, ich glaube gar nicht, dass man alles können und wissen muss. Aber man muss jedenfalls die Strukturen kennen. Und wenn man die Strukturen kennt und das gilt auch für unser heutiges Thema, nämlich die Rechtfertigungsgründe, dann hat man eine sehr gute Chance in jeder schriftlichen Prüfungssituation, wie nach einer Art Checkliste, sich immer wieder klar zu machen, Dann habe ich dann auch bei einem ganz konkreten Rechtfertigungsgrund, der jetzt, was ich schon erkannt habe, für mich eine Rolle spielt, habe ich denn tatsächlich alles bedacht.

4:27 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das heißt, es gibt eine etwas allgemeinere Struktur, die diejenigen Lügenstraf, die immer sagen, Strafrecht ist auswendig lernen von Einzeldetails und es gibt keine Systematik wie im BGB. Es gibt aus Ihrer Sicht diese Struktur in den Rechtfertigungsgründen?

4:43 Min
Henning Radtke:

Ja, die gibt es. Davon bin ich vollständig überzeugt und wir können uns das glaube ich auch sehr einfach vor Augen führen an einem Beispiel. Nehmen wir den Rechtfertigungsgrund, der quantitativ vermutlich die größte Rolle auch in Prüfungssituationen spielt, die Notwehr.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und sie lässt sich ganz einfach strukturieren. wir brauchen immer eine Rechtfertigungssituation. Wir nennen sie bei Paragraph 32 die Notwehrlage, aber es ist allgemeiner formuliert eine Rechtfertigungssituation. Das ist das erste Element.

1:10 Min
Henning Radtke:

Das zweite Element ist dann natürlich eine Rechtfertigungshandlung. Das ist das, was bei der Notwehr die Abwehr des Angriffs ausmacht, der eben die. Rechtfertigungssituation, nämlich die Notwehrlage ausmacht. Und das dritte Element, und das spielt bei Notwehr durchaus eine Rolle, weil der Inhalt streitig ist, ist ein subjektives Element, ein subjektives Rechtfertigungselement.

1:10 Min
Henning Radtke:

Diese drei Elemente, Lage, Handlung und subjektives Moment, finden wir eben nicht nur bei § 32 StGB, sondern bei allen Rechtfertigungsgründen, die wir kennen. Im Einzelfall sind diese drei Elemente selbstverständlich etwas unterschiedlich im Inhalt, aber Aber die Struktur ist immer gleich.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und wenn ich das weiß, dann kann ich ganz am Ende nochmal auf die von mir niedergeschriebene Lösung schauen und mir klar machen, habe ich denn tatsächlich alle drei Elemente abgehandelt. Und wenn man das beherzigt, hat man, glaube ich, schon mal ein gutes Gefühl von relativer Sicherheit im Umgang mit Rechtfertigungsgründen.

6:20 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also das finde ich einen ganz, ganz wichtigen Hinweis, dass wir diesen Dreierschritt haben, den wir uns vielleicht aber nochmal ein bisschen näher anschauen können, weil in der Tat, wir haben immer diese Situation, die Notwehrlage, die Notstandslage, die besonders ausgestaltet werden kann, mal ein engeres Zeitfenster bei der Notwehr, mal ein etwas weiteres Zeitfenster beim Notstand. Und wir haben diese Rechtfertigungshandlung, die eben auch differieren kann.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Teilweise werden höhere Anforderungen zum Beispiel an die Abwägung gestellt im Bereich des Notstands. Teilweise sind die Anforderungen ganz rudimentär aus bestimmten Gründen, die wir uns vielleicht nochmal anschauen werden. Und dann eben als dritten immer im Kopf zu behaltenden Checkpunkt eben dieses subjektive Rechtfertigungselement.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Toll, das ist glaube ich sehr, sehr nützlich, das anzugehen. Wenn wir auf die objektiven Rechtfertigungsmerkmale schauen, dann haben wir da auch wieder vielleicht Aspekte, die sich wiederholen.

7:24 Min
Henning Radtke:

Wir haben ganz sicherlich Aspekte, die sich immer wiederholen und das können wir uns nochmal am Beispiel von Notwehr auf der einen Seite und dem von Ihnen schon angesprochenen Notstand auf der anderen Seite klar machen. Wir haben nämlich in zeitlicher Hinsicht unterschiedlich weit gefasste Anforderungen an die Rechtfertigungslage bei der Notwehr einerseits und beim Notstand andererseits.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wir brauchen immer in irgendeiner Weise eine Beeinträchtigung, eine drohende Beeinträchtigung von rechtlich geschützten Interessen und oder von Rechtsgütern. Aber wie diese Situation, in der es zu einer solchen Gefahr für Güter oder Interessen kommt, dann konkret ausgestaltet ist, hängt wiederum von dem Rechtfertigungsgrund ab, mit dem wir gerade zu tun haben.

1:10 Min
Henning Radtke:

Dass das dann Rückkoppelungen auch hat, was sich dann in einer solchen Rechtfertigungslage tun kann, je nachdem wie weit die Rechtfertigungslage gefasst ist, das hängt wieder vom spezifischen Rechtfertigungsgrund ab. Die Notwehr gestattet andere Rechtfertigungshandlungen, als sie der rechtfertigende Notstand demjenigen oder derjenigen, die sich in der Situation einer Rechtfertigungslage befindet.

1:10 Min
Henning Radtke:

Das Recht zur Verfügung stellt an Mechanismen, um die Rechtsgutsgefahr oder die Interessengefahr abzuwenden.

8:41 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also da werden wir dann gleich im nächsten Schritt nochmal ein Stück weit in die Tiefe gehen, detaillierter werden auch, weil wir wollen, dass sozusagen auch examensrelevante Probleme vielleicht mal genannt werden. Aber bevor wir ins Detail einsteigen, nochmal zu diesen subjektiven Merkmalen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ist es denn so, dass man die unbedingt haben muss? Was ist denn, wenn man tatsächlich im Hinblick auf die Rechtfertigungslage und die Handlung, die im Mittelpunkt steht, bei 100 Prozent ist, im grünen Bereich, aber tatsächlich in der Situation agiert hat, weil man zuschlagen wollte und in Wirklichkeit in der Notwehrlage war, das aber nicht wusste. Also das subjektive Element fehlte, der Verteidigungswille bei der Notwehr oder der Gefahrabwendungswille beim rechtfertigen Notstand oder beim Festnahmerecht der Festnahmewille, wenn das einfach weg ist.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ist das so schlimm?

9:33 Min
Henning Radtke:

Ich glaube, dass das durchaus jedenfalls ein Problem ist für alle Rechtfertigungsgründe. Denn Rechtfertigungsgründe versetzen mich doch als die Person, die sich in einer Rechtfertigungslage befindet, in eine Situation, in der mir das Recht gestattet, tatbestandliches, straftatbestandliches Unrecht zu verwirklichen. Jetzt kann ich sagen, wenn ich keine Kenntnis habe, also ein subjektives Rechtfertigungselement fehlt, ja, ich habe trotzdem einen Zustand hergestellt, der objektiv mit der Rechtsordnung in Einklang steht.

1:10 Min
Henning Radtke:

Ja, ich habe das aber getan subjektiv in der Vorstellung, ich verwirkliche Unrecht. Wenn ich keine Kenntnis davon habe, dass ich eigentlich verteidigen darf, wenn ich keine Kenntnis davon habe, dass ich eigentlich eine Gefahr abwenden kann und verletze nur ein Rechtsgut durch meine Rechtfertigungshandlung, dann habe ich doch in jedem Fall etwas verwirklicht, was wir kennen, nämlich ich habe Handlungsunrecht verwirklicht, weil ich in der Vorstellung gehandelt habe, ich greife in Rechtsgüterdritte ein und, Ohne zu wissen, dass das Recht mich eigentlich in der konkreten Situation, in der ich handele, dazu legitimiert.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und deshalb brauchen wir so etwas wie ein subjektives Rechtfertigungselement, damit wir einen vollständigen Einklang haben zwischen dem, was das Recht objektiv gestattet und dem darauf aufsetzenden subjektiven Wissen darum, dass man auch tatsächlich in dieser Situation handelt und eben nicht nur das Unrecht als solches verwirklichen will. Denn das ist ja das, was intentional angestrebt wird.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wenn ich nicht weiß, dass ich verteidige, dann will ich verletzen.

11:18 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

In der Tat, dann begeht man Handlungsunrecht. Das ist einer dieser Begriffe, den Sie, Zuhörerinnen und Zuhörer, vielleicht in meinen Vorlesungen als ach dogmatisch, das ist wieder was, das muss ich mir merken, aber das nützt eigentlich nichts. Doch hier in diesem Moment verstehen Sie mit dem Begriff Handlungsunrecht, warum tatsächlich dieses subjektive Rechtfertigungselement so essentiell ist.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und es schlägt die Brücke zu den beiden Auffassungen, den Theorien, die hier vertreten werden, falls dieses subjektive Element fehlt. Denn Handlungsunrecht ist ein Begriff, den Sie auch womöglich erinnern aus dem Versuch. Ist das nicht so, Herr Radke?

11:59 Min
Henning Radtke:

Genau so ist es. Das ist die absolute sozusagen Brücke zwischen dem, was wir heute besprechen, nämlich den Rechtfertigungsgründen und der Versuchsstrafbarkeit. Bei der Versuchsstrafbarkeit, das mag jetzt ein bisschen wiederholend sein, wenn Sie auch frühere Folgen gehört haben, ist es doch so, dass wir gerade deshalb strafen, weil der Täter oder die Täterin sich subjektiv dazu entschlossen hat, strafbares Unrecht zu verwirklichen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Den es nur nicht geschafft hat, das bis in die Erfolgsphase der Straftat zu bringen. Aber die Anknüpfung für die Strafbarkeit ist der Umstand, dass man in Kenntnis aller tatbestandlichen Merkmale des Tatbestandes, um den es geht, den Entschluss gefasst hat und begonnen hat, ihn umzusetzen in Gestalt des unmittelbaren Ansatzens, das zu verwirklichen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und exakt diese Situation haben wir bei einer Person, die zwar objektiv betrachtet in einer Rechtfertigungslage ist, das aber nicht weiß, Wegen der fehlenden Kenntnis von der Rechtfertigungslage schlicht und einfach einen Willen hat, der darauf gerichtet ist, Unrecht zu begehen. Deshalb ist, glaube ich, auch das unterstreicht nur das, was wir beide am Anfang nochmal betont haben.

1:10 Min
Henning Radtke:

Strukturwissen, das ist das Entscheidende. Es geht nicht um Detailwissen und es geht ganz am Ende auch nicht darum, jede Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zu kennen und auf irgendeinen Fall übertragen zu können. Sondern es geht darum, die Systematik zu verstehen, die wesentlichen Regelungsprinzipien.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und das haben wir versucht eben gerade nochmal von den Rechtfertigungsgründen zu übertragen in das allgemeinere Versuchsunrecht. Es geht immer beim subjektiven Rechtfertigungselement wie beim Versuch darum, Handlungsunrecht wird verwirklicht, wegen des Entschlusses Unrecht zu begehen.

13:42 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das finde ich so hilfreich und Sie hören hier die Brücke, die dann zur Versuchslösung, auch ein Wort, das man nicht auswendig lernt, sondern das ist tatsächlich die Auffassung, die von der Literatur vertreten wird in diesen Konstellationen, in denen das subjektive Rechtfertigungselement fehlt. Da soll nur die Versuchsstrafbarkeit im Vordergrund stehen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Genau diesen gedanklichen Schritt mit dem Handlungsunrecht sind sie gegangen. Die Rechtsprechung, ihre Kollegen von vor 2018 sehen das nicht in der Mehrheit so, die vertreten dann die Vollendungstheorie. Das heißt, wenn das subjektive Element fehlt, dann kommt einem die Rechtfertigung gar nicht zugute.

14:26 Min
Henning Radtke:

Das ist allerdings eine Auffassung, die wirklich rechtfertigungsbedürftig ist und natürlich jetzt nicht in dem Sinne der Rechtfertigungsgründe, über die wir gerade sprechen. Wir müssen aber trotzdem für diese Konstellation ja im Blick behalten, wie am Ende auch immer man sie dogmatisch auflöst.

1:10 Min
Henning Radtke:

Dass, wenn ich mich in einer Rechtfertigungslage befinde, eine Rechtfertigungshandlung vollziehe und dadurch objektiv Unrecht verwirkliche. Dann ist das in der Situation der Rechtfertigungshandlung ein Unrecht, das ich eigentlich verwirklichen darf, weil ich mich in der Rechtfertigungssituation befinde.

15:05 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ganz genau. Wir sind im grünen Bereich im Hinblick auf die Ansprüche der Rechtsordnung.

15:09 Min
Henning Radtke:

Exakt. Und warum es dann zur Vollendungsstrafbarkeit führen soll, die ja immer eines voraussetzt, nämlich die Kombination von Handlungsunrecht plus Erfolgsunrecht. Und natürlich ist auch in den Situationen, über die wir gerade sprechen, ein Erfolg eingetreten. Aber den kann ich eigentlich der Person, die den Erfolg verursacht hat, nämlich der Person, die in der Rechtfertigungslage agiert hat, nicht zum Vorwurf machen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Denn die objektive Rechtsordnung hätte ja gerade, hat diese Handlung gestattet, hat es sogar gestattet, dass es zur Verwirklichung von Unrecht kommt, setzt allerdings voraus, dass ich das auch in Kenntnis des Umstands tue. Und wenn man sich nur die Phänomene, die wir gerade nochmal beschrieben haben, anguckt, dann ist relativ klar, Dass vieles dafür spricht, ist nur als die Verwirklichung von Handlungsunrecht zu sehen und die Erfolgskomponente eben wegen des Agierens in einer Rechtfertigungslage nicht zuzurechnen.

16:16 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ich bin ganz bei Ihnen und Sie haben es gehört, wir sind beide hier für die sogenannte Versuchslösung, die von der Literatur vertreten wird. Es tut mir leid, wenn Sie sich dafür entscheiden in der Klausur, müssen Sie danach die Versuchsprüfung noch anschließen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Es ist etwas mehr Schreibarbeit, dafür sind Sie auf der richtigen Seite der Geschichte, will ich mal sagen. Aber das war wirklich sehr hilfreich, denn das scheint mir oft so ein etwas vager, nebeliger Bereich zu sein, wenn man Rechtfertigungsgründe abprüft. Die ersten Voraussetzungen werden erinnert, aber dann die Problematik um das subjektive Rechtfertigungselement dann oft ein bisschen ausgelassen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Aber kehren wir zurück, beziehungsweise gehen wir einen Schritt tiefer. Also wir sind bei den Rechtfertigungsgründen von denen, das kann man jetzt mal vielleicht auch an dieser Stelle sagen, prüfungsrelevant, correct me if I0027m wrong, wären die Notwehr 32, rechtfertigender Notstand 34, das haben Sie hier schon jetzt mehrfach gehört, insofern liegt es nahe.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Zum rechtfertigenden Notstand gehören auch die zivilrechtlichen Notstände. Auf die gehen wir auch noch kurz ein. 228 904 BGB. Also wir suchen nicht nur im StGB.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Rechtfertigungsgründe sind auch im Bereich der Einwilligung bzw. Der mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen zu prüfen. Das werden wir heute nicht adressieren, weil das den Rahmen sprengen würde. Dazu gibt es eine getrennte Folge.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und dann haben wir die sogenannte rechtfertigende Pflichtenkollision. Und wir suchen nochmals außerhalb des StGB das Festnahmerecht nach 127 StPO. Da müssen wir also ein bisschen an abgelegenen Stellen suchen. Das nochmal als Hinweis für die prüfungsrelevanteren Rechtfertigungsgründe.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und wie Sie es eben angekündigt haben, der vielleicht der prüfungsrelevanteste könnte die Notwehr sein, gemäß 32. Schauen wir uns vielleicht kurz mal ein bisschen näher an, oder?

18:18 Min
Henning Radtke:

Das sollten wir unbedingt tun.

18:19 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wunderbar. Bevor wir auch hier nochmal auf unseren Dreierschritt eingehen, betone ich immer gerne, dass die Notwehr sich absolut heraushebt von allen anderen Rechtfertigungsgründen. Und zwar, weil sie keine Güterabwägung hat, so wie wir es sonst haben werden.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also es wird nicht abgewogen. Es gibt eine Kategorie, in der Sie ein ganz klein bisschen über Einschränkungen des Notwehrrechts nachdenken, Aber verfallen Sie nicht in den Automatismus abzuwägen. Also keine Güterabwägung.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wir haben ein sogenanntes scharfes Notwehrrecht, das relativ einzigartig ist, wenn ich es recht überblicke. Auch in unseren Nachbarländern vergleichen finden wir das nicht. Und zwar, weil es mit der einzigartigen Situation der Verteidigung gegenüber dem Angreifer.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das ist also nur die Situation, ich werde angegriffen und verteidige mich gegenüber dieser Person. Ich halte keine Gefahren ab im Allgemeinen, sondern es ist wirklich diese ganz spezielle Situation, die dann auch noch zeitlich und normativ wirklich eingeschränkt ist. Nur in dieser ganz engen Situation gilt das, was wir jetzt im Folgenden sagen werden.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Würden Sie zustimmen, dass die Notwehr insofern einzigartig ist?

19:37 Min
Henning Radtke:

Sie ist einzigartig und genau aus dem Grund, den Sie genannt haben. Der Verzicht auf Güterabwägung. Befindet man sich in einer Notwehrlage, die ja dadurch gekennzeichnet ist, dass es den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Angreifers gibt, und setzt man die Notwehrhandlung, also unser zweites Element, gegen den Angreifer ein, dann ist die Wertung, die hinter § 32 steckt, völlig eindeutig.

1:10 Min
Henning Radtke:

Dadurch, dass der, gegen den ich die Notwehrhandlung richte, sich auf Seiten des Unrechts befindet, darf ich aus zweierlei Gründen. Diesen Angriff abwehren, ohne dass ich, auf kleine Ausnahmen kommen wir noch zu sprechen, darauf achten muss, welcher Rechtsverlust mir als Angegriffenem droht und welche vielleicht schwere Rechtsgutsverletzung ich dem Angreifer zufüge.

1:10 Min
Henning Radtke:

Aber nochmal, es geht darum, sich gegen eine Person zu wehren, die selbst den rechtswürdigen Angriff ausübt. Ich darf es allerdings auch nur gegen den tun. Und nicht gegen andere, die in irgendeiner Weise mit der Notwehrlage in Zusammenhang stehen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Notwehr ist nur die Verteidigung gegen den Angreifer. Das erklärt auch, warum wir allerdings ziemlich singulär in Europa und der Welt eine so weitgehende Möglichkeit öffnen, einen Angriff, mag auch rechtswidrig sein, dann abwehren zu dürfen.

21:07 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und es geht zurück auf zwei Prinzipien und keine Sorge, ich will jetzt nicht grundsätzlich und dogmatisch werden, es hilft Ihnen aber später bei der Notwehrprovokation, finde ich, beim Verständnis. Es geht zurück auf diesen Individualschutz, von dem Sie gesprochen haben und auch auf diese Rechtsbewährung, auf die Sie auch angesprochen haben.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also der Individualität, es ist so ein Urrecht. Wir wehren uns gegen den Angreifer, das darf weit gehen. Und der Angreifer ist im Unrecht, das heißt wir verteidigen uns und in dem Moment auch die Rechtsordnung.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das sozusagen als kleiner Ausblick.

21:38 Min
Henning Radtke:

Was ja ungewöhnlich ist in der zweiten Komponente. Denn unsere Vorstellung und jetzt gestatten Sie mir aufgrund meines jetzigen Hauptamtes ein bisschen verfassungsrechtlich zu werden. Wir bewegen uns in einem Bereich, in dem eigentlich das Gewaltmonopol des Staates gilt.

1:10 Min
Henning Radtke:

Es ist ausschließlich Aufgabe des Staates und zwar insbesondere mit den Mitteln des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Dazu gehört natürlich auch... Dafür zu sorgen, dass es nicht zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommt mit polizeilichen Mitteln.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und in der Notwehrlage sagen wir jetzt auf einmal, die Einzelne, der Einzelne, der angegriffen wird oder zugunsten eines Angegriffenen agiert, der übernimmt der Sache nach Aufgaben, die eigentlich staatliche Aufgabe ist. Nämlich Gewährleistung von, in diesem Fall vor allen Dingen Sicherheit, weniger Ordnung.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und dass wir das zulassen und sagen, ja, du trittst jetzt in die Fußstapfen sozusagen des Staates. Und übernimmst, obwohl wir im Bereich des Gewaltmonopols sind, staatliche Aufgaben. Das ist schon ungewöhnlich und deshalb ist es ja auch nicht völlig unumstritten, dass tatsächlich unser Notwehrrecht auf diesen beiden Komponenten, dem völlig unzweifelhaften Individualschutz und eben der Rechtsbewährung beruht.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und es gibt ja durchaus Kollegen und Kolleginnen aus der Strafrechtswissenschaft, die durchaus dieses dualistische Konzept, wie wir es immer so schön nennen, mit dem Zweiklang von Individualschutz und Rechtsbewehrung nicht vollständig akzeptieren.

23:11 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ganz genau. Und dieser Aspekt der Rechtsbewehrung, diese Ausnahme, dass der Einzelne in dem Moment an die Stelle des Staates tritt, das darf dieser Einzelne aber dann eben nur in einer zeitlich-rechtlich-rechtlichen, örtlich, räumlich super engen Situation. Das ist unsere Notwehrlage.

23:31 Min
Henning Radtke:

Genau. Und das ist auch die Logik, die dahinter steckt. Wir verengen bei der Notwehr die Situation, in der so weitreichende Befugnisse der einzelnen privaten Personen eingeräumt werden, im eigentlich Bereich des staatlichen Gewaltmonopols. In dieser Verengung der Situation öffnen wir dann aber aus beiden Gründen, Weil es um Schutz von Gütern geht und um die Bewährung der Rechtsordnung allgemein einen sehr großen Spielraum an Verteidigungshandlungen, die wir nur über schwache Elemente einschränken.

1:10 Min
Henning Radtke:

Denn das stärkste Instrument, das wir zur Einschränkung hätten, die Güterabwägung, sehen wir gerade nicht vor.

24:09 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Genau, das heißt, nochmal zur Erinnerung, wirklich eng. Gegenwärtiger rechtswidriger Angriff heißt jetzt. Heißt wirklich gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend. Das heißt, die Haustyrannenfälle, an die Sie vielleicht denken, die sind eben gerade in dieser Situation nicht erfasst.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Gegenwärtig heißt jetzt, unrechtswidrig und Angriff muss eine gewisse Relevanz haben. Das heißt, wenn Sie angereppelt werden im Bus, solche sozial adäquaten Bagatell-Situationen, das fällt nicht unter Angriff. Ähnlich auch ein sogenannter Scheinangriff.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also wenn in der Wirklichkeit Ex-Post-Perspektive zugrunde gelegt, tatsächlich gar kein Angriff vorlag. Also wir müssen hier in den Bereich der Relevanz, weil wir wirklich eine enge, enge Situation haben, nicht zu verwechseln. Nur um sicher zu sein, ein Scheinangriff ist kein Angriff mit einer Scheinwaffe.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wir werden diese Probleme vertiefen, wenn wir über Raub und Diebstahl in den Qualifikationsformen sprechen. Scheinwaffen, sozusagen ungeladene Schusswaffen oder diese TESA-Waffen. Nee, das sind tatsächlich Waffen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wie heißen diese Scheinwaffen, aus denen vorne was raustritt? Luftdruck?

25:28 Min
Henning Radtke:

Aber es gibt natürlich Gaspistolen, bei denen das genauso ist. Auch da haben wir die Problematik, da tritt aufgrund des Vorgangs, den ich auslöse, Gas nach vorne aus mit einem Geschoss und da sind wir dann in einer wirklich schwierigen Problematik. Ich würde allen, die in Examensnähe sind, dringend davon abraten, sich mit den Regelungen des Waffengesetzes im Einzelnen zu befassen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Auch da gibt es eine Systematik, die zu erkennen bedarf allerdings eines längeren Studiums und da es für die Examensvorbereitung nicht unmittelbar darauf ankommt, Finger weg vom Waffenrecht.

26:00 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Gut, das ist ein sehr gutes To-Think und wir kehren zurück sozusagen mit Dissertationstipps, wenn Sie das unbedingt ordnen wollen. Aber tatsächlich, der Scheinangriff ist kein Angriff. Der Angriff mit einer Scheinwaffe, die ich offensichtlich nicht auseinanderhalten kann, tatsächlich finde ich das immer wieder sehr schwierig, der ist aber ein Angriff.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also sie können natürlich mit einer ungeladenen Schusswaffe oder mit irgendwas auch den Willen des Opfers brechen, also hier nicht auf Abwege geraten. Der Angriff muss rechtswidrig sein, er muss gegenwärtig sein. Vielleicht noch ein Wort zur Rechtswidrigkeit des Angriffs.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das kann manchmal ein bisschen tricky sein, oder? Notwehr gegen Notwehr und so.

26:40 Min
Henning Radtke:

Das kann in der Tat Schwierigkeiten in der Subsumption bereiten, weil man, und Sie haben es in einem anderen Kontext schon angesprochen, bei den Rechtfertigungsgründen ja immer in den Blick nehmen muss, dass wir auf Rechtfertigungsgründe, also Erlaubnissätze, die ausnahmsweise gestatten, eigentlich strafbares Unrecht zu verwirklichen, nicht nur aus dem StGB und da auch nicht nur aus Regelungen im AT wählen können, sondern wir haben schon gesehen, wir haben Anknüpfungspunkte in der StPO.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wir haben Rechtfertigungsgründe im BGB und wir gehen davon aus, dass es den Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung insoweit geht. Das heißt, wir müssen immer zu einem einheitlichen Rechtmäßigkeits- oder Rechtswidrigkeitsurteil über ein bestimmtes Verhalten kommen. Jetzt muss ich also, wenn ich ein gestuftes Geschehen gehabt habe, muss ich sehr genau prüfen, ob nicht möglicherweise die, diejenige Person, die ich jetzt als Angreifer identifizieren will, ob der sich nicht selber schon wieder auf Rechtfertigungsgründe berufen kann.

1:10 Min
Henning Radtke:

Das macht es in der Rechtswidrigkeitsprüfung nicht wirklich schwierig. Auch da gilt nur wieder gedanktliche Stringenz. Man muss gucken, was für ein tatsächliches Geschehen habe ich. Gibt es Anhaltspunkte in dem Sachverhalt, der mir als Prüfungssachverhalt unterbreitet wird dafür, dass derjenige, von dem ich jetzt erstmal davon ausgehen, meinem ersten Zugriff, der ist der Angreifer, begeht also einen gegenwärtigen rechtswilligen Angriff auf notwehrfähige Güter.

1:10 Min
Henning Radtke:

Ob das stimmt, dass das wirklich rechtswillig ist oder gibt es nicht irgendeinen Erlaubnissatz, den der für sich fruchtbar machen kann.

28:13 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und das ist tatsächlich auch für eine Staatsexamensprüfung eigentlich ganz, ganz, wie soll ich sagen, naheliegend, so eine Schachtelprüfung einzubauen, die an sich nicht schwer ist, aber die Kandidatinnen und Kandidaten zum Nachdenken animiert. Um mal ein Beispiel zu bringen, das wäre A greift den B am Arm oder tut ihm weh, hält ihn fest.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also etwas, das man als Angriff interpretieren könnte. B wehrt sich, körperlich zerrt oder schlägt sogar den A. Aber in Wirklichkeit, wenn man genau aufgepasst hat, den Sachverhalt gelesen hat, könnte A sich zum Beispiel auf 127 StPO Festnahmerecht berufen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das heißt, das müsste man inzident prüfen. Genau.

28:57 Min
Henning Radtke:

Das ist glaube ich auch etwas, was man sich dann klar machen muss, wenn man als Prüfling in der konkreten Situation ist, dass wir dann, wenn wir über die Rechtswidrigkeit des Angriffs als Voraussetzung für die Kreation einer Notwehrlage sprechen, dass man in die sonst ja ungeliebte Situation einer Inzidentprüfung kommen kann. Die ist aber nicht wirklich schwierig, weil sie die Inzidenzprüfung ja an einem ganz konkreten Merkmal, nämlich der Rechtswidrigkeit des Angriffs festmachen können.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und dann ist auch jedem und jeder, der die gelöste Klausur dann liest, deutlich, aha, da hat jemand aufgepasst, hat erkannt, das Geschehen gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtswidrigkeit des Angriffs, die zunächst mal in Ihrem Beispiel, es ist ja deutlich geworden, auf der Hand zu liegen scheint, doch nicht so einfach zu beurteilen ist, weil es eben den Gegengrund des Festnahmerechts geben könnte.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und dann legt man los, Rechtswidrigkeit des Angriffs, Fragezeichen und arbeitet dann sauber ab, warum hier eventuell etwa das genannte Festnahmerecht schon zugunsten des vermeintlichen Angreifers eingreift. Und dann ist man eben schon aus der Notwehrlage raus, weil der Angriff nicht rechtswidrig war.

29:59 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wunderbar, dann sind wir vielleicht auch aus der Notwehrlage raus. Wir haben den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff mit ein paar potenziellen Examsproblemen diskutiert. Dann kommen wir in die Rechtfertigungshandlung, die sogenannte Notwehrhandlung, von der wir mehrfach unterstrichen haben, dass sie nur gegenüber dem Angreifer erfolgen darf. Hat sie sonst Voraussetzungen?

30:26 Min
Henning Radtke:

Ja, sie hat Voraussetzungen. Und auch da will ich noch einmal versuchen, deutlich zu machen, dass wir rechtsgebietsübergreifend klare Strukturen haben. Die meisten von Ihnen, die jetzt zuhören, wissen das natürlich. Wir haben die Merkmale der Eignung und der Erforderlichkeit. Und wenn man das hört.

30:47 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und im Bundesverfassungsgericht sitzt die heute an. Was denkt man dann?

30:51 Min
Henning Radtke:

So ist es. Woran denkt man? an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, damit jetzt kein Missverständnis auftritt. Man führt bei der Prüfung, ob es eine gerechtfertigte Notwehrhandlung, also eine gerechtfertigte Verteidigungshandlung ist, keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im klassischen verfassungsrechtlichen Sinne durch. Aber die Elemente sind nicht nur semantisch gleich, sondern sie haben natürlich auch inhaltliche Übereinstimmungen mit dem, was sie als allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kennen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Das hat auch eine hohe Plausibilität, mindestens dann, wenn man von einem dualistischen Notwehrkonzept ausgeht. Denn wir erinnern uns, derjenige oder diejenige, die angegriffen wird und sich jetzt verteidigt, schützt ja nicht nur das Individualrechtsgut, das angegriffen wird, sondern bewährt gleichzeitig die Rechtsordnung. Wenn ich dann also so eine Stellvertreterposition habe, denn der Polizeibeamte, wenn er amtlich handeln würde außerhalb von Notwehrsituationen im Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr, ist natürlich bei dem, was er zur Gefahrenabwehr tun kann, an den jetzt strengen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden.

1:10 Min
Henning Radtke:

Warum sollte das also ganz anders sein, wenn auf einmal eine private Person auch staatliche Aufgaben übernimmt? Das ist so ein bisschen der Hintergrund. Und jetzt kommen wir mit der Eignung und Erforderlichkeit aber prima hin. Was ist Eignung? Eine Notwehrhandlung ist nur dann geeignet als erste Voraussetzung für die Rechtfertigung, wenn sie in der Lage ist, den Angriff, den es abzuwehren gilt, auch tatsächlich abwehren zu können.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und wenn, da sind sie wieder, dann tatsächlich in der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsdogmatik, wählt der Staat ein Mittel, um den verfolgten Zweck zu erreichen, das nicht in der Lage ist, das zu erreichen, nämlich den etwa im Gesetz vorausgesetzten Zweck, dann handelt auch der Staat unrechtmäßig und derjenige, der sich in der Notwehrsituation befindet und ein ungeeignetes Mittel zur Angriffsabwehr einsetzt, ist eben nicht gerechtfertigt, sondern begeht Unrecht und wird am Ende dafür bestraft.

32:55 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das ist doch so einleuchtend, wenn man es eben hört, man erkennt diese Strukturen und nochmals an alle die, die immer wieder sagen, Strafrecht ist stupides Auswendiglernen von Details, die nichts miteinander zu tun haben. Hier sehen Sie, wie viele Übereinstimmungen zu den Überlegungen aus anderen Rechtsgebieten, wie viele Strukturentsprechungen und systematische Shortcuts im Grunde doch möglich sind.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wunderbar. Das heißt, die Eignung, die Geeignetheit der Notwehr, Handlung der Verteidigungshandlung, selten eigentlich problematisch, muss einfach zur Abwehr geeignet sein, grundsätzlich dazu führen, dass der Angriff abgewehrt wird. Die Erforderlichkeit ist wiederum eine Einschränkung.

33:38 Min
Henning Radtke:

Genau, exakt wie die Erforderlichkeit dann doch in der klassischen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit. Ich habe typischerweise mehrere Möglichkeiten in tatsächlicher Hinsicht gedacht, um einen Angriff zu stoppen. Ich werde drastisch.

1:10 Min
Henning Radtke:

Jemand, der mich körperlich angreift, mich verletzen will, den kann ich stoppen, indem ich, wenn ich körperlich kräftiger bin, zurückschlage, um den Angriff zum Stehen zu bringen. Ich kann aber natürlich auch auf ein Hilfsmittel der körperlichen Gewalt setzen, bis hin zur Waffe.

1:10 Min
Henning Radtke:

Sitze ich die Waffe ein, dann ist das natürlich ein zur Angriffsabwehr geeignetes Mittel, insbesondere dann, wenn ich einen Angreifer töte. Völlig klar.

34:18 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Völlig klar.

34:19 Min
Henning Radtke:

Aber wenn es aber so sein sollte, wie in meinem kleinen Beispiel eben sich angedeutet hat, dass es wegen der Kräfteverhältnisse reicht, um den Angriff zum Stehen zu bringen, zu schlagen und nicht die Waffe zu ziehen, dann muss ich doch überlegen, was fordert jetzt die Rechtsordnung von mir? Und auch da sind wir wieder in der allgemeinen Verhältnismäßigkeitserwägung. Erforderlich kann die Verteidigungshandlung, so wie sonst staatliches Handeln auch, nur dann sein, wenn bei Unterstellter gleiche Eignung mehrere Handlungsoptionen, eine weniger schwer entweder in allgemeine Rechtsgüter oder hier eben in die Rechtsgüter des Angreifers angreift.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wenn klar ist, bei sicher gleicher Eignung, dass der Schlag gegen den Angreifer reicht, um den Angriff endgültig zum Stehen zu bringen, dann bin ich eben nicht berechtigt zu schießen. Das gilt aber nur dann.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wenn die gleiche Eignung gesichert ist. Ich muss mich nicht auf Risiken einlassen.

35:23 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das ist auch die Besonderheit bei der Notwehr. Wenn Sie gleich geeignete Mittel zur Verfügung haben in der Situation, dann können Sie das weniger einschneidende Mittel, man muss nicht gleich erschießen. Wenn Sie aber allein im Park, ich allein im Park jogge, ein Beispiel, das ich hier auch oft gebracht habe und werde dort angegriffen, dann kann ich im Rahmen des Notwehrrechts, also scharfes Notwehrrecht, Ausnahme, kann ich auch töten.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das ist also nicht, dass Sie sozusagen jetzt über die Erforderlichkeit doch in irgendeine Abwägung geraten. Bei mehreren gleich geeigneten, gleich effizienten Mitteln müssen Sie das mildere, das weniger einschneidende wählen. Aber wenn Sie eben nur das eine haben, können Sie auch theoretisch, wir werden auf die krassen Ausnahmen noch eingehen, kann man auch theoretisch zum Eigentumsschutz töten.

36:17 Min
Henning Radtke:

Ja, genau das ist die Konstruktion und da würde ich auch nochmal sozusagen auffordern zu großer Sensibilität. Es zeigt die Erfahrung, auch die lange Erfahrung als Prüfer im Staatsexamen, dass manchmal eine sehr schnelle Neigung besteht, ein vermeintlich gleich geeignetes Mittel zu erkennen und dann zu sagen, die Erforderlichkeit ist nicht mehr gegeben.

1:10 Min
Henning Radtke:

Sie müssen sich eins klar machen, es bleibt immer noch der Angreifer, der im Unrecht ist, der überhaupt diese riskante Situation hervorgerufen hat. Und natürlich ist es ex ante, in der Situation, in der ich als Angriffene handeln muss, ganz schwierig, präzise einzuordnen, was droht mir jetzt eigentlich von diesem Angriff? Was hat das mit unseren Erfreulichkeitserwägungen zu tun? Ich brauche die sicher gleiche Eignung.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und das bedeutet eben auch, dass ich mich als angegriffene Person nicht dem Risiko aussetzen muss, mich auf eine schwächere Verteidigungshandlung zurückziehen zu müssen, aus Sorge einzubringen. Dass am Ende die Erforderlichkeit nicht mehr akzeptiert wird, sondern das Risiko, dass man davon ausgeht, der Angriff ist anders, schwerer etc., trägt der Angreifer.

37:30 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das finde ich nochmal einen ganz wichtigen Hinweis, weil dieser Mechanismus dann doch nach milderen Mitteln zu suchen, den habe ich auch beobachtet in Klausuren. Und vielleicht auch dazu ein Wort, wie sieht das aus in einem Sachverhalt? Das kann so aussehen, dass der Angegriffene als Schwächer, zum Beispiel ich sozusagen eine Frau alleine im Park und der Angreifer wird beschrieben als groß, breitschuldrig und dann haben sie irgendwie einen Vorschlaghammer oder eben irgendwie ein ganz leichtes Werkzeug oder ihre Fäuste.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das heißt, da werden Sie im Sachverhalt auch Hinweise auf die Asymmetrie der Situation finden können, die Ihnen helfen, eben vielleicht zur Schlussfolgerung zu kommen, dass wenn der Angriff schief ginge, mein Schlag mit der Faust schief ginge, dann wäre ich sozusagen unter der Wucht des Angriffs, würde ich mich nicht mehr wehren. Also ich muss mich nicht auf das Zweitbeste oder Drittbeste oder das vorsichtigere Mittel verweisen lassen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ich kann alleine dann im Park den Vorschlaghammer benutzen.

38:29 Min
Henning Radtke:

Genau so ist es. Denn nochmal, wir müssen wieder zurück zu den Grundstrukturen. Der Angreifer ist derjenige, der rechtswidrig Rechtsgüter der sich verteidigenden Person attackiert. Es gibt keinen Rechtsgrundsatz, der eine angegriffene Person dazu verpflichtet, auch nur das Risiko einzugehen, eigene Rechtsgutsbeeinträchtigungen hinnehmen zu müssen zur Schonung eines rechtswidrig agierenden Angreifers.

1:10 Min
Henning Radtke:

Risikosphäre ist eine Risikosphäre des Angreifers. Wer sich auf das Feld des Unrechts begibt, muss eben nach der Dogmatik des deutschen Notwehrrechts auch bei der Erforderlichkeit damit rechnen, dass es eben zu einer massiven Angriffsabwehr kommt, die geeignet ist, ohne dass der Angegriffene eigene Rechtsgutsbeeinträchtigungen hinnehmen muss. Mit ganz am Ende vielleicht sogar der Tötung des Angreifers einhergeht.

39:21 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Vielleicht aber dann noch zwei Punkte, wo der sich Verteidigende vielleicht übers Ziel hinaus schießt. Einfach damit wir die Perspektiven auch haben in der Klausur. Wenn der Angegriffene wirklich den Bogen überspannt und immer weiter schlägt und sozusagen eigentlich ist der Angreifer schon längst ausgenockt, Aber es geht immer weiter, immer weiter, weil er denkt, aus so einer Furcht, aus so einer Traumatisierung heraus absolut übertreibt, vielleicht tötet.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Dann können Sie immer noch abbiegen auf 33 StGB. Das ist ein Entschuldigungsgrund, nur anwendbar bei sogenannten astenischen, also wenn es eben Angst, Furcht, psychologische Effekte, die mit dem Angriff zu tun hatten. Wenn sie da die Zeit überschreiten, die Intensität überschreiten.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Anderer Aspekt, der potenziell prüfungsrelevant ist, wo es eben der sich Verteidigende übertreibt, wenn er so ein bisschen zu sehr vorher antizipiert, wenn er sich ein bisschen zu sehr rüstet gegen potenzielle Einbrecher, sagen wir. Es gibt ja Leute, die da auf Selbstschussanlagen, besonders scharfe Hunde oder andere Konstruktionen zurückgreifen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Sind wir da immer im grünen Bereich? Man muss ja nicht einbrechen oder gibt es da vielleicht auch einen roten Bereich?

40:42 Min
Henning Radtke:

In dem Feld gibt es natürlich rote Bereiche. Und wenn ich darf, gehe ich nochmal einen kleinen Schritt zurück. Sie haben es ja eben schon adressiert. Natürlich haben wir Konstellationen wie den Paragrafen 33, bei der wir dann aber schon die Ebene wechseln.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wir sind nicht mehr auf der Rechtfertigungsebene, sondern die Voraussetzung, damit wir in den Paragrafen 33 kommen, ist zunächst mal das Urteil, die Handlung, um die es geht, ist nicht mehr gerechtfertigt. Warum ist sie nicht gerechtfertigt? Weil nach der Beschreibung ihres Beispiels wir uns wieder klar machen müssen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Die Notwehrlage ist eine ganz, ganz enge in zeitlicher Hinsicht. Das gilt ja nicht nur bei Beginn des Angriffs, sondern das gilt auch an der anderen Seite, nämlich beim Ende des Angriffs. Wenn es mir schon gelungen ist, den Angriff zu stoppen, weil ich eben mit drei Faustschlägen den Angreifer zu Boden gestreckt habe, dann endet die Notwehrlage.

1:10 Min
Henning Radtke:

Der Schlag 4, 5, 6 und 7 ist eben nicht mehr gerechtfertigt, weil die Notwehrlage nicht mehr besteht. Der gegenwärtige Angriff ist endgültig gestoppt. Und weil das so ist, bin ich jetzt bei dem Ergebnis, oh, die weiteren Schläge sind nicht mehr in einer Notwehrlage ausgeführt worden.

1:10 Min
Henning Radtke:

Damit greift, schon wegen des Fehlens der Notwehrlage, der Paragraf 32 nicht mehr zugunsten des weiterschlagenden oder der weiterschlagenden. Und jetzt muss ich überlegen, wie gehe ich dann mit diesem Umstand, den Sie so schön beschrieben haben. Es liegen bestimmte Effekte vor, die man ja auch gut nachvollziehen kann in der konkreten Situation.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und darauf muss ich jetzt reagieren. Die Reaktion kann aber nicht sein, und so löst es das Gesetz ja auf, zu sagen, jetzt bist du immer noch gerechtfertigt, weil du es vorher mal gewesen bist. Sondern jetzt muss ich die Ebene wechseln.

1:10 Min
Henning Radtke:

Jetzt bin ich selber eine Person, die Unrecht verwirklicht hat, aber ich fange die psychische Sondersituation auf über einen Rechtfertigungsgrund. Und hier schönes Beispiel.

42:33 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das ist sozusagen, wenn die Grenzen der Notwehr zeitlich nach hinten raus überschritten sind, jetzt zeitlich nach vorne.

42:41 Min
Henning Radtke:

Auch da müssen wir uns doch klar machen, diese Vorbereitungen auf einen möglichen Angriff. Das scharfe Schwert des Notwehrrechts steht nur dann zur Verfügung, wenn der gegenwärtige Angriff da ist. Und all diese Vorkehrungsmaßnahmen können eines nicht in den Blick nehmen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Nämlich die Eignung und Erforderlichkeit der Notwehrhandlung in der konkreten Situation. Das, was mir die Notwehrhandlung gestattet über die beiden Merkmale Eignung und Erforderlichkeit, hängt doch immer davon ab, von der konkreten Stärke des Angriffs, von der Art des Angriffs, von den spezifischen Konstellationen bei der angreifenden Person. Die Selbstschussanlage differenziert nicht, aber § 32 differenziert und zwar über das Merkmal der Eignung und noch stärker über das Merkmal der Erforderlichkeit.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und das ist die Grundproblematik mit solchen sozusagen vorbereitenden Abwehrhandlungen, dass sie die Spezifik des Notwehrrechts, nämlich die Ausrichtung der erforderlichen Verteidigungshandlung an Art, Ausmaß und Stärke des Angriffs nicht vorwegnehmen kann.

43:49 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und das ist vielleicht auch eine ganz gute Brücke. Also wir haben vorher und nachher jetzt uns angeschaut, aber diese Selbstschussanlagen sind ja doch relativ krasse Antizipationen und diese krassen Ausnahmen werden thematisiert in dem dritten Punkt, der die Notwehrhandlung einschränken kann, nämlich der Gebotenheit. Da kommt, wenn ich mich nicht irre, der Gedanke des Rechtsmissbrauchs rein und da wird diesen krassen Asymmetrien Rechnung getragen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Nochmal, es ist keine Güterabwägung, also nicht in einen solchen Automatismus verfallen. Es sind Ausnahmefälle, die aber eben doch Asymmetrien Rechnung tragen, die wir dann doch nicht rechtfertigen wollen.

44:36 Min
Henning Radtke:

Genau so ist es und man hat zumindest mit dem Merkmal geboten eine schwache positivrechtliche Anknüpfung. Diese schwache positivrechtliche Anknüpfung braucht man natürlich zwingend und ich bitte es mir jetzt wirklich nachzusehen, vielleicht haben jetzt fast mehr als sechs Jahre Verfassungsgericht schon zu stark nachgewirkt.

1:10 Min
Henning Radtke:

Aber natürlich haben wir ansonsten ein Verfassungsproblem. Wenn wir das Notwehrrecht einschränken, weil wir bestimmte Konstellationen anerkennen, in denen wir meinen, dass über das Instrumentarium, das die Eignung und die Erforderlichkeit bieten, zu weitgehenden Notwehrsituationen in bestimmten einzelnen Konstellationen kommen, dann ist das doch rechtfertigungsbedürftig. Denn wenn wir das Notwehrrecht einschränken, weiten wir den Bereich des strafbaren Unrechts aus.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und jetzt ahnen vermutlich die Hörerinnen und Hörer schon, wo ich hin will. Wenn wir uns im Bereich des besonderen Teils des StGB bewegen würden, würden sofort alle Alarmglocken schrillen und man würde Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz vor seinem geistigen Auge sehen. Kann das jetzt anders sein, nur weil wir zufällig bei einer Regelung des allgemeinen Teils, nämlich bei Paragraf 32 sind und die Antwort ist nein, kann es nicht sein, davon kann es nicht abhängen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Was will ich damit sagen? Seien Sie vorsichtig bei den Einschränkungen des Notwehrrechts. Sie haben eine hinreichende normative Anknüpfung mit Geboten, aber dehnen Sie die einzelnen Konstellationen, die Sie über das Merkmal des Gebotenseins versuchen aufzuhangen, nicht zu sehr aus. Denn machen Sie sich klar, je stärker Sie das Notwehrrecht ohne eine ausdrückliche Adressierung der einzelnen Fallgruppen, nur schwach verortet in Geboten ausdehnt, desto stärker erweitern Sie den Bereich des Strafbaren für eine Person, die jedenfalls in einer Notwehrlage agiert hat.

46:32 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wunderbar, wunderbare Erinnerung. Und als jemand, der grundsätzlich kritischer auf das Strafrecht blickt, kann ich das nur doppelt unterstreichen. Das heißt, in Ausnahmefällen denken, die da wären, die Bagatellangriffe, die wir eben schon genannt haben. Dann diese krassen Missverhältnisse, die Sie im ersten Semester gehört haben müssen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Der Apfeldieb, auf den geschossen wird. Die Angriffe von schuldlos Handelnden, also Kinder, Betrunkene, da ist eben das Notwehrrecht eingeschränkt, weil es der Bewährung der Rechtsordnung nicht bedarf. Ein wenig problematisch, aber immer noch in dieser Liste ist die Einschränkung in engen persönlichen Beziehungen.

47:16 Min
Henning Radtke:

Ja, ich glaube, das ist vielleicht die Fallgruppe, die uns die größten Schwierigkeiten bereitet, weil wir, anders als in den anderen Konstellationen, uns nicht ganz leicht tun damit, diese Einschränkung zurückzuführen auf die beiden Grundprinzipien der Notwehr. Das ist ja ein nächster Gedanke und das sollten sich auch diejenigen, die in der konkreten Prüfungssituation mit so etwas konfrontiert sind, klar machen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wir versuchen diese Fallgruppen der Einschränkung des Notwehrrechts ja immer richtigerweise rückzubinden an entweder Angriffsabwehr, also Individualschutz oder Rechtsbewährung. Und wenn man sich das noch einmal klar macht, dann fällt es nicht ganz leicht, bei der gebotenen Zurückhaltung, der vermeintlich gebotenen Zurückhaltung bei Angriffen von nahestehenden Personen, das rückzubinden.

1:10 Min
Henning Radtke:

Nur weil, jetzt ein wildes Beispiel, meine Frau mich angreift, ist jetzt meine körperliche Unversehrtheit weniger wert, weil der Angriff von einer Person ausgeht, zu der ich selbst Kontakt gesucht habe. Subspezie Rechtsbewährung differenziert die Rechtsordnung nicht.

1:10 Min
Henning Radtke:

Jedenfalls, wenn die Tat schwer genug ist, vielleicht auch gar kein Antragserfordernis, obwohl der Täter eine nahestehende Person hat, können wir doch auch auf dieser Ebene nicht sagen, nur weil mich eine mir nahestehende Person attackiert, muss ich mich jetzt zurückhalten. Also seien Sie gerade mit dieser Fallgruppe vorsichtig.

48:48 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ohne jetzt zu gesellschaftskritisch zu werden und es doch gleich zu werden, natürlich hat die Herkunft auch womöglich was mit Konstellationen der häuslichen Gewalt zu tun, die weniger, weil sie haben sympathischerweise das Beispiel so gebildet, aber natürlich waren es oft die Männer, die die Frauen geschlagen haben und das war sozusagen der eheliche Friede, war wichtiger als die Dinge konsequent zu adressieren.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Hashtag Feminism, diese kurze Bemerkung musste ich machen, aber grundsätzlich ist das natürlich ein Stück weit mit einem Fragezeichen zu versehen, aber nach wie vor eine Kategorie, die von der Rechtsprechung so beibehalten wird.

49:24 Min
Henning Radtke:

Die beibehalten wird allerdings ganz häufig fast immer nur semantisch mitgeführt wird und ganz selten mal zur Anwendung kommt. Die einzige Anknüpfung, das würde ich aber für die Klausursituation fast nicht raten, weil es dann sehr kompliziert wird. Man kann natürlich versuchen, eine gewisse Linie reinzubekommen, indem man zurückgreift auf ganz andere Kategorien.

1:10 Min
Henning Radtke:

Nämlich besteht zwischen den Personen, die jetzt das Angreifer- und Angegriffene verhältnisbilden, gibt es da gleichzeitig wechselseitig Garantenpflichten. Den Gedanken könnte man fruchtbar machen zu sagen, ja dann muss man sich vielleicht doch zurückhalten, weil man eigentlich gleichzeitig ja wiederum sozusagen Schutz berufen ist für die Person.

1:10 Min
Henning Radtke:

Allerdings gilt das für die angreifende Person dann auch, sodass das vielleicht wieder ein Nullsummenspiel ist. Aber das könnte nochmal eine schwache normative Anknüpfung sein.

50:12 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und ein spannender Gedanke auf jeden Fall.

50:13 Min
Henning Radtke:

Mein Rat, sehr, sehr vorsichtig bei Einschränkungen, wenn es um Angriffe von sozusagen nahen Personen geht. Ein bisschen sicherer sind wir bei den Angriffen voll schuldlos Handelnden. Natürlich führt der reine Umstand der Schuldlosigkeit, hebt ja nicht die Rechtswidrigkeit des Angriffs auf, sondern auch das bleibt Unrecht.

1:10 Min
Henning Radtke:

Auf das der Staat, allerdings weil die Person ja schuldlos agiert, nicht mit dem Mittel des Strafrechts agieren würde, jedenfalls nicht mit strafrechtlichen Sanktionen.

50:40 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Sondern kognitiv reagieren würde, mit Maßregeln und so weiter.

50:44 Min
Henning Radtke:

Und wenn eine der beiden Säulen des Notwehrrechts doch das Prinzip der Rechtsbewährung ist, Und das staatliche Recht für den Fall, dass die Person die Unrecht begeht, das aber nicht vorgeworfen bekommen kann, weil schuldlos agieren, selbst darauf verzichtet, jedenfalls mit Strafe zu reagieren, dann könnte das natürlich auch für denjenigen, der jetzt auf einmal als Verteidiger in der staatlichen Position ist, für die Durchsetzung der Sicherheit und Ordnung zu sorgen, dann muss diese Zurückhaltung vielleicht auch gelten.

1:10 Min
Henning Radtke:

Also in dieser Situation kann man noch ganz plausibel erklären, warum nach den Grundprinzipien des Notwehrrechts man bis zu einem gewissen Grade sagt, wenn dich ein für dich erkennbar schuldlos Handelnder angreift, dann eine gewisse Zurückhaltung. Ganz am Ende gilt er aber auch, wenn der Paronid Schizophrene im psychotischen Schock mich angreift, dann ist es am Ende so, dass ich auch den töten darf, wenn es keine andere Verteidigungsmöglichkeit gibt.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und dann steht auch nicht die Einschränkung des Notwehrrechts aus sozialistischen Gründen entgegen.

51:47 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Aber trotzdem eine ganz wichtige Erinnerungsstütze und erneut eben unterstreiche ich den Umstand, dass wenn man sich dieser Prinzipien bewusst ist, wenn man die verstanden hat, es sehr viel leichter fällt zu argumentieren in diesen Einschränkungen. So auch in unserer letzten Kategorie der Notwehrprovokation.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ich finde, da auch hilft dieses Verständnis für unsere beiden Grundsäulen besonders, diese Konstellation zu verstehen. Nochmal zur Erinnerung, das ist... Der vom Angegriffene absichtlich oder jedenfalls vorwerfbar herbeigeführte Angriff, also die herbeigeführte Notwehrlage, vielleicht jemand, der sich gerne schlägt, so ein bisschen aggressiv ist und dann aber eine Notwehrlage provoziert, um dann vermeintlich als der Angegriffene sich nach Herzenslust verteidigen zu können.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wie gehen wir damit um und wie helfen unsere Prinzipien uns dabei?

52:45 Min
Henning Radtke:

Ja, unsere Prinzipien helfen uns bei der Lösung des Problems und zwar aus zweierlei Gründen. Das eine ist klar. Wir kommen in die Situation einer Notwehrlage ja nur dann, wenn ein rechtswidriger Angriff vorliegt.

1:10 Min
Henning Radtke:

Nur das findet das scharfe Schwert des Notwehrrechts, weil sich jemand bewusst dafür entschieden hat, selbst Unrecht zu begehen. Das ist auch in der Konstellation der Notwehrprovokation natürlich derjenige, der sich hat provozieren lassen und dann angreift und zwar vielleicht in der Absichtsprovokation sogar in genau dem Plan des Provokateurs entsprechen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Trotzdem bleibt er natürlich der Angreifer.

53:23 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Das ist der erste Punkt, ja.

53:25 Min
Henning Radtke:

Allerdings, selbst wenn wir uns nochmal in die staatliche Perspektive versetzen, wenn der Staat selber rechtswidriges Verhalten hervorruft, provoziert, dann gestatten wir dem Staat auch nicht mehr ohne weiteres, sein rechtliches Instrumentarium im vollen Umfang zur Geltung zu bringen. Für diejenigen, die auch immer schon die STPO als Prüfungsgegenstand ein bisschen in den Blick haben, denken sie an die Fälle, Eine Tatprovokation.

53:54 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Ganz, ganz wichtiger Bereich, in dem sich viel getan hat in den letzten Jahren. Gott sei Dank auf Impulse des EGMRs hin und auch des zweiten Strafsenats. Wir erlauben dem, des BGH, wir erlauben dem Staat eben nicht mehr eine Tat zu provozieren, um dann den Täter und meistens die Hintermänner ergreifen zu können.

54:15 Min
Henning Radtke:

Genau und weil wir das machen und ich gebe zu, dass sich kein blühender Anhänger, in dem Fall der Kollegen aus Straßburg bin, zu denen wir institutionell, wie ich persönlich, sehr, sehr gute Beziehungen haben. Ich bin aber bei der Tatprovokation, wäre ich etwas zurückhaltender als der Straßburger Gerichtshof.

1:10 Min
Henning Radtke:

Aber die Parallele trägt. Der Staat selber kann in dieser Situation nicht mehr sein volles ihm sonst zur Verfügung stehendes rechtliches Instrumentarium anwenden. Und genau diese Situation haben wir jetzt auch bei demjenigen, der dafür gesorgt hat, dass es überhaupt zum rechtswidrigen Angriff kommt, auch von dem verlangen wir jetzt Zurückhaltung.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und zwar zu Recht. Wir müssen nur ein zweites sehen. Der Aspekt ist mir noch wichtiger. Was folgt jetzt eigentlich daraus? Heißt das jetzt, und das ist ja früher mal gedacht und auch geschrieben worden, dass ich, weil ich provoziert habe, mein Notwehrrecht vollständig verliere?

55:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und ich schutzlos gestellt bin. In einer Situation, in der trotzdem, trotz allem, ein rechtswidriger Angriff im Raum steht.

55:18 Min
Henning Radtke:

Und deshalb kann, glaube ich, das, was früher gedacht worden ist, das ist eine Rechtsmissbrauchskonstellation, die dazu führt, dass ich das Notwehrrecht vollständig verwirke mit der von Ihnen beschriebenen Konsequenz, jetzt darf ich mich gar nicht mehr verteidigen, die kann nicht richtig sein. Es kann wirklich nur darum gehen, einfach höhere Anforderungen als im Regelfall der Notwehrlage an die Erforderlichkeit zu stellen und eben nicht zu erlauben, sofort zum tödlichen Schuss, der aber zur Abwehr geeignet ist, zu greifen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Nicht sofort das Messer zu ziehen, um diesen provozierten Angreifer abzuwehren, sondern demjenigen, der provoziert hat, zunächst mal zu sagen, jetzt zu sagen, das Risiko von eigenen Rechtsgutsbeeinträchtigungen, das ansonsten, das hatten wir ja ausdrücklich gesagt, immer der Angreifer trägt, jetzt ein bisschen zu verlagern und zu sagen, ja, so ein gewisses Maß an Rechtsgutsbeeinträchtigungen musst du hinnehmen, weil du vorher selbst dafür gesorgt hast, dass es zu dieser Notwehrsituation überhaupt kommt.

56:21 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Konkret, also du musst ausweichen, du musst zurückgehen, bevor du in den Angriffsmodus darfst. Schutzwehr, Trutzwehr, ganz genau.

56:31 Min
Henning Radtke:

Wenn ich ausweichen kann? Muss ich ausweichen, was ich ansonsten nicht muss. Wir kennen eine ganze Menge Notwehrkonstellationen außerhalb unserer Provokationsfälle, wo es natürlich die Möglichkeit gibt zu fliehen. Das ist von Rechts wegen aber nicht geboten.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wenn ich rechtswidrig angegriffen werde, dann darf ich standhalten, weil ich werde angegriffen, ich darf meine Individualinteressen verteidigen und ich darf, weil immer noch das Recht angegriffen wird vom Angreifer, auch das Recht bewähren. Ich darf standhaft bleiben und muss nicht fliehen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wenn ich hier fliehen kann, weil ich ja selbst in vorwerfbarer Weise vorher provoziert habe, dann muss ich fliehen, wenn ich kann, was häufig die konkrete Situation nicht zulassen wird. Wenn das nicht geht, dann muss ich eben erst die Arme erheben, um die Schläge abzuwehren und darf nicht sofort den Arm heben, um selbst zurück zu schlagen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und erst dann, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, den Angriff zu stoppen, dann darf ich zu schärferen Mitteln, zum Gegenschlag, zum Gegenschlag mit einem Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder ganz am Ende vielleicht auch zum Einsatz der Schusswaffe kommen. Sich also klar machen, kein Rechtsverlust, das scheint mir überhaupt nicht plausibel begründbar zu sein, sondern eben ein Gebot der Zurückhaltung der Sache nach Verschärfung der Anforderungen der Erforderlichkeit, die wir ansonsten für richtig halten.

1:10 Min
Henning Radtke:

Das ist glaube ich das Gebot der Stunde. Wenn Sie mir noch eine ergänzende Bemerkung bestatten, wir kommen jetzt noch wieder zurück zu unserem dritten systematischen Element jeder Rechtfertigungshandlung, nämlich das subjektive Rechtfertigungselement.

58:08 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und hier der Verteidigungswille.

58:11 Min
Henning Radtke:

Da muss man sehr, sehr vorsichtig sein, dass man mit den Anforderungen an den Verteidigungswillen nicht überzieht. Denn wenn ich einen Notwehrprovokateur habe, der ja nur die Notwehrsituation bewusst herbeigeführt hat, um dann unter dem Schutz der Rechtsordnung selbst Rechtsgüter beeinträchtigen zu können. Wenn ich jetzt sage, Verteidigungswille setzt auch noch irgendetwas Ethisches voraus.

58:38 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Was Heeres, ja.

58:39 Min
Henning Radtke:

Genau. Dann bringe ich den in eine Handlungssituation, in der er eigentlich keine legale Verhaltensoption mehr hat. Das kann nicht sein. Deshalb muss man vorsichtig sein und es spricht glaube ich eine Menge dafür und das würde ich auch raten in einer Klausur durchaus zu thematisieren.

1:10 Min
Henning Radtke:

Es muss für das subjektive Rechtfertigungselement, das kann man in diesen Provokationsfällen sehr, sehr schön sehen, reichen, wenn ich Kenntnis der Notwehrlage habe und in Kenntnis der Umstände, die die Notwehrlage oder die andere Rechtfertigungslage ausmachen, dann meine Notwehrhandlung vollziehe. Mehr kann es eigentlich nicht sein.

59:15 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also ein etwas abgestuftes sozusagen Anforderungsprofil an dieses subjektive Element, das sonst eben den Verteidigungswillen hat, aber in dieser durchaus prüfungsrelevanten Situation der Notwehrprovokation eben dieses abgespeckte Programm. Aber das rundet unsere Notwehrprüfung ab.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wir haben ja zum subjektiven Element auch zu Beginn wirklich ausführlich diskutiert. An alle nochmal der Hinweis, wir haben über die Notwehr gesprochen, die extrem prüfungsrelevant ist, die aber auch in Gestalt der Nothilfe in Paragraf 32 Absatz 2, also lesen Sie die Norm bis zum Ende, eben auch existiert.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Aber wie ich es antizipiert hatte, verlieren wir uns in dem Gespräch. Ich weiß schon, warum ich donnerstags für eine Dreiviertelstunde nach Saarbrücken gefahren bin. Man könnte ewig zuhören, aber wir sind eigentlich an einem guten Punkt, um hier einen Cut zu machen.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Nicht wahr, Marc?

60:14 Min
Marc:

So ist es. Vielen, vielen herzlichen Dank. Ich glaube, das war eine ganz spannende, knappe Stunde. Aber ihr kennt das ja hier. Wir haben sozusagen immer noch eure Zuschauerfrage am Ende.

1:10 Min
Marc:

Also wenn euch diese Podcast-Folgen gefallen, dann teilt die natürlich mit euren Kommilitoninnen und Kommilitonen und oder reicht gerne eine Frage ein, so wie ihr die hier gleich hören werdet, denn dann haben wir die Möglichkeit, diese Frage im Podcast aufzugreifen. Wir machen das hier bei irgendwas mit Examen der Strafrechtse-Edition und wir machen das übrigens auch sonst so.

1:10 Min
Marc:

Also wenn ihr eine allgemeine Karrierefrage habt, versuchen wir die auch entsprechend von einem unserer Gäste beantworten zu lassen. Gleich nach dem Ton hört ihr die Frage und dann natürlich auch die Antwort, sonst wäre es ja relativ sinnfrei. Ich sage für heute schon mal Tschüss, vielen herzlichen Dank.

60:59 Min
Zuschauerfrage:

Hallo, mein Name ist Jan und ich würde gerne wissen wollen, wie Sie sich in der Examsvorbereitung angesichts der Stoffmengemateriellen Strafrecht bei nur einer Klausur auf eine mögliche strafverfahrensrechtliche Zusatzfrage vorbereitet haben und welche Tipps und Tricks Sie hierfür hätten.

61:13 Min
Henning Radtke:

Ja, vielen Dank für die Frage. Der erste Gedanke ist natürlich, man verzichtet vollständig auf die Vorbereitung, setzt auf Lücke und hofft darauf, dass die strafprozessuelle Zusatzfrage nicht kommt. Nein, das kann natürlich nicht die Antwort sein, sondern auch da gilt, was die Zusatzfrage betrifft, versuchen Sie so gut wie möglich, sich auf die tragenden Prinzipien des Prozessrechts vorzubereiten.

1:10 Min
Henning Radtke:

Machen Sie sich einmal klar, wie ist der Strafprozess im deutschen Strafprozess aufgebaut, welche Abschnitte hat er in zeitlicher Hinsicht, welche Befugnisse stehen welchen Institutionen und oder Behörden in den einzelnen Abschnitten zur Verfügung. Was für eine Rolle spielt dabei? Einerseits das Verfassungsrecht, das gesamte Prozessrecht noch viel stärker überwäuft als das materielle Recht und seien Sie vertraut.

1:10 Min
Henning Radtke:

Den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Sie werden kaum in der Lage sein, gerade angesichts der Notwendigkeit, ein bisschen Allokation zu betreiben und sich vielleicht noch etwas stärker auf drei zivilrechtliche Klausuren vorzubereiten als auf eine strafrechtliche. Deshalb gilt gerade für das Prozessrecht Verfahrensprinzipien, Verfahrensstruktur, die wesentlichen Beteiligten und die Überwölbung durch Verfassungsrecht.

1:10 Min
Henning Radtke:

Dann kriegen Sie alles hin. Wenn Sie mit einer konkreten Situation befasst sind, die konkrete Situation mag ein Problem sein aus dem Recht der Beweiserhebung und Verwertung. Auch da gilt, Sie müssen die Prinzipien kennen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wenn Sie vor einer Frage stehen, die lautet, schon nach dem Sachverhalt, der Ihnen unterbreitet wird, es ist klar erkennbar, ein Fehler bei der Beweisgewinnung erfolgt, dann ist doch die naheliegende Konsequenz, kann ein Beweis, der unter Begehung von Verfahrensfehlern erhoben worden ist, darf ich den in einem rechtsstaatlichen Verfahren zum Gegenstand des Urteils machen? Sie müssen nur die Fragestellung kennen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Sie müssen nicht jede einzelne, ja auch höchst kontrovers diskutierte Lösung über Beweisverwertungsverbote im Strafprozess kennen. Sie müssen sich nur die Frage stellen, was darf eigentlich der demokratische, liberale Rechtsstaat tun, wenn ein staatlicher Agent, typischerweise ein Polizeibeamter, einen Fehler bei der Weisgewinnung gemacht hat.

1:10 Min
Henning Radtke:

Muss das dazu führen, dass der Staat nicht mehr strafen kann. Das könnte nämlich die Konsequenz eines Beweisverwertungsverbotes sein. Und dann gucken Sie sich einmal an, wie funktioniert unser Beweisrecht, sehen, es gibt so ganz wenige Regelungen in der SDPO, die können Sie fast an einer Hand abzählen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Da gibt es Beweisverwertungsverbote. Versuchen Sie da eine Struktur zu erkennen, wovon wir es abhängig machen. Und meistens machen wir es abhängig, und das ist jetzt wiederum auch verfahrensübergreifend, machen wir es vom Schutzzweck abhängig. Schauen Sie sich an, es gibt § 52 StPO, ein Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und die müssen darüber belehrt werden. Die Belehrung ist unterblieben. Was will § 52 schützen? Und wenn Ihnen klar ist, das soll das Angehörigenverhältnis freihalten von den Spannungen, die entstehen können, wenn ein Angehöriger gegen den anderen Angehörigen als Zeuge aussagen muss. Und gleichzeitig soll es davor schützen, dass man, weil man weiß, man sagt gegen den eigenen Vater aus, das erhöht die Gefahr, die Unwahrheit zu sagen, weil ich den typischerweise ja nicht belasten will, wenn das Verhältnis einigermaßen stimmt.

1:10 Min
Henning Radtke:

So, wenn das aber der Schutzzweck von 52 ist, dann spricht eine Menge dafür, wenn ich nicht darüber belehrt worden bin, dass ich nicht aussagen muss, dass ich die gewonnene Aussage nicht verwerten darf. Eine ganz einfache Überlegung.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und so machen Sie es überall. Sie haben nur ganz wenige Vorschriften, die Sie kennen müssen. Da machen Sie sich klar, was wollte der Gesetzgeber mit denen regeln. Und dann fragen Sie sich, wenn das der Regelungszweck ist, welche Konsequenzen hat das in meiner konkreten Situation? Deshalb noch mal ganz kurz, Sie müssen die wesentlichen Verfahrensprinzipien kennen, die finden Sie in jedem Lehrbuch, in jedem Skript.

1:10 Min
Henning Radtke:

Sie müssen jedenfalls rudimentär die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Strafprozesses kennen, den Ablauf des Strafverfahrens kennen. Immer berücksichtigen, da gilt Verhältnismäßigkeit noch viel, viel stärker als im materiellen Strafrecht und dann kommen sie durch jede Zusatzfrage.

65:40 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Und das ist auch aus meiner Sicht kein großer Lernaufwand. Ich gebe meinen Studierenden immer den Tipp, das wie Vitamine oder regelmäßigen Sport zu betreiben. Selbst wenn sie 25 Vitamintabletten am letzten Tag einschmeißen, wird ihr Körper nicht gesünder sein.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Denn STPO ist wirklich mit einem überschaubaren Aufwand, wenn Sie ein, zweimal die Woche vielleicht einen Aspekt mal nachlesen, sich abends bei einem Tee oder einem Glas Wein 20 Minuten nehmen und sich nur dafür interessieren, lässt sich das über die Lernzeit, die Sie sich gegeben haben, vielleicht ein Jahr, ganz entspannt integrieren mit eben der Perspektive, die Herr Radke ganz wunderbar Ihnen skizziert hat.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Es gibt Überblicksaufsätze. Ich habe selbst einen geschriebenen Zweiteiler in der JUS 2022. Ali Norusi hatte einen ganz wunderbaren Überblick über diese sogenannten STPO-Zusatzfragen. Und ich kann Ihnen nur zustimmen, Herr Radtke, man sollte da nicht auf Lücke lernen, denn es steht schlicht und ergreifend in den JAGs, dass es Bestandteil ist.

1:10 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Also das ist schlicht falsch zu glauben, dass StPO sie erst im Referendariat überfällt und sie machen einen wunderbaren letzten Eindruck, wenn sie die Staatsexamensklausur, bei der sie vielleicht die Betrugsdogmatik nicht ganz, ganz 100 Prozent abliefern konnten, machen sie einen guten letzten Eindruck, wenn die StPO Zusatzfrage gut beantwortet ist.

67:04 Min
Henning Radtke:

Wenn Sie mir gestatten, noch eine ganz kurze darüber hinausgehende Bemerkung. Sie machen natürlich auch einen guten Eindruck im nächsten Teil Ihrer Prüfung, nämlich in der mündlichen.

67:14 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Da kommt man eigentlich nicht drum herum.

67:16 Min
Henning Radtke:

Oder? In der Regel nicht. Ich bin nicht der einzige Strafrechtsprüfer und Sie nicht die einzige Strafrechtsprüferin, die immer wieder gerne auch mal strafprozessuale Fragen gerade in der mündlichen Prüfung adressieren. Und da würde ich nun wirklich den Rat geben, da sich noch einmal die Basics auf der Grundlage dessen, was Frau Schmidt-Leonardi gerade gesagt hat, noch mal wirklich vor Augen zu führen.

1:10 Min
Henning Radtke:

Da kann man... Wirklich schon dann punkten, wenn man korrekt bezeichnen kann, welche Gerichte es eigentlich im Strafrecht so gibt. Und weiß, dass also am Landgericht Kammern existieren und dass wir da kleine Strafkammern und große Strafkammern haben.

1:10 Min
Henning Radtke:

Wenn man sogar noch weiß, wie die besetzt sind. Also wie die Verteilung zwischen Berufs- und Leinrichtern da ist. Und jedenfalls weiß, dass wir da so drei klassische Rechtsmittel haben. Nämlich die Beschwerde, die Berufung und die Revision.

1:10 Min
Henning Radtke:

Und man Berufung und Revision noch unterscheiden kann.

68:08 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Gibt gegen landgerichtliche, erstinstanzliche Landgerichtsurteile, auch ein verbreiteter Fehler.

68:14 Min
Henning Radtke:

Absolute Basics, mit denen man aber wirklich Prüferinnen und Prüfer schnell in Verzückung bringen kann, was sich dann in der Regel auch in einer entsprechenden Benotung auswirkt, ohne dass man dafür einen unzumutbaren Aufwand betreiben muss, sondern kontinuierlich die Basics lernen im Prozessrecht, dann haben sie eine hohe Gewehr dafür, dass Sie gut durch die Zusatzfrage und gut durch diesen

1:10 Min
Henning Radtke:

Teil der mündlichen Prüfung kommen.

68:39 Min
Charlotte Schmitt-Leonardy:

Wunderbar.

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